OGH 17Ob7/24i

OGH17Ob7/24i3.3.2025

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Präsidenten Univ.‑Prof. Dr. Kodek als Vorsitzenden sowie die Hofräte Dr. Stefula und MMag. Sloboda, die Hofrätin Mag. Waldstätten und den Hofrat Dr. Stiefsohn als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei H* GmbH, *, vertreten durch Mag. Bernhard Krall, Rechtsanwalt in Kufstein, gegen die beklagte Partei Mag. W*, vertreten durch die DAX WUTZLHOFER UND PARTNER RECHTSANWÄLTE GMBH in Oberwart, wegen 11.569,66 EUR sA, über die Revisionen der klagenden Partei (Revisionsinteresse: 5.367,33 EUR) und der beklagten Partei (Revisionsinteresse: 6.202,33 EUR) gegen das Urteil des Landesgerichts Eisenstadt als Berufungsgericht vom 2. Mai 2024, GZ 13 R 285/23v‑23, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts Oberwart vom 13. Oktober 2023, GZ 2 C 456/23h‑14, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2025:0170OB00007.24I.0303.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiete: Insolvenzrecht, Zivilverfahrensrecht

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

Die Revisionen werden zurückgewiesen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 149,38 EUR (darin 24,90 EUR Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Begründung:

[1] Der beklagte Rechtsanwalt hat seinen Kanzleisitz im Burgenland. Er war Insolvenzverwalter einer im Sprengel des Landesgerichts Eisenstadt ansässigen Gesellschaft mit beschränkter Haftung.

[2] Am 18. 3. 2018 zeigte der Beklagte dem Insolvenzgericht die Masseunzulänglichkeit an.

[3] Am 9. 4. 2019 bewilligte das Bezirksgericht Kufstein dem Beklagten als Insolvenzverwalter antragsgemäß die Verfahrenshilfe für die Einbringung einer Klage gegen die im Sprengel des Bezirksgerichts Kufstein ansässige Klägerin auf Zahlung einer Maklerprovision. Die vorläufig unentgeltliche Beigebung eines Rechtsanwalts (§ 64 Abs 1 Z 3 ZPO) hatte er nicht beantragt.

[4] Am 16. 4. 2019 brachte der Beklagte die Klage gegen die Klägerin beim Bezirksgericht Kufstein ein. Die erste Prozesshandlung der Klägerin war ein am 14. 5. 2019 eingebrachter Schriftsatz. Am 5. 8. 2020 wurde die Verhandlung geschlossen. Bis dahin fielen 3.876,78 EUR Substitutionskosten für die Vertretung des Beklagten an, die bis 13. 8. 2020 aus der Masse gezahlt wurden. Mit Urteil vom 19. 10. 2020, den Parteien zugestellt am 22. 10. 2020, wies das Bezirksgericht Kufstein das Klagebegehren ab und sprach der Klägerin 11.569,66 EUR Prozesskostenersatz zu. Das Urteil wurde unbekämpft rechtskräftig.

[5] Am 23. 11. 2020 forderte die Klägerin den Kostenersatz vom Beklagten (als damaligen Insolvenzverwalter) ein. Dieser lehnte die Zahlung unter Hinweis auf die Masseunzulänglichkeit ab. Die Masse betrug zu diesem Zeitpunkt 6.202,33 EUR.

[6] Am 25. 1. 2021 bestimmte das Insolvenzgericht die Entlohnung des Beklagten als Insolvenzverwalter mit 22.640,93 EUR und ermächtigte ihn, dem Massekonto den Betrag von 6.202,33 EUR in Anrechnung auf seine Entlohnung zu entnehmen, was der Beklagte tat. Der Beschluss wurde unbekämpft rechtskräftig.

