OGH 1Ob176/24z

OGH1Ob176/24z25.3.2025

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Hofrat Mag. Dr. Wurdinger als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen und Hofräte Dr. Steger, Mag. Wessely‑Kristöfel, Dr. Parzmayr und Dr. Pfurtscheller als weitere Richterinnen und Richter in der Rechtssache der klagenden Partei R*, Deutschland, vertreten durch die Heinisch Weber Rechtsanwälte OG in Wien, gegen die beklagte Partei Tourismusverband *, vertreten durch die GPK Pegger Kofler & Partner Rechtsanwälte GmbH & Co KG in Innsbruck, wegen 28.167,99 EUR sA und Feststellung, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 10. September 2024, GZ 14 R 59/24k‑42, mit dem das Endurteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 28. Februar 2024, GZ 30 Cg 37/23s‑36, bestätigt wurde, beschlossen und zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2025:0010OB00176.24Z.0325.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiete: Internationales Privat- und Zivilverfahrensrecht, Unionsrecht

Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)

 

Spruch:

 

Der außerordentlichen Revision wird teilweise Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden hinsichtlich der Abweisung des Feststellungsbegehrens zur Haftung der beklagten Partei für Fehler und Versäumnisse der der Republik Österreich (Bund) zuzurechnenden Organe sowie für dieUnterlassung der Aufklärung über die Verbreitung des Sars‑CoV‑2-Virus in I* in der Zeit von 5. 3. 2020 bis 11. 3. 2020 unter Vorbehalt der Kostenentscheidung als Teilurteil bestätigt.

Im Übrigen, also im Umfang des Zahlungsbegehrens von 28.167,99 EUR sA, des weiteren Feststellungsbegehrens (Haftung für Falschinformation vom 6. 3. 2020) und im Kostenpunkt, werden die Urteile der Vorinstanzen aufgehoben. Die Rechtssache wird insoweit an das Erstgericht zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens bilden insoweit weitere Verfahrenskosten.

 

EntscheidungsgründeundBegründung:

[1] Gegenstand des Verfahrens sind Ansprüche des Klägers (nur mehr) gegen den beklagten Tourismusverband wegen einer im Anschluss an einen Skiurlaub in I* vom 7. 3. 2020 bis 11. 3. 2020 erlittenen COVID‑19-Erkrankung.

Aus dem festgestellten Sachverhalt sind zusammengefasst nachstehende Geschehnisse hervorzuheben:

[2] Am 3. 3. 2020 informierte eine isländische Reiseleiterin ein Hotel in I* per E‑Mail, dass zwei Touristen, die ein Zimmer in diesem Hotel bewohnt hatten, nach ihrer Rückkehr nach Island Symptome einer COVID‑19-Erkrankung gezeigt hatten und positiv auf SARS‑CoV‑2 getestet worden waren. Von der Fluglinie seien sie darüber in Kenntnis gesetzt worden, dass sich auf dem Heimflug eine aus Italien kommende infizierte Person im Flugzeug befunden habe.

[3] Dieses E‑Mail leitete das Hotel am 5. 3. 2020 um 15:04 Uhr an den Beklagten weiter.

[4] Am 4. 3. 2020 informierte die isländische Reiseleiterin via E‑Mail ein anderes Hotel in I*, dass weitere Gäste, die ihren Urlaub in I* verbracht hatten, nach ihrer Rückkehr positiv auf SARS‑CoV‑2 getestet worden waren.

[5] Der damalige Geschäftsführer des Beklagten übermittelte diese E‑Mails am 5. 3. 2020 an den Bezirkshauptmann, der sie an den Tiroler Landesamtsdirektor mit folgender Nachricht weiterleitete:

„Lieber H*, nach Rücksprache mit HLH hier die beiden E‑Mails von zwei infizierten Personen. Sie geben an im Flugzeug von München nach Island infiziert worden zu sein. Das wäre für eine allfällige Presseaussendung der Abt. Öff. wichtig. Damit hätten wir I* vorerst aus dem Schussfeld. Die Liste der Gäste habe ich noch nicht. Vor einer Presseaussendung sollte ich darüber schauen können über Bitte des T* [= Beklagten] ...“

 

