OGH 15Os55/24p

OGH15Os55/24p26.2.2025

Der Oberste Gerichtshof hat am 26. Februar 2025 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl als Vorsitzenden sowie durch die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel‑Kwapinski und Dr. Sadoghi und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Mag. Riffel und Dr. Farkas in Gegenwart der Schriftführerin Mag. Prieth in der Straf- und Medienrechtssache des Privatanklägers und Antragstellers Dr. * B* gegen den Angeklagten und Antragsgegner H* U*, wegen der Vergehen der üblen Nachrede nach § 111 Abs 1 und Abs 2 StGB und einer weiteren strafbaren Handlung und wegen § 6 Abs 1 MedienG, AZ 328 Hv 24/23g des Landesgerichts Korneuburg, über die von der Generalprokuratur gegen das Urteil dieses Gerichts vom 11. Mai 2023, GZ 328 Hv 24/23g‑8.6, und gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 14. Dezember 2023, AZ 18 Bs 252/23z, erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes sowie über den Antrag des Angeklagten und Antragsgegners auf Erneuerung des Verfahrens nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit der Vertreterin der Generalprokuratur, Generalanwältin MMag. Sauter‑Longitsch LL.M., des Vertreters des Privatanklägers und Antragstellers Mag. Zigling, der Verteidigerin und Vertreterin des Antragsgegners Mag. Rest sowie des Angeklagten und Antragsgegners H* U* zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2025:0150OS00055.24P.0226.000

Rechtsgebiet: Strafrecht

Fachgebiet: Medienrecht

 

Spruch:

 

In der Straf- und Medienrechtssache des Privatanklägers und Antragstellers Dr. * B* gegen den Angeklagten und Antragsgegner H* U*, AZ 328 Hv 24/23g des Landesgerichts Korneuburg, verletzen

1./ das Urteil dieses Gerichts vom 11. Mai 2023 § 6 Abs 1 MedienG,

2./ das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 14. Dezember 2023, AZ 18 Bs 252/23z, § 6 Abs 1 MedienG sowie § 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO.

Das Urteil des Oberlandesgerichts Wien wird im Umfang der Entscheidung über die gegen die Zuerkennung einer Entschädigung nach § 6 Abs 1 MedienG in Ansehung der Veröffentlichungen vom 11. September 2022 (1./a./), vom 8. Dezember 2022 (1./b./) und vom 27. April 2023 (1./c./) gerichtete Berufung des H* U* aufgehoben und es wird die Sache in diesem Umfang zur neuen Entscheidung an das Oberlandesgericht Wien verwiesen.

Der Verurteilte und Antragsgegner H* U* wird mit seinem Erneuerungsantrag, soweit er sich auf die Berufungsentscheidung des Oberlandesgerichts Wien vom 14. Dezember 2023 in Ansehung des Ausspruchs nach § 6 Abs 1 MedienG richtet, auf die Entscheidung über die Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes verwiesen.

Im Übrigen wird sein Antrag zurückgewiesen.

 

Gründe:

[1] Mit beim Landesgericht Korneuburg zu AZ 328 Hv 24/23g eingebrachtem Schriftsatz (ON 2) begehrte Dr. * B* die Bestrafung des H* U* wegen der Vergehen der üblen Nachrede nach § 111 Abs 1 und Abs 2 StGB (zu 1./ und 2./) und der Beleidigung nach § 115 Abs 1 StGB (zu 3./) sowie den Zuspruch einer Entschädigung nach § 6 Abs 1 MedienG, weil U* auf der Facebook-Seite des Dr. B* (ON 2.2, 2, 6 f) Beiträge des Genannten wie folgt kommentiert habe:

1./ am 11. September 2022 mit „Wie braun so ein enttäuschter b*, unter seiner roten tarn Decke tatsächlich ist“ (ON 2.2, 5),

2./ am 8. Dezember 2022 mit „punschkrapferl mäßig innen braun“ (ON 2.2, 3),

3./ am 13. September 2022 mit „Lass den funktionalen Analphabetismus rasch behandeln“ (ON 2.2, 4).

[2] In der Hauptverhandlung am 11. Mai 2023 wurde die Privatanklage dahingehend ausgedehnt, dass die Bestrafung des U* wegen § 111 Abs 1 und Abs 2 StGB und (erkennbar auch) der Zuspruch einer Entschädigung nach § 6 Abs 1 MedienG auch wegen einer vom Genannten am 27. April 2023 auf der Facebook-Seite des * Bi* vorgenommenen Veröffentlichung, in der er Dr. B* als „Punschkrapferl“ bezeichnete, begehrt wurde (ON 8.5,  22 f iVm ON 6, 5).

