OGH 6Ob90/24i

OGH6Ob90/24i26.3.2025

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Gitschthaler als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen und Hofräte Dr. Hofer‑Zeni-Rennhofer, Dr. Faber, Mag. Pertmayr und Dr. Weber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Republik Österreich, vertreten durch die Finanzprokuratur, 1011 Wien, Singerstraße 17–19, gegen die beklagte Partei M* G*, vertreten durch CMS Reich‑Rohrwig Hainz Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen 44.751,58 EUR sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 20. September 2021, GZ 13 R 28/21i‑29, mit dem das Zwischenurteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 21. Dezember 2020, GZ 65 Cg 28/19v‑25, abgeändert wurde,in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen und zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2025:0060OB00090.24I.0326.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Unionsrecht

Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)

 

Spruch:

 

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden im Umfang von 10.317,51 EUR samt Zinsen von 2,88 % jährlich von 30. 7. 2014 bis 15. 3. 2016 und von 2,38 % jährlich seit 16. 3. 2016 aufgehoben und die Rechtssache insoweit zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Im Umfang von 34.434,07 EUR samt Zinsen von 2,88 % jährlich aus 24.935,13 EUR von 30. 4. 2014 bis 15. 3. 2016 und aus 9.498,94 EUR von 30. 7. 2014 bis 15. 3. 2016 sowie von 2,38 % jährlich aus 34.434,07 EUR seit 16. 3. 2016 wird das Zwischenurteil des Erstgerichts wiederhergestellt.

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

 

Entscheidungsgründe:

[1] Das Österreichische Programm für umweltgerechte Landwirtschaft (ÖPUL) 2007 wurde von der klagenden Republik Österreich im verfahrensgegenständlichen Zeitraum (in den Jahren 2007 bis 2013) als Agrarumweltmaßnahme gemäß VO (EG) Nr 1698/2005 des Rates vom 20. 9. 2005 über die Förderung der Entwicklung des ländlichen Raums durch den Europäischen Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raums (ELER), ABl L 277/1 vom 21. 10. 2005 (künftig: VO 1698/2005 ), angeboten und von der Europäischen Union kofinanziert.

[2] Die Förderungen werden im Weg von Verträgen mit den Förderungswerbern abgewickelt. Die Regeln, denen das Förderungsprogramm unterworfen ist, finden sich in der Sonderrichtlinie des Bundesministers für Land‑ und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft (BMLFUW) für das Österreichische Programm zur Förderung einer umweltgerechten, extensiven und den natürlichen Lebensraum schützenden Landwirtschaft (SRL‑ÖPUL 2007).

[3] Im Rahmen des ÖPUL werden flächenbezogene Förderungen für umweltgerechte Bewirtschaftungsformen gewährt, wofür die Förderungswerber mehrjährige Verpflichtungen eingehen müssen. Gemäß Pkt 1.6.7.1. der SRL‑ÖPUL 2007 ist der Förderungswerber bei einem Förderungsbeginn im Jahr 2007 verpflichtet, die einbezogenen Flächen für mindestens sieben Jahre, also bis einschließlich 2013, gemäß den Fördervoraussetzungen zu bewirtschaften und alle sonstigen Fördervoraussetzungen zu erfüllen. Nach dem Erstantrag stellen die Förderungswerber jährlich einen „Mehrfachantrag‑Flächen“. Punkt II.1.1. dieser Anträge verweist stets auf „die jeweilige ÖPUL‑SRL“ als Grundlage der Beihilferegelung, die zur Kenntnis genommen werde, zu deren Einhaltung sich der Antragsteller verpflichte und die einen Bestandteil des Vertrags zwischen der Klägerin und dem Förderungsnehmer bilde.

[4] Die Verwaltung und Abwicklung des ÖPUL obliegt der Agrarmarkt Austria GmbH (AMA), die im Namen und auf Rechnung der Klägerin tätig wird (7 Ob 231/02z sowie SRL‑ÖPUL 2007 Pkt 1.9.2.).

[5] Der Beklagte nahm als Bewirtschafter des landwirtschaftlichen Betriebs Nr * (künftig: Betrieb) am ÖPUL teil. Der Erstantrag wurde vom damaligen Bewirtschafter für den siebenjährigen Zeitraum 2007 bis 2013 gestellt. Der Beklagte war ab 1. 1. 2008 Bewirtschafter des Betriebs. Es ist nicht strittig, dass er dem Fördervertrag beitrat und ihn fortführte. Er stellte selbst die Anträge für die Jahre 2008 bis 2013.

[6] Nach Durchführung einer Vor‑Ort‑Kontrolle begehrte die Klägerin im Jahr 2013 wegen behaupteter Abweichungen zwischen den beantragten und den tatsächlich förderfähigen Flächen die Rückerstattung der in den Antragsjahren 2008 bis 2010 und 2012 bis 2013 auf die Abgangsflächen gewährten Prämien in der Höhe der Klageforderung.

[7] Dem Beklagten wurden von der AMA ein Prüfbericht sowie Rückforderungsmitteilungen vom 26. 3. 2014 und vom 26. 6. 2014 übermittelt. Danach erhielt er Zahlungserinnerungen vom 11. 5. 2015 (zugestellt am 12. 5. 2015), vom 12. 11. 2015 (zugestellt am 16. 11. 2015) und eine Mahnung mit der Androhung von „rechtlichen Schritten“ vom 16. 12. 2015 (zugestellt am 22. 12. 2015).

