OGH 5Ob123/24k

OGH5Ob123/24k6.3.2025

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Mag. Wurzer als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen und Hofräte Mag. Painsi, Dr. Weixelbraun‑Mohr, Dr. Steger und Dr. Pfurtscheller als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Eigentümergemeinschaft EZ * KG * (Liegenschaftsadresse *), vertreten durch Dr. Carl Knittl, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagten Parteien 1. R* S*, 2. I* S*, 3. I*ges.m.b.H., *, 4. C* H*, alle vertreten durch Mag. Michael Gruner, Dr. Robert Pohle, Rechtsanwälte in Wien, wegen 1) 8.511,07 EUR samt Anhang (erstbeklagte Partei), 2) 6.941,52 EUR samt Anhang (zweitbeklagte Partei), 3) 6.988 EUR samt Anhang und Feststellung (drittbeklagte Partei), 4) 8.502,03 EUR samt Anhang und Feststellung (viertbeklagte Partei), infolge der außerordentlichen Revision der beklagten Parteien gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom 28. Mai 2024, GZ 34 R 32/24v‑44, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2025:0050OB00123.24K.0306.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Bestandrecht

 

Spruch:

Die Akten werden an das Erstgericht zurückgestellt.

 

Begründung:

[1] Die Klägerin ist die Eigentümergemeinschaft einer Liegenschaft. Die Beklagten sind Mit‑ und Wohnungseigentümer dieser Liegenschaft, mit deren Anteilen jeweils Wohnungseigentum an einer Dachgeschoßwohnung verbunden ist. In der Natur handelt es sich bei den Wohnungseigentumsobjekten der Beklagten um einen Rohdachboden. Die Wohnungseigentumsbegründung erfolgte auf Grundlage ursprünglich bestehender baubehördlicher Bewilligungen, die jedoch nicht umgesetzt wurden.

[2] Die Klägerin begehrte von den Beklagten die Zahlung der diesen jeweils vorgeschriebenen Betriebskosten und Beiträge zur Rücklage (Rückstände aus der Jahresabrechnung 2021; laufende Betriebskosten und Rücklagenbeiträge ab August 2022). Außerdem begehrte sie mit Wirkung zwischen der Klägerin und der Drittbeklagten und dem Viertbeklagten die Feststellung, dass die Beklagten die künftig anfallenden Aufwendungen jeweils nach ihrem Nutzflächenanteil zu tragen haben.

[3] Das Erstgericht wies die Klage ab.

[4] Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin teilweise Folge. Es gab den Geldleistungsbegehren zur Gänze statt und bestätigte die Abweisung der Feststellungsbegehren.

[5] Das Berufungsgericht sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands der beiden Feststellungsbegehren gegenüber der Drittbeklagten und dem Viertbeklagten jeweils 5.000 EUR nicht übersteige, und ließ die Revision nicht zu.

[6] Gegen den stattgebenden Teil dieser Entscheidung des Berufungsgerichts erhoben die Beklagtendas als „außerordentlicher Revisionsrekurs“ bezeichnete Rechtsmittel; die Abweisung der Feststellungsbegehren erwuchs in Rechtskraft. Das Erstgericht legte dieses Rechtsmittel unmittelbar dem Obersten Gerichtshof zur Entscheidung vor.

Rechtliche Beurteilung

[7] Der Oberste Gerichtshof ist zu einer Entscheidung über das Rechtsmittel (derzeit) aus folgenden Gründen nicht berufen:

[8] 1. Gemäß § 502 Abs 3 ZPO ist die Revision – außer im Fall der nachträglichen Zulassung nach § 508 Abs 3 ZPO – jedenfalls unzulässig, wenn der Entscheidungsgegenstand insgesamt zwar 5.000 EUR, nicht aber 30.000 EUR übersteigt und das Berufungsgericht die ordentliche Revision für nicht zulässig erklärt hat.

[9] Eine Partei kann in einem solchen Fall nur einen Antrag an das Berufungsgericht stellen, seinen Ausspruch dahin abzuändern, dass das Rechtsmittel doch für zulässig erklärt werde (§ 508 Abs 1 ZPO). Dieser Antrag nach § 508 ZPO ist mit der ordentlichen Revision zu verbinden und beim Prozessgericht erster Instanz einzubringen. Der Rechtsmittelschriftsatz ist dem Berufungsgericht vorzulegen (§ 507b Abs 2 ZPO) und von diesem nach § 508 Abs 3 und 4 ZPO zu behandeln. Der Oberste Gerichtshof darf über das Rechtsmittel nur und erst entscheiden, wenn das Gericht zweiter Instanz gemäß § 508 Abs 3 ZPO ausgesprochen hat, dass ein ordentliches Rechtsmittel doch zulässig sei (RS0109623 [T17]).

[10] 2. Bilden mehrere Ansprüche den Entscheidungsgegenstand des Berufungsgerichts, hat eine Zusammenrechnung nur dann zu erfolgen, wenn die Voraussetzungen des § 55 Abs 1 JN erfüllt sind (RS0042741; RS0053096). Da § 55 Abs 1 JN als Ausnahme vom Grundsatz der Nichtzusammenrechnung anzusehen ist, scheidet die Zusammenrechnung im Zweifel aus (RS0122950).

