European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2025:0040OB00162.24P.0318.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Fachgebiet: Familienrecht (ohne Unterhalt)
Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)
Spruch:
Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.
Begründung:
[1] Die Minderjährige wurde während aufrechter Ehe ihrer Eltern geboren, welchen die Obsorge gemeinsam zukommt. Die Minderjährige lebte seit August 2022 mit beiden Eltern im Sprengel des Erstgerichts, der Vater verzog im November 2022 allein nach Serbien.
[2] Der Vater leitete am 6. 4. 2023 in Serbien ein Verfahren wegen Ehescheidung und Ausübung des elterlichen Rechts zwischen den Eltern ein. Dieses Verfahren betrifft also nicht nur die Scheidung der Ehe von Vater und Mutter, sondern auch die Obsorge über die Minderjährige, und ist noch nicht abgeschlossen. Am 27. 7. 2023 fand dort eine Verhandlung in der Sache statt, an der auch ein Vertreter der Mutter teilnahm und inhaltliches Vorbringen zur Obsorge für die Minderjährige erstattete.
[3] Die Mutter beantragte am 28. 4. 2023 beim Erstgericht die Übertragung der alleinigen Obsorge. Außerdem brachte sie am 31. 7. 2023 eine Gegenklage beim Amtsgericht in Serbien ein, in der sie unter anderem beantragte, die Minderjährige ihr als Mutter anzuvertrauen.
[4] Die Vorinstanzen erklärten sich für die Entscheidung über den Obsorgeantrag der Mutter international unzuständig. Das zuständige Gericht sei nach der Brüssel‑IIb‑VO zu ermitteln, die grundsätzlich dem KSÜ vorgehe. Jedoch liege hier die Fallkonstellation nach Art 97 Abs 2 lit c Brüssel‑IIb‑VO vor, dass in einem Vertragsstaat des KSÜ, in dem nicht auch die Brüssel‑IIb‑VO gelte (hier: Serbien), bereits ein Verfahren anhängig gewesen sei, bevor das Gericht im Mitgliedstaat der Brüssel‑IIb‑VO (hier: Österreich) angerufen wurde. In diesem Fall verweise die Brüssel‑IIb‑VO auf Art 10 KSÜ, der bei positiven Zuständigkeitskonflikten die internationale Zuständigkeit (unter gewissen Voraussetzungen) nach dem Prioritätsprinzip zuweise. Wegen der rügelosen Einlassung der Mutter ins Scheidungsverfahren in Serbien sei das serbische Amtsgericht nach Art 10 KSÜ nun auch für die Entscheidung über die dort mitbeantragte Ausübung des elterlichen Rechts international zuständig.
[5] Der außerordentliche Revisionsrekurs der Mutter ist zur Klarstellung der Rechtslage zulässig, aber nicht berechtigt.
Rechtliche Beurteilung
[6] Der Vater erstattete keine Revisionsrekursbeantwortung.
1. Vorab seien diefür die internationale Zuständigkeit relevanten Rechtsquellen dargestellt:
[7] 1.1. Normen zur internationalen Zuständigkeit fürObsorgeverfahren enthalten sowohl die Verordnung (EU) 2019/1111 des Rates vom 25. Juni 2019 über die Zuständigkeit, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung und über internationale Kindesentführungen (Brüssel‑IIb‑VO) als auch das Übereinkommen über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung, Vollstreckung und Zusammenarbeit auf dem Gebiet der elterlichen Verantwortung und der Maßnahmen zum Schutz von Kindern vom 19. Oktober 1996 (KSÜ). Obsorgeregelungen fallen nämlich auch unter den Begriff der „elterlichen Verantwortung“ nach Art 1 Abs 2 KSÜ und damit in den sachlichen Anwendungsbereich des KSÜ (9 Ob 52/20t und 8 Ob 17/18k).
[8] Dabei ist zu beachten, dass in Österreich sowohl die Brüssel‑IIb‑VO als auch das KSÜ geltendes Recht sind; die Republik Serbien dagegen zwar Vertragsstaat des KSÜ, nicht aber Mitgliedstaat der Europäischen Union ist.
