OGH 6Ob44/25a

OGH6Ob44/25a26.3.2025

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Gitschthaler als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen und Hofräte Dr. Hofer‑Zeni‑Rennhofer, Dr. Faber, Mag. Pertmayr und Dr. Weber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden und gefährdeten Partei M*, vertreten durch DKFE Rechtsanwälte GmbH in Linz, gegen die beklagte Partei und Gegner der gefährdeten Partei M*, vertreten durch Dr. Lukas Fantur, Rechtsanwalt in Wien, wegen Abberufung eines Geschäftsführers (hier: Erlassung einer einstweiligen Verfügung), über den Rekurs der beklagten Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Rekursgericht vom 27. Jänner 2025, GZ 4 R 207/24a‑31, womit der Beschluss des Handelsgerichts Wien vom 25. November 2024, GZ 47 Cg 88/24d‑22, aufgehoben wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2025:0060OB00044.25A.0326.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Unternehmens-, Gesellschafts- und Wertpapierrecht

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

Der Rekurswird zurückgewiesen.

Der Gegner der gefährdeten Partei ist schuldig, der gefährdeten Partei die mit 2.639,40 EUR (darin enthalten 439,90 EUR USt) Kosten des Rekursverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Begründung:

[1] Die klagende und gefährdete Partei (in der Folge: Antragsteller) sowie die beklagte Partei und Gegner der gefährdeten Partei (in der Folge: Antragsgegner) sind jeweils selbstständig vertretungsbefugte Geschäftsführer sowie jeweils 50%ige Gesellschafter der M* GmbH (in der Folge Holding GmbH). Die Holding GmbH ist (Mit‑)Gesellschafterin weiterer Gesellschaften.

[2] Gemeinsam mit der Klage begehrte der Antragsteller die Erlassung einer einstweiligen Verfügung zur Sicherstellung des Anspruchs auf Abberufung des Antragsgegners als Geschäftsführer der Holding GmbH und begehrte, dass dem Antragsgegner ab sofort bis zur rechtskräftigen Erledigung der Klage die Geschäftsführungsbefugnis und die Vertretungsmacht als Geschäftsführer der Holding GmbH vorläufig entzogen und ihm geboten werde, jede Geschäftsführungs‑ und Vertretungstätigkeit für die Holding GmbH zu unterlassen.

[3] Das Erstgericht wies den Sicherungsantrag ohne Durchführung eines Bescheinigungsverfahrens ab, das Rekursgericht bestätigte die Entscheidung.

[4] Nach Rechtskraft des rekursgerichtlichen Beschlusses stellte der Antragsteller neuerlich einen Sicherungsantrag, mit dem dem Antragsgegner wiederum die Geschäftsführungsbefugnis und die Vertretungsmacht als Geschäftsführer der GmbH entzogen und ihm aufgetragen werden solle, jede Geschäftsführungs‑ und Vertretungstätigkeit für die GmbH zu unterlassen. Die neuerliche Antragstellung sei zulässig, weil Änderungen im Anspruchs‑ und Gefährdungssachverhalt vorgebracht und bescheinigt würden.

[5] Der Antragsgegner beantragte die Abweisung des Sicherungsantrags. Tatsachen und Beweismittel, die bereits im ersten Antrag vorgebracht oder vorgelegt werden hätten können, seien präkludiert. Im nunmehrigen Antrag würden weder neue Bescheinigungsmittel vorgelegt noch neue Tatsachen vorgebracht.

[6] Das Erstgericht wies den Sicherungsantrag ohne Durchführung eines Bescheinigungsverfahrens ab.

[7] Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Antragstellers Folge, hob den angefochtenen Beschluss auf, trug dem Erstgericht die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung auf und erklärte den Rekurs an den Obersten Gerichtshof für zulässig. Die Einrede der rechtskräftig entschiedenen Sache sei nicht begründet, wenn ein Sicherungsantrag wegen unvollständiger Tatsachenbehauptungen als unschlüssig abgewiesen worden und der neue Antrag nunmehr schlüssig sei. Der nunmehrige Antrag sei in Anbetracht des ergänzenden Vorbringens des Antragstellers schlüssig, weil sich aus den vorgebrachten Verfehlungen des Antragsgegners die in der einstweiligen Verfügung begehrte Rechtsfolge ableiten lasse und das beantragte Regelungsmittel zur Zweckerreichung geeignet sei.

