European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2025:008OBA00062.24M.0227.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Fachgebiet: Arbeitsrecht
Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage
Spruch:
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO iVm § 2 Abs 1 ASGG mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Begründung:
Rechtliche Beurteilung
[1] 1.1. Der normative Teil von Betriebsvereinbarungen (§§ 29 ff ArbVG) ist nach den für die Auslegung von Gesetzen geltenden Regeln (§§ 6, 7 ABGB) auszulegen; die für die Interpretation von rechtsgeschäftlichen Willenserklärungen normierten Grundsätze des ABGB haben keine Anwendung zu finden (RS0050963; RS0010088 [T2, T4, T11]). In erster Linie ist bei der Auslegung von Betriebsvereinbarungen deshalb der Wortsinn zu erforschen und die sich aus dem Text selbst ergebende und objektiv erkennbare Absicht der Parteien der Betriebsvereinbarung zu berücksichtigen (RS0010089 [T3, T5, T23, T28]). Ein aus dem Text nicht hervorgehender Willen der Parteien der Betriebsvereinbarung ist unbeachtlich (vgl RS0010088 [insb T3, T17, T23, T25]), jedoch darf ihnen zumindest im Zweifel unterstellt werden, dass sie eine vernünftige, zweckentsprechende und praktisch durchführbare Regelung treffen, einen gerechten Ausgleich der sozialen und wirtschaftlichen Interessen herbeiführen und eine Ungleichbehandlung von Dienstnehmern vermeiden wollten (RS0008897 [T2]; RS0010088 [insb T29, T34, T37, T41]); daher ist bei mehreren an sich in Betracht kommenden Auslegungsmöglichkeiten, wenn alle anderen Auslegungsgrundsätze versagen, jener der Vorzug zu geben, die diesen Anforderungen am meisten entspricht (RS0008828 [T3]).
[2] 1.2. Nach § 109 Abs 1 ArbVG ist der Betriebsinhaber verpflichtet, den Betriebsrat von geplanten Betriebsänderungen zu informieren und auf dessen Verlangen über deren Gestaltung mit ihm zu beraten. Als Betriebsänderungen gelten unter anderem die Einschränkung oder Stilllegung des ganzen Betriebs oder von Betriebsteilen (Z 1) oder die Auflösung von Arbeitsverhältnissen, die eine Meldepflicht nach § 45a Abs 1 Z 1 bis 3 AMFG auslöst (Z 1a).
[3] Nach § 109 Abs 3 ArbVG können in Betrieben, in denen dauernd mindestens 20 Arbeitnehmer beschäftigt sind, im Falle, dass eine Betriebsänderung im Sinne des Abs 1 Z 1 bis 6 leg cit wesentliche Nachteile für alle oder erhebliche Teile der Arbeitnehmerschaft mit sich bringt, Maßnahmen zur Verhinderung, Beseitigung oder Milderung dieser Folgen durch Betriebsvereinbarung im Sinne des § 97 Abs 1 Z 4 ArbVG geregelt werden; sind mit einer solchen Betriebsänderung Kündigungen von Arbeitnehmern verbunden, so soll die Betriebsvereinbarung auf die Interessen von älteren Arbeitnehmern besonders Bedacht nehmen.
[4] Wortlaut und daraus eindeutig erkennbarer Sinn von § 109 Abs 3 ArbVG und § 97 Abs 1 Z 4 ArbVG gehen dahin, dass durch einen Sozialplan nur die Folgen abgefedert werden sollen, die sich aus einer der im § 109 Abs 1 ArbVG genannten Maßnahmen ergeben (vgl 9 ObA 146/08y). Solche Sozialpläne dienen nach der Rechtsprechung somit dem Schutz der wirtschaftlich Schwachen; zahlreiche Ansprüche, die Sozialpläne gewähren, verfolgen das Ziel, dem Arbeitnehmer bisher zugestandene Rechtspositionen so lange wie möglich zu erhalten bzw deren Verlust auszugleichen (RS0107237). Der Zweck des Sozialplans, die sich aus einer betrieblichen Änderung für alle oder einen erheblichen Teil der Arbeitnehmerschaft ergebenden wesentlichen Nachteile zu verhindern, zu beseitigen oder zu mildern, ist auch bei seiner Auslegung zu berücksichtigen (RS0010088 [T19] = RS0008807 [T14]).