[8] Mit am 26. 4. 2019 eingebrachter Klage begehrte die Klägerin die Zahlung von 44.751,58 EUR samt gestaffelter Zinsen von jährlich 2,880 % über dem jeweils geltenden Basiszinssatz ab 30. 4. 2014. Der Förderungsnehmer sei verpflichtet gewesen, die einbezogenen Flächen bis 31. 12. 2013 gemäß den Fördervoraussetzungen zu bewirtschaften und alle sonstigen Fördervoraussetzungen zu erfüllen, widrigenfalls die Förderung zurückzuerstatten sei.

[9] Bei Vor‑Ort‑Kontrollen am 5./9. 12. 2013 und am 9. 1. 2014 seien für die Antragsjahre 2012 und 2013 Abweichungen zwischen den beantragten und den förderfähigen Flächen festgestellt worden. Aus diesen Differenzen ergäben sich Rückforderungen für die Jahre 2012 und 2013. Soweit die beantragten, aber in den Jahren 2012 und 2013 nicht mehr förderungsfähigen Flächen (die Abgangsflächen) bereits in den Vorjahren in das ÖPUL eingebracht worden seien, liege eine Verletzung des siebenjährigen Verpflichtungszeitraums vor. Deshalb würden auch die für die Antragsjahre 2008 bis 2012 für die Abgangsflächen gewährten Förderungen zurückgefordert. Die für das Jahr 2011 gewährten Förderungen seien bereits zurückgezahlt worden.

[10] Der Beklagte sei gemäß Pkt 1.12. SRL‑ÖPUL 2007 zu folgenden Rückzahlungen verpflichtet:

für das Antragsjahr 2008 zur Rückzahlung von 5.679,01 EUR (abzüglich eines Nachzahlungsbetrags von 26,85 EUR), überwiesen am 19. 11. 2008 und rückgefordert am 26. 6. 2014;

für das Antragsjahr 2009 zur Rückzahlung von 4.685,20 EUR (abzüglich eines Nachzahlungsbetrags von 19,85 EUR) überwiesen am 18. 11. 2009 und rückgefordert am 26. 6. 2014;

für das Antragsjahr 2010 zur Rückzahlung von 4.799,20 EUR (abzüglich eines Nachzahlungsbetrags von 11,86 EUR), überwiesen am 17. 11. 2010 und rückgefordert am 26. 6. 2014;

für das Antragsjahr 2012 zur Rückzahlung von 303,29 EUR, überwiesen am 15. 11. 2012, rückgefordert am 26. 3. 2014, und von 4.717,94 EUR (abzüglich eines Nachzahlungsbetrags von 6,34 EUR), überwiesen am 15. 11. 2012, rückgefordert am 26. 6. 2014;

für das Antragsjahr 2013 zur Rückzahlung von 27.367,09 EUR (abzüglich eines kompensierten Betrags von 2.735,25 EUR), überwiesen am 14. 11. 2013, rückgefordert am 26. 3. 2014.

[11] Zusammengefasst behauptet die Klägerin demnach, insgesamt 24.935,13 EUR mit Rückforderungsmitteilung vom 26. 3. 2014 und 19.816,45 EUR mit Rückforderungsmitteilung vom 26. 6. 2014 vom Beklagten zurückgefordert zu haben.

[12] Dazu erstattete sie detailliertes Vorbringen zu den gewährten Förderungen, den ermittelten Flächenabweichungen, den Abweichungsprozentsätzen zwischen den beantragten und den ermittelten Prämien und den daraus nach der SRL‑ÖPUL 2007 resultierenden Rückforderungsbeträgen. Weiters erstattete sie Vorbringen zur Berechnung jener Rückforderungsbeträge, die sie darauf stützt, dass die Flächenabweichungen zugleich eine Verletzung des siebenjährigen Bewirtschaftungszeitraums darstellten. Festzuhalten ist, dass die Klägerin für das Antragsjahr 2013 für beide Fördermaßnahmen, an denen der Beklagte teilnahm („BIO“ und „WERTV“) Abweichungsprozentsätze von mehr als 20 % behauptet, weshalb sie die gesamte für die jeweilige Maßnahme für das Jahr 2013 gewährte Beihilfe zurückfordert. Hingegen behauptet sie für das Jahr 2012 und die vorangegangenen Jahre Abweichungen pro Maßnahme von unter 3 %, weshalb nur die auf die beanstandeten Flächen selbst entfallende Prämie zurückgefordert werde.

[13] Sie bringt vor, die SRL‑ÖPUL 2007 sei weitgehend durch EU‑Verordnungen determiniert. Das Ausmaß der Kürzungen bzw Rückforderungen bei Flächenabweichungen werde direkt in Art 16 VO (EU) Nr 65/2011 der Kommission vom 27. 1. 2011 mit Durchführungsbestimmungen zur Verordnung (EG) Nr 1698/2005 des Rates hinsichtlich der Kontrollverfahren und der Einhaltung anderweitiger Verpflichtungen bei Maßnahmen zur Förderung der Entwicklung des ländlichen Raums, ABl L 25/8 vom 28. 1. 2011 (künftig: Kontroll‑VO 65/2011 ), normiert. Diese Verordnung verweise auch auf die Vorgaben des Integrierten Verwaltungs‑ und Kontrollsystems (INVEKOS) der Europäischen Union. Dass bei Nichteinhaltung des mehrjährigen Verpflichtungszeitraums die gesamte im Verpflichtungszeitraum gewährte Beihilfe zurückzuerstatten sei, entspreche Art 39 Abs 3 in Verbindung mit Art 88 Abs 4 VO 1698/2005 .