[9] 1.2. Kapitel VIII der Brüssel‑IIb‑VO regelt das Verhältnis derselben zu anderen Rechtsinstrumenten.
[10] Für Kinder mit einem gewöhnlichen Aufenthalt im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats (der Brüssel‑IIb‑VO) – wie der Minderjährigen im vorliegenden Fall – genießt die Brüssel‑IIb‑VO im Verhältnis zum KSÜ zwar grundsätzlich Vorrang (Art 97 Abs 2 lit a Brüssel‑IIb‑VO).
[11] Bei einem positiven Kompetenzkonflikt greift jedoch die spezielle Regel des Art 97 Abs 2 lit c Brüssel‑IIb‑VO: Ist in einem Vertragsstaat des KSÜ, in dem die Brüssel‑IIb‑VO nicht gilt (hier: Serbien), bereits ein Gerichtsverfahren betreffend die elterliche Verantwortung anhängig, bevor ein weiteres Gericht in einem Mitgliedstaat (der Brüssel‑IIb‑VO) mit einem dasselbe Kind betreffenden Verfahren wegen desselben Anspruchs befasst wird (hier: Österreich), so richtet sich die internationale Zuständigkeit nach Art 13 KSÜ. Die Bestimmung des Art 97 Abs 2 lit c Brüssel‑IIb‑VO normiert daher ausdrücklich eine Einschränkung des Prinzips der Zuständigkeit im Mitgliedsstaat des gewöhnlichen Aufenthalts (Verschraegen in Rummel/Lukas/Geroldinger, ABGB4 , § 27 IPRG Anh 1 Rz 73).
[12] 1.3. Gemäß Art 13 Abs 1 KSÜ dürfen die Behörden eines Vertragsstaats, die nach den Art 5 bis 10 KSÜ zuständig sind, Maßnahmen zum Schutz der Person oder des Vermögens des Kindes zu treffen, diese Zuständigkeit nicht ausüben, wenn bei Einleitung des Verfahrens entsprechende Maßnahmen bei den Behörden eines anderen Vertragsstaats beantragt worden sind, die in jenem Zeitpunkt nach den Artikeln 5 bis 10 zuständig waren, und diese Maßnahmen noch geprüft werden.
[13] Bei Rechtshängigkeit eines Verfahrens in einem Vertragsstaat des KSÜ (hier: Serbien) haben daher auch die Gerichte der EU‑Mitgliedstaaten (hier: Österreich) Art 13 KSÜ anzuwenden – selbst, wenn die Minderjährige einen gewöhnlichen Aufenthalt in einem EU‑Mitgliedstaat hat (Rudolf in Garber/Lugani, Die Brüssel‑IIb Verordnung [2022], Rz 17/51). Art 13 KSÜ folgt somit dem Prioritätsprinzip, auch wenn es dabei zu einer Abweichung vom Prinzip der Sachnähe kommt (Huter in Gitschthaler, Internationales Familienrecht [2019] zu Art 13 KSÜ, Rz 4).
[14] 2.1. Die Mutter meint, die Vorinstanzen seien von der ständigen Rechtsprechung abgewichen, nach der für die internationale Zuständigkeit sowohl nach dem KSÜ als auch nach der Brüssel‑IIa‑VO auf den gewöhnlichen Aufenthaltsort der Minderjährigen abzustellen sei (RS0128438). Dieser sei sowohl bei Einleitung des serbischen als auch des österreichischen Verfahrens in Österreich gelegen.
[15] 2.2. Die heutige Rechtslage unterscheidet sich seit Inkrafttreten der Brüssel‑IIb‑VO aber insofern von jener unter der Vorgängerbestimmung des Art 61 der Verordnung (EG) Nr. 2201/2003 des Rates vom 27. November 2003 über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1347/2000 (Brüssel‑IIa‑VO), als diese noch keine Sonderregeln für einen positiven Kompetenzkonflikt kannte (vgl Prisching in Gitschthaler, EU‑Verordnungen und Haager Übereinkommen zum Ehe‑, Partner‑ und Kindschaftsrecht [2019] Art 61 Brüssel‑IIa, Rz 6 ff). Die von der Mutter zitierte Rechtsprechung ist zur Brüssel‑IIa‑VO ergangen und ist daher für den vorliegenden Fall nicht einschlägig.