[7] Die Klägerin begehrte vom Beklagten, insbesondere gestützt auf § 81 Abs 3 IO und § 1295 Abs 2 ABGB, die Zahlung von 11.569,66 EUR sA. Soweit im Revisionsverfahren noch relevant, warf sie dem Beklagten folgende schuldhaften Pflichtverletzungen als Insolvenzverwalter vor: a.) Er habe gegen sie den Prozess vor dem Bezirksgericht Kufstein geführt, der von vornherein aussichtslos gewesen sei. Dadurch habe er ihr Prozesskosten in Höhe des Klagebetrags verursacht. b.) Er habe einen aussichtsreichen Prozess gegen eine andere Maklerin auf Zahlung eines Ausgleichs nach § 6 Abs 5 MaklerG unterlassen, den er gewonnen hätte und der die Insolvenzmasse zumindest um den Klagebetrag erhöht hätte. Das hätte dazu geführt, dass die Prozesskostenersatzforderung der Klägerin vollständig befriedigt worden wäre. c.) Er habe es unterlassen, der Klägerin zumindest jene 6.202,33 EUR unverzüglich zu zahlen, die bei Fälligkeit ihrer Prozesskostenersatzforderung auf dem Massekonto erlegen seien, und dadurch gegen das strikte Fälligkeitsprinzip für Neumasseforderungen verstoßen. d.) Er habe es unterlassen, für das Verfahren vor dem Bezirksgericht Kufstein auch die vorläufig unentgeltliche Beigebung eines Rechtsanwalts zu beantragen, was bewilligt worden wäre, sodass er keine Substitutionskosten zahlen hätte müssen und mit dem ersparten Betrag von 3.876,78 EUR zumindest einen Teil der Prozesskostenersatzforderung der Klägerin begleichen hätte können.

[8] Der Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens und entgegnete, soweit im Revisionsverfahren noch relevant: a.) Der Prozess vor dem Bezirksgericht Kufstein sei nicht von vornherein aussichtslos gewesen. b.) Eine Prozessführung gegen die andere Maklerin hätte keine ausreichenden Erfolgsaussichten gehabt. c.) Da die Insolvenzmasse auch zur Befriedigung der Neumasseforderungen nicht ausgereicht habe, habe kein striktes Fälligkeitsprinzip für Neumasseforderungen gegolten, sodass er seine Entlohnungsforderung vorrangig befriedigen habe dürfen. d.) Die vorläufig unentgeltliche Beigebung eines Rechtsanwalts wäre ihm nicht bewilligt worden.

[9] Das Erstgericht verurteilte den Beklagten zur Zahlung von 6.202,33 EUR sA an die Klägerin und wies das auf die Zahlung weiterer 5.367,33 EUR sA gerichtete Mehrbegehren ab. Der Prozess gegen die Klägerin sei nicht von vornherein aussichtslos gewesen, jener gegen die andere Maklerin nicht ausreichend aussichtsreich, ebenso wenig wie ein Antrag auf vorläufig unentgeltliche Beigebung eines Rechtsanwalts für das Verfahren gegen die Klägerin. Der Beklagte habe aber schuldhaft gegen das strikte Fälligkeitsprinzip für Neumasseforderungen verstoßen, das auch gelte, wenn die Insolvenzmasse nicht einmal für die Befriedigung der Neumasseforderungen ausreiche. Dadurch habe er die Klägerin in jenem Betrag von 6.202,33 EUR geschädigt, der bei Fälligkeit ihrer Prozesskostenersatzforderung auf dem Massekonto vorhanden gewesen sei.

[10] Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Es sprach aus, dass die Revision zulässig sei, weil es „zur Frage der Fälligkeit der Neumasseforderungen bei Unzulänglichkeit der Masse“ noch keine gefestigte Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs gebe.

[11] Die gegen das Berufungsurteil gerichteten Revisionen beider Parteien sind entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden – Ausspruch des Berufungsgerichts nicht zulässig.

Rechtliche Beurteilung

[12] Die Begründung beschränkt sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe (§ 510 Abs 3 Satz 4 ZPO).

I. Zur Revision des Beklagten:

[13] 1. Der Beklagte bezweifelt nicht, dass die Urteile der Vorinstanzen der Entscheidung 3 Ob 92/12v gefolgt sind. Er argumentiert (offenbar der Zulassungsbegründung des Berufungsgerichts folgend), diese Rechtsprechung sei nicht gefestigt. Sie widerspreche der Literatur, die auch bei Masseunzulänglichkeit bezüglich der Neumasseforderungen das Rangprinzip befürworte (analog § 47 Abs 2 IO). Jedenfalls könne sie wegen des „gänzlich anderen Sachverhalts“ im vorliegenden Fall nicht angewendet werden.