[14] Der Beklagte wandte (unter anderem) ein, die Ansprüche seien verjährt. Pkt 1.12. SRL‑ÖPUL 2007 enthalte keine eigenen Verjährungsregeln, sodass dafür auf andere Rechtsquellen zurückzugreifen sei. Zur Verjährungsfrage stützte er sich auf nationales österreichisches Zivilrecht. Er qualifizierte die Rückforderungen als Vertragsstrafen im Sinn des § 1336 ABGB. Auf diese komme die Verjährungsfrist von drei Jahren ab Kenntnis von Schaden und Schädiger gemäß § 1489 ABGB zur Anwendung. Die Verjährungsfrist beginne spätestens zum Zeitpunkt der Rückforderungsschreiben vom 26. 3. 2014 und vom 26. 6. 2014 zu laufen, weshalb zum Zeitpunkt der Klageeinbringung bereits Verjährung eingetreten sei.

[15] Die VO (EG, Euratom) Nr 2988/95 des Rates vom 18. 12. 1995 über den Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften, ABl L 312/1 vom 23. 12. 1995 (künftig: VO 2988/95 ), sei nicht anwendbar, weil sie nur Ansprüche erfasse, die mit den Mitteln des öffentlichen Rechts zu verfolgen seien. Selbst bei Anwendbarkeit der VO 2988/95 seien die Zustellung des Prüfberichts, der Rückforderungsmitteilungen und der Zahlungserinnerungen nicht als Ermittlungs‑ oder Verfolgungshandlungen zu qualifizieren; sie bewirkten daher keine Verjährungsunterbrechung.

[16] Die Klägerin hielt dem Verjährungseinwand entgegen, die Verjährung sei vorrangig nach dem anwendbaren Unionsrecht, konkret nach der VO 2988/95 , zu prüfen. Die vierjährige Verjährungsfrist des Art 3 Abs 1 VO 2988/95 habe nach dem Ende des Verpflichtungszeitraums, daher am 1. 1. 2014, zu laufen begonnen. Sie sei durch die von der AMA gesetzten Verfolgungshandlungen, und zwar die Zustellung des Prüfberichts und der Rückforderungsmitteilungen vom 26. 3. 2014 und vom 26. 6. 2014 sowie durch die Zahlungserinnerungen vom 11. 5. 2015, 12. 11. 2015 und 16. 12. 2015, unterbrochen worden, wodurch die Verjährungsfrist jeweils neu zu laufen begonnen habe. Die Forderungen seien daher nicht verjährt.

[17] Darüber hinaus könnten die Mitgliedstaaten nach Art 3 Abs 3 VO 2988/95 eine längere Verjährungsfrist vorsehen. Jedenfalls die Rückforderungen wegen Verletzung des Verpflichtungszeitraums der Jahre 2008 bis 2010 sowie 2012 und für die beanstandeten Flächen der Antragsjahre 2012 und 2013 seien nach österreichischem Zivilrecht als Bereicherungsansprüche zu qualifizieren. Daher komme die 30‑jährige Verjährungsfrist des § 1478 ABGB zur Anwendung. Auch die darüber hinausgehende Rückforderung in Form der vollständigen Streichung der Förderung für die nicht beanstandete Fläche für das Antragsjahr 2013 sei keine Vertragsstrafe, weil dadurch nicht der Ersatz eines Schadens, sondern die Sicherstellung der vollen Wirksamkeit des Unionsrechts entsprechend den Vorgaben des INVEKOS für Flächenabweichungen erreicht werden solle.

[18] Die Verpflichtung zur Zahlung von Zinsen gemäß Pkt 1.12.2.5. SRL‑ÖPUL 2007 beruhe (dem Grunde nach) auf Artikel 5 Abs 1 VO 65/2011 , sodass auch für den Zinsenanspruch die Verjährungsfristen des Art 3 VO 2988/95 gälten.

[19] Das Erstgericht schränkte den Verfahrensgegenstand auf die Frage der Verjährung ein und sprach mit Zwischenurteil gemäß § 393a ZPO aus, die Klageforderung sei nicht verjährt. Rechtlich bejahte es die Anwendbarkeit von Art 3 VO 2988/95 auf sämtliche geltend gemachte Ansprüche. Die vierjährige Verjährungsfrist habe am 1. 1. 2014 begonnen und sei durch die Rückforderungsmitteilungen und die Zahlungsaufforderungen vom 11. 5., 12. 11. und 16. 12. 2015 unterbrochen worden, sodass die Ansprüche nicht verjährt seien.

[20] Das Berufungsgericht wies das Klagebegehren wegen Verjährung ab. Rechtlich führte es aus, die VO 2988/95 sei auf zivilrechtliche Ansprüche nicht anzuwenden. Es komme das Verjährungsrecht des österreichischen Zivilrechts zur Anwendung. Die Ansprüche seien gemäß § 1489 ABGB verjährt. Es ließ die Revision zu, weil höchstgerichtliche Rechtsprechung zu den Fragen fehle, ob bei der zivilrechtlichen Rückforderung von mit den Mitteln des Zivilrechts gewährten Beihilfen nationales Zivilrecht zur Anwendung komme, ob es sich bei der vertraglichen Rückforderungsbestimmung um eine Vertragsstrafe handle und ob die Verjährunsfrist des Art 3 Abs 1 VO 2988/95 auch im nationalen Recht als Mindestverjährungsfrist zur Anwendung komme.

Rechtliche Beurteilung

[21] Die Revision der Klägerin ist zulässig und berechtigt.