[3] Mit Urteil des Landesgerichts Korneuburg vom 11. Mai 2023 (ON 8.6) wurde U* der Vergehen der üblen Nachrede nach § 111 Abs 1 und Abs 2 StGB (1./) und des Vergehens der Beleidigung nach § 115 Abs 1 StGB (2./) schuldig erkannt und zu einer Geldstrafe verurteilt. Demnach hat er – soweit für das Verfahren vor dem Obersten Gerichtshof relevant – in L* „als Medieninhaber der von ihm unter dem Nutzernamen 'M* U*' betriebenen Facebook-Webseite Dr. * B*“

1./ in einer für Dritte wahrnehmbaren Weise einer verächtlichen Eigenschaft oder Gesinnung, nämlich einer der nationalsozialistischen Ideologie nahestehenden politischen Haltung, geziehen, wobei er die Tat auf eine Weise beging, wodurch die üble Nachrede einer breiten Öffentlichkeit zugänglich wurde, indem er

a./ am 11. September 2022 einen öffentlichen, für alle Facebook-Nutzer abrufbaren Beitrag des Dr. B* mit den Worten „wie braun so ein enttäuschter B* unter seiner roten Tarndecke tatsächlich ist“ kommentierte,

b./ am 8. Dezember 2022 einen öffentlichen, für alle Facebook-Nutzer abrufbaren Beitrag des Dr. B* mit den Worten „punschkrapferlmäßig innen braun“ kommentierte,

c./ am 27. April 2023 Dr. B* öffentlich für alle Facebook-Nutzer sichtbar als „Punschkrapferl“ bezeichnete.

[4] Weiters sprach das Erstgericht aus, dass durch die unter 1./ angeführten, „von H* U* als Medieninhaber der unter dem Nutzernamen 'M* U*' betriebenen Facebook-Webseite“ am 11. September 2022 und am 8. Dezember 2022 „auf der von Dr. * B* betriebenen Webseite veröffentlichten Mitteilungen“ und die am 27. April 2023 veröffentlichte Mitteilung in Bezug auf Dr. B* (in einem Medium) der objektive Tatbestand der üblen Nachrede und durch die im erstgerichtlichen Urteil unter 2./ angeführte Veröffentlichung jener der (ersichtlich gemeint:) Verspottung hergestellt wurde, und verpflichtete U* nach § 6 Abs 1 MedienG zur Zahlung einer Entschädigung von (insgesamt) 800 Euro.

Das Erstgericht traf zur Nutzung der Kommunikationsplattform „Facebook“ durch Dr. B* und U* folgende Feststellungen (US 3 f):

[5] Der Privatankläger und Antragsteller betreibt unter dem Nutzernamen „* B*“ eine öffentlich einsehbare, mit mehr als 4.000 „Freunden“ verlinkte Facebook-Website, auf der er sich häufig zu tagespolitischen Themen äußert, wobei seine politischen Beiträge erkennbar das Ziel haben, die S* und insbesondere deren [damalige] Obfrau Dr. * R* zu kritisieren bzw zu attackieren.

[6] Der Angeklagte und Antragsgegner betreibt unter dem Nutzernamen „M* U*“ eine öffentlich einsehbare, mit etwa 1.000 „Freunden“ verlinkte Facebook-Seite; „Freundschaftsanfragen“ nimmt er meist an.

[7] Dass die Facebook-Profile des Dr. B* und des U* als „Freunde“ miteinander verlinkt sind, hat das Erstgericht nicht festgestellt.

[8] Zum Wortlaut der – hier interessierenden –Äußerungen des U* vom 11. September und 8. Dezember 2022 (1./a./ und 1./b./) und vom 27. April 2023 (1./c./) sowie zum Medium deren Veröffentlichungen kann den unter Verweis auf die vom Privatankläger vorgelegten Screenshots seiner Facebook-Seite (ON 2.3, 1, 3) und jener des * Bi* (ON 6, 8) getroffenen Feststellungen (US 5 f) unter Berücksichtigung der Ausführungen im Urteilsspruch (US 1 f) Folgendes entnommen werden:

