European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2025:009OBA00006.25K.0319.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Fachgebiet: Arbeitsrecht
Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage
Spruch:
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Begründung:
Rechtliche Beurteilung
[1] 1. Die geltend gemachten Verfahrensmängel liegen – wie der Oberste Gerichtshof geprüft hat – nicht vor.
[2] 2. Bei der Anfechtung einer Kündigung nach § 105 Abs 3 Z 2 ArbVG ist zunächst zu prüfen, ob dem Arbeitnehmer durch die Kündigung erhebliche soziale Nachteile entstehen, die über die normale Interessenbeeinträchtigung bei einer Kündigung hinausgehen (RS0051746 [T7]). Werden durch eine Kündigung wesentliche Interessen des gekündigten Arbeitnehmers beeinträchtigt, so kann die Kündigung nur dann nicht sozialwidrig sein, wenn der Arbeitgeber den Nachweis des Vorliegens eines Ausnahmetatbestands im Sinne der Betriebsbedingtheit der Kündigung oder des Vorliegens von Gründen in der Person des gekündigten Arbeitnehmers für die Kündigung erbringt. Gelingt ihm dies, sind in einem dritten Schritt die Interessen des Arbeitgebers an der Kündigung und jene des Arbeitnehmers an der Aufrechterhaltung des Arbeitsplatzes einander gegenüber zu stellen und gegeneinander abzuwägen (vgl RS0051818).
[3] 3. Die in der Person des Arbeitnehmers gelegenen Gründe, die der Arbeitgeber zur Rechtfertigung der Kündigung gemäß § 105 Abs 3 Z 2 lit a ArbVG geltend machen kann, müssen nicht so gravierend sein, dass sie die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers über den Kündigungstermin hinaus unzumutbar machen (RS0051888 [T14]) oder gar das Gewicht eines Entlassungsgrundes erreichen. Sie müssen aber die betrieblichen Interessen soweit nachteilig berühren, dass sie bei objektiver Betrachtungsweise einen verständigen Betriebsinhaber zur Kündigung veranlassen würden und die Kündigung als gerechte, dem Sachverhalt adäquate Maßnahme erscheinen lassen. Werden die betrieblichen Interessen in erheblichem Maße berührt, überwiegen sie das (wesentliche) Interesse des Arbeitnehmers an der Aufrechterhaltung des Arbeitsverhältnisses (RS0051888). Als ein derartiger personenbezogener Umstand kann auch die Unverträglichkeit gegenüber Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen zu werten sein, die die Leistungsfähigkeit oder die Ordnung des Betriebes gefährdet (RS0051888 [T3]).
[4] 4. Der arbeitsrechtliche Unverzüglichkeitsgrundsatz gilt auch für die Geltendmachung von Verfehlungen des Arbeitnehmers als personenbezogenen Rechtfertigungsgrund für eine Kündigung (RS0029273 [T20]). Es liegt nämlich auf der Hand, dass ein widriger Umstand, den der Arbeitgeber ohne Konsequenzen hingenommen hat, nicht viel später bei der Abwägung gegen wesentliche Interessen des Gekündigten auf einmal größeres Gewicht erlangen kann als ihm ursprünglich vom Arbeitgeber selbst beigemessen wurde (8 ObA 20/22g, Rz 4).
[5] Entscheidend dabei ist nun vor allem der Verständnishorizont des betroffenen Dienstnehmers. Für diesen muss das Verhalten des Dienstgebers gerechtfertigten Grund zur Annahme geben, dieser verzichte auf die Geltendmachung der Entlassungsgründe (hier: Kündigungsgründe), was dann regelmäßig nicht zutrifft, wenn das Zögern sachlich begründet ist und der Dienstgeber durch sein Verhalten nicht den Eindruck erweckt, er werde den Entlassungsgrund nicht wahrnehmen (RS0031799 [T25]).
[6] Vorläufige Maßnahmen, etwa die bis zur Klärung der tatsächlichen oder rechtlichen Lage vorgenommene Suspendierung eines Arbeitnehmers, können die Annahme eines Verzichts des Arbeitgebers auf die Ausübung des Kündigungs‑ oder Entlassungsrechts verhindern (RS0028987; RS0031587 [T13]).