1. Vorabentscheidung durch den EuGH

Der Oberste Gerichtshof legte mit seinem Beschluss vom 17. 10. 2022, 6 Ob 224/21s, dem Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) gemäß Art 267 AEUV folgende Frage zur Vorabentscheidung vor:

[22] 1. Ist Art 3 der VO (EG, Euratom) Nr 2988/95 des Rates vom 18. 12. 1995 über den Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften, ABl L 312/1 vom 23. 12. 1995, unmittelbar auf solche Ansprüche anzuwenden, mit denen die Republik Österreich Beihilfen, die sie im Rahmen eines Programms, das eine Agrarumweltmaßnahme gemäß VO (EG) Nr 1698/2005 des Rates vom 20. 9. 2005 über die Förderung der Entwicklung des ländlichen Raums durch den Europäischen Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raums (ELER), ABl L 277/1 vom 21. 10. 2005, darstellt, den Förderungswerbern vertraglich gewährte, mit den Mitteln des Privatrechts zurückfordert, weil der Förderungsnehmer gegen vertragliche Verpflichtungen verstoßen hat?

[23] 2. Falls die erste Frage bejaht wird, ist Artikel 3 Absatz 1 Unterabsatz 3 der in Frage 1 genannten Verordnung dahin auszulegen, dass eine die Verjährung unterbrechende Ermittlungs- oder Verfolgungshandlung auch dann vorliegt, wenn der Beihilfegeber den Beihilfenehmer nach der ersten außergerichtlichen Einforderung eines Rückzahlungsanspruchs neuerlich, allenfalls auch mehrfach, zur Zahlung auffordert und außergerichtlich mahnt, anstatt seinen Rückzahlungsanspruch gerichtlich geltend zu machen?

[24] 3. Falls die erste Frage verneint wird, ist die Anwendung einer 30‑jährigen Verjährungsfrist des nationalen Zivilrechts auf die in Frage 1 bezeichneten Rückforderungsansprüche mit dem Unionsrecht, insbesondere mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, vereinbar?

Der EuGH beantwortete diesen Fragen mit Urteil vom 8. 5. 2024, C‑734/22 (Republik Österreich gegen GM), wie folgt:

[25] 1. Art 3 Abs 1 Unterabs 1 der Verordnung 2988/95 ist dahin auszulegen, dass die dort vorgesehene vierjährige Verjährungsfrist unmittelbar auf eine sich nach den privatrechtlichen Vorschriften eines Mitgliedstaats richtende Rückforderung von durch die Europäische Union kofinanzierten Beihilfen anwendbar ist.

[26] 2. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist dahin auszulegen, dass er es verwehrt, dass nach Art 3 Abs 3 der Verordnung Nr 2988/95 auf Rückforderungen von durch die Europäische Union kofinanzierten Beihilfen eine durch eine privatrechtliche Bestimmung eines Mitgliedstaats eingeführte Verjährungsfrist von 30 Jahren angewandt wird.

[27] 3. Art 3 Abs 1 Unterabs 3 der Verordnung 2988/95 ist dahin auszulegen, dass der Begriff der der betreffenden Person zur Kenntnis gebrachten „Ermittlungs‑ oder Verfolgungshandlung“ der zuständigen Behörde, die zur Unterbrechung der „Verfolgungsverjährung“ führt, außergerichtliche Handlungen wie einen Prüfbericht, eine Rückforderungsmitteilung, eine Zahlungserinnerung oder eine Mahnung umfasst, soweit der Adressat dieser Handlungen aus ihnen die Vorgänge, auf die sich der Verdacht von Unregelmäßigkeiten bezieht, hinreichend genau entnehmen kann.

2. Zum Zwischenurteil über die Verjährung

[28] Im Zwischenurteil über die Verjährung gemäß § 393a ZPO ist zu beurteilen, ob das Prozessvorbringen des Klägers unter Berücksichtigung der zum Anspruchsgrund getroffenen Feststellungen geeignet wäre, einen Anspruch des Klägers zu begründen (1 Ob 124/13m [ErwGr 4]; vgl RS0129001). Es liegt dabei in der Natur des Zwischenurteils zur Verjährung, dass die Tatsachengrundlagen des Anspruchs, über dessen Verjährung entschieden werden soll, noch nicht feststehen müssen, sondern vorläufig anzunehmen sind (vgl RS0127852). Da aber über die Verjährung abschließend entschieden wird, sind über alle für die Beurteilung der Verjährung des geltend gemachten Anspruchs relevanten Umstände entsprechende Feststellungen zu treffen (9 Ob 33/23b [Rz 18]).

3. Zur Beurteilung der Verjährung im vorliegenden Fall

3.1. Relevante unionsrechtliche Normen

[29] 3.1.1. Art 1 der VO (EG, Euratom) Nr 2988/95 des Rates vom 18. 12. 1995 über den Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften, ABl L 312/1 vom 23. 12. 1995 (künftig: VO 2988/95 ), lautet:

„Art 1 Abs 1: Zum Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften wird eine Rahmenregelung für einheitliche Kontrollen sowie für verwaltungsrechtliche Maßnahmen und Sanktionen bei Unregelmäßigkeiten in Bezug auf das Gemeinschaftsrecht getroffen.

Abs 2: Der Tatbestand der Unregelmäßigkeit ist bei jedem Verstoß gegen eine Gemeinschaftsbestimmung als Folge einer Handlung oder Unterlassung eines Wirtschaftsteilnehmers gegeben, die einen Schaden für den Gesamthaushaltsplan der Gemeinschaften oder die Haushalte, die von den Gemeinschaften verwaltet werden, bewirkt hat bzw haben würde, sei es durch die Verminderung oder den Ausfall von Eigenmitteleinnahmen, die direkt für Rechnung der Gemeinschaften erhoben werden, sei es durch eine ungerechtfertigte Ausgabe.“

„Art 3 Abs 1: Die Verjährungsfrist für die Verfolgung beträgt vier Jahre ab Begehung der Unregelmäßigkeit nach Artikel 1 Absatz 1. Jedoch kann in den sektorbezogenen Regelungen eine kürzere Frist vorgesehen werden, die nicht weniger als drei Jahre betragen darf.