[5] 1.3. Bei einer solchen, gerade auf eine besondere betriebliche Situation im Einzelfall ausgerichteten Regelung eines Sozialplans kann naturgemäß – ohne weitere Anhaltspunkte – nicht von der typischen Betroffenheit eines größeren Personenkreises ausgegangen werden (vgl RS0109942 [T2]; 8 ObA 54/05g; 9 ObA 154/07y); daher wirft die Auslegung eines Sozialplans regelmäßig, wenn keine aus Gründen der Rechtssicherheit aufzugreifenden groben Auslegungsfehler oder Fehlbeurteilungen des Berufungsgerichts vorliegen, keine erhebliche Rechtsfrage auf (vgl RS0044088 [T8]).
[6] 2. Gegenstand des Rechtsmittelverfahrens ist nur noch die Frage, ob dem Kläger (der am 13. 4. 2023 – er war damals 46 Jahre alt – bereits die Zusage eines neuen Arbeitsverhältnisses erhalten hatte und sein seit 2007 bestandenes Angestelltenverhältnis zur Beklagten am 18. 4. 2023, so wie gleichzeitig 44 andere Mitarbeiter, zum 31. 8. 2023 selbst gekündigt hat) Anspruch auf – der Höhe nach unstrittige – Leistungen aufgrund eines aus Anlass einer zeitnah geplanten, eine Betriebsänderung bildenden Schließung bzw des Verkaufs des Betriebs abgeschlossenen Sozialplans habe, oder ob ihm Leistungen daraus zufolge Arbeitnehmerkündigung nicht zustünden.
[7] 2.1. Der Sozialplan vom 31. 3. 2023 lautet auszugsweise:
„I.
1. Einleitung
Der Sozialplan dient gem § 109 ArbVG der Verhinderung, Beseitigung oder Milderung wirtschaftlicher Nachteile für ArbeitnehmerInnen des Betriebes [der Beklagten] Zweigniederlassung L* aus Anlass der bevorstehenden Betriebsänderung: Schließung/ Verkauf der Niederlassung.
2. Geltungsbereich
Der Sozialplan findet Anwendung auf alle Arbeitnehmer im Sinne des § 36 ArbVG, deren Arbeitsverhältnis im Zeitraum vom 1.4.2023 bis 31.12.2023 aufgelöst wird.
[…] ArbeitnehmerInnen, die das Dienstverhältnis aufgrund eines Pensionsantrittes beenden oder sich bereits in Pension befinden, sind von der Vereinbarung ausgeschlossen.
[…]“
[8] 2.2. Die Vorinstanzen legten diese Bestimmungen und insbesondere die Wendung „... deren Arbeitsverhältnis ... aufgelöst wird ...“ zusammengefasst dahin aus, dass dies Arbeitnehmerkündigungen nicht einschließe. Das Berufungsgericht stützte dies auf die Überlegung, dass nach dem äußerst möglichen Wortsinn dieser Wendung neben Dienstnehmerkündigungen auch (berechtigte) Entlassungen und (unberechtigte) Austritte erfasst wären, sodass die Wortinterpretation alleine zu keinem eindeutigen sachgerechten Ergebnis führe. Die Auslegung des Sozialplans habe von dessen Pkt I.1. mit seinem Verweis auf § 109 ArbVG und dessen Zweck der Verhinderung, Beseitigung oder Milderung betriebsänderungsbedingter wirtschaftlicher Nachteile für Arbeitnehmer auszugehen. Betriebsänderungen seien nach § 109 Abs 1 Z 1 bis 6 ArbVG wirtschaftliche Entscheidungen des Arbeitgebers. Der Sozialplan erfasse daher grundsätzlich nur die Folgen von wirtschaftlichen Entscheidungen des Arbeitgebers. Bei einer Dienstnehmerkündigung fehle dieser notwendige Zusammenhang zur Betriebsänderung. Zum gleichen Ergebnis komme man auch bei einer am typischen Zweck eines Sozialplans orientierten Auslegung; dessen Anwendung auf berechtigte Entlassungen, unberechtigte Austritte ebenso wie auf Dienstnehmerkündigungen widersprächen dem typischen Zweck des Sozialplans, sodass dessen zu weit gefasster Wortlaut um die der ursprünglichen Intention der Betriebsvereinbarungsparteien nicht entsprechende Dienstnehmerkündigung teleologisch zu reduzieren sei.