[7] 5. Es ist außerdem Sache des Arbeitnehmers, einen Verzicht des Arbeitgebers auf das Entlassungsrecht (hier: personenbezogene Kündigungsgründe) zumindest implicite zu behaupten (RS0029249 [T1; vgl auch T15]). Der Arbeitnehmer ist für alle für den Untergang des Entlassungsrechts maßgeblichen Umstände behauptungspflichtig und beweispflichtig. Die Rechtzeitigkeit ist daher nicht von Amts wegen wahrzunehmen (RS0029249 [T5]).
[8] 6. Nach ständiger Rechtsprechung wirft die konkrete Abwägung der durch die Kündigung beeinträchtigten wesentlichen Interessen des gekündigten Arbeitnehmers gegen die vom Arbeitgeber nachgewiesenen personenbezogenen Kündigungsgründe iSd § 105 Abs 3 Z 2 lit a ArbVG wegen ihrer Einzelfallbezogenheit im Regelfall keine Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO auf (RS0051818 [T7, T8]).
[9] 7. Die Vorinstanzen sind zu dem Ergebnis gelangt, dass die Kündigung des Klägers dessen soziale Situation zwar beeinträchtigt, aber die Abwägung mit dem festgestellten personenbezogenen Kündigungsgrund zu Lasten des Arbeitnehmers ausschlägt. Diese Rechtsauffassung ist im Einzelfall nicht korrekturbedürftig.
[10] Zwar ist es richtig, dass auch die lange Betriebszugehörigkeit des Klägers und sein Alter zu berücksichtigen sind, allerdingsauch, dass der Kläger eine Leitungsfunktion innehat und damit seinem Verhalten gegenüber ihm unterstellten Mitarbeitern besonderes Gewicht zukommt. Weisungen mit einem Klappmesser in der Hand Nachdruck zu verleihen oder Probearbeitern mit Drohungen und mangelnder Unterstützung zu begegnen, ist ein Verhalten, dass vom Arbeitgeber auch bei langer Betriebszugehörigkeit nicht hingenommen werden muss.
[11] 8. Auf das Bekanntwerden dieser Vorfälle hat die Beklagte mit sofortiger Dienstfreistellung reagiert und auch klargestellt, dass das Arbeitsverhältnis keinesfalls fortgesetzt wird. Aufgrund der langen Betriebszugehörigkeit hat man dem Kläger aber die Möglichkeit geboten, eine andere Arbeitsstelle (insbesondere im Konzern) zu suchen, wobei dieses Entgegenkommen von vornherein befristet war. Der Kläger konnte daher nicht von einem Verzicht auf die Geltendmachung der personenbezogenen Kündigungsgründe ausgehen. Die Rechtsansicht des Berufungsgerichts, dass Derartiges in erster Instanz auch nicht geltend gemacht wurde, zieht der Revisionswerber nicht in Zweifel.
[12] 9. Die in der Revision zitierte Judikatur, dass eine Aufforderung zu pflichtgemäßem Verhalten vor Ausspruch einer Entlassung zu erfolgen hat, wenn der Arbeitgeber zuvor längere Zeit hindurch ein tatbestandmäßiges Verhalten des Arbeitnehmers widerspruchslos hinnimmt (RS0028859 [T1]), ist im vorliegenden Fall nicht anwendbar (8 ObA 20/22g, Rz 7 mH auf RS0065151). Eine Duldung des Verhaltens des Klägers über einen längeren Zeitraum hinweg lag nicht vor, vielmehr wurde auf Bekanntwerden der Vorfälle mit Dienstfreistellung reagiert.
[13] 10. Insgesamt gelingt es dem Kläger nicht das Vorliegen einer Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO aufzuzeigen. Die außerordentliche Revision des Klägers ist daher zurückzuweisen. Einer weiteren Begründung bedarf diese Zurückweisung nicht (§ 510 Abs 3 Satz 3 ZPO).
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)