Bei andauernden oder wiederholten Unregelmäßigkeiten beginnt die Verjährungsfrist an dem Tag, an dem die Unregelmäßigkeit beendet wird. Bei den mehrjährigen Programmen läuft die Verjährungsfrist auf jeden Fall bis zum endgültigen Abschluß des Programms.

Die Verfolgungsverjährung wird durch jede der betreffenden Person zur Kenntnis gebrachte Ermittlungs- oder Verfolgungshandlung der zuständigen Behörde unterbrochen. Nach jeder eine Unterbrechung bewirkenden Handlung beginnt die Verjährungsfrist von neuem.

Die Verjährung tritt jedoch spätestens zu dem Zeitpunkt ein, zu dem eine Frist, die doppelt so lang ist wie die Verjährungsfrist, abläuft, ohne daß die zuständige Behörde eine Sanktion verhängt hat; […]

Abs 3: Die Mitgliedstaaten behalten die Möglichkeit, eine längere Frist als die in Absatz 1 bzw Absatz 2 vorgesehene Frist anzuwenden.“

[30] 3.1.2. Art 73 VO (EG) Nr 796/2004 der Kommission vom 21. April 2004 mit Durchführungsbestimmungen zur Einhaltung anderweitiger Verpflichtungen, zur Modulation und zum Integrierten Verwaltungs- und Kontrollsystem nach der Verordnung (EG) Nr 1782/2003 des Rates mit gemeinsamen Regeln für Direktzahlungen im Rahmen der Gemeinsamen Agrarpolitik und mit bestimmten Stützungsregelungen für Inhaber landwirtschaftlicher Betriebe (künftig: VO 796/2004 ) lautet:

„Abs 1: Bei zu Unrecht gezahlten Beträgen ist der Betriebsinhaber zur Rückzahlung dieser Beträge zuzüglich der gemäß Absatz 3 berechneten Zinsen verpflichtet.

Abs 5: Die Verpflichtung zur Rückzahlung gemäß Absatz 1 gilt nicht, wenn zwischen dem Tag der Zahlung der Beihilfe und dem Tag, an dem der Begünstigte von der zuständigen Behörde erfahren hat, dass die Beihilfe zu Unrecht gewährt wurde, mehr als zehn Jahre vergangen sind.

Der in Unterabsatz 1 genannte Zeitraum wird jedoch auf vier Jahre verkürzt, wenn der Begünstigte in gutem Glauben gehandelt hat.

Abs 6: Für Beträge, die aufgrund von Kürzungen und Ausschlüssen gemäß den Bestimmungen des Artikels 21 und des Titels IV zurückgezahlt werden müssen, gilt eine Verjährungsfrist von vier Jahren.“

3.2. Die im vorliegenden Fall anzuwendenden unionsrechtlichen Bestimmungen

[31] 3.2.1. Der EuGH hat in Beantwortung des Vorabentscheidungsersuchens klargestellt, dass die Verjährung des vorliegenden Rückforderungsanspruchs nach Art 3 VO 2988/95 zu beurteilen ist. Die Rechtsansicht des Berufungsgerichts, diese Verordnung sei auf die vorliegende, mittels zivilrechtlichen Vertrags gewährte Förderung nicht anzuwenden, steht nicht im Einklang mit dem Unionsrecht (EuGH C‑734/22 , Republik Österreich gegen GM, [Frage 1]).

[32] Bei Art 3 VO 2988/95 handelt es sich um eine Rahmenregelung für einheitliche Kontrollen sowie für verwaltungsrechtliche Maßnahmen und Sanktionen bei Unregelmäßigkeiten in Bezug auf das Gemeinschaftsrecht (vgl Art 1 Abs 1 VO 2988/95 ; EuGH C‑378/18 , Westphal [Rz 26]). Mit Art 3 Abs 1 Unterabs 1 der VO führte der Unionsgesetzgeber eine allgemeine Verjährungsregelung für die Verfolgung von Unregelmäßigkeiten mit einer in allen Mitgliedstaaten geltenden Mindestfrist von vier Jahren ein. Die Frist des Art 3 Abs 1 Unterabs 1 VO 2988/95 gilt sowohl für verwaltungsrechtliche Maßnahmen als auch für verwaltungsrechtliche Sanktionen, wobei klarzustellen ist, dass damit die Terminologie der VO 2988/95 angesprochen ist (vgl ihren Art 1 Abs 1), nicht die Unterscheidung zwischen Zivil‑ und Verwaltungsrecht im Sinn des österreichischen nationalen Rechts. Die Frist des Art 3 Abs 1 Unterabs 1 VO 2988/95 gilt also sowohl für die Unregelmäßigkeiten, die gemäß Art 4 dieser Verordnung Gegenstand einer verwaltungsrechtlichen, auf den Entzug des rechtswidrig erlangten Vorteils gerichteten Maßnahme sind, als auch für Unregelmäßigkeiten, die zur Verhängung einer verwaltungsrechtlichen Sanktion im Sinn von Art 5 dieser Verordnung führen (EuGH C‑378/18 , Westphal [Rz 31]; C‑52/14 , Pfeifer & Langen [Rz 23]).

