OGH 10ObS101/24m

OGH10ObS101/24m18.3.2025

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Nowotny als Vorsitzenden, die Hofräte Mag. Schober und Dr. Annerl sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Markus Schrottmeyer (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und FI Veronika Bogojevic (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei E*, vertreten durch Mag. German Storch, Mag. Rainer Storch, Rechtsanwälte in Linz, gegen die beklagte Partei Österreichische Gesundheitskasse, 1100 Wien, Wienerbergstraße 15–19, vertreten durch die Schmidt Pirker Podoschek Rechtsanwälte OG in Wien, wegen Kostenerstattung, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 18. Juli 2024, GZ 12 Rs 70/24 m‑14, mit dem das Urteil des Landesgerichts Linz als Arbeits- und Sozialgericht vom 2. Februar 2024, GZ 36 Cgs 88/23i‑8, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2025:010OBS00101.24M.0318.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Sozialrecht

Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)

 

Spruch:

 

Der Revision wird teilweise Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass das Urteil unter Einschluss des bereits in Rechtskraft erwachsenen Teils zu lauten hat:

„Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei eine Kostenerstattung für die Durchführung einer MR Untersuchung in der Privatpraxis MR *, laut Honorarnote Nr. 2/230379 vom 27. April 2023 in Höhe von 128,13 EUR zu leisten .

Das Mehrbegehren, die beklagte Partei sei schuldig, der klagenden Partei weitere 231,87 EUR an Kostenerstattung zu zahlen, wird abgewiesen.“

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 223,92 EUR (darin 37,32 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Entscheidungsgründe:

[1] Am 25. April 2023 wurde die in Pasching wohnhafte Klägerin wegen schlechter Pancreas-Werte im Blut von einem Internisten an ein radiologisches Institut in Linz zur Durchführung einer MR-Untersuchung überwiesen. Als Grund wurde darin festgehalten: „Erhöhte Pancreas-Enzyme u[nd] Cholecystolithiasis – Pancreas u[nd] Cholangio MR erbeten“. Eine besondere Dringlichkeit der Untersuchung wurde auf der Überweisung nicht vermerkt.

[2] Der Klägerin war allerdings bewusst und bekannt, dass Erkrankungen der Bauchspeicheldrüse sehr gefährlich sind, weshalb ihr Gatte umgehend sowohl beim überwiesenen als auch einem weiteren radiologischen Institut in Linz wegen eines Termins anrief. Bei beiden Instituten erhielt er die Auskunft, dass vor zwei bis zweieinhalb Monaten kein Termin frei sei. Der Hinweis, es sei dringend, änderte daran ebenso wenig etwas wie die Frage, ob es nicht möglich sei, einen früheren Termin zu bekommen. Beim dritten radiologischen Institut in Linz erhielt der Gatte der Klägerin die gleiche Auskunft. Von den Mitarbeitern der Institute wurde er nicht darauf hingewiesen, allenfalls nochmals Rücksprache mit dem zuweisenden Arzt zu halten, der eine besondere Dringlichkeit vermerken solle.

[3] Die Klägerin nahm daher Kontakt zu einem radiologischen Institut in Traun auf, bei dem sie schon am 27. April 2023 einen Termin für die MR-Untersuchung erhielt und die Untersuchung durchführen ließ. Für die Untersuchung zahlte sie 360 EUR.

[4] Zwei bis drei Stunden nach der Untersuchung wurde sie vom Radiologen des Instituts angerufen, dass eine Operation notwendig sei; am nächsten Tag suchte die Klägerin die Notaufnahme eines Krankenhauses auf. Im Mai 2023 wurde ein Pankreaskarzinom diagnostiziert, die Klägerin am 14. Juni 2023 operiert und am 13. Juli 2023 mit einer Chemotherapie begonnen.

[5] Im Großgeräteplan für Oberösterreich sind insgesamt 23 MR‑Geräte aufgelistet, acht davon im extramuralen Bereich. Davon befinden sich jeweils ein Gerät in Braunau, Gmunden, Ried im Innkreis, Steyr und Wels sowie drei Geräte bei den von der Klägerin kontaktierten Instituten in Linz. Das von der Klägerin in Anspruch genommene Institut in Traun steht dagegen nicht in einem Vertragsverhältnis zur Beklagten. Das dort eingesetzte MR‑Gerät ist auch nicht im Großgeräteplan für Oberösterreich enthalten.