[16] 3.1. Außerdem argumentiert die Mutter, dass der zentrale Anknüpfungspunkt für die internationale Zuständigkeit sowohl nach der Brüssel‑IIb‑VO als auch nach dem KSÜ der gewöhnliche Aufenthaltsort der Minderjährigen in Österreich sei. Es sei daher damit zu rechnen, dass das serbische Gericht seine Zuständigkeit für den im Scheidungsverfahren gestellten Antrag auf elterliche Verantwortung ablehnen werde.
[17] 3.2. Mit dieser Rechtsansicht verkennt die Mutter aber die Bedeutung der Verbundzuständigkeit nach Art 10 KSÜ. Gemäß Art 10 KSÜ können die Behörden eines Vertragsstaats in Ausübung ihrer Zuständigkeit für die Entscheidung über einen Antrag auf Scheidung der Ehe der Eltern eines Kindes, das seinen gewöhnlichen Aufenthalt in einem anderen Vertragsstaat hat, sofern das Recht ihres Staates dies zulässt, Maßnahmen zum Schutz der Person oder des Vermögens des Kindes treffen, wenn einer der Elternteile zu Beginn des Verfahrens seinen gewöhnlichen Aufenthalt in diesem Staat und ein Elternteil die elterliche Verantwortung für das Kind hat und die Eltern und jede andere Person, welche die elterliche Verantwortung für das Kind hat, die Zuständigkeit dieser Behörden für das Ergreifen solcher Maßnahmen anerkannt haben und diese Zuständigkeit dem Wohl des Kindes entspricht.
[18] Der Prioritätsgerichtsstand nach Art 13 KSÜ löst gerade (auch) Zuständigkeitskonflikte zwischen der allgemeinen, im Regelfall auf den gewöhnlichen Aufenthalt des Kindes gestützten internationalen Zuständigkeit (Art 5 KSÜ) mit der eheverfahrensbasierten Zuständigkeit des Art 10 KSÜ (Huter in Gitschthaler, Internationales Familienrecht [2019] zu Art 13 KSÜ Rz 9; Hilbig‑Lugani in Rauscher, EuZPR/EuIPR V4 [2016] Art 13 KSÜ, Rz 2). Dabei wird bei Vorliegen der Voraussetzungen des Art 10 Abs 1 KSÜ dem Verbundgerichtsstand der Vorzug gegenüber dem allgemeinen Gerichtsstand am Aufenthaltsort der Minderjährigen gegeben: Eine Verbundzuständigkeit des Scheidungsgerichts iSd Art 10 KSÜ auch zur scheidungsbedingten Obsorgeregelung führt demnach dazu, dass die Behörden eines anderen Vertragsstaats nicht mehr über dort gesondert geltend gemachte Obsorgeanträge entscheiden dürfen – selbst wenn dort der gewöhnliche Aufenthalt des Kindes liegen sollte (Huter in Gitschthaler, Internationales Familienrecht [2019] Art 13 KSÜ Rz 15; vgl auch Finger, Das gesamte Familienrecht Band 2148 [2023], 7.5 A/Anhang, Art 13 KSÜ, Rz 44 und 53).
[19] 3.3. Zwar ist der Prioritätsgerichtsstand nach Art 13 Abs 2 KSÜ gemäß dessen Absatz 1 nicht anzuwenden, wenn die zuerst angerufenen Behörden auf ihre Zuständigkeit verzichtet haben. Auch wenn die Norm keine näheren Voraussetzungen für einen derartigen Verzicht statuiert, muss dieser aber jedenfalls ausdrücklich und unmissverständlich erklärt werden (Hilbig‑Lugani in Rauscher, EuZPR/EuIPR V4 [2016] Art 13 KSÜ, Rz 13). Nicht ausdrückliche oder gar konkludente Varianten eines Verzichts müssen demnach nicht erwogen werden (Huter in Gitschthaler, Internationales Familienrecht [2019] Art 13 KSÜ, Rz 38). Einem möglichen künftigen Verzicht kommt keine Bedeutung zu, da die Bestimmung des Art 13 KSÜ solange anzuwenden ist, als ein Verzicht auf die Zuständigkeit nicht eindeutig erklärt wurde.