[6] Am 5. 3. 2020 langte noch vor den E‑Mails der isländischen Reiseleiterin beim Beklagten ein E‑Mail eines Gastes mit verlinktem Zeitungsbericht aus Island ein, demzufolge eine Urlaubergruppe von acht Personen nach vorherigem Aufenthalt in I* positiv auf SARS‑CoV‑2 getestet worden war. Selbiges teilte am späten Vormittag das isländische Gesundheitsministerium dem Beklagten telefonisch mit. Der Beklagte informierte darüber die Polizeiinspektion I*, die weitere Behörden verständigte. Um 13:44 Uhr wurde seitens des Einsatzstabes der LPD Tirol mitgeteilt, dass acht positive Fälle mit I*-Bezug über das Außenministerium bestätigt werden könnten.

[7] Der Beklagte informierte am 5. 3. 2020 um 11:32 Uhr ua den Bürgermeister der Gemeinde I*, dass ein isländisches Medium I* mit SARS‑CoV‑2 in Verbindung gebracht habe. Der Beklagte sei nun mit der Österreichischen Botschaft Kopenhagen und der Tirol Werbung im ständigen Austausch. Man habe sich geeinigt, dass der Beklagte nicht proaktiv werde, aber in Bereitschaft sei, sollte er reagieren müssen. Medienanfragen verwies der Beklagte an das Land. Diesbezüglich gab es eine Anordnung des Landeshauptmanns an alle beteiligten Organisationen, dass jegliche Pressearbeit über das Amt der Tiroler Landesregierung zu erfolgen habe.

[8] Am 5. 3. 2020 um 17:44 Uhr verlautbarte das Amt der Tiroler Landesregierung folgende amtliche Pressemitteilung:

„Coronavirus: Isländische Gäste im Tiroler Oberland dürften sich bei Rückflug im Flugzeug mit Coronavirus angesteckt haben. 14 Personen aus Island, die bereits am Wochenende wieder abreisten, verbrachten vergangene Woche ihren Skiurlaub im Tiroler Oberland. Nach ihrer Rückkehr nach Island wurden mehrere Personen positiv auf das Coronavirus getestet. Nach ersten Erhebungen und infolge einer schriftlichen Information vonseiten eines Betroffenen an den Beherbergungsbetrieb dürfte sich die Ansteckung erst im Flugzeug bei der Rückreise von München nach Reykjavik ereignet haben. Unter dieser Annahme erscheint es aus medizinischer Sicht wenig wahrscheinlich, dass es in Tirol zu Ansteckungen gekommen ist, so Landessanitätsdirektor […] Konkret befand sich beim Rückflug ein aus dem Italienurlaub kommender und am Coronavirus erkrankter Fluggast an Bord – die Fluggäste wurden vonseiten der Fluglinie darüber informiert. Derzeit finden weitere behördliche Abklärungen statt.“

 

[9] Ebenfalls am 5. 3. 2020 um 17:51 Uhr schickte die isländische Gesundheitsbehörde ein E‑Mail an den damaligen Geschäftsführer des Beklagten, in dem ua mitgeteilt wurde, dass einer der am 21. 2. 2020 angereisten Isländer am 26. 2. 2020 [also noch vor der Abreise] erste Symptome gezeigt habe, die anderen erst nach Rückkehr nach Island. Der damalige Geschäftsführer des Beklagten leitete dieses E‑Mail um 19:50 Uhr ua an den Obmann des Beklagten weiter.

[10] Weder der Obmann noch der damalige Geschäftsführer des Beklagten gaben die ihnen am 5. 3. 2020 bekannt gewordenen Umstände an die im Informationsbüro den Telefondienst versehenden Mitarbeiter des Beklagten weiter. Diese Mitarbeiter waren von ihren Vorgesetzten angewiesen, an anfragende Gäste ausschließlich Auskünfte im Sinn der auch vom Land Tirol und der Tirol-Werbung kommunizierten Informationen zu erteilen.

