OGH 4Ob29/25f

OGH4Ob29/25f25.3.2025

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Schwarzenbacher als Vorsitzenden sowie den Vizepräsidenten Hon.‑Prof. PD Dr. Rassi, die Hofrätinnen Mag. Istjan, LL.M., und Mag. Waldstätten und den Hofrat Dr. Stiefsohn als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei *, vertreten durch Dr. Waltraud Künstl, Rechtsanwältin in Wien, gegen die beklagte Partei *, wegen zuletzt 138.131,68 EUR sA, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 30. Dezember 2024, GZ 5 R 183/24d‑49, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2025:0040OB00029.25F.0325.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiete: Erbrecht und Verlassenschaftsverfahren, Standes- und Disziplinarrecht der Anwälte

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

 

Begründung:

[1] Die Klägerin macht gegen den beklagten Rechtsanwalt Schadenersatzansprüche aus seiner anwaltlichen Vertretung bei der Durchsetzung ihrer erbrechtlichen Ansprüche nach dem Tod ihres Vaters geltend. Sie begehrt zuletzt 138.131,68 EUR als frustrierte Verfahrenskosten im Verlassenschaftsverfahren (Erbrechtsstreit) und in einem Zivilprozess gegen die Erbin des Verstorbenen (im Folgenden: Pflichtteilprozess). Im Verlassenschaftsverfahren habe der Beklagte als Vertreter der Klägerin ungeachtet eines Erbvertrags und einer testamentarischen Verfügung zugunsten der Erbin (= Ehefrau des Verstorbenen) eine (aussichtslose) Erbantrittserklärung aufgrund des Gesetzes zunächst zum gesamten Nachlass, später zu einem Drittel des Nachlasses abgegeben. Weiters stützt die Klägerin die behauptete Schlechtvertretung auf den Umstand, dass der Beklagte im Pflichtteilprozess gegen die Erbin statt einer Stufenklage nach Art XLII Abs 1 EGZPO eine Feststellungsklage erhoben und anschließend daneben auch ein (mangels Grundlage zur Höhe) krass überklagtes Leistungsbegehren gestellt habe.

[2] Der Beklagte berief sich ua auf die von der Klägerin im Erbschaftsstreit erteilten Informationen und Aufträge. Die von ihm veranlassten Verfahrenshandlungen seien zweckentsprechend gewesen.

[3] Die Vorinstanzen gaben dem Leistungsbegehren statt. Sie qualifizierten den Erbrechtsstreit als aussichtslos. Darüber hinaus habe der Beklagte im Pflichtteilprozess durch das Unterlassen einer Stufenklage, die Erhebung eines zwar bestimmten, aber krass überhöhten Leistungsbegehrens ohne konkrete Grundlage und die Erhebung eines aussichtslosen Feststellungsbegehrens frustrierte Prozesskosten verursacht. Die vom Beklagten ua erhobenen Einreden der mangelnden Aktivlegitimation und der Verjährung wurden verneint.

Rechtliche Beurteilung

[4] Die gegen die Klagestattgabe erhobene außerordentliche Revision des Beklagten zeigt keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO auf.

[5] 1.1 Den Rechtsanwalt treffen nach § 9 RAO und § 1009 ABGB eine Reihe von Pflichten, wie unter anderem Warn-, Aufklärungs-, Informations- und Verhütungspflichten, die alle Ausprägung seiner Kardinalspflicht sind, nämlich der Pflicht zur Interessenwahrung und zur Rechtsbetreuung (RS0112203; RS0038682 [T15]).

[6] 1.2 Welche konkreten Pflichten aus den von der Rechtsprechung allgemein entwickelten Grundsätzen abzuleiten sind, richtet sich immer nach dem erteilten Mandat und den Umständen des Einzelfalls (RS0112203 [T10]). Auch die Beurteilung, ob ein Rechtsanwalt die im konkreten Fall nach § 1299 ABGB gebotene Sorgfalt eingehalten hat, kann nur nach den Umständen des Einzelfalls geprüft werden und stellt regelmäßig keine Frage von erheblicher Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO dar (RS0026584 [T21]; RS0023526 [T16]; vgl RS0026535 [T8]).

[7] 2. Die Vorinstanzen haben die (vom Beklagten zu verantwortende) Führung des Erbrechtsstreits im Verlassenschaftsverfahren ua deshalb als aussichtslos qualifiziert, weil vom Beklagten keine Gründe gegen die Gültigkeit der (durch den Erbvertrag und das Testament erfolgten) Erbeinsetzung der Erbin durch den Verstorbenen ins Treffen geführt worden seien. Dem tritt das Rechtsmittel nicht näher entgegen.

[8] 3. Auch hinsichtlich der von den Vorinstanzen geteilten Vorwürfe, dass die Feststellungsklage neben einem krass überklagten Leistungsbegehren aussichtslos gewesen sei, wodurch der Klägerin frustrierte Prozesskosten entstanden seien, zeigt das Rechtsmittel nicht im Ansatz eine zu korrigierende Fehlbeurteilung auf. Die Beurteilung der Vorinstanzen, wonach die im Vorprozess begehrte Feststellung, dass der Klägerin der gesetzliche Pflichtteil aus dem gesamten Nachlass unter Hinzurechnung sämtlicher Vorausempfänge an die weiteren gesetzlichen Erben zustehe, habe schon mangels jeglichem rechtlichen Interesse scheitern müssen, weil die Klägerin nur die Feststellung eines Rechts begehrt habe, das ihr ohnedies nach dem Gesetz zustehe und zwischen den Streitteilen des Pflichtteilprozesses nicht strittig gewesen wäre, deckt sich mit der gesicherten Rechtsprechung (zB RS0038908; RS0037422; RS0038968; RS0039007).

