OGH 6Ob174/24t

OGH6Ob174/24t26.3.2025

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Gitschthaler als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen und Hofräte Dr. Hofer‑Zeni‑Rennhofer, Dr. Faber, Mag. Pertmayr und Dr. Weber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Dr. C*, Rechtsanwalt, *, wider die beklagte Partei P*, vertreten durch Dr. Stefan Wurst und andere Rechtsanwälte in Wien, wegen 56.199,11 EUR sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 25. Juni 2024, GZ 4 R 191/23x‑46, womit das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 5. Oktober 2023, GZ 8 Cg 36/22f‑36, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2025:0060OB00174.24T.0326.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben.

Die Rechtssache wird zu neuerlicher Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

 

Begründung:

[1] Der Kläger war im Zeitraum Juli 2020 bis Jänner 2022 für die Beklagte anwaltlich tätig.

[2] Mit der vorliegenden Honorarklage begehrt der Kläger Entgelt für „umfangreiche anwaltliche Leistungen“, und zwar insbesondere „im Zusammenhang mit der Verlassenschaft nach [dem verstorbenen Lebensgefährten der Beklagten] und Legate[n] laut [einem bestimmten Testament]“, für Leistungen betreffend ein bestimmtes Gerichtsverfahren, für solche im Zusammenhang mit einem Kaufvertrag über eine Liegenschaft und auch für anwaltliche Leistungen im Zusammenhang mit einem Treuhandauftrag.

[3] Die Beklagte bestritt Notwendigkeit und Zweckmäßigkeit der erbrachten Leistungen sowie die Art ihrer Verrechnung. Die Leistungen seien zudem unzureichend aufgeschlüsselt, und es seien weit überhöhte Zeitaufwände verrechnet worden. Sie sei mangelhaft vertreten worden. Deswegen wendete die Beklagte einen ihr durch Beratungsfehler entstandenen Schaden in Höhe von 3.000 EUR aufrechnungsweise gegen die Klagsforderung ein.

[4] Nach umfangreichem Vorbringen zu den Leistungen unter Vorlage zahlloser Beilagen (./A bis ./HY; ./1 bis ./10) und der Einvernahme der Parteien brachte die Beklagte unter Verweis auf die Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) in der Rechtssache zu C‑395/21 vor, es habe der Kläger anlässlich der Vereinbarung des Honorars weder eine Schätzung der zu erwartenden Kosten abgegeben noch sich verpflichtet, in regelmäßigen Abständen Aufstellungen der Arbeitsstunden zu übermitteln. Die nicht im Einzelnen ausgehandelte Honorarvereinbarung eines Stundensatzes sei intransparent und missbräuchlich. Sie sei nach § 6 Abs 3 KSchG unwirksam. Es stehe kein Honorar zu.

[5] Der Kläger widersprach dem unter Verweis darauf, dass der Umfang der zu erbringenden Leistungen nicht vorhersehbar oder abschätzbar gewesen sei. Die Verrechnung nach dem vereinbarten Stundensatz von 250 EUR netto sei für die Beklagte günstiger gewesen als die Verrechnung nach AHK oder RATG und NTG. Die Beklagte habe schon mit vorher betrauten Anwälten „immer eine Stundenvereinbarung“ gehabt. Da sie mit einem Honorar in der Größenordnung von 25.000 EUR gerechnet habe, habe sie eine Größenordnung der Kosten einschätzen können. Sie habe damit gerechnet, dass es in der bereits konfliktbeladenen Auseinandersetzung zu unvorhersehbaren Ereignissen und zusätzlichen Kosten kommen könne. Sie sei das Vertragsverhältnis mit Bedacht und in voller Kenntnis der finanziellen Folgen eingegangen. Über den angefallenen Aufwand und noch anfallenden Aufwand sei sie mehrmals in Kenntnis gesetzt worden. Jedenfalls seien – etwa auch im Wege eines bereicherungsrechtlichen Ausgleichs – die erbrachten Leistungen nach RATG, AHK und NTG abzugelten.

