OGH 10ObS12/25z

OGH10ObS12/25z18.3.2025

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Nowotny als Vorsitzenden, die Hofräte Mag. Schober und Dr. Annerl sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Markus Schrottmeyer und Mag. Michael Mutz (beide aus dem Kreis der Arbeitgeber) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei W*, vertreten durch Dr. Robert Galler, Rechtsanwalt in Salzburg, gegen die beklagte Partei Sozialversicherungsanstalt der Selbständigen, 1051 Wien, Wiedner Hauptstraße 84–86, wegen Unterstützungsleistung bei lang andauernder Krankheit, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 16. Dezember 2024, GZ 12 Rs 113/24 k-16, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2025:010OBS00012.25Z.0318.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Sozialrecht

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

[1] 1. Die Prüfung der Frage, ob eine schuldhafte Meldepflichtverletzung vorliegt, ist als Ermessensentscheidung immer von den Umständen des jeweiligen Einzelfalls abhängig (vgl 10 ObS 60/18y ErwGr 1.2; 10 ObS 73/11z ErwGr II.2. ua) und könnte daher nur im Fall einer groben Überschreitung des Ermessensrahmens eine Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO begründen (RS0044088; RS0007104; RS0110702). Einen solchen eklatanten Fehler bei der Ermessensausübung zeigt die Revision nicht auf.

[2] 2. Gemäß § 104a Abs 3 Satz 3 GSVG ist der Fortbestand der Arbeitsunfähigkeit vom behandelnden Arzt vierzehntägig bestätigen zu lassen und innerhalb einer Woche ab Bestätigung dem Versicherungsträger vorzulegen. Solange dieser Meldeverpflichtung nicht nachgekommen wird, ruht gemäß § 104b Abs 1 GSVG der Anspruch auf Unterstützungsleistung bei lang andauernder Krankheit. Nach § 104b Abs 2 GSVG iVm § 33 Abs 1 der Satzung der Beklagten wird die Unterstützungsleistung aber für die zurückliegende Zeit (dennoch) gewährt, wenn persönliche Verhältnisse des Versicherten oder besondere Gründe die nicht rechtzeitige Meldung gerechtfertigt erscheinen lassen.

[3] Die Bestimmung des § 104b GSVG sieht daher – so wie die Parallelbestimmung des § 143 Abs 2 ASVG – ein Regel-Ausnahme-Verhältnis vor: An die Verletzung der Meldepflicht knüpft prinzipiell das Ruhen des Anspruchs. Davon wird nur ausnahmsweise aus „besonderen Gründen“ das heißt in Fällen abgesehen, die Ausnahmecharakter haben (vgl Drs in Mosler/Müller/Pfeil, SV‑Komm § 143 ASVG Rz 6; sowie die Beispiele vonNeumann/Mäder in Neumann, GSVG für Steuerberater3 § 104b Rz 10 und Kuhn/Tritremmel in Brameshuber/Aubauer/Rosenmayr‑Khoshideh, SVS‑ON § 104b GSVG Rz 11).

[4] 3. Im Anlassfall bestätigte die Beklagte mit einem ersten Schreiben (vom 16. Oktober 2023) das Einlangen der Krankmeldung des Klägers und wies ihn auf die Pflicht des § 104a Abs 3 Satz 3 GSVG hin. Zudem übermittelte sie dem Kläger zweimal ein Formular, mit dem er seine weiter fortdauernde Krankheit melden sollte. Am 25. Oktober 2023 und 13. November 2023 retournierte der Kläger jeweils das ausgefüllte und unterfertigte Formular an die Beklagte. Weitere Fortsetzungsmeldungen nahm er nicht mehr vor; die Beklagte übermittelte ihm auch keine Formulare mehr. Am 21. November 2023 unterzog sich der Kläger einem stationär durchgeführten operativen Eingriff. Am 16. Jänner 2024 meldete er erneut seine Arbeitsunfähigkeit.

[5] 4. Wenn die Vorinstanzen aus diesem Sachverhalt ableiten, es lägen keine besonderen Gründe iSd § 104b Abs 2 GSVG (iVm § 33 Abs 1 der Satzung der Beklagten) vor, die das Ruhen der Unterstützungsleistung bei lang andauernder Krankheit für den im Verfahren strittigen Zeitraum von 24. November 2023 bis 15. Jänner 2024 verhindern könnten, bedarf das keiner Korrektur im Einzelfall.