[11] Am Vormittag des 6. 3. 2020 erkundigte sich der Kläger telefonisch bei einem nicht mehr feststellbaren Mitarbeiter des Beklagten ua explizit über die Corona‑Lage vor Ort, wobei ihm versichert wurde, dass alles in Ordnung sei und er unbesorgt anreisen könne. Es gebe aktuell keine bekannten positiven Fälle und keine Einschränkungen bei der Einreise und beim Betrieb in I*, es bestehe keine Infektionsgefahr, wobei stets sinngemäß auf die Pressemitteilung des Landes Tirol vom 5. 3. 2020 verwiesen wurde. Aufgrund dieser Auskunft ging der Kläger davon aus, dass die ihm im Zuge einer Internetrecherche am Abend des 5. 3. 2020 bekannt gewordene isländische Einstufung I*s als Risikogebiet eine Falschnachricht sei, auch wenn ihm dies nicht ausdrücklich gesagt wurde.

[12] Der (in Deutschland wohnhafte) Kläger reiste am 7. 3. 2020 in der Früh mit seinem PKW in I* an und bewohnte dort bis 11. 3. 2020 ein Hotel. Der Beklagte erhielt einen nicht mehr feststellbaren Anteil der vom Kläger an das Hotel ordnungsgemäß abgeführten Ortstaxe [ie Aufenthaltsabgabe]. Während seines Aufenthalts in I* fuhr der Kläger jeden Tag Ski und besuchte danach drei verschiedene Aprés-Ski-Lokale. Obwohl er am 9. oder 10. 3. 2020 durch Gespräche mit anderen Personen vom ersten positiv getesteten Fall in I* erfuhr, entschied er sich erst zur Rückreise, als er befürchtete, dass der Ort oder das ganze Land abgeriegelt werden könnte.

[13] Der Kläger entwickelte am Tag nach seiner Rückkehr aus I* erste Symptome und begab sich daraufhin ins Krankenhaus, wo er noch am 12. 3. 2020 positiv auf SARS‑CoV‑2 getestet wurde.

[14] Der Kläger begehrt vom Beklagten Schadenersatz wegen der Auskunft vom 6. 3. 2020. Der Beklagte habe ihm wahrheitswidrig versichert, dass in I* bisher keine Corona‑Infektionen, keine Einschränkungen und keine Gefahr bestünden, worauf er vertraut habe. Bei korrekter Aufklärung wäre er erst gar nicht angereist, zumindest aber sofort wieder abgereist, und hätte sich folglich auch nicht mit SARS‑CoV‑2 infiziert.

[15] Der Beklagte bestritt und wandte insbesondere ein erhebliches Mitverschulden des Klägers ein.

[16] Das Erstgericht wies das Klagebegehren zur Gänze ab. Dem Kläger sei keine Falschinformation erteilt worden. Bestätigte Anzeichen für eine konkret erhöhte Infektionsgefahr in I* seien zum Zeitpunkt des Anrufs des Klägers gerade noch nicht vorgelegen, vielmehr lediglich Vermutungen, dass es zu Ansteckungen einiger weniger Personen gekommen sein könnte. Diese fielen aber schon im Verhältnis zu der sonst weltweit bereits bekannten Anzahl an Infektionen nicht ins Gewicht. Die dem Kläger erteilte Auskunft, dass keine Gefahr in I* bestehe, habe er angesichts seines eigenen Kenntnisstands (neuartiges, sich weltweit ausbreitendes Virus mit möglicher Todesfolge, Abriegelung von in örtlicher Nähe liegenden italienischen Regionen zufolge zahlreicher Infektionen, I* als beliebter Tourismusort) nur so verstehen dürfen, dass keine im Vergleich zu anderen stark frequentierten Urlaubsorten erhöhte Infektionsgefahr bestehe. Nach dem damaligen Kenntnisstand aller Beteiligten sei dies unter Zugrundelegung der wenigen vorhandenen Verdachtsmomente auch objektiv richtig gewesen. Darüber hinaus hätten zum damaligen Zeitpunkt noch keine behördlichen Einschränkungen, welcher Art auch immer, bestanden und habe der erste positiv getestete Fall einer COVID‑19-Erkrankung in I* erst am 7. 3. 2020 vorgelegen.

[17] Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und sprach aus, dass die ordentliche Revision nicht zulässig sei.

[18] Der Kläger habe den Anscheinsbeweis dafür erbracht, dass er während seines Aufenthalts in I* mit dem Virus infiziert worden sei.