[6] In der 7. Zusatzvereinbarung zum Gesamtvertrag für CT und MR ab 2017 (künftig kurz: 7. Zusatzvereinbarung) ist unter anderem Folgendes geregelt:

„1. Die Anspruchsberechtigten erhalten für MR‑Untersuchungen maximal binnen 20 Arbeitstagen (MO – FR) einen Untersuchungstermin im Institut als Sachleistung angeboten. Innerhalb dieser Frist erfolgt die Terminvereinbarung nach der Dringlichkeit der Untersuchung: In Akutfällen erhält der Anspruchsberechtigte umgehend einen Termin. In dringenden Fällen erhält der Anspruchsberechtigte innerhalb von 5 Arbeitstagen einen Termin als Sachleistung angeboten. Die Dringlichkeit ist grundsätzlich vom Zuweiser nachvollziehbar zu begründen, zu dokumentieren und direkt dem Radiologen darzulegen; die Entscheidung über die Vergabe eines dringenden Untersuchungstermins wird im Konsens zwischen Zuweiser und Radiologen des Instituts getroffen.

2. Für den Ausnahmefall, dass zB durch vorübergehende Ausfälle im Institut diese Fristen nicht eingehalten werden können, wird der Anspruchsberechtigte über seinen Wunsch vom Institut angemessen dabei unterstützt, dass er bei anderen Instituten in der Umgebung rechtzeitig einen Termin vereinbaren kann.“

[7] Mit Bescheid vom 7. August 2023 lehnte die Beklagte den Antrag der Klägerin, ihr die Kosten für die durchgeführte MR-Untersuchung zu erstatten, ab.

[8] Mit ihrer Klage begehrt die Klägerin die (volle) Erstattung der Kosten der MR‑Untersuchung. Angesichts der Wartezeit bei den drei Vertragsinstituten in Linz wäre es ihr nicht möglich gewesen, die aufgrund ihrer Krebserkrankung erforderliche rasche Krankenbehandlung zu erhalten, sodass sie Anspruch auf Erstattung der (Wahlarzt‑)Kosten habe. Ein Versicherter müsse sich auch darauf verlassen können, dass der Radiologe bei Vorliegen einer entsprechenden Diagnose des überweisenden Arztes von sich aus einen rechtzeitigen Termin vorschlage. Wenn die Beklagte verlange, dass sich der Versicherte an den überweisenden Arzt wende, damit dieser die Überweisung bzw Zuweisungsdiagnose ändere, wälze sie ihre Organisationsverantwortung auf die Patienten ab.

[9] Die Beklagte wandte ein, das MR‑Gerät in Traun sei nicht in den für Oberösterreich gültigen Großgeräteplan aufgenommen, weshalb eine Kostenerstattung ausgeschlossen sei. Die von der Klägerin angegebene Wartezeit bei den aufgrund ihres Wohnorts in Frage kommenden drei Instituten in Linz seien nicht nachvollziehbar, weil diese nach den von ihr laufend evaluierten Daten maximal zwischen 19 und 20 Werktagen betrage.

[10] Das Erstgerichtgab der Klage statt. Zwar bestehe grundsätzlich kein Anspruch auf Kostenerstattung, wenn der Versicherte eine MR-Untersuchung durch einen Wahlarzt und nicht durch eine vom Versicherungsträger dafür ausschließlich vorgesehene Vertragseinrichtung vornehmen lasse. Das ändere aber nichts daran, dass die Krankenversicherungsträger die medizinische Versorgung durch entsprechende Maßnahmen sicherstellen müssten. Die Beklagte habe zwar organisatorische Maßnahmen ergriffen, um dieser Pflicht Rechnung zu tragen, indem sie auf eine Reihung der Patienten nach Dringlichkeit hinwirke und die tatsächlichen Wartezeiten auch regelmäßig evaluiere. Die von ihr vorgesehene Frist von längstens 20 Werktagen sei im Anlassfall aber nicht angeboten worden, sodass die Klägerin berechtigt einen Wahlarzt konsultiert habe. Dass sie nicht von sich aus, also ohne dahingehenden Hinweis der von ihr kontaktierten drei Institute nochmals Rücksprache mit dem überweisenden Arzt gehalten habe, könne der Klägerin nicht vorgeworfen werden; dass es sich – subjektiv – um eine dringende Untersuchung handle, habe sie ohnedies kundgetan. Dem Klagebegehren sei daher in vollem Umfang stattzugeben.