[6] 4.1. Die behauptete Unkenntnis der gesetzlichen Bestimmungen kann eine unterlassene Meldung in der Regel nicht entschuldigen, weil nach § 2 ABGB jedermann verpflichtet ist, sich Kenntnis von den ihn betreffenden Gesetzen zu verschaffen (RS0013253). Abgesehen davon, dass bei der Beurteilung, ob die Kenntnis einer bestimmten Vorschrift im Einzelfall zumutbar ist (vgl dazu RS0118363), ein strenger Maßstab anzulegen ist (RS0008663), wurde der Kläger auf die Meldepflicht des § 104a Abs 3 Satz 3 GSVG wiederholt hingewiesen (vgl RS0083641 [T3]).

[7] 4.2. Nach der ständigen Rechtsprechung wird eine Meldepflicht auch nicht allein deshalb aufgehoben, weil dem Versicherungsträger der zu meldende Sachverhalt schon bekannt ist. Nur wenn aus besonderen Gründen die Annahme gerechtfertigt ist, dass die Meldung auf das Vorgehen des Versicherungsträgers keinen Einfluss haben würde, muss dem Meldepflichtigen zugebilligt werden, dass er eine Meldung für völlig bedeutungslos hält und daher davon ausgehen darf, hiezu nicht mehr verpflichtet zu sein (vgl RS0083623). Das trifft hier nicht zu.

[8] 4.2.1. In der der ersten Fortsetzungsmeldung (vom 25. Oktober 2023) beigelegten ärztlichen Bestätigung wurde zwar die voraussichtliche Dauer der Arbeitsunfähigkeit mit 29. Dezember 2023 angegeben. Die Beklagte hat dem Kläger allerdings trotzdem ein weiteres Formular für eine erneute Fortsetzungsmeldung übermittelt; zudem wurde in der folgenden (der Fortsetzungsmeldung vom 13. November 2023 angeschlossenen) ärztlichen Bestätigung die Arbeitsunfähigkeit nur mehr „b[is] a[uf] Weiteres“, also für eine unbekannte Dauer bestätigt. Warum er ungeachtet dieser Umstände berechtigt davon ausgehen habe dürfen, die Beklagte erachteweitere Fortsetzungsmeldungen (zumindest) bis 29. Dezember 2023 für nicht notwendig, klärt der Kläger nicht stichhältig auf.

[9] 4.2.2. Ebenso wenig legt er dar, dass und warum für alle Beteiligten offensichtlich gewesen sein soll, sein Krankenstand werde zeitlich über den Operationstermin hinausgehen. Selbst wenn der Operationstermin der Beklagten bekannt gewesen sein sollte – was nicht feststeht –, ist nicht zu sehen, warum der Kläger deswegen begründet annehmen durfte, weitere Fortsetzungsmeldungen würden auf das Vorgehen der Beklagten keinen Einfluss haben.

[10] 4.2.3. Eine Überschreitung des Ermessensrahmensliegt auch nicht darin, dass die Vorinstanzen weder im Ausbleiben der Übermittlung weiterer Formulare an den Kläger noch insgesamt, also in der Kombination aller bisher genannten Umstände, einen besonderen Grund iSd § 104b Abs 2 GSVG erkannt haben.

[11] 5. Sofern der Kläger die unterlassene Behandlung seiner Beweisrüge als Mangel des Berufungsverfahrens (vgl RS0043086 [T13]; RS0043144 [T1, T2]; RS0043371 [T23]) geltend machen will, schadet zwar die unrichtige Bezeichnung des Revisionsgrundes nicht (RS0041851). Der Mangel liegt aber nicht vor, weil die Erledigung der Beweisrüge durch das Berufungsgericht unterbleiben kann, wenn der vom Erstgericht festgestellte Sachverhalt und der davon abweichende, von der Beweisrüge angestrebte Sachverhalt – wie hier – zum gleichen rechtlichen Ergebnis führt (RS0042386).

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