[33] Die Frist des Art 3 Abs 1 Unterabs 1 VO 2988/95 kann nur durch sektorbezogene (unionsrechtliche) Regelungen unterschritten werden, die ihrerseits keine kürzeren Fristen als drei Jahre festlegen dürfen (vgl EuGH C‑378/18 , Westphal [Rz 26 ff]).

[34] 3.2.2. Im vorliegenden Fall kommt als sektorbezogene Regelung die Verjährungsregelung in Art 73 VO 796/2004 in Betracht. Diese ist allerdings nur auf die vor dem 1. 10. 2010 beginnenden Wirtschaftsjahre – im vorliegenden Fall also auf die für die Jahre 2008 und 2009 ausgezahlten Prämien – anzuwenden. Für ab dem 1. 1. 2010 beginnende Wirtschaftsjahre gilt gemäß ihrem Art 86 die Nachfolge‑Verordnung (EG) 1122/2009 der Kommission vom 30. November 2009 mit Durchführungsbestimmungen zur Verordnung (EG) Nr 73/2009 des Rates hinsichtlich der Einhaltung anderweitiger Verpflichtungen, der Modulation und des integrierten Verwaltungs‑ und Kontrollsystems im Rahmen der Stützungsregelungen für Inhaber landwirtschaftlicher Betriebe gemäß der genannten Verordnung und mit Durchführungsbestimmungen zur Verordnung (EG) Nr 1234/2007 hinsichtlich der Einhaltung anderweitiger Verpflichtungen im Rahmen der Stützungsregelung für den Weinsektor (künftig: VO 1122/2009 ), die keine Bestimmungen zur Verjährung mehr enthält.

[35] Die Anwendung der VO 796/2004 in ihrer jeweils geltenden Fassung ist zudem in Pkt 1.2.8. der – einen Bestandteil des Fördervertrags bildenden – SRL‑ÖPUL 2007 in der ursprünglichen Fassung (BMLFUW‑LE.1.1.8/ 0073‑II/8/2007) sowie in der Fassung des Jahres 2009 (BMLFUW‑LE.1.1.8/0008‑II/8/2008) angeordnet. In den jüngeren Fassungen der SRL‑ÖPUL 2007 (ab der Fassung 2010, BMLFUW‑LE.1.1.8/0014‑II/8/2010) wird bereits auf die an die Stelle der VO 796/2004 getretene VO 1122/2009 verwiesen.

[36] 3.2.3. Für die weitere Beurteilung ist daher festzuhalten, dass die Verjährung der Rückforderungsansprüche aus Prämien für die Antragsjahre 2008 und 2009 (insgesamt 10.317,51 EUR) nach Art 73 VO 796/2004 zu beurteilen ist, soweit diese von der VO 2988/95 abweichende Regeln enthält. Für die Rückforderungsansprüche aus Prämien für die Antragsjahre 2010 und 2012 bis 2013 kommt hingegen ausschließlich die VO 2988/95 zur Anwendung.

3.3. Zur Rückforderung von Prämien der Antragsjahre 2008 und 2009

[37] 3.3.1. Art 73 VO 796/2004 enthält mehrere Verjährungsregeln. Im vorliegenden Fall ist auf die Bestimmungen der Absätze 5 und 6 einzugehen.

[38] Der Anwendungsbereich von Art 73 Abs 6 VO 796/2004 , der eine Verjährungsfrist von vier Jahren vorsieht und keine von der VO 2988/95 abweichenden Regeln zum Verjährungsbeginn enthält, ist als Ausnahme von der Berechnungsregel des Art 5 dieser Verordnung auf die Rückzahlungen beschränkt, die verwaltungsrechtliche Sanktionen darstellen (EuGH C‑378/18 , Rs Westphal [Rz 40 f] zu Art 49 VO 2419/2001 , deren Regelung wortgleich in Art 73 der Nachfolge‑VO 796/2004 übernommen wurde).

[39] Schon nach dem Klagevorbringen handelt es sich nur bei einem Teil der Rückforderung für das Antragsjahr 2013 um eine verwaltungsrechtliche Sanktion; bei den übrigen Rückforderungsansprüchen – daher auch bei den in den zeitlichen Anwendungsbereich der VO 796/2004 fallenden Ansprüchen für die Antragsjahre 2008 und 2009 – handelt es sich um verwaltungsrechtliche Maßnahmen.

[40] Daher kommt die Verjährungsregel des Art 73 Abs 6 VO 796/2004 im vorliegenden Fall nicht zur Anwendung.

[41] 3.3.2. Art 73 Abs 5 VO 796/2004 enthält für verwaltungsrechtliche Maßnahmen (vgl EuGH Rs Westphal [Rz 41] zu Art 49 VO 2419/2001 ) gegenüber der Regelung des Beginns der Verjährungsfrist in Art 3 Abs 1 Unterabs 1 VO 2988/95 eine Vereinfachung, weil die Frist zum einen nicht ab der Begehung der Unregelmäßigkeit, sondern ab dem Tag der Zahlung berechnet und zum anderen nicht unterschieden wird, ob es sich bei den Unregelmäßigkeiten um einzelne oder andauernde handelt (vgl EuGH Rs Westphal [Rz 38] zu Art 49 VO 2419/2001 ).

[42] Gemäß Art 73 Abs 5 Unterabs 1 VO 796/2004 gilt die Verpflichtung zur Rückzahlung nicht, wenn zwischen dem Tag der Zahlung der Beihilfe und dem Tag, an dem der Begünstigte von der zuständigen Behörde erfahren hat, dass die Beihilfe zu Unrecht gewährt wurde, mehr als zehn Jahre vergangen sind. Nach Art 73 Abs 5 Unterabs 2 VO 796/2004 wird der 10‑Jahres‑Zeitraum allerdings auf vier Jahre verkürzt, wenn der Begünstigte „in gutem Glauben“ gehandelt hat.