[11] Das Berufungsgericht änderte das Ersturteil dahin ab, dass es der Klägerin nur einen Betrag von 320,32 EUR zuerkannte. Es treffe zu, dass für Leistungen mit Großgeräten, die nicht in den entsprechenden Großgeräteplänen enthalten seien, keine Kostenerstattung gebühre. Wenn aber keines der drei in Frage kommenden Institute (in Linz) die Zeitvorgaben der 7. Zusatzvereinbarung einhalten könne, deute das auf ein lückenhaftes Steuerungsinstrument hin. Auf ein solches könne die Beklagte ihre Weigerung zur Kostenerstattung aber nicht stützen, weil sie damit den Anspruch der Klägerin, zeitgerecht bzw innerhalb der vorgesehenen Wartezeit eine ausreichende und zweckmäßige Krankenbehandlung zu erhalten, in einer unzulässigen Weise einschränke. Die Klägerin habe daher einen Anspruch auf Kostenerstattung nach § 131 ASVG, der sich aber nicht nach dessen Abs 1 sondern Abs 3 richte. Angesichts des unstrittigen Vertragstarifs des Jahres 2023 von 160,16 EUR für eine MR‑Untersuchung stehe der Klägerin daher (gemäß § 25 der Satzung der Beklagten) der doppelte Betrag zu.

[12] Das Berufungsgericht ließ die Revision zu, weil zur Frage, ob im Fall der Verletzung der Wartezeitregelung der 7. Zusatzvereinbarung ein Anspruch auf Kostenerstattung bestehe, noch keine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs vorliege.

[13] Dagegen richtet sich die Revision der Beklagten mit dem Antrag, die Klage zur Gänze abzuweisen. Hilfsweise stellt sie auch Aufhebungsanträge.

[14] Die Klägerin begehrt, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[15] Die Revision ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig. Sie ist teilweise auch berechtigt.

[16] 1. Die Beklagte stellt nicht in Abrede, dass bei objektiv diagnostizierbaren Symptomen ein Anspruch auf Krankenbehandlung in Form der Klärung des Verdachts besteht (RS0127741; RS0124508) und die hier durchgeführte MR-Untersuchung iSd § 133 Abs 2 ASVG sowohl zweckmäßig war als auch das Maß des Notwendigen nicht überschritten hat (vgl RS0106240; RS0083817). Das ist der weiteren Betrachtung zugrundezulegen.

[17] 2. Die gesetzliche Krankenversicherung beruht zwar grundsätzlich auf dem Sachleistungsprinzip (§ 133 Abs 2 ASVG; RS0115953; 10 ObS 168/21k Rz 8; Schrammel in Tomandl/Felten, System, 5.3.1.2. [564] ua), bei dem der Sozialversicherungsträger dem Versicherten die Heilbehandlung entweder über eigene Einrichtungen oder über seine Vertragspartner, mit denen er die Kosten direkt verrechnet, verschafft (10 ObS 78/09g ErwGr 3.; 10 ObS 53/04y ua). Der Versicherte ist aber nicht verpflichtet, in erster Linie vom System der Vertragsärzte (Vertragseinrichtungen) Gebrauch zu machen. Er hat auch die Möglichkeit, die Leistung eines von ihm gewählten Arztes in Anspruch zu nehmen, der nicht in einer Rechtsbeziehung mit dem Krankenversicherungsträger steht (RS0084811; 10 ObS 23/22p Rz 11 ua). Wie sich aus § 135 Abs 1 ASVG ergibt, hat er unter den dort genannten Möglichkeiten die freie Wahl („freie Arztwahl“; RS0083886; Felten in Mosler/Müller/Pfeil, SV‑Komm § 135 ASVG Rz 17). Die freie Arztwahl ist daher der Regelfall. Sie kann zwar durchaus beschränkt werden (VfGH G 24/98 ua = VfSlg 15.787/2000 [ErwGr B.1.1.3.]). Für eine Ausnahme vom Grundprinzip bedarf es aber einer sachlichen Rechtfertigung (Felten in Tomandl, System, 2.2.3.2.1.C. [214 f]).

[18] 3. Die Parteien ziehen nicht in Zweifel, dass eine solche für Untersuchungen mit Großgeräten wie etwa MR oder CT grundsätzlich gegeben ist.