[19] Der Beklagte habe die Auskunft an den Kläger nicht bloß „selbstlos“ erteilt, sodass eine Haftung nach § 1300 Satz 1 ABGB in Betracht komme. Er habe allerdings die Sorgfalt eines durchschnittlichen Tourismusverbands bei Beantwortung der Anfrage des Klägers eingehalten, weil er die am Nachmittag des 5. 3. 2020 verlautbarte Pressemitteilung des Landes Tirol seiner Antwort zugrundelegen und auf deren Richtigkeit habe vertrauen dürfen. Eigene medizinische oder gar fachspezifisch virologische Überlegungen, ob – und gegebenenfalls inwiefern – entgegen dieser zeitnah ergangenen Pressemitteilung damals in I* eine Ansteckungsgefahr mit dem Coronavirus bestehen könnte, habe ein durchschnittlicher Tourismusverband als medizinischer Laie nicht anstellen müssen.

[20] Die dagegen erhobene außerordentliche Revision des Klägers zielt auf eine Klagsstattgebung ab; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

[21] Der Beklagte beantragt in seiner vom Obersten Gerichtshof freigestellten Revisionsbeantwortung, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[22] Die Revision ist zulässig, weil die Rechtsansicht des Berufungsgerichts einer Korrektur bedarf. Sie ist auch teilweise im Sinn des Aufhebungsantrags berechtigt.

1. Zu Recht gehen die Parteien von der Anwendbarkeit österreichischen Sachrechts aus:

[23] Nach Art 4 Abs 1 Rom II‑VO ist für außervertragliche Ansprüche das Recht des Staats anzuwenden, in dem der primäre Schaden eintritt, das ist bei der Verletzung absoluter Rechte der Ort der Körperverletzung des Opfers (vgl EuGH C‑350/14 , Lazar, ECLI:EU:C:2015:802, Rn 25). Für die Anknüpfung nach der Rom II‑VO spricht, dass die Experten- und Gutachterhaftung – soweit mit den Gutachtern keine vertragliche Beziehung besteht – dem Anwendungsbereich dieser VO unterstellt wird (Heindler in Rummel/Lukas/Geroldinger, ABGB4 Art 1 Rom II‑VO Rz 13 und Art 2 Rom II‑VO Rz 12 [Stand 1. 3. 2023, rdb.at]). Auch wenn man die Haftung für Rat und Auskunft als vertraglich im Sinn der Rom I‑VO qualifizieren wollte, wäre nach Art 4 Abs 1 lit b dieser VO österreichisches Recht anwendbar, weil der auskunfterteilende Beklagte seinen gewöhnlichen Aufenthalt (Art 19 Rom I‑VO) im Inland hat.

[24] 2. Nach § 1300 Satz 1 ABGB wird für jede, auch (leicht) fahrlässig unrichtige Auskunft gehaftet, wenn diese „gegen Belohnung“ erteilt wird. Nach herrschender Auffassung ist „gegen Belohnung“ dahin zu verstehen, dass der Rat nicht selbstlos erfolgte. Eine solche Haftung tritt also auch dann ein, wenn keine vertragliche Beziehung zwischen den Streitteilen besteht. Entscheidend ist nur, dass der – wenn auch bloß einmalige – Rat nicht aus reiner Gefälligkeit erteilt wird (RS0026596; RS0044121). Die grundlegende Wertung besteht gerade darin, jene Auskunftgeber einer strengeren Haftung zu unterwerfen, die sich von der Preisgabe der Auskunft einen Vorteil erwarten, als jene, die lediglich aus Gefälligkeit beraten. Die von der Rechtsprechung geforderte „Sonderbeziehung“ zwischen den Beteiligten wird also auch dadurch begründet, dass der Rat „gegen Belohnung“ erteilt wird (4 Ob 249/14t mwN).

[25] Wer sich eines Gehilfen zur Auskunftserteilung bedient, hat für diesen nach § 1313a ABGB einzustehen (6 Ob 104/06x [Punkt 8.]; 1 Ob 44/94; Karner in KBB7 § 1300 ABGB Rz 5).