[43] 3.3.3. Im vorliegenden Fall erfolgten die Auszahlungen der Prämien für die Antragsjahre 2008 und 2009 nach dem übereinstimmenden Parteienvorbringen am 19. 11. 2008 und am 18. 11. 2009.

[44] Die 10‑Jahres‑Frist des Art 73 Abs 5 Unterabs 2 VO 796/2004 war daher nach dem Klagevorbringen für alle Auszahlungen noch nicht verstrichen. Sollte allerdings auf die vierjährige Frist ab Zahlung abzustellen sein, lägen innerhalb dieser Verjährungsfrist keine behaupteten verjährungsunterbrechenden Handlungen der Klägerin.

[45] 3.3.4. Ob Art 73 Abs 5 Unterabs 2 VO 796/2004 im vorliegenden Fall zur Anwendung kommt, bedarf allerdings der Erörterung mit den Parteien:

[46] Der Beklagte hat sich im Verfahren erster Instanz nicht auf die Bestimmung des Art 73 Abs 5 VO 796/2004 gestützt. Er hat lediglich in anderem Kontext vorgebracht, ihm sei weder vorsätzliches noch fahrlässiges Verhalten vorzuwerfen, weil er die Förderungen und förderungsfähigen Flächen immer nach bestem Wissen und Gewissen beantragt und seine Pflichten als Bewirtschafter ordnungsgemäß erfüllt habe.

[47] Unabhängig davon, dass im Urteil des EuGH in der Rechtssache Westphal kein mehrjähriges Programm zu beurteilen war, wird im vorliegenden Fall mit dem Beklagten zu erörtern sein, auf welche Tatsachen er seinen behaupteten guten Glauben auch im Hinblick auf die übernommene siebenjährige Verpflichtungsdauer stützt.

[48] Dass im bisherigen Verfahren auf die Verjährungsbestimmung des Art 73 Abs 5 VO 796/2004 nicht Bedacht genommen wurde, macht hinsichtlich der Rückforderung der für die Antragsjahre 2008 und 2009 rückgeforderten Prämien von insgesamt 10.317,51 EUR samt darauf entfallenden Zinsen die Aufhebung der Rechtssache und Zurückverweisung an das Erstgericht zur Erörterung mit den Parteien erforderlich.

3.4. Zur Rückforderung von Prämien der Antragsjahre 2010 und 2012 bis 2013

[49] 3.4.1. Die Verjährung der Rückforderung von auf die Antragsjahre 2010 und 2011 bis 2013 entfallenden Prämien ist nach Art 3 VO 2988/95 zu beurteilen. Nach Art 3 Abs 1 Unterabs 1 VO 2988/95 beträgt die Verjährungsfrist für die Verfolgung vier Jahre ab Begehung der Unregelmäßigkeit.

[50] Eine kürzere Frist einer sektorbezogenen Regelung des Unionsrechts (vgl Art 3 Abs 1 Unterabs 1 Satz 2 VO 2988/95 ) liegt nicht vor, weil die VO 796/2004 ab 1. 1. 2010 aufgehoben wurde (Art 86 VO 1122/2009 ). Die für Geschäftsjahre oder Prämienzeiträume ab dem 1. 1. 2010 geltende VO 1122/2009 (Art 87 dieser VO) enthält keine Verjährungsregeln (vgl auch die Übereinstimmungstabelle [Tabelle II] der VO 1122/2009 ).

[51] 3.4.2. Die vierjährige Verjährungsfrist des Art 3 Abs 1 Unterabs 1 VO 2988/95 beginnt nach Unterabs 2 dieser Bestimmung bei andauernden oder wiederholten Unregelmäßigkeiten an dem Tag, an dem die Unregelmäßigkeit beendet wird.

[52] Die Klägerin stützte ihren Rückforderungsanspruch darauf, bei einer Vor‑Ort‑Kontrolle im Jahr 2013 habe sich ein Verstoß gegen den siebenjährigen Verpflichtungszeitraum – also ein Verstoß gegen die Verpflichtung, bestimmte Flächen für sieben Jahre (bis 31. 12. 2013) entsprechend den Förderrichtlinien zu bewirtschaften – herausgestellt. Daher seien die für die „Abgangsflächen“ für die Jahre 2007 bis 2013 bereits gewährten Prämien rückzuerstatten, was für das Jahr 2011 bereits geschehen sei.

[53] Damit behauptet die Klägerin einen über den gesamten Verpflichtungszeitraum andauernden Verstoß. Dieser endete nach dem Klagevorbringen mit Ablauf des 31. 1. 2013, sodass der Lauf der Verjährungsfrist am 1. 1. 2014 begann. Die Frist der Verfolgungsverjährung hätte demnach mit Ablauf des 31. 12. 2017, also bereits vor Klageeinbringung am 26. 4. 2019 geendet, sofern sich nicht ein Unterbrechungstatbestand verwirklichte.

3.5. Zur Unterbrechung der Verjährung

[54] 3.5.1. Nach Art 3 Abs 1 Unterabs 3 VO 2988/95 wird die Verfolgungsverjährung durch jede der betreffenden Person zur Kenntnis gebrachte Ermittlungs‑ oder Verfolgungshandlung der zuständigen Behörde mit der Wirkung unterbrochen, dass die Verjährungsfrist von neuem beginnt.