[19] 3.1. Denn nach der ständigen Rechtsprechung kommt ein Anspruch des Versicherten auf Kostenerstattung gegenüber dem Krankenversicherungsträger für die ärztliche Hilfe durch einen Wahlarzt dann nicht in Betracht, wenn die Leistungserbringung (hier:) durch einen Großgeräteplan auf gewisse Vertragsärzte bzw -institute eingeschränkt wird. Dies wird damit begründet, dass sich die Versicherungsträger gemäß § 338 Abs 2a ASVG beim Abschluss von Verträgen nach Abs 1 an den von der Bundes‑Zielsteuerungskommission im Rahmen des Österreichischen Strukturplan Gesundheit beschlossenen Großgeräteplans zu halten haben und Verträge, die dem widersprechen, ungültig sind. Darf daher ein Vertragsfacharzt für Radiologie aufgrund gesamtvertraglicher Verrechnungsbeschränkungen eine MR‑Untersuchung mit dem Krankenversicherungsträger nicht verrechnen, besteht auch für einen Versicherten, der eine solche Untersuchung bei einem Wahlfacharzt (für Radiologie) in Anspruch nimmt, kein Anspruch auf Kostenerstattung (RS0111711; 10 ObS 79/10f; Kletter/Seyfried in Sonntag, ASVG15 § 338 Rz 25; Mosler in Mosler/Müller/Pfeil, SV‑Komm § 131 ASVG Rz 5 und § 349 Rz 20; Felten in SV‑Komm § 135 Rz 20 ua).

[20] 3.2. Das dient vorwiegend dazu, die flächendeckende medizinische Versorgung im Hinblick auf Qualität und Wirtschaftlichkeit zu steuern: Den verrechnungsberechtigten Ärzten soll die Rentabilität ihrer Anschaffungen gesichert und es zugleich erschwert werden, dass sich möglichst viele Ärzte möglichst viele Geräte anschaffen, die sich dann rentieren müssen (10 ObS 6/99a; 10 ObS 365/98v ua). Im Zusammenhalt damit, dass bei Diagnoseverfahren mittels Großgeräten das besondere Vertrauensverhältnis zu einem bestimmten Arzt nicht so ausgeprägt ist wie sonst, ist es gerechtfertigt, den Grundsatz der freien Arztwahl aufgrund dieser technisch-wirtschaftlichen Gesichtspunkte einzuschränken (RS0112202; ausführlich:Mosler, Die freie Arztwahl in der Krankenversicherung, DRdA 2015, 139 [Pkt 5.3.]).

[21] 4. Darauf aufbauend argumentiert die Beklagte im Wesentlichen, dass § 4 der ÖSG VO 2024 die Festlegungen zum Großgeräteplan als verbindlich erklärt habe und sie daran gebunden sei. Sollte es daher zu unvorhergesehenen längeren Wartezeiten kommen, sei der Großgeräteplan anzupassen oder weitere Maßnahmen zu deren Verkürzung zu ergreifen, aber nicht den Versicherten einen Anspruch auf Kostenerstattung einzuräumen, andernfalls würde der Großgeräteplan ad absurdum geführt und jede Planung verunmöglicht.

[22] 5. Dem ist nicht zu folgen.

[23] 5.1. Soweit sich die Beklagte auf die bisher erlassenen ÖSG Verordnungen beruft, geht sie zwar davon aus, dass diese für Dritte wie Leistungsanbieter und ihre Berufsvertretungen verbindlich seien. Dass dadurch der Krankenbehandlungsanspruch des Versicherten eingeschränkt wird, behauptet sie aber nicht; dies lässt sich auch aus § 4 ÖSG VO (derzeit) 2024, der die (überregionale) Gesundheitsplanung im Fokus hat und nicht die (Sachleistungs-)Ansprüche der Versicherten regelt, nicht ableiten. Dies entspricht auch der ständigen Rechtsprechung zu anderen Steuerungsinstrumenten mit Verordnungscharakter, wie etwa die Richtlinien über die ökonomische Verschreibweise von Heilmitteln und Heilbehelfen (RÖV; vgl RS0083806; RS0083801) oder über die ökonomische Krankenbehandlung (RÖK; vgl 10 ObS 10/01w; 10 ObS 315/00x).