[26] 3. Der beklagte Tourismusverband ist nach § 1 Abs 1 und Abs 2 Tiroler Tourismusgesetz 2006 eine durch Verordnung der Landesregierung errichtete Körperschaft öffentlichen Rechts, der nach § 3 Abs 1 und Abs 2 leg cit (auch in der anwendbaren Fassung LGBl 2015/15) die Wahrung, Förderung und Vertretung der örtlichen und regionalen Belange des Tourismus unter Bedachtnahme auf seine ökonomischen, sozialen, kulturellen, ethischen und ökologischen Auswirkungen obliegt, insbesondere etwa die tourismusstrategische Planung für ihr Verbandsgebiet, das touristische Marketing (darunter Öffentlichkeitsarbeit und Verkaufsförderung) und sonstige Maßnahmen der Gästebetreuung. Gemäß § 2 Abs 1 Tiroler Tourismusgesetz 2006 sind jene Unternehmer im Sinn des § 2 Abs 1 und Abs 2 des Umsatzsteuergesetzes 1994, die unmittelbar oder mittelbar einen wirtschaftlichen Nutzen aus dem Tourismus in Tirol erzielen und im Gebiet des Tourismusverbands ihren Sitz oder eine Betriebsstätte haben, Pflichtmitglieder eines Tourismusverbands. Nach § 23 Tiroler Tourismusgesetz 2006 werden die für den Haushalt des Tourismusverbands erforderlichen Mittel ua durch Beiträge der Mitglieder nach den §§ 30 ff leg cit (lit a) und Zuweisungen des Landes Tirol aus der Aufenthaltsabgabe nach § 8 des Tiroler Aufenthaltsabgabegesetzes 2003 (lit b) aufgebracht. Zur Förderung des Tourismus in Tirol wird gemäß § 1 Abs 1 des Tiroler Aufenthaltsabgabegesetzes 2003 eine Aufenthaltsabgabe erhoben. Nach § 8 Abs 1 leg cit hat der Tourismusverband die Summe der von ihm im abgelaufenen Kalenderjahr vereinnahmten Abgabenbeträge bis zum 31. Jänner eines jeden Jahres der Landesregierung schriftlich bekannt zu geben. Mit der Bekanntgabe gelten diese Abgabenbeträge als Zuweisung des Landes an den Tourismusverband nach § 23 lit b des Tiroler Tourismusgesetzes 2006.

[27] Davon ausgehend ist der vom Berufungsgericht gezogene Schluss richtig, dass der Beklagte die inkriminierte Auskunft an den Kläger nicht aus reiner Gefälligkeit erteilt hat:

[28] Die Beantwortung von Fragen potenzieller Touristen zur Lage vor Ort – vor allem zu allfälligen Beeinträchtigungen und Einschränkungen durch Epidemien und Umweltereignisse – gehört zum gesetzlich vorgegebenen Tätigkeitsbereich des Tourismusverbands, unabhängig davon, ob man diese unter Öffentlichkeitsarbeit oder sonstige Maßnahmen der Gästebetreuung subsumiert. Insofern ist der Beklagte auch als Sachverständiger im Sinn des § 1299 ABGB zu qualifizieren. Der Tourismusverband ist keine selbstlose Einrichtung; er dient in hohem Maße den wirtschaftlichen Interessen seiner Pflichtmitglieder und (im Zusammenhang damit) auch den Interessen der (zukünftigen) Gäste an einem gelungenen Urlaubserlebnis. Das spiegelt sich darin wider, dass er zu einem guten Teil nicht nur durch die Mitgliedsbeiträge seiner Pflichtmitglieder, sondern auch durch die von den Gästen eingehobene Aufenthaltsabgabe finanziert wird.

[29] Zwischen dem Kläger und dem Beklagten bestand daher eine – die Haftung für eine fahrlässige Falschauskunft begründende – Sonderbeziehung im Sinn des § 1300 Satz 1 ABGB (vgl 1 Ob 44/94 [Schiedsstelle der Ärztekammer]; 1 Ob 250/02z [Rechtsberatung durch Arbeiterkammer]).

[30] Im Rahmen dieser Sonderbeziehung hat der Beklagte für seine in die Interessenverfolgung gegenüber dem auskunftssuchenden Kläger einbezogenen Mitarbeiter nach § 1313a ABGB einzustehen.

[31] 4. Zu Recht wendet sich der Kläger gegen die Auffassung der Vorinstanzen, es liege keine vorwerfbare Falschauskunft vor.

