OGH 10ObS106/24x

OGH10ObS106/24x18.3.2025

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Nowotny als Vorsitzenden, die Hofräte Mag. Schober und Dr. Annerl sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Markus Schrottmeyer (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und FI Veronika Bogojevic (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei J*, vertreten durch Mag. Bertram Schneeberger, Rechtsanwalt in Hartberg, gegen die beklagte Partei Allgemeine Unfallversicherungsanstalt, 1100 Wien, Wienerbergstraße 11, wegen Versehrtenrente, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 21. August 2024, GZ 6 Rs 38/24 s‑23, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2025:010OBS00106.24X.0318.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Sozialrecht

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

 

Begründung:

[1] Der Kläger ist als Kundenbetreuer bei einem Versicherungsunternehmen beschäftigt. Als einer der – durch einen unternehmensinternen Wettbewerb ermittelten – 14 erfolgreichsten Mitarbeiter wurde er eingeladen, an einer von seinem Dienstgeber organisierten und finanzierten Reise nach London teilzunehmen. Insgesamt wurden 20 (von 200 lokalen) Mitarbeiter des Dienstgebers eingeladen; die Teilnahme war zwar erwünscht, aber nicht verpflichtend.

[2] Auf dem Programm der viertägigen Reise standen unter anderem eine Pub-Tour samt Dinner, eine Führung durch London, der Besuch der Show „ABBA-Voyage“ samt Pre-Show-Dinner und die Besichtigung von Schloss Windsor.

[3] Einziger gemeinsamer Programmpunkt des dritten Tages war ein „Gala-Dinner“ am Abend (Abfahrt vom Hotel: 17:30 Uhr), bei dem der Vorgesetzte des Klägers einen Rückblick über das vergangene und einen Ausblick auf das kommende Geschäftsjahr gab und Titel an Mitarbeiter verliehen wurden.

[4] Über Ersuchen seines Vorgesetzten kaufte der Kläger am dritten Reisetag ein Geschenk für die Reiseleiterin und begab sich auf den Weg zu einem Pub, um sich mit seinen Kollegen zu treffen und von dort zurück zum Hotel zu gehen, von dem der Transfer zum Gala-Dinner erfolgen sollte. Beim Überqueren der Straße kam es zu einem Zusammenstoß mit einem E‑Bike, durch den der Kläger schwer verletzt wurde (Milzruptur dritten Grades, Ellenbogenfraktur, Perikarderguss und Polytrauma).

[5] Die Vorinstanzen wiesen die auf die Feststellung gerichtete Klage, dass diese Verletzungen Folgen eines Arbeitsunfalles seien, ab. Die Reise nach London sei weder eine Dienstreise noch eine betriebliche Gemeinschaftsveranstaltung, sondern vielmehr eine vom Dienstgeber subventionierte Freizeitgestaltung gewesen. Das Ersuchen des Vorgesetzten des Klägers, ein Geschenk für die Reiseleiterin zu besorgen, stehe auch nicht in einem inneren Zusammenhang mit seinem Arbeitsvertrag.

Rechtliche Beurteilung

[6] In seiner außerordentlichen Revision zeigt der Kläger keine Rechtsfrage erheblicher Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO auf.

[7] 1. Nach der ständigen Rechtsprechung liegt ein Arbeitsunfall gemäß § 175 Abs 1 ASVG (nur) dann vor, wenn sich der Unfall im örtlichen, zeitlichen und ursächlichen Zusammenhang mit der die Versicherung begründenden Beschäftigung ereignet hat (RS0084229 [insb T1]; 10 ObS 97/19s ErwGr 1. ua).

[8] Die Beurteilung einer sachlichen Verknüpfung zwischen einem zum Unfall führenden Verhalten und der versicherten Tätigkeit hängt von den Umständen des Einzelfalls ab. Sie stellt nur dann eine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO dar, wenn eine zu korrigierende Fehlbeurteilung des Berufungsgerichts vorliegt (10 ObS 101/20f Rz 9; 10 ObS 75/20g ua).

[9] 2. Das ist hier nicht der Fall.