[24] 5.2. Der Oberste Gerichtshof hat im Zusammenhang mit Untersuchungen mittels Großgeräten auch schon klargestellt, dass der Grundsatz der freien Arztwahl (nur)dannnicht unzulässig eingeschränkt wird, wenn der Versicherte die Möglichkeit hat, entweder die Leistung als Sachleistung bei den zur Verrechnung befugten Vertragsärzten bzw -instituten in Anspruch zu nehmen oder die Leistung von Wahlärzten gegen Kostenerstattung durchführen zu lassen (10 ObS 79/10f). Wie schon das Berufungsgericht zu Recht betont hat, ist die Einschränkung aber nicht gerechtfertigt, wenn der Versicherte – wie hier –für einenotwendige und zweckmäßige Krankenbehandlung bei einer im Großgeräteplan enthaltenen Einrichtungnicht mehr vertretbare Wartezeiten in Kauf nehmen müsste. Denn in dieser Situation steht ihm die iSd § 133 Abs 2 ASVG notwendige Sachleistung (faktisch) nicht zur Verfügung, sodass ihm im Gegenzug die Konsultation eines Wahlarztes gegen Erstattung der Kosten offen stehen muss. Auf die (etwaige) künftige Anpassung des Großgeräteplans kann er in diesem Fall nicht verwiesen werden (vgl 10 ObS 3/18s ErwGr 8.; in diesem Sinn auch Felten, Zur Unbeachtlichkeit des Großgeräteplans im „kassenfreien Raum“, DRdA 2019/9 [Punkt 4.]).

[25] 5.3. Entgegen der Ansicht der Beklagten bedeutet das weder ein generelles Zunichtemachen der Planung und Steuerung im Gesundheitswesen noch das Aushöhlen einer volkswirtschaftlich notwendigen Beschränkung. Vielmehr liegt (nur) in dieser Konstellation die für die Ausnahme vom Grundsatz der freien Arztwahl notwendige Voraussetzung, dass die Sachleistung bei einem zur Verrechnung befugten Vertragsarzt innerhalb angemessener Zeit auch in Anspruch genommen werden kann, nicht vor. Mit Blick auf die Ziele der Verrechnungsbeschränkung (oben 3.) ist dabei jener Zeitraum als angemessen anzusehen, der den Vorgaben der Beklagten in der 7. Zusatzvereinbarung entspricht. Dem Versicherten sowohl eine insofern zeitgerechte Inanspruchnahme der Sachleistung als auch den Kostenerstattungsanspruch für die nur deswegen erfolgte Konsultation eines Wahlfacharztes zu versagen, ist mit den ansonsten tragfähigen technisch-wirtschaftlichen Überlegungen nicht zu rechtfertigen (vgl Schober in Sonntag, ASVG15 § 131 Rz 11). Jede andere Sicht hieße im Ergebnis, in dieser Situation den Anspruch auf eine (zweckmäßige und) notwendige Krankenbehandlung ganz zu verwehren.

[26] 6. Auch die weiteren Argumente der Beklagten sind nicht stichhältig:

[27] 6.1. Soweit sie eine Prüfung vermisst, ob auch bei Inanspruchnahme der Vertragsinstitute in Wels und Steyr Wartezeiten aufgetreten wären, übergeht sie, dass sie in erster Instanz aufgrund des Wohnorts der Klägerin selbst (nur) die von ihr kontaktierten Institute in Linz in Betracht gezogen hat. Diesen Umstand haben die Vorinstanzen daher zu Recht ohne Weiteres ihrer Entscheidung zugrunde gelegt (RS0039949; RS0040110 [T1]).

[28] 6.2. Auf eine (vom Erstgericht verneinte) Pflicht der Klägerin, zur Terminfindung von sich aus Rücksprache mit dem behandelnden Internisten zu halten, hat sich die Beklagte in ihrer Berufung nicht gestützt. Die insofern unterlassene Rechtsrüge kann sie daher nicht mehr nachtragen (vgl RS0043573 [T33, T42]; RS0043480 [T22]).

[29] 7. Wenn die Vorinstanzen unter den gegebenen Voraussetzungen daher den Anspruch auf Kostenerstattung grundsätzlich bejahen, entspricht das der Rechtslage. Die Klägerin bestreitet auch nicht (mehr), dass ihr Anspruch den Beschränkungen des § 131 ASVG unterworfen ist. Soweit das Berufungsgericht diesen aber nach § 131 Abs 3 ASVG anstatt nach § 131 Abs 1 ASVG bemisst, ist ihm nicht zu folgen.

[30] 7.1. Gemäß § 131 Abs 3 ASVG kann der Versicherte den nächsterreichbaren Arzt in Anspruch nehmen, falls ein Vertragsarzt die notwendige Hilfe nicht rechtzeitig leisten kann. Der Versicherungsträger hat in solchen Fällen für die dem Versicherten tatsächlich erwachsenen Kosten den in der Satzung festgesetzten Ersatz (gemäß § 25 Abs 1 der Satzung der Beklagten bis zur Höhe der doppelten Tarifsätze) zu leisten.

