OGH 6Ob71/24w

OGH6Ob71/24w26.3.2025

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Gitschthaler als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen und Hofräte Dr. Hofer‑Zeni-Rennhofer, Dr. Faber, Mag. Pertmayr und Dr. Weber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei N*, vertreten durch Dr. Hans Kulka, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagten Parteien 1. D* Inc., *, USA, vertreten durch Wess Kux Kispert & Eckert Rechtsanwalts GmbH in Wien, 2. C* Inc., *, USA, wegen 285.345 EUR sA, über die außerordentliche Revision der erstbeklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 15. Februar 2024, GZ 1 R 95/23g‑96, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2025:0060OB00071.24W.0326.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

 

Begründung:

[1] Mit Anteilskaufvertrag vom 7. 11. 2014 verkaufte die Klägerin der Zweitbeklagten ihre Anteile an der Zielgesellschaft, einer GmbH mit Sitz in Österreich. Der Kaufpreis sollte in vier Raten bezahlt werden. Die Beträge hätten nach einem bestimmten Schlüssel zum Teil an die Gesellschafter der Klägerin und zum Teil an diese selbst ausgezahlt werden sollen. Der der Klägerin zustehende Anteil der verfahrensgegenständlichen dritten Kaufpreisrate betrug (jedenfalls) 212.500 EUR. In der Folge musste die Zweitbeklagte liquidiert werden und wurde eine Liquidationsgesellschaft (LCC) nach US‑amerikanischem Recht gegründet. Diese erwarb am 5. 8. 2015 von der Zweitbeklagten die Anteile an der Zielgesellschaft und verkaufte diese am selben Tag an eine Konzerngesellschaft der Erstbeklagten.

[2] Gegen die Zweitbeklagte erging ein rechtskräftiges Versäumungsurteil.

[3] Gegenstand des vorliegenden Revisionsverfahrens ist die Passivlegitimation der Erstbeklagten. Die Klägerin leitet diese aus einer Schuldübernahme ab, die die Erstbeklagte in der mit ihr bzw ihrem Rechtsvertreter im Lauf des Juli 2015 geführten E‑Mail‑Korrespondenz erklärt habe. Sie gehe zwar von einer privativen Schuldübernahme aus, nehme aber mangels Kenntnis des Innenverhältnisses beide Beklagte in Anspruch.

[4] Das Berufungsgericht bejahte die Passivlegitimation der Erstbeklagten aufgrund mit der Klägerin vereinbarter kumulativer Schuldübernahme und gab der Klage im Umfang von 212.500 EUR statt. Das Mehrbegehren wies es unbekämpft ab. Es ließ die Revision nicht zu.

Rechtliche Beurteilung

[5] Die außerordentliche Revision der Erstbeklagten zeigt keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO auf.

[6] 1. Mit Beschluss vom 28. 6. 2022 verwarf das Rekursgericht in Abänderung des erstgerichtlichen Beschlusses die von der Erstbeklagten erhobene Einrede der fehlenden internationalen Zuständigkeit. Diese Entscheidung erwuchs von der Erstbeklagten unbekämpft in Rechtskraft. Die behauptete internationale Unzuständigkeit kann daher – worauf bereits das Berufungsgericht zutreffend hinwies – nicht mehr wahrgenommen werden (vgl RS0035572; 8 Ob 122/03d).

[7] 2. Voranzustellen ist, dass die Anwendung österreichischen Sachrechts auf den von der Klägerin behaupteten Schuldbeitritt im Verfahren dritter Instanz nicht strittig ist. Das auf die behauptete Vereinbarung anzuwendende Recht ist nach den allgemeinen Regeln zur Ermittlung des Vertragsstatuts zu bestimmen (vgl 3 Ob 116/20k [Rz 20]) und einer Rechtswahl nach Art 3 Rom I‑VO zugänglich. Eine solche kann auch noch während eines laufenden Verfahrens dadurch getroffen werden, dass sich beide Parteien auf Regelungen einer bestimmten Rechtsordnung für die Beurteilung ihres Rechtsverhältnisses berufen (1 Ob 63/18y [ErwGr 3]; RS0040169 [T3]; vgl auch RS0077082 [T3]). Im vorliegenden Verfahren erstatteten beide Parteien Vorbringen zur Beurteilung der behaupteten Schuldübernahme nach österreichischem Recht: Die Klägerin stützte sich ausschließlich auf österreichisches Recht. Die Erstbeklagte bestritt dessen Anwendung zwar zunächst pauschal, erstattete jedoch in der Folge bereits im Verfahren erster Instanz ohne Vorbehalte Vorbringen zum österreichischen Recht und stützte sich auch in ihrer außerordentlichen Revision ausdrücklich auf Bestimmungen des österreichischen Rechts. Bei dieser Sachlage kann an der Anwendung österreichischen Rechts aufgrund einer während des Verfahrens schlüssig getroffenen Rechtswahl hinsichtlich der im Verfahren zu beurteilenden Schuldübernahme kein Zweifel bestehen.

[8] 3. Die Auslegung von Willenserklärungen im Einzelfall wirft regelmäßig keine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO auf (RS0042936 [T57]; RS0044358 [T11]; RS0042776). Das gilt bereits für die in der außerordentlichen Revision angesprochene Frage, ob in einer Erklärung ein rechtsgeschäftlicher Bindungswille des Erklärenden zum Ausdruck kommt (RS0042555), ob es sich bei einer Erklärung also um eine rechtsgeschäftliche Willens- oder eine bloße Wissenserklärung handelte (vgl RS0032666), ebenso für die Frage, wie der Inhalt der Erklärung im Einzelfall aufzufassen ist (RS0042555) und ob ausnahmsweise im Schweigen auf einen Antrag aufgrund der bestehenden Sonderrechtsbeziehung eine Zustimmung gesehen werden kann (RS0014126 [T3, T7]). Auch die Beurteilung, ob nach den konkreten Umständen im Sinn des Vollmachtsrechts im eigenen oder fremden Namen gehandelt wurde, bildet im Hinblick auf ihre Einzelfallbezogenheit im Allgemeinen keine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 2 ZPO (RS0108494).