[32] 4.1. Bei der Beurteilung eines Rates oder einer Empfehlung geht es vor allem um die Bewertung von Tatsachen und die aus ihnen zu ziehenden Schlussfolgerungen (4 Ob 516/93 = RS0026415). Unrichtig ist ein Rat oder eine Empfehlung jedenfalls dann, wenn dabei unrichtige Tatsachen zugrunde gelegt oder wenn nicht alle erforderlichen Tatsachen ermittelt oder mitgeteilt worden sind. Geht der Berater von zutreffenden und vollständigen Tatsachen aus, wird sein Rat oder seine Empfehlung in der Regel nur dann als unrichtig angesehen werden können, wenn er bei seinen Schlussfolgerungen gegen die Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungsgrundsätze verstoßen oder die nach den konkreten Umständen gebotene Vorsicht und Zurückhaltung außer Acht gelassen hat, die bei Prognosen im Allgemeinen erforderlich sind (6 Ob 104/06x [Punkt 10.]; 4 Ob 516/93).

[33] 4.2. Der Senat hat in dem gegen die Republik Österreich (Bund) geführten Amtshaftungsverfahren 1 Ob 199/22d [Rz 190 ff] ausgesprochen, dass mit der Medienmitteilung vom 5. 3. 2020 kein relevanter Vertrauenstatbestand gesetzt wurde. Auch wenn die dort belangte Behörde offenbar versucht hat, die Tourismusorte im Tiroler Oberland (darunter auch I*) vorerst „aus dem Schussfeld“ zu nehmen und die Infektionen der isländischen Touristen mit einer außerhalb eines Aufenthalts im Tiroler Oberland liegenden Infektionsquelle zu erklären, konnte und durfte die interessierte Öffentlichkeit daraus nicht den Schluss ziehen, dass es sich bei der Information um mehr als eine vorläufige – im Fluss befindliche – Einschätzung einer volatilen Situation handelte. Nach dem Inhalt der Mitteilung war weder auszuschließen, dass ein Teil der Ansteckungen mit SARS‑CoV‑2 nicht doch schon während des Aufenthalts der isländischen Touristen im Tiroler Oberland erfolgt war, noch ließ sich daraus ableiten, dass es bei einem Aufenthalt in I* derzeit oder in näherer Zukunft zu keinen Ansteckungen kommen könnte. Die interessierte Öffentlichkeit durfte daher nicht darauf vertrauen, dass sich die Isländer keinesfalls im Tiroler Oberland infiziert hätten und/oder dass (daher) ein Aufenthalt in I* mit keiner (besonderen) Infektionsgefahr verbunden wäre. Umgekehrt hätte die richtige und vollständige Mitteilung, nämlich dass einer der isländischen Gäste offenbar bereits vor der Abreise Symptome hatte, auch nicht den Eindruck hinterlassen, dass im Tiroler Oberland eine besondere (also eine gegenüber der allgemeinen, damals schon bekannten, erhöhte) Ansteckungsgefahr bestehe.

[34] 4.3. Die dem Kläger hier erteilte Auskunft geht aber über den Inhalt dieser im Konjunktiv gehaltenen– vorsichtig und vage formulierten – Medienmitteilung entschieden hinaus, indem der Mitarbeiter am Telefon dem Kläger versicherte, dass alles in Ordnung sei und er unbesorgt anreisen könne und dass keine Infektionsgefahr bestehe. Diese (eindeutige, jeden Zweifel ausschließende) Beschwichtigung, dass in I* keine Gefahr bestehe, ließ sich der Medienmitteilung gerade nicht entnehmen. Für diese Behauptung gab es somit keinerlei Grundlage, zumal der Beklagte – wie er in der Revisionsbeantwortung betont – über kein eigenes medizinisches und virologisches Expertenwissen verfügte. Die Auskunft erweckte den – unzutreffenden – Eindruck der völligen Gefahrlosigkeit eines normalen Urlaubsaufenthalts in I* und ließ damit nicht nur die bereits bestehenden Verdachtsmomente für ein vor Ort grassierendes Infektionsgeschehen, sondern vor allem auch die aufgrund der unklaren und unbeständigen Situation in der Anfangsphase der Pandemie gebotene Vorsicht und Zurückhaltung außer Acht. Ein Verschulden des unbekannten Mitarbeiters an dieser falschen Auskunft, das dem Beklagten nach § 1313a ABGB zuzurechnen ist, liegt schon deshalb vor, weil die Abwiegelung der in der Medienmitteilung noch zum Ausdruck kommenden Unsicherheiten nicht durch die Weisung an die Mitarbeiter des Beklagten gedeckt war, an die anfragenden Gäste nur die Medieninformationen des Landes Tirol zu kommunizieren.