[10] 2.1. Nach der Rechtsprechung sind Dienstreisen (im unfallversicherungsrechtlichen Sinn) durch die versicherte Tätigkeit bedingte Reisen mit einem Ziel außerhalb des gewöhnlichen Tätigkeitsorts (10 ObS 129/09g ErwGr 1.2.). Zwar ist unerheblich, welcher Art der betriebliche (dienstliche) Grund der Reise ist. Eine Dienstreise setzt aber voraus, dass sie in unmittelbarem Dienstinteresse unternommen wird, auch wenn die Reise mit privaten Interessen verknüpft wird (10 ObS 75/20g; 10 ObS 151/15a ErwGr 3.; 10 ObS 120/01x ua). Geschützt sind daher jede auswärtige Dienstverrichtung aber auch jede auswärtige betriebliche Schulung (Müller in Mosler/Müller/Pfeil, SV‑Komm § 175 ASVG Rz 52).

[11] 2.2. Die Entscheidungen der Vorinstanzen, die Reise nach London sei keine Dienstreise, sondern tatsächlich eine „Incentive-Reise“ für ausgewählte verdiente Mitarbeiter gewesen, hält sich im Rahmen dieser Rechtsprechung: Für die Teilnehmer stand der Erholungs- bzw Freizeitzweck der Reise klar im Vordergrund. Dass sie überdies dazu bestimmt war, (auch) betrieblichen Interessen wesentlich zu dienen, zeigt der Kläger mit dem bloßen Verweis auf das Gala-Dinner nicht auf. Selbst wenn seine Ansicht, ein gemeinsames Abendessen, bei dem eine Führungskraft eine Rede hält und Titel an Mitarbeiter verliehen werden, sei „wohl rein dienstlicher Natur“, zuträfe, wären die betrieblichen Interessen nur ein unbedeutender Begleitumstand, der gegenüber dem primären Zweck der Reise in den Hintergrund tritt (vgl RS0084271). Ein wesentlicher Zusammenhang zwischen der Reise und dem Beschäftigungsverhältnis wird auch nicht dadurch hergestellt, dass der Kläger während des viertägigen Aufenthalts mit einer Kundin (per WhatsApp) Kontakt hatte und einen Schadenfall (durch Weiterleiten der Kopie eines Führerscheins) bearbeitete (vgl 10 ObS 61/92 [Skischuhtest während des Urlaubs]).

[12] 2.3. Wenn sich der Kläger noch darauf beruft, die Teilnahme an der Reise sei „zumindest implizit verpflichtend“ gewesen, so ist richtig, dass die Rechtsprechung bei betrieblichen Gemeinschaftsveranstaltungen darauf abstellt, ob sich der Dienstnehmer dem (veranstaltenden) Dienstgeber gegenüber zur Teilnahme verpflichtet fühlt (RS0084560 [T2, T3]). Mit der auf Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs gestützten Ansicht der Vorinstanzen, die Reise nach London sei (auch) keine unter dem Schutz der Unfallversicherung stehende (vgl RS0084560) betriebliche Gemeinschaftsveranstaltung, weil eine solche nur vorliege, wenn sie allen Betriebsangehörigen, oder (wenn die Größe oder die Erfordernisse des Betriebs keine gemeinsame Veranstaltung erlauben) wenigstens den Angehörigen der Abteilungen oder Gruppen, bei denen eine Teilnahme möglich ist, offen steht (RS0084544 [insb T4]; 10 ObS 76/23h Rz 6; 10 ObS 13/20i ErwGr 2. ua), setzt sich der Kläger aber nicht auseinander.

[13] 3. Die Beurteilung der Vorinstanzen, bei der Reise nach London habe es sich um einen subventionierten Ausflug mit belohnendem Charakter gehandelt (so schon 10 ObS 23/91 [aE]), bedarf daher keiner Korrektur im Einzelfall. Ebenso wenig korrekturbedürftig ist die Ansicht, die im Rahmen eines solchen Ausflugs erfolgte Bitte eines Vorgesetzten, ein Geschenk für die Reiseleiterin zu besorgen, sei keine in einem ausreichenden inneren Zusammenhang mit dem Arbeitsvertrag stehende Anordnung (vgl RS0084668 [T2]; RS0120308).

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