[6] Das Erstgericht stellte fest, dass die Honorarvereinbarung im Wesentlichen eine Vertragsklausel beinhaltet, wonach für anwaltliche Leistungen ein Stundensatz in der Höhe von 250 EUR netto vereinbart wird, sowie einen Verweis auf die Allgemeinen Auftragsbedingungen, weiters dass der Kläger der Beklagten anlässlich der Honorarvereinbarung keine Einschätzung des voraussichtlich notwendigen Stundenaufwands bekannt gab, weil aus seiner Sicht in der Konfliktsituation nicht absehbar war, wie sich „die Causa“ entwickeln werde, während die Beklagte davon ausging, dass sie ein Gesamthonorar von maximal 25.000 EUR für den Kläger aufwenden könne, aber mit „viel weniger“ rechnete.

[7] Das Erstgericht wies die Klage ab. Die nicht im Einzelnen ausgehandelte Honorarvereinbarung sei intransparent und daher nichtig. Dies ziehe nach der Entscheidung des EuGH in der Rechtssache C‑395/21 die Befreiung des Verbrauchers von der Pflicht, die Leistungen zu vergüten, nach sich.

[8] Das Berufungsgericht bestätigte dieses Urteil. Die ordentliche Revision erklärte es für zulässig, weil die „Auswirkungen der Entscheidung des EuGH C‑395/21 “ auf die österreichische Rechtslage einer höchstgerichtlichen Klärung bedürfe.

Rechtliche Beurteilung

[9] Die von der Beklagten beantwortete Revision des Klägers ist zulässig und im Sinne des eventu gestellten Aufhebungsantrags auch berechtigt.

[10] 1. Im Revisionsverfahren wiederholen die Parteien ihre schon bisher vorgetragenen Standpunkte. Der Kläger meint, die abgeschlossene Zeit-Lohn-Vereinbarung entspreche dem Transparenzgebot. Selbst wenn man von einer Intransparenz der Zeit-Lohn-Vereinbarung ausginge, zöge die Intransparenz der Vereinbarung nicht dieselben Rechtsfolgen nach sich wie eine missbräuchliche Klausel, zumal der österreichische Gesetzgeber eine intransparente Klausel nicht als missbräuchlich angesehen habe. Die in § 6 Abs 3 KSchG angeordnete Rechtsfolge unterliege im Hinblick auf eine bloß intransparente Klausel keiner richtlinienkonformen Interpretation. Jedenfalls seien ansonsten RATG und AHK sowie NTG als Grundlagen für die vom Gericht festzusetzende Abgeltung heranzuziehen.

[11] Die Beklagte hält dagegen, dass sie vor Vertragsabschluss voll informiert hätte sein müssen. Zwar sei nicht jede intransparente Klausel automatisch als missbräuchlich zu qualifizieren, jedoch ergäbe sich die Missbräuchlichkeit der Klausel schon durch die vom Kläger gewählte 15‑Minuten-Taktung bei der Verrechnung, wonach jede angefallene Leistung zumindest mit einem Viertel des Stundensatzes verrechnet worden sei. Wenn § 6 Abs 3 KSchG für intransparente Klauseln dieselbe Rechtsfolge vorsehe wie für missbräuchliche Klauseln, habe der österreichische Gesetzgeber denselben Weg beschritten wie der litauische Gesetzgeber in dem vom EuGH entschiedenen Fall zu C‑395/21 .

[12] 2. Die Auffassung der Beklagten, es sei die Klausel missbräuchlich im Sinne der Richtlinie des Rates vom 5. April 1993 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen (93/13/EWG ; Klausel-RL), ist nicht zu teilen. Die Klausel, die schlicht die Vereinbarung eines Stundensatzes in der Höhe von 250 EUR netto vorsieht, enthält keine Regelung über eine Abrechnung nach einer 15‑Minuten-Taktung für jede „angefangene“ Viertelstunde. Der Umstand, dass der Kläger jede Leistung zumindest mit einem Zeitwert von 15 Minuten ansetzte, betrifft die Umsetzung der Vereinbarung und damit die Frage, ob seine Abrechnung vertragsgemäß ist, nicht aber die Frage, ob die Honorarvereinbarung selbst missbräuchlich ist. Auch die Beklagte selbst monierte das vom Kläger vorgenommene Aufrunden zeitlich kürzerer Leistungen stets auf volle 15 Minuten als „nicht vereinbart“ und unzulässig. Die vom Kläger geübte Handhabung bei der Abrechnung macht also die Regelung selbst nicht missbräuchlich (zur Erfüllung des Erfordernisses nach § 5a Abs 1 Z 3 KSchG mit Bekanntgabe des Stundensatzes siehe 8 Ob 91/14y [Rz 13 f]; mangels Angabe einer kleineren Verrechnungseinheit trifft den Kläger im vorliegenden Fall daher die Pflicht zur „minutengetreuen“ Abrechnung).