[11] Liegt – wie im vorliegenden Fall – eine Parteienhäufung vor, so sind gemäß § 55 Abs 1 Z 2 JN mehrere in einer Klage geltend gemachte Ansprüche zusammenzurechnen, wenn sie von mehreren Parteien oder gegen mehrere Parteien erhoben werden, die Streitgenossen nach § 11 Z 1 ZPO sind. Das Gesetz verlangt somit das Vorliegen einer materiellen Streitgenossenschaft entweder auf Kläger‑ oder Beklagtenseite. Es muss daher entweder eine Rechtsgemeinschaft hinsichtlich des Streitgegenstands bestehen oder eine Parteienmehrheit, die aus demselben tatsächlichen Grund oder solidarisch berechtigt oder verpflichtet ist. Liegt hingegen nur eine formelle Streitgenossenschaft nach § 11 Z 2 ZPO vor, kommt es selbst dann nicht zu einer Zusammenrechnung der Streitwerte, wenn die geltend gemachten Forderungen in einem tatsächlichen und rechtlichen Zusammenhang stehen (5 Ob 88/20g mwN; RS0035528 [T9]).

[12] Um eine materielle Streitgenossenschaft zu begründen, muss sich die Rechtsgemeinschaft auf den Streitgegenstand im engeren Sinn beziehen (1 Ob 309/02a). Eine Rechtsgemeinschaft bezüglich eines nur eine Vorfrage bildenden Sachanspruchs oder Rechtsanspruchs reicht nicht aus (RS0035355).

[13] Eine Berechtigung oder Verpflichtung aus demselben tatsächlichen Grund im Sinn des zweiten Falls des § 11 Z 1 ZPO setzt einen einheitlichen rechtserzeugenden Sachverhalt voraus. Wo für einen Streitgenossen noch weitere rechtserzeugende Tatsachen für die Ableitung des Anspruchs hinzutreten, ist keine materielle Streitgenossenschaft gegeben (RS0035450).

[14] 3. Wohnungseigentümer, die – wie hier – in Ansehung des Streitgegenstands zueinander in keiner Rechtsbeziehung stehen, sind grundsätzlich nicht materielle, sondern formelle Streitgenossen im Sinn des § 11 Z 2 ZPO; die gegen sie erhobenen Ansprüche sind also nicht zusammenzurechnen (5 Ob 91/09g mwN; RS0037911 [T5]).

[15] Der Umstand, dass die hier gegenüber den Beklagten geltend gemachten Ansprüche auf der sie alle treffenden gesetzlichen Beitragspflicht derWohnungseigentümer und der für sie alle geltenden Aufteilungsvereinbarung beruhen, rechtfertigt die ausnahmsweise Annahme einer materiellen Streitgenossenschaft nicht. Dieser gleichartige Rechtsgrund betrifft bloß die Vorfrage für den jeweiligen Klageanspruch. Für dessen Berechtigung treten – im Hinblick auf die individuellen Vorschreibungen und deren Grundlagen – für jeden Streitgenossen aber noch weitere rechtserzeugende Tatsachen hinzu. Die Begründung der Zahlungspflicht der einzelnen Beklagten erfordert somit jeweils andere (zusätzliche) Sachverhaltselemente (vgl 5 Ob 47/90 [Wohnungseigentum – anteilige Betriebs‑ und Aufzugskosten]).

[16] Eine solidarische Verpflichtung der Beklagten im Sinn des dritten Falls des § 11 Z 1 ZPO macht die Klägerin nicht geltend und kommt hier auch nicht in Betracht.

[17] 4. Eine Zusammenrechnung der jeweiligen Geldleistungsbegehren im Sinn des § 55 Abs 1 Z 2 JN hat daher nicht zu erfolgen. Mangels Zusammenrechnungübersteigt der Wert des Entscheidungsgegenstands in Bezug auf keinen der gegenüber den Beklagten erhobenen Ansprüche 30.000 EUR. Jede dieser Forderungen ist für die Frage der Zulässigkeit der Revision gesondert zu beurteilen.

[18] Im Prozessrechtsverhältnis der Klägerin zur Drittbeklagten und zum Viertbeklagten ist zwar aufgrund des zusätzlich erhobenen Feststellungsbegehrens (auch) eine objektive Klagehäufung (Anspruchshäufung) gegeben. Ist in einem Verfahren Anspruchs‑ und gleichzeitig Parteihäufung gegeben, sind zwar die gehäuften Ansprüche der betreffenden Partei – bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 55 Abs 1 Z 1 JN – zusammenzurechnen, nicht jedoch diese Ansprüche mit jenen der übrigen formellen Streitgenossen (5 Ob 88/20g).

[19] Im vorliegenden Fall würde jedoch der jeweilige Entscheidungsgegenstand – angesichts der nicht zu beanstandenden Bewertung dieser Feststellungsbegehren durch das Berufungsgericht mit jeweils 5.000 EUR nicht übersteigend – die maßgebliche Wertgrenze von 30.000 EUR auch bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 55 Abs 1 Z 1 JN und Zusammenrechnung der gehäuften Ansprüche der betreffenden Partei nicht überschreiten.

[20] 5. Wird gegen eine Entscheidung, gegen die gemäß § 508 ZPO nur ein mit einer ordentlichen Revision verbundener Abänderungsantrag beim Berufungsgericht gestellt werden kann, eine ordentliche oder außerordentliche Revision erhoben, so hat – auch wenn das Rechtsmittel an den Obersten Gerichtshof gerichtet ist – das Erstgericht dieses Rechtsmittel dem Berufungsgericht vorzulegen, weil derartige Rechtsmittel als Anträge im Sinn des § 508 ZPO zu werten sind (RS0109623).

[21] Der Akt ist daher dem Erstgericht zurückzustellen. Das Erstgericht wird das Rechtsmittel demnach dem Berufungsgericht vorzulegen haben. Ob der Schriftsatz der Beklagten den Erfordernissen des § 508 ZPO entspricht oder ob er einer Verbesserung bedarf, ist von den Vorinstanzen zu beurteilen (RS0109623 [T8]; RS0109501 [T12]).

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