[20] Ein (ausdrücklicher) Verzicht des serbischen Amtsgerichts ergibt sich aber weder aus den Ausführungen der Mutter noch den vorgelegten Protokollen aus dem serbischen Scheidungsverfahren.
[21] 4.1. Die Mutter bezweifelt auch das Vorliegen einer der Voraussetzungen für die Anwendbarkeit von Art 10 KSÜ: Die Mutter als die „andere Person, welche die elterliche Verantwortung für das Kind hat“, habe nämlich die Zuständigkeit des serbischen Gerichts „für das Ergreifen solcher Maßnahmen“ nicht anerkannt. Vielmehr habe sie schon 22 Tage nach der Scheidungsklage ihres Mannes in Serbien selbst einen Obsorgeantrag in Österreich gestellt und so zum Ausdruck gebracht, dass sie die Zuständigkeit des serbischen Gerichts für die Frage der Obsorge nicht anerkenne. Am Scheidungsverfahren habe sie sich beteiligen müssen, um ihre Rechte zu wahren. Dies gelte auch für das Vorbringen zum Obsorgeantrag des Vaters.
[22] 4.2. Zutreffend ist, dass die Gerichte des zweiten angerufenen Staats nach Art 13 KSÜ verpflichtet sind, die Zuständigkeit der Gerichte des erstangerufenen Staats zur Entscheidung über eine entsprechende Maßnahme zu prüfen (Pirrung in Staudinger, Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche/IPR: EU‑Verordnung und Übereinkommen zum Schutz von Kindern; Brüssel IIa‑VO, KSÜ, HKÜ, ESÜ, IntFamRVG, UmgangsÜ, Art 13 KSÜ, Rz D94).
[23] Die Vorinstanzen prüften hier aber ohnedies, ob die internationale Zuständigkeit Serbiens nach Art 10 KSÜ gegeben ist. Die ersten drei der insgesamt fünf Voraussetzungen zweifelt auch die Mutter nicht an, nämlich dass (1) ein Scheidungsverfahren in Serbien (noch) anhängig ist, (2) einer der Eltern zu Beginn des Verfahrens seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Serbien hatte, und (3) (zumindest) ein Elternteil die elterliche Verantwortung für das Kind hat.
[24] Die vierte – von der Mutter bestrittene – Voraussetzung ist, dass die Eltern und jede andere Person, welche die elterliche Verantwortung für das Kind hat, die Zuständigkeit dieser Behörden für das Ergreifen solcher Maßnahmen anerkannt haben.
[25] Die Lehre vertritt einhellig, dass dieses Anerkenntnis keiner besonderen Form bedarf, sondern eine konkludente Zustimmung oder eine rügelose Einlassung in das Verfahren genügt (Hilbig‑Lugani in Rauscher, EuZPR/EuIPR V4 [2016] Art 10 KSÜ, Rz 13; Hausmann, Internationales Familienrecht [2024], Art 10 KSÜ, F 582; Pirrung in Staudinger, Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche/IPR: EU‑Verordnung und Übereinkommen zum Schutz von Kindern [Brüssel IIa‑VO, KSÜ, HKÜ, ESÜ, IntFamRVG, UmgangsÜ], [2018]; Art 10 KSÜ, D 77).
[26] Im Übrigen stellte das Rekursgericht nicht auf den Vortrag inhaltlicher Argumente der Mutter zur Obsorge ab, sondern auf das Unterbleiben einer Rüge der mangelnden internationalen Zuständigkeit. Dass eine solche im serbischen Scheidungsverfahren gar nicht oder zumindest im Hinblick auf den Obsorgeantrag des Vaters nicht möglich gewesen wäre oder durch den Obsorgeantrag beim österreichischen Erstgericht formgültig erfolgt sei, behauptet nicht einmal die Mutter.