[35] 5. Obwohl damit von einer fahrlässig falschen Auskunft auszugehen ist, für die der Beklagte einzustehen hat, kann seine Haftung noch nicht abschließend beurteilt werden, weil es an Feststellungen zur Kausalität dieser Auskunft für den Schaden des Klägers fehlt.

[36] 5.1. Allein damit, dass sich jemand so verhalten hat, wie es dem Rat (Empfehlung) oder der Auskunft entsprach, und dadurch zu Schaden gekommen ist, steht der ursächliche Zusammenhang zwischen Auskunft (Rat) und Schaden noch nicht fest (6 Ob 104/06x [Punkt 11.]). Die Kausalität der Unterlassung (hier: der gebotenen Aufklärung über die mit der Pandemieentwicklung verbundenen Unsicherheiten und Unwägbarkeiten) für den Schaden ist nicht gegeben, wenn derselbe Nachteil auch bei pflichtgemäßem Tun entstanden wäre (RS0022913). Die Beweislast, dass bei pflichtgemäßem Verhalten der Schaden nicht eingetreten wäre, trifft den Geschädigten (RS0022900 [T5]). Es genügt der Nachweis, dass der Schaden mit überwiegender Wahrscheinlichkeit auf das Unterlassen des pflichtgemäßen Handelns zurückzuführen ist (RS0022900 [T41]). Dem kann der Gegner den Beweis der höheren Wahrscheinlichkeit eines anderen Verlaufs entgegenhalten (RS0022900 [T42]).

[37] 5.2. Der Kläger hat vorgebracht, dass er bei korrekter Aufklärung gar nicht nach I* angereist, jedenfalls aber sofort wieder abgereist wäre. Der Beklagte hat demgegenüber behauptet, der Kläger wäre auch nach I* gereist, wenn er entsprechend informiert worden wäre. Das Erstgericht hat dazu – ausgehend von seiner vom Obersten Gerichtshof nicht geteilten Rechtsansicht, es liege gar keine Falschauskunft vor – keine Feststellungen getroffen. Da somit entscheidungswesentliche Feststellungen fehlen, sind die Urteile der Vorinstanzen (zum Großteil) zur Verfahrensergänzung aufzuheben. Je nach Ergebnis des fortgesetzten Verfahrens wird zur vollständigen Beurteilung des Anspruchsgrundes noch der vom Beklagten erhobene Mitverschuldenseinwand zu prüfen sein.

[38] 6. Als richtig erweist sich allerdings die Abweisung eines Feststellungsmehrbegehrens, die daher als Teilurteil zu bestätigen ist:

[39] Soweit im Klagebegehren die Feststellung der Haftung des Beklagten für durch Fehler und Versäumnisse der der (ursprünglich ebenfalls beklagten) Republik Österreich (Bund) zuzurechnenden Organe im Zusammenhang mit der Ausbreitung des SARS‑CoV‑2-Virus im Paznauntal in der Zeit von 5. 3. 2020 bis 13. 3. 2020 beinhaltet ist, besteht hierfür keinerlei Rechtsgrundlage. Zu dem Vorwurf, der Beklagte habe in der Zeit von 5. 3. 2020 bis 11. 3. 2020 eine Aufklärung über die Verbreitung des SARS‑CoV‑2-Virus in I* und die damit einhergehende Infektionsgefahr unterlassen, hat der Kläger weder in der Berufung noch in der Revision Ausführungen getätigt. Soweit das Feststellungsbegehren daher nicht (nur) auf die Falschinformation vom 6. 3. 2020 gegründet wird, ist es jedenfalls unberechtigt.

[40] 7. Der außerordentlichen Revision ist aus diesen Gründen teilweise Folge zu geben.

[41] 8. Die Kostenentscheidung beruht in Bezug auf das Teilurteil auf § 52 Abs 4 ZPO und in Bezug auf den Aufhebungsbeschluss auf § 52 Abs 1 Satz 3 ZPO.

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