[8] Dagegen richtet sich der Rekurs des Antragsgegners mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung dahin abzuändern, dass der abweisende Beschluss des Erstgerichts wiederhergestellt werde.

[9] Der Antragsteller beantragt in seiner Rekursbeantwortung das Rechtsmittel der Gegenseite zurückzuweisen, in eventu ihm keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[10] Der Rekurs (§ 402 Abs 4, § 78 EO iVm § 527 Abs 2 ZPO) ist ungeachtet des – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden – Ausspruchs des Rekursgerichts mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage im Sinn des § 528 Abs 1 ZPO nicht zulässig. Die Zurückweisung des Rekurses wegen Fehlens einer erheblichen Rechtsfrage kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 402 Abs 4, § 78 EO iVm § 528a und § 510 Abs 3 ZPO):

[11] 1.1. Besteht der Entscheidungsgegenstand – wie im vorliegenden Fall – nicht ausschließlich in einem Geldbetrag, hat das Rekursgericht in Rechtssachen, in denen die Wertgrenze von 5.000 EUR relevant ist, trotz des insofern zu engen Wortlauts des § 500 Abs 2 Z 1 ZPO (iVm § 526 Abs 3 ZPO und § 402 Abs 4, § 78 EO) auch in einen Aufhebungsbeschluss einen Bewertungsausspruch auf-zunehmen (vgl RS0042429 [T4, T16]). Der Ausspruch über die Zulässigkeit des Rekurses ersetzt diesen Ausspruch nicht, weil die rein formale Zulässigkeit des Rechtsmittels das Überschreiten der Wertgrenze voraussetzt und der Oberste Gerichtshof zwar nicht an den Ausspruch über die Zulässigkeit wegen Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage, wohl aber – innerhalb bestimmter Grenzen – an die Bewertung des Entscheidungsgegenstands durch das Rekursgericht gebunden ist (vgl 3 Ob 86/01w; Sloboda in Fasching/Konecny³ § 526 ZPO Rz 42, 44; G. Kodek in Kodek/Oberhammer, ZPO‑ON § 526 ZPO Rz 30 f).

[12] 1.2. Ein Ergänzungsauftrag zur Nachholung des Bewertungsausspruchs erübrigt sich allerdings unter anderem dann, wenn – wie hier – der zweitinstanzliche Entscheidungsgegenstand unzweifelhaft die Wertgrenze von 5.000 EUR übersteigt (vgl RS0007073 [T7, T10]).

[13] 2.1. Gemäß § 16 Abs 2 letzter Satz GmbHG kann das Gericht zur Sicherung des Anspruchs auf Abberufung aus wichtigem Grund dem Geschäftsführer die weitere Geschäftsführung und Vertretung der Gesellschaft durch einstweilige Verfügung untersagen, wenn ein der Gesellschaft drohender unwiederbringlicher Nachteil glaubhaft gemacht wird.

[14] 2.2. Auch im Provisorialverfahren ist das Prozesshindernis der rechtskräftig entschiedenen Streitsache (§ 411 ZPO) zu beachten (RS0118243). Dem auf dem gleichen Sachverhaltsvorbringen gestützten Sicherungsantrag der gefährdeten Partei mit identem Begehren, wie es bereits zuvor rechtskräftig abgewiesen wurde, steht daher (grundsätzlich) das Prozesshindernis der rechtskräftig entschiedenen Sache entgegen (RS0114774 [T3]). Die Behauptung weiterer rechtserzeugender Tatsachen (RS0039347 [T12, T13]) ermöglicht aber ebenso eine neue Antragstellung wie nachträgliche Änderungen im Sachverhalt (RS0114774 [T4]), eine Änderung der Gesetzeslage oder eine tiefgreifende Änderung der Rechtsprechung (RS0047398 [T14] = 4 Ob 251/05y). Die auf der Grundlage der jeweils erhobenen Begehren und des zu ihrer Begründung vorgebrachten Sachverhalts vorzunehmende Beurteilung, ob die rechtskräftige Abweisung eines Sicherungsantrags einem neuerlichen Antrag und seiner inhaltlichen Prüfung entgegensteht oder nicht, hängt von den konkreten Umständen des Einzelfalls ab. Diese begründet daher in der Regel keine Rechtsfrage erheblicher Bedeutung (5 Ob 180/19k).