[9] 4.1 Ebensowenig wirft der Vorwurf, dass die Einbringung einer Stufenklage (anstelle der Feststellungsklage bzw des ohne Grundlage gestellten bestimmten Leistungsbegehrens) vom Beklagten zu Unrecht unterlassen worden sei, eine Rechtsfrage erheblicher Bedeutung auf. Es ist gerade das Ziel eines Manifestationsbegehrens, die Schwierigkeiten bei der Erhebung eines Leistungsbegehrens zu beheben (RS0012974 [T7]), wodurch die im Anlassfall erfolgte massive Überklagung hätte vermieden werden können (vgl zur Anwendung der Stufenklage im Pflichtteilsprozess zB 2 Ob 163/23v; 2 Ob 66/21a bzw zur Anwendung vor dem ErbRÄG: 2 Ob 98/17a; 2 Ob 142/19z).

[10] 4.2 Insoweit der Beklagte auch in dritter Instanz den Standpunkt vertritt, dass er der Klägerin ohnedies die Erhebung einer Stufenklage angeraten hätte, entfernt er sich vom Sachverhalt, wonach feststeht, dass der Beklagte der Klägerin nur die Erhebung einer Feststellungsklage, nicht aber einer Klage nach Art XLII Abs 1 EGZPO vorgeschlagen hat.

[11] 5. Wenn der Beklagte darauf verweist, dass die Klägerin im Pflichtteilsprozess gegen die Erbin – ungeachtet der Abweisung des Feststellungsbegehrens und des Leistungsbegehrens zu 90 % – auch zu einem geringen Teil des Leistungsbegehrens obsiegt habe, sodass die von ihm geführte Klage nicht aussichtslos gewesen sei, kann darauf die Zulässigkeit der Revision nicht gestützt werden. Gegenstand des Haftungsprozesses sind die mit der Überklagung der Klägerin entstandenen Prozesskosten. Diese frustrierten Kosten werden durch den Zuspruch des ihr gebührenden Schenkungspflichtteils nicht gemindert, zumal die Klägerin im Pflichtteilprozess wegen § 43 Abs 2 1. Fall ZPO sämtliche Kosten tragen bzw ersetzen musste.

[12] 6. Auch der Hinweis im Rechtsmittel, dass die vom Beklagten zu verantwortende Verfahrensführung von der Rechtsschutzversicherung der Klägerin gedeckt worden sei, wirft keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung auf. Für die Frage der Deckung durch die Rechtsschutzversicherung ist bei Beurteilung der Erfolgsaussichten nämlich gerade kein strenger Maßstab anzulegen (RS0081929). Hingegen ist für die Anwaltshaftung darauf abzustellen, dass ein Rechtsanwalt verpflichtet ist, die Rechte seiner Partei mit Gewissenhaftigkeit zu vertreten und alles zu vermeiden hat, was die Stellung seines Klienten zu gefährden geeignet sein kann (RS0072005; RS0112203; RS0055801; RS0038663). Wenn die Vorinstanzen, den Umstand, dass die Prozessführung des Beklagten von der Rechtsschutzversicherung der Klägerin gedeckt war, nicht herangezogen haben, um deshalb die Haftung des Beklagten zu verneinen, bedarf das keiner Korrektur durch gegenteilige Sachentscheidung.

[13] 7. Auch die vom Beklagten aufgeworfenen Fragen zur Aktivlegitimation der Klägerin können die Zulässigkeit des Rechtsmittels nicht stützen. Es entspricht der Rechtsprechung, dass der Schädiger (hier: Beklagter) für die zunächst vom Rechtsschutzversicherer getragenen Prozesskosten, die zunächst nach § 67 Abs 1 VersVG auf den Versicherer übergegangen sind und von ihm an den Geschädigten (hier: Klägerin) rückabgetreten wurden, gegenüber dem Geschädigten einstandspflichtig ist (vgl zB 7 Ob 221/14x; RS0081342). Die Vorinstanzen sind bei der – sehr von den Umständen des Einzelfalls geprägten – Vertragsauslegung zur Zession jedenfalls vertretbar zum Ergebnis gekommen, dass die Rechtsschutzversicherung den die Prozesskosten betreffenden Schadenersatz an die Klägerin abgetreten hat.

[14] 8. Die Ausführungen des Rechtsmittels zur Verjährung der Klagsforderung gehen auf die Argumente der Vorinstanzen nicht im Ansatz ein und zeigen hier schon deshalb keine korrekturbedürftige Fehlentscheidung auf. Insbesondere wird nicht dargelegt, warum die Klage wegen der Kenntnis vom Schaden und vom Ersatzpflichtigen mit Aussicht auf Erfolg schon länger als drei Jahre vor der Klagseinbringung erhoben hätte werden können (§ 1489 ABGB).

[15] 9. Mangels einer Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO ist die außerordentliche Revision daher zurückzuweisen.

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