European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2025:0020OB00027.25X.0325.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Fachgebiet: Schadenersatz nach Verkehrsunfall
Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage
Spruch:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Die klagende Partei ist schuldig, den beklagten Parteien die mit 826,80 EUR bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung (darin enthalten 137,80 EUR USt) binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Begründung:
[1] Am 7. 6. 2023 kam es auf der als Vorrangstraße geführten Bundesstraße 139 (B139) in Fahrtrichtung Linz im Ortsgebiet von Leonding zur Kollision zwischen einem von der Klägerin gelenkten Fiat und einem von der Erstbeklagten gelenkten Audi mit deutschem Kennzeichen. Die B139 weist in Fahrtrichtung Linz zwei je 3,3 Meter breite Fahrstreifen auf. Die Klägerin befuhr mit ihrem Fiat mit 50 bis 60 km/h den linken Fahrstreifen, wobei die zulässige Höchstgeschwindigkeit 60 km/h betrug. Die Erstbeklagte wollte aus einer (benachrangten) Zufahrt zu einem Gewerbegebiet nach rechts auf die B139 in Fahrtrichtung Linz einbiegen, wobei ihre Sichtweite mindestens 200 Meter betrug. Da der der Zufahrt nächstgelegene (rechte) Fahrstreifen frei war, bog sie in engem Bogen auf diesen ein. Bei Beginn des Einbiegemanövers befand sich der Fiat zumindest 35 Meter entfernt im linken Fahrstreifen, an ihm war kein Blinker aktiviert. Die Klägerin nahm den Audi vor der Kollision gar nicht wahr, sie begann frühestens 2 Sekunden nach dem Losfahren der Erstbeklagten mit einem Fahrstreifenwechsel nach rechts. Ob sie dabei blinkte, kann nicht festgestellt werden.
[2] Die Vorinstanzen wiesen das auf Zahlung von Schadenersatz und Feststellung der Haftung für künftige Schäden gerichtete Klagebegehren ab. Das Alleinverschulden am Unfall treffe die Klägerin, die einen unzulässigen Fahrstreifenwechsel vorgenommen und damit gegen § 11 StVO verstoßen habe. Der Erstbeklagten könne hingegen keine Vorrangverletzung angelastet werden.
[3] Das Berufungsgericht ließ die ordentliche Revision zu, weil keine Rechtsprechung zur Frage auffindbar sei, ob bei einer Kreuzung ein an sich Wartepflichtiger in engem Bogen auf eine mehrspurige Richtungsfahrbahn auf den vom Vorrangberechtigten nicht benützten Fahrstreifen einfahren dürfe, wenn der Vorrangberechtigte keinen Fahrstreifenwechsel anzeige und durch das Einfahren nicht behindert werde.
Rechtliche Beurteilung
[4] Die Revision der Klägerin ist – entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 508a Abs 1 ZPO) Ausspruch des Berufungsgerichts – mangels Aufzeigens einer Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig.
[5] 1. Die Vorinstanzen haben den Sachverhalt nach österreichischem Recht beurteilt, was im Revisionsverfahren nicht in Zweifel gezogen wird.
[6] 2. Die Vorinstanzen haben eine Verletzung des Vorrangs durch die Erstbeklagte nicht korrekturbedürftig verneint.
[7] 2.1. Die Klägerin stützt ihren Schadenersatzanspruch – soweit in dritter Instanz noch von Relevanz – auf die Verletzung der Schutznorm des § 19 StVO durch die Erstbeklagte. Ihr oblag daher der Beweis des Bestehens einer Vorrangsituation, also des objektiven Übertretens der Schutznorm durch die Erstbeklagte (vgl RS0112234).
[8] 2.2. Gemäß § 19 Abs 7 StVO darf der Wartepflichtige durch Kreuzen, Einbiegen oder Einordnen die Vorrangberechtigten weder zu unvermitteltem Bremsen noch zum Ablenken ihrer Fahrzeuge nötigen. Ein Vorrangfall ist daher nur anzunehmen, wenn sich für den Vorrangberechtigten die Notwendigkeit eines unvermittelten Bremsens oder eines Auslenkens unmittelbar aus dem Einbiegen des Wartepflichtigen ergibt (RS0075077).
[9] 2.3. Im vorliegenden Fall steht fest, dass die Klägerin den linken Fahrstreifen befuhr und durch den in den rechten Fahrstreifen einbiegenden Audi weder zu einer Geschwindigkeitsverminderung noch zu einer Veränderung ihrer Fahrlinie genötigt wurde. Unter diesen Umständen hat die Klägerin das Vorliegen einer Vorrangsituation nicht unter Beweis gestellt (so auch die eine vergleichbare Sachverhaltskonstellation betreffende Entscheidung 2 Ob 23/09k [Einbiegen in mehrspurigen Kreisverkehr]). Nach den Feststellungen hatte die Erstbeklagte bei Einleitung ihres Einbiegemanövers keine Anhaltspunkte für das unmittelbare Bevorstehen eines Fahrstreifenwechsels durch die Klägerin, sodass die Erstbeklagte auch nicht damit rechnen musste (§ 3 StVO), dass die Klägerin vom ihr grundsätzlich nach § 19 Abs 3 (und 6) StVO zukommenden Vorrang Gebrauch machen werde (vgl 2 Ob 16/88). Dass im Unfallbereich nach § 7 Abs 3a StVO freie Fahrstreifenwahl für die Klägerin bestand, ändert nichts daran, dass die Erstbeklagte die Klägerin durch ihr Einbiegemanöver nicht iSd § 19 Abs 7 StVO behinderte.
[10] 3. Dass die Klägerin einen Verstoß gegen § 11 StVO zu verantworten hat, zieht sie in der Revision nicht in Zweifel.
[11] 4. Die Abweisung des Klagebegehrens durch die Vorinstanzen erweist sich damit auf Grundlage gesicherter Rechtsprechung als nicht korrekturbedürftig.
[12] 5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 41 ZPO iVm § 50 ZPO. Die Beklagten haben in ihrer Revisionsbeantwortung auf die Unzulässigkeit des Rechtsmittels hingewiesen.
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