[15] 2.3. Ein Klagebegehren ist rechtlich schlüssig, wenn das Sachbegehren des Klägers materiell‑rechtlich aus den zu seiner Begründung vorgetragenen Tatsachenbehauptungen abgeleitet werden kann (RS0037516). Wenn die vorgetragenen Tatsachen zu unvollständig geblieben sind, um die begehrte Rechtsfolge daraus ableiten zu können, liegt Unschlüssigkeit wegen Unvollständigkeit („echte Unschlüssigkeit“) vor (RS0037516 [T5]; 8 Ob 126/12f; Geroldinger in Fasching/Konecny3 § 226 ZPO Rz 194). Die Einrede der rechtskräftig entschiedenen Sache ist nicht begründet, wenn die Klage des Vorprozesses mangels Schlüssigkeit abgewiesen wurde und die neue Klage nunmehr schlüssig ist (RS0041402). Auch die Rechtskraft eines einen Nachlassseparationsantrag wegen Unschlüssigkeit abweisenden Beschlusses steht einem neuerlichen (schlüssigen) Antrag nicht entgegen (4 Ob 342/98t; zustimmend Zechner, Sicherungsexekution und Einstweilige Verfügung 93).

[16] 2.4. Im Rekursverfahren ist nicht strittig, dass die ursprüngliche einstweilige Verfügung wegen unvollständiger Tatsachenbehauptungen des Antragstellers als unschlüssig abgewiesen wurde. Damit bedarf die Rechtsansicht des Rekursgerichts, dass die Einrede der rechtskräftig entschiedenen Sache aufgrundder Schlüssigkeit des neuen Sicherungsantrags nicht begründet sei, keiner Korrektur durch den Obersten Gerichtshof. Es ist kein Grund ersichtlich, diesbezüglich zwischen Hauptverfahren und Sicherungsverfahren zu differenzieren, weil im Fall der „echten Unschlüssigkeit“ allein das Fehlen der Tatsachenbehauptungen die Einmaligkeitswirkung ausschließt (RS0041402 [T2] = 7 Ob 16/16b). Damit spielt auch die Frage, ob die Verbesserung (Schlüssigstellung) eines Sicherungsantrags zulässig ist (dagegen RS0005452 [T6, T7, T11, T15]; dafür etwa König/Weber, EV6 Rz 6.48/1), in diesem Zusammenhang keine Rolle. Auf eine allfällige Verletzung der prozessualen Dilligenzpflicht durch den Antragsteller im Vorverfahren kann es schon deshalb nicht ankommen, weil bislang noch gar nicht über ein konkretes (schlüssiges) Rechtsschutzbegehren entschieden wurde (1 Ob 141/05z; 4 Ob 14/11d).

[17] 2.5. Dass die begehrte einstweilige Verfügung nunmehr aus den zu ihrer Begründung vorgetragenen Tatsachenbehauptungen abgeleitet werden kann, stellt der Rekurs nicht in Frage.

[18] 3. Der Rekurs ist daher zurückzuweisen.

[19] 4. Dem Antragsteller sind die wegen der Geltendmachung einer unzulässigen Verfahrenshandlung des Antragsgegners – so etwa wie hier durch einen Hinweis auf die Unzulässigkeit eines Rechtsmittels – entstandenen Kosten gemäß § 41 und § 50 Abs 1 ZPO iVm § 78 und § 402 Abs 4 EO bereits im Sicherungsverfahren zuzuerkennen (6 Ob 164/10a; RS0005677).

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