[9] 2.3. Diese Auslegung ist vom Wortsinn der Bestimmung gedeckt und hält sich – im Lichte der allgemeinen Auslegungsregeln sowie insbesondere der oben in Pkt 1.2. dargelegten, dem grundsätzlichen Zweck von Sozialplänen Rechnung tragenden Auslegungsleitlinien – im Rahmen des den Gerichten im Einzelfall notwendigerweise zukommenden Beurteilungsspielraums.
[10] 3. Die außerordentliche Revision des Klägers zeigt dagegen weder eine typische Betroffenheit eines größeren Personenkreises durch die auszulegenden Regelungen noch eine vom Obersten Gerichtshof aufzugreifende grobe Fehlbeurteilung durch das Berufungsgericht auf, sodass sein Rechtsmittel mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO zurückzuweisen ist.
[11] 3.1. Das Berufungsgericht hat (berechtigte) Entlassungen und (unberechtigte) Austritte keineswegs mit Dienstnehmerkündigungen gleichgesetzt, sondern auf jene Beendigungsgründe Bezug genommen, um zu illustrieren, dass mit der reinen Wortinterpretation, auf die sich die Revision tragend stützt, nicht das Auslangen gefunden werden kann. Warum dies unvertretbar sein sollte, zeigt der Revisionswerber mit seinem Hinweis darauf, dass einem selbst Kündigenden kein rechtswidriges oder „anrüchiges“ Verhalten zugrunde liege, nicht auf. Das Berufungsgericht vertrat vielmehr, dass es auf die Initiative des Dienstgebers zur Beendigung des Dienstverhältnisses ankomme.
[12] An der (zumindest) Vertretbarkeit dieses Auslegungsergebnisses vermag die Revision gerade auch mit ihrem Hinweis auf den ausdrücklichen Ausschluss von Pensionisten und die Pension antretenden Personen vom Sozialplan nicht zu rütteln: Das vom Kläger präferierte Ergebnis würde gerade eine Ungleichbehandlung von den Betrieb wegen Pensionsantritts Verlassenden gegenüber den wegen des Antritts eines neuen Arbeitsplatzes oder sonst aus eigenem Antrieb Kündigenden zur Folge haben. Dass nur ein solches Ergebnis mit den eingangs allgemein beschriebenen Zwecken von Sozialplänen vereinbar wäre, nicht jedoch die Auffassung der Vorinstanzen, kann die Revision nicht nachvollziehbar begründen.
[13] Hier geht es im Übrigen nicht um die Etablierung einer abstrakten Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs, ob „eine Dienstnehmerkündigung im Umfeld einer bevorstehenden Betriebsschließung im Lichte einer Betriebsänderung und damit innerhalb des Geltungsbereiches eines Sozialplanes gesehen werden“ könne, sondern um die Auslegung eines konkreten Sozialplans im Einzelfall, ob dessen Wortlaut eine solche Auslegung zulasse.