[13] 3.1. Mit der – auch hier wesentlichen – Frage, welchen Transparenzanforderungen die Vereinbarung eines Stundensatzes für anwaltliche Leistungen nach § 6 Abs 3 KSchG und im Lichte der Entscheidung des EuGH vom 12. 1. 2023, C‑395/21 , D.V./M.A., ECLI:EU:C:2023:14 (ÖJZ 2023/47 [Kumin/Maderbacher] = NJW 2023, 903 [Kilian] = NJ 2023, 157 [krit Niebling]; vgl dazu auch Gitschthaler, Rechtsanwalt, Verbraucher, Zeithonorar, EuGH, EF‑Z 2023/45; Perner/Spitzer, EuGH und Verbraucherschutz im Bankrecht, ÖJZ 2023/22; Lurger, „Gupfinger“ – oder der lange Weg zum fairen Verbrauchervertrag, ÖBA 2024, 554 [557 f]) zu genügen hat, hat sich der 8. Senat erst kürzlich in der zu 8 Ob 92/24y ergangenen Entscheidung, die ebenfalls einen Individualprozess betraf, ausführlich auseinandergesetzt. Der 8. Senat erläuterte nach Darstellung der Rechtsprechung zu § 6 Abs 3 KSchG, mit welcher Bestimmung das Transparenzgebot nach Art 4 Abs 2 und Art 5 Satz 1 der Klausel‑RL umgesetzt wurde (RS0037107; RS0115219 [T4]), die vom EuGH aus dem Transparenzgebot abgeleiteten Informationspflichten des Unternehmers. Er führte insbesondere Folgendes aus:

„4.1.3. Auch wenn – so der EuGH weiter – von einem Gewerbetreibenden nicht verlangt werden kann, dass er den Verbraucher über die endgültigen finanziellen Folgen der von ihm eingegangenen Verpflichtung informiert, die von unvorhersehbaren zukünftigen Ereignissen abhängen, auf die der Gewerbetreibende keinen Einfluss hat, müssen die Informationen, die der Gewerbetreibende vor Vertragsabschluss zu erteilen hat, den Verbraucher in die Lage versetzen, seine Entscheidung mit Bedacht und in voller Kenntnis zum einen des Umstands, dass solche Ereignisse eintreten können, und zum anderen der Folgen, die solche Ereignisse während der Dauer der Erbringung der betreffenden Rechtsdienstleistungen haben können, zu treffen (Rn 43).

4.1.4. In diesen Informationen müssen nach dieser Entscheidung des EuGH Angaben enthalten sein, anhand deren der Verbraucher die Gesamtkosten der Rechtsdienstleistungen der Größenordnung nach einzuschätzen vermag, etwa eine Schätzung der Stunden, die voraussichtlich oder mindestens erforderlich sind, um eine bestimmte Dienstleistung zu erbringen, oder die Verpflichtung, in angemessenen Zeitabständen Rechnungen oder regelmäßige Aufstellungen zu übermitteln, in denen die aufgewandten Arbeitsstunden ausgewiesen sind (Rn 44).

4.1.5. Gleichzeitig betont der EuGH jedoch an mehreren Stellen, dass das nationale Gericht unter Berücksichtigung aller den Vertragsabschluss begleitenden Umstände zu beurteilen hat, ob der Verbraucher durch die ihm vor Vertragsabschluss vom Gewerbetreibenden erteilten Informationen in die Lage versetzt worden ist, seine Entscheidung mit Bedacht und in voller Kenntnis der finanziellen Folgen des Vertragsabschlusses zu treffen (Rn 38, 44). Weiters hält er fest, dass die erteilten Informationen je nach Gegenstand und Art der in dem Vertrag über die Erbringung von Rechtsdienstleistungen vorgesehenen Leistungen und je nach den einschlägigen berufs- und standesrechtlichen Vorschriften unterschiedlich ausfallen können (Rn 44).