[9] Dr. B* veröffentlichte am 11. September 2022 auf seiner Facebook-Profilseite einen öffentlichen, für alle Nutzer wahrnehmbaren Beitrag (US 1 f) mit dem Wortlaut „Wann schmeißt man die unerträgliche R* endlich aus der Partei? Es wird Zeit dass LH * D* endlich die Partei übernimmt“ und einem Link zu https://e*, wobei ein Teil des verlinkten Artikels ersichtlich war, nämlich der Text „D* korrigiert R*: Kein Klimabonus für Asylwerber. S*‑Landeshauptmann D* sagt jetzt der Bundesparteichefin in der L*straße, was viele Österreicher ohnehin denken: 'Ein Asylwerber in der Grundversorgung der nicht für Stromkosten verantwortlich ist, soll auch nicht den Klimabonus erhalten.' F* und auch die Ö* sind bereits für Auszahlungs-Änderungen“ samt einem Foto von Dr. R* und D*. Zu diesem Beitrag postete der Angeklagte am selben Tag den Kommentar: „Wie braun so ein enttäuschter b*, unter seiner roten tarn Decke tatsächlich ist“ (US 1 f, 5 iVm ON 2.3, 1).

[10] Zu einem von Dr. B* auf seiner Facebook-Seite am 8. Dezember 2022 veröffentlichten öffentlichen, für alle Nutzer abrufbaren (US 2) Beitrag bestehend aus einem Link zu https://e*.at/100-kilo-hirsch-80-kilo-lachs.../... und einem darauf bezogenen Kommentar der Nutzerin „* N*“ postete U*: „* B* entweder extrem ungebildet, uninformiert oder weiter rechtskonservativ als vermutet. vor kurzem ist Sc* wegen Artikeln zur Ibiza-Affäre strafrechtlich verurteilt worden. Es ging um üble Nachrede und Kreditschädigung. In einem anderen Verfahren, in dem Sc* als Zeuge aussagte, erkannte das Gericht in seinen Artikeln '`eine gezielte Kampagnisierung´' für Ex‑Vizekanzler S*.“ Darauf antwortete Dr. B*: „M* U*, Jaja, Blablabla …“, worauf der Angeklagte seinerseits postete: „Du passt zu D*, einfach punschkrapferl mäßig innen braun“. (US 2, 6 iVm ON 2.3, 3).

[11] Am 25. April 2023 veröffentlichte * Bi* auf seiner Facebook-Seite ein weltweit uneingeschränkt abrufbares Posting mit dem Wortlaut „Ich hab das Richtige getan! X D*“, das von „* Be*“ kommentiert wurde. Diesen Kommentar kommentierte wiederum Dr. B*, worauf der Angeklagte „von seinem eigenen Facebook-Profil aus“ am 27. April 2023 den Kommentar postete: „* Bi* dein Punschkrapferl Freund verklagt mich, weil ich ihm gesagt habe, daß er ein Punschkrapferl ist … so schaut die Farness des D* Punschkrapferl aus“ (US 6 iVm ON 6, 8).

[12] Das Erstgericht ging demnach davon aus, dass es sich bei den Postings vom 11. September und vom 8. Dezember 2022 (vgl 1./a./ und 1./b./) um Kommentare zu auf der Facebook-Seite des Privatanklägers veröffentlichten Beiträgen handelte, somit – im Sinn des Vorbringens in der Privatanklage – um auf dessen Facebook-Seite erfolgte Veröffentlichungen.

[13] Hinsichtlich des Postings vom 27. April 2023 (1./c./) kann dem Urteil entnommen werden, dass es sich um einen Kommentar zu einem von Bi* auf dessen Facebook-Seite veröffentlichten Beitrag handelte, somit um eine auf der Facebook-Seite des Bi* erfolgte Veröffentlichung.

[14] Zum Bedeutungsinhalt der drei Postings des Angeklagten hielt das Erstgericht zusammengefasst fest (US 7), dass der Begriff „Punschkrapferl“ als Sinnbild für Personen stehe, die sich nach außen als Sozialdemokraten darstellen, innerlich jedoch dem Nationalsozialismus anhängen oder nahestehen, und U* durch seine Äußerungen dem Privatankläger vorgeworfen hat, eine nationalsozialistische oder zumindest eine dem Nationalsozialismus nahestehende und diesen gut heißende Gesinnung aufzuweisen, was U* auch wusste und wollte (US 7). In subjektiver Hinsicht ging das Erstgericht ferner davon aus, dass dem Genannten bewusst war, dass „er als Medieninhaber der von ihm betriebenen Facebook-Profilseite agiert und seine Äußerungen für mehr als 150 Personen unmittelbar wahrnehmbar sein würden, entweder indem sie ohne Zutun dieser Personen auf deren Profilseite angezeigt werden oder dadurch, dass seine Facebook-Freunde und diejenigen des Privatanklägers Beiträge des Privatanklägers anklicken und daraufhin auch die Kommentare des Angeklagten angezeigt bekommen“ (US 8, vgl auch US 11).