[14] 2. Damit gelingt es ihm nicht, eine erhebliche Rechtsfrage aufzuzeigen:

[15] 2.1. Nach 3 Ob 92/12v gilt das in § 124a Abs 1 Satz 3 IO normierte Fälligkeitsprinzip für Neumasseforderungen („unverzüglich zu befriedigen“) auch dann (weiter), wenn die Insolvenzmasse nicht zur Befriedigung aller Neumasseforderungen ausreicht. Der Neumassegläubiger, dessen Forderung zuerst fällig wird, hat demnach einen unbedingten Anspruch auf Befriedigung durch den Insolvenzverwalter. Diese Entscheidung enthält eine ausführliche Begründung.Der Oberste Gerichtshof setzte sich darin mit dem Wortlaut der fraglichen Bestimmung sowie den parlamentarischen Materialien und den Argumenten in der Literatur auseinander. In der Entscheidung 7 Ob 218/17k, die der Beklagte in seiner Revision nicht erwähnt, zitierte der Oberste Gerichtshof die Entscheidung 3 Ob 92/12v und bekräftigte ihre zentralen Aussagen explizit. Gegenteilige Entscheidungen liegen nicht vor. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts und des Beklagten liegt daher eine gefestigte Rechtsprechung zur entscheidungserheblichen Rechtsfrage vor. Die Urteile der Vorinstanzen stehen mit dieser im Einklang.

[16] 2.2. Die Revision enthält keine neuen Argumente, die erhebliche Zweifel an der Richtigkeit dieser Rechtsprechung wecken könnten (vgl RS0103384 [T4]). Der Beklagte stützt sich überwiegend auf ältere Literatur, mit der sich der Oberste Gerichtshof schon in der Entscheidung 3 Ob 92/12v auseinandergesetzt hat. Davon abgesehen gibt er im Wesentlichen eine kritische Stellungnahme in der jüngeren Literatur wieder (Bachmann/Mitteregger,Grundsätzliches zu Regelentlohnung und Prozesskosten des Insolvenzverwalters bei Masseunzulänglichkeit, ZIK 2014/244, 169). Deren Prämisse, der Gesetzgeber des § 124a Abs 1 Satz 3 IO habe den Fall einer (neuerlichen) Masseunzulänglichkeit gegenüber den Neumassegläubigern nicht bedacht (sodass eine planwidrige Gesetzeslücke vorliege, die durch die analoge Anwendung des § 47 Abs 2 IO zu schließen sei), hat der Oberste Gerichtshof aber bereits zu 3 Ob 92/12v abgelehnt. Auch mit dem weiteren Argument, das strikte Fälligkeitsprinzip widerspreche der vom Gesetzgeber gewollten „bestmöglichen“ Restverwertung, zeigt der Beklagte keine erhebliche Rechtsfrage auf: Potenzielle Neumassegläubiger wird man in der Regel leichter für die Mitwirkung an der Restabwicklung gewinnen, wenn sie sicher sein können, dass ihre fällig werdenden Ansprüche sofort befriedigt werden, zumindest soweit ausreichende Massemittel vorhanden sind (ähnlich Konecny, Masseunzulänglichkeit in Bezug auch auf Neumasseforderungen, ZIK 2012/296, 205 [206]).

[17] 2.3. Auch mit seinem Vorbringen, die gefestigte Rechtsprechung sei hier wegen des „gänzlich anderen Sachverhalts“ nicht anzuwenden, zeigt der Beklagte keine erhebliche Rechtsfrage auf: Wie zu 3 Ob 92/12v ging es im vorliegenden Fall um die rechtskräftige Kostenersatzforderung eines Prozessgegners des Insolvenzverwalters, die früher fällig wurde als der Entlohnungsanspruch des Insolvenzverwalters, aber nicht unverzüglich befriedigt wurde. Es mag sein, dass die Klägerin weder einen Exekutionsantrag gestellt noch den Beschluss des Insolvenzgerichts über die Festsetzung der Entlohnung des Insolvenzverwalters bekämpft hat und dass der Beklagte im Insolvenzverfahren einen Vorschuss auf seine Entlohnung beantragen hätte können. Inwiefern diese Umstände aber eine erhebliche Rechtsfrage begründen sollen, legt die Revision nicht dar.

[18] 3. Die Revision des Beklagten ist daher mangels erheblicher Rechtsfrage zurückzuweisen.