[55] Für die Unterbrechung reicht eine allgemeine, keinen Zusammenhang mit dem Verdacht von Unregelmäßigkeiten in Bezug auf hinreichend genau umschriebene Vorgänge aufweisende Prüfungshandlung der nationalen Behörden nicht aus. Eine solche Handlung kann nur dann als Ermittlungs‑ oder Verfolgungshandlung im Sinne von Art 3 Abs 1 Unterabs 3 der Verordnung 2988/95 , die die Verfolgungsverjährung unterbrechen kann, eingestuft werden, wenn sie die Vorgänge, auf die sich der Verdacht von Unregelmäßigkeiten bezieht, hinreichend genau umschreibt. Dieses Erfordernis der Genauigkeit bedeutet aber nicht, dass in der Handlung die Möglichkeit, gegen den Beihilfeempfänger eine Sanktion zu verhängen oder eine besondere verwaltungsrechtliche Maßnahme zu erlassen, erwähnt werden muss (EuGH C‑734/22 , Republik Österreich gegen GM [Rz 39] mwN).

[56] 3.5.2. Nach den Feststellungen wurde aufgrund einer Vor‑Ort‑Kontrolle ein Prüfbericht erstellt und dieser dem Beklagten zugestellt. Dieser – seiner Echtheit und seinem Inhalt nach unbestrittene und daher im Rechtsmittelverfahren verwertbare (RS0121557 [T3]) – Prüfbericht (./S) enthält detaillierte Beanstandungen. Die an den Kläger adressierten und ihm zugestellten Rückforderungsmitteilungen vom 26. 3. 2014 (betreffend die für die Antragsjahre 2012 im Umfang von 303,29 EUR [./X] und für das Antragsjahr 2013 [./Y] ausgezahlten Prämien) und vom 26. 6. 2014 (betreffend die für die Antragsjahre 2008 [./Z], 2009 [./BB], 2010 [./DD] und 2012 im Umfang von 4.717,94 EUR [./FF] ausgezahlten Prämien) verweisen jeweils auf den „Durchschlag des Prüfberichts“, sie erhalten zudem weitere tabellarische Angaben. Auch diese Mitteilungen können, da ihr Inhalt unbestritten blieb, im Revisionsverfahren verwertet werden (RS0121557 [T3]). Aus den Rückforderungsmitteilungen im Zusammenhalt mit dem Prüfbericht sind die Beanstandungen auch mit hinreichender Deutlichkeit erkennbar. Die Zustellung der Rückforderungsmitteilungen führte daher jeweils zu einer Unterbrechung der Verjährung und dem Neubeginn des Laufes der Verjährungsfrist gemäß Art 3 Abs 3 VO 2988/95 . Darüber hinaus ist der – ebenfalls verwertbaren (RS0121557 [T3]) – Zahlungserinnerung vom 12. 11. 2015 (./JJ), zugestellt am 12. 5. 2015, neuerlich verjährungsunterbrechende Wirkung zuzubilligen, weil sie sich auf alle im vorliegenden Verfahren rückgeforderten Prämien bezieht und dazu auf die jeweils vorangegangenen Zahlungsmitteilungen verweist, sodass die Zuordenbarkeit und Erkennbarkeit der beanstandeten Unregelmäßigkeiten weiterhin gegeben ist.

[57] Der Argumentation des Beklagten, eine Zahlungserinnerung oder Mahnung könne keine verjährungsunterbrechende Wirkung gemäß Art 3 Abs 1 Unterabs 3 VO 2988/95 entfalten, weil keine Ermittlungs- oder Verfolgungshandlung vorliege, wenn die Sachverhaltsermittlung bereits abgeschlossen sei, ist nicht zu folgen. Vielmehr hat der EuGH klargestellt, dass auch Mahnungen die Verfolgungsverjährung unterbrechen können (Rs C‑734/22 , Republik Österreich gegen GM [Rz 43]).

[58] Der Rückforderungsanspruch für Prämien der Antragsjahre 2010 und 2012 bis 2013, das sind 34.434,07 EUR samt darauf entfallender Zinsen, war daher im Zeitpunkt der Klageeinbringung nicht verjährt.

4. Keine Verjährung aufgrund von § 1478 ABGB

[59] Soweit die Klägerin vorbrachte, der Rückforderungsanspruch hinsichtlich sämtlicher rückgeforderter Prämien sei – unabhängig von der unionsrechtlichen Beurteilung – jedenfalls nicht verjährt, weil gemäß Art 3 Abs 3 VO 2988/95 die längere nationale Verjährungsfrist, das sei im vorliegenden Fall die 30-jährige Frist des § 1478 ABGB, zur Anwendung komme, ist dem nicht zu folgen, weil der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit der Anwendung dieser Frist entgegensteht. Diese Frist muss vielmehr unangewendet bleiben und es ist die allgemeine Verjährungsfrist des Art 3 Abs 1 Unterabs 1 VO 2988/95 anzuwenden (EuGH C‑734/22 , Republik Österreich gegen GM, dritte Vorlagefrage [insb Rz 32]).

5. Ergebnis

[60] Hinsichtlich der Rückforderung der auf die Antragsjahre 2008 und 2009 entfallenden Prämien macht die Verfahrensergänzung im aufgezeigten Sinn die Aufhebung der angefochtenen Urteile und Zurückverweisung der Rechtssache an das Erstgericht erforderlich.

[61] Hinsichtlich der auf die Antragsjahre 2010 und 2012 bis 2013 entfallenden rückgeforderten Prämien ist das Urteil des Erstgerichts wieder herzustellen.

[62] 6. Die Kostenentscheidung beruht auf § 52 Abs 1 und § 393 Abs 4 iVm § 52 Abs 4 ZPO (RS0128615).

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