[14] 3.2. Nach den erstgerichtlichen Feststellungen wurde dem Kläger von der Beklagten bis zu seiner Kündigung weder ein konkretes Enddatum genannt noch ein Angebot gemacht, weiter bei der Beklagten beschäftigt zu sein. Damit steht auch nicht fest, dass beim Kläger durch eine auf ihn bezogene Disposition der Beklagten bereits Nachteile eingetreten wären oder ihm konkret gedroht hätten. Vielmehr zog er aus Eigenem die Schlussfolgerung, dass es keine Beschäftigungsmöglichkeit mehr für ihn geben würde, sodass er sich selbst – kurzfristig und erfolgreich – um eine neue Erwerbsmöglichkeit bemühte und sodann kündigte.
[15] Wenn der Rechtsmittelwerber nun argumentiert, dass der Verlust seines Arbeitsplatzes zum Zeitpunkt seiner Kündigung so gut wie verwirklicht gewesen sei, weshalb es keinen Unterschied machen könne, ob er zur Erlangung eines neuen Arbeitsplatzes selbst gekündigt oder die Kündigung durch die Beklagte abgewartet hätte, entfernt er sich von den bindenden Feststellungen und führt seine Rechtsrüge in diesem Umfang nicht gesetzmäßig aus (vgl RS0043603). Warum es maßgeblich auf die geschilderten subjektiven Erwartungen, Schlussfolgerungen oder inneren Motivationen des Klägers ankommen sollte oder dies – anders als das auf den objektiven Umstand des Fehlens einer Disposition des Dienstgebers abstellende Auslegungsergebnis der Vorinstanzen – der Rechtssicherheit dienlich sein könnte, erschließt sich nicht.
[16] Dass einzelne Dienstnehmerkündigungen selbst ebenso wenig wie eine einzelne Dienstgeberkündigung als Betriebsänderung anzusehen wären, mag sein; eine (nach den Feststellungen hier unterbliebene) Dienstgeberkündigung hätte jedoch ihren Grund in einer Betriebsänderung (worunter im Übrigen auch die Auflösung einer größeren Zahl von Arbeitsverhältnissen zu verstehen wäre [vgl oben Pkt 1.2.]) gehabt, wogegen hier die angekündigte Betriebsänderung bloß den Anlass für den Entschluss des Klägers bildete, eine neue Arbeitsstelle zu suchen und danach sogleich aus Eigenem zu kündigen.
[17] 3.3. Es ist nicht unzulässig und schadet nicht (vgl 9 ObA 62/10y), wenn das Berufungsgericht anmerkt, das Ergebnis seiner Auslegung entspreche zusätzlich auch den vom Erstgericht festgestellten historischen Intentionen der Parteien der Betriebsvereinbarung. Die Auslegung selbst hat es nicht unter Bezugnahme auf deren subjektive Absichten oder historische Umstände gestützt.
[18] Die Parteien der Betriebsvereinbarung haben am 13. 6. 2023 – nach Kündigung durch den Kläger – eine „klarstellende Ergänzung“ zum Sozialplan vereinbart, wonach unter anderem Leistungen nur bei Arbeitgeberkündigungen und einvernehmlichen Auflösungen zustünden, die durch den Arbeitgeber initiiert würden, nicht aber bei Dienstnehmerkündigungen. Die Argumentation der Revision, eine solche rückwirkende Einschränkung des Geltungsbereichs sei ebenso unzulässig wie die Bezugnahme auf ein dem Kläger nie zugekommenes Musterberechnungsblatt, geht ebenfalls ins Leere: Das Berufungsgericht hat ausdrücklich festgehalten, dass es auf eine nachträgliche Klarstellung oder Einzelfallregeln wie Musterberechnungen gar nicht ankomme, weil sich der Anwendungsbereich des Sozialplans bereits aus ihm selbst ergebe.
[19] 4. Einer weiteren Begründung bedarf dieser Beschluss nicht (§ 510 Abs 3 ZPO iVm § 2 Abs 1 ASGG).
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