[9] Im vorliegenden Fall gründete das Berufungsgericht seine Erwägungen, die Klägerin habe die E‑Mails des CEO der (unter anderem) Erstbeklagten dieser – und nicht einer anderen von ihm vertretenen Gesellschaft – zurechnen dürfen, vertretbar auf die verwendete E-Mail-Signatur und den Gesamtkontext des E‑Mail‑Wechsels. Einen für den Erklärungsempfänger erkennbaren Willen der Klägerin zum Abschluss einer rechtsgeschäftlichen Vereinbarung leitete es ebenfalls vertretbar aus dem Umstand ab, dass die Klägerin sich zum Ersuchen um Bestätigung der Übernahme der Verbindlichkeiten der Zweitbeklagten aus dem Anteilskauf durch die Erstbeklagte eines Rechtsanwalts bediente, dies wiederum im Zusammenhang mit der zuvor geführten Korrespondenz. Im vorliegenden Einzelfall begründet auch die Erwägung des Berufungsgerichts, aufgrund der konkreten Nachfrage der Klägerin zur Verifizierung der vom CEO der Erstbeklagten in der Vorkorrespondenz abgegebenen Erklärungen wäre die Erstbeklagte ausnahmsweise gehalten gewesen, der Klägerin ein abweichendes Verständnis von der Pflichtenlage mitzuteilen, keine aufzugreifende Fehlbeurteilung. Eine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung wird im Zusammenhang mit der Auslegung der Erklärungen der Parteien daher in der außerordentlichen Revision nicht aufgezeigt.

[10] 4. Für einen als Interzession zu wertenden Schuldbeitritt besteht – unabhängig vom Vorliegen eines Verbrauchergeschäfts – die Formpflicht analog § 1346 Abs 2 ABGB (4 Ob 205/09i JBl 2010, 509 [I. Faber; Lukas] = ÖBA 2010/1650, 610 [Apathy]). Ausschlaggebend für das Vorliegen einer Interzession ist die Frage, ob der Dritte die Haftung für eine materiell fremde Schuld übernimmt. Dafür ist das dem Gläubiger bekannte oder leicht erkennbare Innenverhältnis zwischen dem ursprünglichen und dem hinzutretenden Schuldner maßgebend; eine materiell fremde Schuld liegt vor, wenn dem zahlenden Interzedenten ein Regressanspruch gegen den ursprünglichen Schuldner zusteht. Allerdings muss die bloß formelle Haftung des Interzedenten für den Gläubiger erkennbar sein. Interzession liegt daher vor, wenn der Gläubiger aufgrund der Umstände des Geschäftsabschlusses annehmen muss, dass der hinzutretende Schuldner im Fall einer Inanspruchnahme beim Hauptschuldner Regress nehmen kann (4 Ob 205/09i [ErwGr 4.1. ff]; vgl RS0126112; RS0126113).

[11] Nach den dargestellten Grundsätzen ist die Schriftform des § 1346 Abs 2 ABGB nicht auf jeden Schuldbeitritt anzuwenden, sondern nur dann, wenn dieser für den Vertragspartner als Sicherungsgeschäft erkennbar ist. Die Erstbeklagte hat in erster Instanz allerdings nicht den Einwand erhoben, bei einem allfälligen Schuldbeitritt habe es sich nur um eine Interzession gehandelt. Sie hat auch keine tatsächlichen Umstände vorgebracht, aufgrund derer der im Revisionsverfahren behauptete Sicherungscharakter und das behauptete Bestehen eines Regressanspruchs der Erstbeklagten gegenüber der Zweitbeklagten erkennbar gewesen wäre. Vielmehr reichen die im Verfahren erster Instanz vorgebrachten sowie die festgestellten Umstände des Geschäftsabschlusses – die Klägerin legte in ihrer Korrespondenz mit der Erstbeklagten offen, dass sie davon ausgehe, die Erstbeklagte würde die Anteile an der Zielgesellschaft von der Zweitbeklagten erwerben und in diesem Zusammenhang Kaufpreisverbindlichkeiten der Zweitbeklagten gegenüber der Klägerin übernehmen – für die Erkennbarkeit des erstmals in dritter Instanz behaupteten Regressverhältnisses nicht aus.

[12] Das Revisionsvorbringen der Erstbeklagten zur erforderlichen Anwendung der Schriftform analog § 1346 Abs 2 ABGB ist daher mangels Vorbringens zum Vorliegen einer Interzession als gemäß § 482 ZPO unzulässige neue Einwendung zu qualifizieren. Der vorliegende Fall unterscheidet sich insofern von der Entscheidung 9 Ob 41/12p, in der die Übernahme einer Bürgschaft unstrittig war, sodass die Formunwirksamkeit der schon nach der äußeren Form dem Schriftformgebot nicht entsprechenden Bürgschaftserklärung ohne Verstoß gegen das Neuerungsverbot auch noch im Rechtsmittelverfahren geltend gemacht werden konnte (ErwGr I.2.).

[13] 5. Mangels Geltendmachung einer Rechtsfrage der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO ist die außerordentliche Revision der Erstbeklagten zurückzuweisen.

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