[27] 5.1. Schließlich bezweifelt die Mutter auch, dass die Zuständigkeit des serbischen Gerichts wegen der großen geographischen Distanz und der Abhandlung der Obsorge als bloßes „Randthema“ im Scheidungsverfahren dem Wohl des Kindes entspricht. Damit fehle es am Kindeswohl als notwendiger Voraussetzung für eine Verbundzuständigkeit nach Art 10 KSÜ.
[28] 5.2. Tatsächlich muss die eheverfahrensbasierte internationale Zuständigkeit nach Art 10 KSÜ mit dem Kindeswohl im Einklang stehen. Dabei stellt das KSÜ aber nur auf das Kindeswohl in einem zuständigkeitsrechtlichen Sinn ab (Huter in Gitschthaler, Internationales Familienrecht [2019] zu Art 10 KSÜ, Rz 49). Das Gericht hat also seine eigene „Entscheidungseignung“ nach Ermessen zu prüfen (Huter in Gitschthaler, Internationales Familienrecht [2019] zu Art 10 KSÜ, Rz 50).
[29] Es kommt dabei nicht darauf an, ob die Entscheidung in einem anderen Forum dem Kindeswohl besser entspräche (Huter in Gitschthaler, Internationales Familienrecht [2019] zu Art 10 KSÜ, Rz 48). Vielmehr genügt es schon, wenn keine besonderen Umstände vorliegen, die das Interesse am Festhalten am Aufenthaltsprinzip überwiegen lassen (Hilbig‑Lugani in Rauscher, EuZPR/EuIPR V4 [2016] Art 10 KSÜ Rz 13). Huter führt hier beispielhaft an, wenn die Ermittlung des Sachverhalts für das Scheidungsgericht wegen des gewöhnlichen Aufenthalts des Kindes in einem anderen Staat schwierig und eine sachgerechte Entscheidung schwer möglich ist, weil etwa selbst die Beiziehung Dritter im Interesse des Kindes (zB der Kinder‑ und Jugendhilfeträger) dem Gericht keinen ausreichenden Aufschluss zu geben vermag und das Kind nicht oder nur mit Dolmetsch vor dem Scheidungsgericht gehört werden kann (Huter in Gitschthaler, Internationales Familienrecht [2019] zu Art 10 KSÜ, Rz 53).
[30] 5.3. Das Argument der Mutter, dass die Obsorge im Scheidungsverfahren nur ein Randthema sei,überzeugt den Senat für sich genommen nicht. Dass die (Mit‑)Entscheidung über die Obsorge in einem Scheidungsverfahren durchaus dem (verfahrensrechtlichen) Kindeswohl entsprechen kann, zeigt schon die bloße Existenz des Verbundgerichtsstands von Art 10 KSÜ und die Möglichkeit der Miterledigung der Obsorgefrage in vielen nationalen Rechtsordnungen. Dass gerade die Ausgestaltung der serbischen Verfahrensvorschriften, die Ausstattung des angerufenen Amtsgerichts oder andere konkrete Umstände eine weniger sachgerechte Obsorgeentscheidung befürchten lassen, zeigt der Revisionsrekurs nicht auf.
[31] Da die Minderjährige gerade erst vier Jahre alt geworden ist, kann noch nicht von ihrer Fähigkeit zur ausreichenden Willensbildung in Obsorgefragen ausgegangen werden (vgl Gutschner/Völkl‑Kernstock/Kobel/Friedrich, Grundlagen und wichtige Kriterien für die Erstellung von Obsorgegutachten, RZ 2008, 269). Damit ist ihre Anhörung im Gerichtsverfahren – falls sie in Serbien in diesem Alter überhaupt schon vorgesehen ist – zumindest noch keine zentrale Erkenntnisquelle (vgl Beck in Gitschthaler/Höllwerth, AußStrG I2 [2019] § 105 Rz 28), sodass weder die größere Distanz zum serbischen Amtsgericht noch die allenfalls fehlende Kenntnis der Gerichtssprache hier ins Gewicht fallen könnten.
[32] Die Lösung der Frage der internationalen Zuständigkeit durch die Vorinstanzen ist daher zu teilen und dem Revisionsrekurs der Mutter der Erfolg zu versagen.
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