OGH 9ObA7/25g

OGH9ObA7/25g19.3.2025

Der Oberste Gerichtshof hat als Rekursgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Mag. Ziegelbauer als Vorsitzenden, den Hofrat Dr. Hargassner und die Hofrätin Mag. Korn sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Johannes Pflug (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Nicolai Wohlmuth (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei * C*, vertreten durch Mag. Wolfgang Kleinhappel, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Republik Österreich, vertreten durch die Finanzprokuratur, Singerstraße 17–19, 1011 Wien, wegen Karenz, über die Rekurse der klagenden und der beklagten Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 27. November 2024, GZ 8 Ra 93/24s‑12, mit dem infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Arbeits‑ und Sozialgerichts Wien vom 9. Juli 2024, GZ 5 Cga 79/24h‑6, aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen und zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2025:009OBA00007.25G.0319.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Arbeitsrecht

Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)

 

Spruch:

 

Beiden Rekursen wird Folge gegeben.

Der Beschluss des Berufungsgerichts wird aufgehoben und in der Sache selbst dahin erkannt, dass die Entscheidung lautet:

„Das Klagebegehren, die beklagte Partei sei schuldig, der klagenden Partei für die im gemeinsamen Haushalt lebende und am * 2023 geborene * für den Zeitraum 1. März 2024 bis 28. November 2024 Pflegeelternkarenz nach § 15c MSchG zu gewähren, wird abgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 396,68 EUR (darin 9,60 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des Verfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.“

Die klagende Partei ist weiters schuldig, der beklagten Partei die mit 731,16 EUR bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens sowie die mit 1.004,24 EUR bestimmten Kosten des Rekursverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Entscheidungsgründe:

[1] Die Klägerin ist bei der Beklagten als Vertragsbedienstete beschäftigt. Mit Schreiben vom 8. 2. 2024 lehnte die Beklagte den Antrag der Klägerin vom 20. 12. 2023 auf Gewährung von Pflegeelternkarenz für die am * 2023 geborene * ab.

[2] Mit ihrer am 24. 5. 2024 eingebrachten Klage begehrt die Klägerin die Beklagte schuldig zu erkennen, ihr für die im gemeinsamen Haushalt lebende * für den Zeitraum 1. 3. 2024 bis 28. 11. 2024 Pflegeelternkarenz nach § 15c MSchG zu gewähren.

[3] Die Beklagte bestritt, beantragte Klagsabweisung und wandte ein, dass die Klägerin nicht als Pflegemutter im Sinne des MSchG anzusehen sei.

[4] Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt.

[5] Das Berufungsgericht gab der dagegen von der Beklagten erhobenen Berufung am 27. 11. 2024 Folge und hob das Ersturteil zur Verfahrensergänzung und neuerlichen Entscheidung auf.

[6] Das Berufungsgericht vertrat zusammengefasst die Auffassung, die Klägerin könne einen Karenzanspruch nach § 15c Abs 1 Z 2 MSchG haben, weil sie unter den Begriff „Pflegemutter“ im Sinne dieser Bestimmung falle. Sie habe aber nur einen Karenzanspruch ab der Übernahme in unentgeltliche Pflege nach § 15c Abs 2 Z 1 MSchG, wenn nicht auch die leibliche Mutter eine Karenz in Anspruch nehme oder genommen habe. Eine Teilung des Karenzanspruchs zwischen der (leiblichen) Mutter und einem Pflegeelternteil sei im Gesetz nicht vorgesehen. Dazu fehlten aber Feststellungen.

[7] Der Rekurs an den Obersten Gerichtshof sei zulässig, weil Rechtsprechung zur Frage fehle, ob von der Wortfolge „in unentgeltliche Pflege genommen“ im Sinne des § 15c Abs 1 Z 2 MSchG nur Kinder umfasst seien, die nicht in ihrer Ursprungsfamilie verbleiben konnten, sowie weiters zur Frage, ob eine Teilung der Karenz zwischen einem leiblichen Elternteil und einem Pflegeelternteil nach dem MSchG möglich sei.

[8] Gegen den Aufhebungsbeschluss des Berufungsgerichts richten sich die Rekurse beider Parteien. Die Klägerin strebt die Wiederherstellung des klagestattgebenden Ersturteils an, die Beklagte beantragt die Aufhebung des Beschlusses und Abweisung des Klagebegehrens.

[9] In ihren Rekursbeantwortungen beantragen beide Parteien, dem Rekurs der Gegnerin nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[10] Beide Rekurse sind zulässig und auch insoweit berechtigt, als zufolge Spruchreife bereits endgültig über das Klagebegehren meritorisch entschieden werden kann, allerdings – im Ergebnis – klageabweisend, daher im Sinne des Rekursbegehrens der Beklagten. Dies aus folgenden Erwägungen:

[11] 1. Der Oberste Gerichtshof kann gemäß § 519 Abs 2 letzter Satz ZPO über einen Rekurs gegen einen Aufhebungsbeschluss des Berufungsgerichts nach § 519 Abs 1 Z 2 ZPO durch Urteil in der Sache selbst erkennen, wenn die Sache zur Entscheidung reif ist, wobei diese Entscheidung auch zum Nachteil des Rekurswerbers ausfallen kann. Eine derartige Sachentscheidung des Obersten Gerichtshofs verstößt nicht gegen das Verschlechterungsverbot (RS0043853; RS0043939; RS0043903).

[12] 2. Das Bestehen eines Rechtsschutzbedürfnisses ist Voraussetzung für die gerichtliche Geltendmachung jedes Anspruchs (RS0038062). Dies gilt auch für Leistungsklagen (RS0038011). Fehlt das Rechtsschutzbedürfnis, ist die Klage als unbegründet abzuweisen (RS0038062 [T2]).

[13] 3. Nach der Rechtsprechung fehlt es dem Kläger an einem Rechtsschutzbedürfnis, wenn der Zeitraum, für den ein Leistungsbegehren erhoben wird, in der Vergangenheit liegt, sodass die Beklagte diesem Begehren nicht mehr entsprechen könnte (RS0100003; insb 9 ObA 2091/96g betreffend das Begehren auf Pflegefreistellung für einen in der Vergangenheit liegenden Zeitraum). In diesem Fall käme der Entscheidung nur mehr theoretisch-abstrakte Bedeutung zu. Es ist aber nicht Aufgabe der Rechtsmittelinstanzen, über bloß theoretisch bedeutsame Fragen abzusprechen (vgl RS0002495).

[14] 4. Da hier der Zeitraum für den die Klägerin die Gewährung der Karenz begehrt, bereits zum Zeitpunkt dieser Entscheidung in der Vergangenheit liegt, könnte die Beklagte diesem Begehren auch bei Klagsstattgabe im zweiten Rechtsgang nicht mehr entsprechen. Das Begehren wäre auch nicht vollstreckbar, weshalb der Klägerin ein Rechtsschutzanspruch für dieses Begehren fehlt (vgl 9 ObA 2091/96g).

[15] 5. Infolge Spruchreife ist den Rekursen Folge zu geben und in der Sache selbst das Klagebegehren abzuweisen.

[16] Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41, 50 ZPO. Auch im Rekursverfahren vor dem Obersten Gerichtshof ist die Klägerin im Ergebnis als unterlegen anzusehen, weil endgültig in der Sache selbst im klageabweisenden Sinn entschieden wurde (vgl 7 Ob 88/23a [Rz 20]).

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