II. Zur Revision der Klägerin:

[19] 1. Die Klägerin wendet sich nicht gegen die – der gefestigten Rechtsprechung (RS0122099) entsprechende – Beurteilung des Berufungsgerichts, der Insolvenzverwalter hafte für den Kostenschaden seines Gegners in einem erfolglosen Aktivprozess nicht nach § 81 Abs 3 IO, sondern (nur) nach allgemeinen zivilrechtlichen Grundsätzen, somit nach § 1295 Abs 2 ABGB. Ob die Voraussetzungen einer Haftung nach dieser Bestimmung erfüllt sind, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab (RS0026265 [T3]) und begründet nur in Fällen einer auffallenden Fehlbeurteilung des Berufungsgerichts eine erhebliche Rechtsfrage (RS0021095). Die Klägerin moniert pauschal, dass die Vorinstanzen bei der Abwägung im Rahmen des § 1295 Abs 2 ABGB gegen die Prozessführung sprechende Umstände nicht ausreichend berücksichtigt hätten. Damit (allein) zeigt sie aber keine im Einzelfall aufzugreifende auffallende Fehlbeurteilung auf.

[20] 2. Die Klägerin argumentiert, es fehle höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage, ob ein Insolvenzverwalter einem Neumassegläubiger nach § 81 Abs 3 IO hafte, wenn und soweit seine Forderung nicht beglichen werden könne, weil der Insolvenzverwalter schuldhaft die Führung eines aussichtsreichen Aktivprozesses (und die damit verbundene Erhöhung der Insolvenzmasse) unterlassen habe, sowie zur Frage, wer die Beweislast für den Ausgang des hypothetischen Aktivprozesses trage. Zudem weiche die Auslegung des § 6 Abs 5 MaklerG durch die Vorinstanzen von der höchstgerichtlichen Rechtsprechung ab. Diese Fragen stellen sich hier aber nicht (und sind damit nicht erheblich im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO): Ob eine allfällige Pflichtverletzung des Beklagten kausal für den behaupteten Schaden der Klägerin war (weil der Beklagte den hypothetischen Prozess gegen die andere Maklerin gewonnen hätte), ist von der Frage der Pflichtwidrigkeit selbst zu trennen. Die Klägerin setzt sich in der Revision zwar ausführlich mit der Kausalitätsfrage auseinander. Sie begründet aber nicht, warum die Beurteilung des Berufungsgerichts, das Unterbleiben der Prozessführung gegen die andere Maklerin sei – auf der Grundlage der ex ante durch pflichtgemäße Bemühungen zu erlangenden Informationen – jedenfalls nicht pflichtwidrig (§ 81 Abs 3 IO) gewesen, im Einzelfall unvertretbar gewesen sein soll.

[21] 3. Schließlich meint die Klägerin, es fehle Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Frage, ob der Insolvenzverwalter einem Neumassegläubiger nach § 81 Abs 3 IO für den Schaden hafte, der ihm dadurch entstanden sei, dass der Insolvenzverwalter in einem Aktivprozess nicht die vorläufig unentgeltliche Beigebung eines Rechtsanwalts (§ 64 Abs 1 Z 3 ZPO) beantragt habe und die Insolvenzmasse deshalb um die – vor der Forderung des Neumassegläubigers fälligen – Vertretungskosten verringert worden sei. Auch diese Frage stellt sich hier nicht: Das Berufungsgericht ist zum Ergebnis gekommen, dass dem Beklagten – der selbst Rechtsanwalt ist – die Begünstigung des § 64 Abs 1 Z 3 ZPO nicht gewährt worden wäre, weil diese nach der Lage des Falls nicht erforderlich gewesen wäre. Damit wäre eine allfällige Pflichtverletzung des Beklagten nicht kausal für den Schaden der Klägerin gewesen. Die Klägerin behauptet auch in diesem Zusammenhang keine auffallende Fehlbeurteilung des Berufungsgerichts. Aus ihrem Argument, der Beklagte habe seinen Kanzleisitz im Burgenland, während der Prozess vor dem Bezirksgericht Kufstein geführt worden sei, kann eine solche auch nicht abgeleitet werden.

[22] 4. Auch die Revision der Klägerin ist daher mangels einer erheblichen Rechtsfrage zurückzuweisen.

III. Zur Kostenentscheidung:

[23] Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41, 50 ZPO. Beide Parteien haben in ihren Revisionsbeantwortungen auf die Unzulässigkeit der Revision des Gegners hingewiesen und deren Zurückweisung beantragt. Für die Revisionsbeantwortung der Klägerin steht Kostenersatz nur auf der Bemessungsgrundlage des Revisionsinteresses des Beklagten zu (6.202,33 EUR). Der Beklagte hat die Kosten seiner Revisionsbeantwortung richtig verzeichnet. Saldiert ergibt sich die spruchgemäße Kostenentscheidung.

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