4.2.1. Wendet man diese Grundsätze auf den vorliegenden Fall an, so ist zunächst festzuhalten, dass sich in Österreich bereits aus standesrechtlichen Vorschriften die Pflicht des Rechtsanwalts zur regelmäßigen Abrechnung ergibt: Nach § 16 Abs 3 RL‑BA kann der Auftraggeber des Rechtsanwalts in angemessenen Abständen eine Zwischenabrechnung oder Darlegung der bereits erbrachten Leistungen, im Falle eines vereinbarten Zeithonorars die Darlegung der vom Rechtsanwalt und seinen Mitarbeitern bereits aufgewendeten Zeit verlangen. In der Judikatur ist die Verpflichtung des Rechtsanwalts anerkannt, nicht nur über jederzeitiges Verlangen seines Auftraggebers oder sonst Berechtigter, sondern auch jederzeit in auf den jeweiligen Anlassfall bezogener angemessener Frist (dh auch ohne Verlangen in angemessenen Abständen) eine vollständige, leicht überprüfbare und nachvollziehbare Abrechnung zu legen (RS0118887).

4.2.2. Bereits aufgrund der standesrechtlichen Vorschriften wird in Österreich daher regelmäßig – von Sonderkonstellationen abgesehen, in denen beispielsweise der Rechtsanwalt eine grobe Fehlvorstellung des Klienten über den erforderlichen Stundenaufwand erkennen konnte – den Anforderungen des EuGH in der Entscheidung vom 2. 1. 2023, C‑395/21 , D.V./M.A., Genüge getan sein.“

 

[14] 3.2. Der erkennende Senat tritt dieser Auffassung bei. Die Honorarvereinbarung ist damit weder missbräuchlich noch intransparent. Der von den Vorinstanzen herangezogene Rechtsgrund vermag die Klagsabweisung nicht zu tragen. Es bedarf daher der Aufhebung der Entscheidung und der Zurückverweisung der Rechtssache in die erste Instanz.

[15] 4. Im weiteren Verfahren werden nicht nur die bisher fehlenden Feststellungen über die erbrachten Leistungen und jene zu den Einwänden der Beklagten nachzutragen, sondern es wird zudem mit den Parteien zu erörtern sein, ob dem eingeklagten Gesamthonorar ein einheitlicher Auftrag oder mehrere Aufträge zugrunde lagen. Für diese Frage kommt es nicht darauf an, ob dem Kläger eine oder mehrere Vollmachten erteilt wurden (vgl RS0110872; 4 Ob 59/15b). Der Kläger trug „kapitelartig“ Leistungen vor und berief sich unter anderem auch auf einen ihm erteilten Treuhandauftrag (worin ein eigener Auftrag liegen wird). Zu den von ihm dargestellten „Leistungsblöcken“ legte er bisher nicht dar, wann ihm – begleitet von der (Rahmen‑)Honorarvereinbarung – welcher Auftrag bzw oder welche (möglicherweise miteinander in tatsächlichem oder rechtlichem Zusammenhang stehenden) Aufträge zur Erbringung welcher damit in Verbindung stehenden Leistungen erteilt wurde(n). Erst nach einer solchen Abklärung kann der Umsetzung der Verpflichtung zur Legung einer vollständigen, leicht überprüfbaren und nachvollziehbaren Abrechnung in einer auf den jeweiligen Anlassfall bezogenen Frist nachgegangen werden, was aber von den Gegebenheiten im Einzelfall, also etwa vom Gegenstand des jeweiligen Auftrags und den konkret sich ereignet habenden Umständen, abhängen wird. Der Beklagten wird Gelegenheit zu geben sein, Verstöße gegen diese Verpflichtung und daraus resultierende Folgen vorzutragen.

[16] 5. Der Kostenvorbehalt gründet auf § 52 ZPO.

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