[31] 7.2. Diese Regelung geht auf die Stammfassung des ASVG (BGBl 1955/189) zurück. Was unter „notwendiger Hilfe“ zu verstehen ist, definiert das Gesetz zwar nicht. Auch die Gesetzesmaterialien (ErläutRV Zu 599 BlgNR 7. GP  53 sowie Bericht des Ausschusses für Soziales 613 BlgNR 7. GP  16) begründen die Regelung nicht näher. Aus dem Abstellen auf eine „plötzliche“ Erkrankung und eine „nicht rechtzeitige“ Hilfe ergibt sich aber die Intention, Fälle mit hoher zeitlicher Dringlichkeit, also (medizinische) Notfälle zu erfassen. Auch Rechtsprechung und Lehre gehen davon aus, dass § 131 Abs 3 ASVG in erster Linie auf erste Hilfeleistungen abzielt (vgl 10 ObS 71/11f; Mosler inSV‑Komm § 131 ASVG Rz 15; Felten, System, 2.2.3.2.1.F. [223] ua). Die vom Berufungsgericht vorgenommene, auf Judikatur des damaligen Schiedsgerichts Wien zurückgehende Abgrenzung danach, ob durch die in Anspruch genommene Maßnahme ein besserer Heilungserfolg in Aussicht stand (vgl Felten, System, 2.2.3.2.1.F. [Fn 66]), wird dem nicht gerecht. Ob das der Fall ist, nähert sich nämlich der Prüfung der Zweckmäßigkeit und Notwendigkeit der Heilbehandlung an und stellt nicht (ausreichend) auf den primär maßgeblichen zeitlichen Faktor ab.

[32] 7.3. Bei der gebotenen Betrachtung ex ante (vgl RS0117777 [T2]; 10 ObS 57/16d ErwGr 5. ua) lässt sich hier aus den Feststellungen die notwendige besondere Dringlichkeit nicht ableiten. Die besondere Eile ist nämlich auf den Behandlungsschritt, für den Ersatz nach § 131 Abs 3 ASVG begehrt wird, und nicht die Krankenbehandlung insgesamt bezogen. Es kommt im Anlassfall daher nicht darauf an, ob ein Pankreaskarzinom grundsätzlich rasch behandelt werden soll. Entscheidend ist vielmehr, ob die MR-Untersuchung eine „Notfallmaßnahme“ respektive einen Akutfall im Sinn der 7. Zusatzvereinbarung darstellt. Das ist zu verneinen, weil weder der überweisende Internist noch der Wahlarzt einen solchen angenommen haben; die MR‑Untersuchung in Traun erfolgte auch nicht umgehend (akut), sondern „erst“ zwei Tage nach der Überweisung. Die Klägerin hat einen Not- bzw Akutfall auch im gesamten Verfahren nicht behauptet.

8. Zusammenfassend lässt sich daher folgender Rechtssatz formulieren:

[33] Kann der Versicherungsträger die primär geschuldete Sachleistung (§ 133 Abs 2 ASVG) nicht innerhalb der Fristen der 7. Zusatzvereinbarung zum Gesamtvertrag für CT und MR ab 2017 (20 Arbeitstage, in dringenden Fällen 5 Arbeitstage und in Akutfällen umgehend) erbringen und nimmt der Versicherte deswegen die Leistungen eines Wahlfacharztes für Radiologie in Anspruch, so steht ihm ein Anspruch auf Kostenerstattung nach § 131 ASVG zu. Dessen Höhe richtet sich grundsätzlich nach § 131 Abs 1 ASVG und nur in akuten Notfällen nach § 131 Abs 3 ASVG.

[34] 9. Im Anlassfall bedeutet das, dass die Klägerin aufgrund der unangemessen langen Wartezeiten bei den verrechnungsbefugten Ärzten zwar einen Anspruch auf Kostenerstattung nach § 131 Abs 1 ASVG hat. Ein Erstattungsanspruch nach § 131 Abs 3 ASVG scheidet mangels eines Not- bzw Akutfalls jedoch aus.

[35] Der Klägerin stehen daher 80 % des unstrittigen Vertragstarifs für das Jahr 2023 von 160,16 EUR und damit 128,13 EUR zu. In teilweiser Stattgabe der Revision ist die Beklagte daher auch nur zur Kostenerstattung in dieser Höhe zu verpflichten.

[36] 10. Im Verfahren erster und zweiter Instanz wurden keine Kosten verzeichnet. Die Kostenentscheidung im Revisionsverfahren beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit a ASGG.

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