[15] Diesen Urteilsausführungen kann nicht entnommen werden, dass die zu Beiträgen auf den Facebook-Seiten von Dr. B* und Bi* vom Angeklagten – unter Benutzung seines Facebook-Accounts – geposteten Kommentare (auch) auf dessen eigener Profil-Seite veröffentlicht wurden.

[16] Das Erstgericht konstatierte weiters, dass die inkriminierten Kommentare des Angeklagten „auf der Profilseite des Privatanklägers“ jeweils nur kurze Zeit sichtbar waren, weil sie der Privatankläger, sobald er sie dort bemerkte, gleich ausblendete (US 8), und hielt ferner fest, dass der Privatankläger „jedoch nicht die Möglichkeit [hatte und hat], die Kommentare auch auf der Profilseite des Angeklagten auszublenden oder zu löschen“. Diese Passage lässt einen Sachverhaltsbezug zu den oben referierten Feststellungen in Ansehung jenes Mediums, in dem die Veröffentlichung der inkriminierten Kommentare erfolgte, vermissen. Denn dass die Veröffentlichungen – nicht nur auf den Profilseiten des Privatanklägers (vgl 1./a./ und 1./b./) unddes Bi* (vgl 1./c./), sondern – auch auf der Profil-Seite des Angeklagten erfolgten, kann den Entscheidungsgründen gerade nicht entnommen werden.

[17] Mit Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 14. Dezember 2023, AZ 18 Bs 252/23z, wurde der Berufung des U* wegen Schuld und (inhaltlich auch jener wegen) Nichtigkeit nicht Folge gegeben, jedoch aus deren Anlass das angefochtene Urteil im Schuldspruch 2./ und im korrespondierenden Zuspruch nach § 6 Abs 1 MedienG aufgehoben, in diesem Umfang ein Freispruch gefällt und der Entschädigungsantrag abgewiesen. Für die U* zu 1./ weiterhin zur Last liegenden Vergehen der üblen Nachrede nach § 111 Abs 1 und Abs 2 StGB setzte das Berufungsgericht die Geldstrafe neu fest; die Höhe der Entschädigungen für die unter 1./ angeführten Veröffentlichungen wurde in Stattgebung der dagegen gerichteten Berufung wegen Strafe auf jeweils 150 Euro herabgesetzt.

[18] Einleitend seiner Entscheidungsgründe hielt das Oberlandesgericht Wien fest, dass Gegenstand des Verfahrens von U* „verfasste, auf der von ihm unter dem Nutzernamen 'M* U*' betriebenen Facebook-Webseite veröffentlichte Beiträge am 11. September 2022, 8. Dezember 2022 und 27. April 2023“ sowie ein von ihm am 13. September 2022 „auf der Facebook-Webseite des Privatanklägers“ veröffentlichter Beitrag sind (ON 17.4, 3).

[19] Das Berufungsgericht stufte die beweiswürdigenden Erwägungen des Erstgerichts als überzeugend sowie die erstrichterlichen Feststellungen als unbedenklich ein (ON 17.4, 5 ff) und erachtete – auf Basis der erstrichterlichen Sachverhaltsannahmen – dem Vorbringen der Nichtigkeitsberufung (§ 489 Abs 1 iVm § 281 Abs 1 Z 9 lit a StPO) zuwider hinsichtlich der Veröffentlichungen vom 11. September 2022, 8. Dezember 2022 und 27. April 2023 (1./a./, 1./b./ und 1./c./) jeweils den Tatbestand der üblen Nachrede nach § 111 Abs 1 und Abs 2 StGB in objektiver und subjektiver Hinsicht als erfüllt (ON 17.4, 8 ff).

[20] Zum Entschädigungsanspruch nach § 6 Abs 1 MedienG hinsichtlich dieser drei Veröffentlichungen hielt das Berufungsgericht in Erledigung der Strafberufung fest, dass dem Erstgericht insofern ein Fehler unterlaufen sei, als es unterlassen habe, für jede einzelne der inkriminierten Äußerungen, die nicht in einem Zusammenhang gestanden seien, sondern jeweils zu verschiedenen Zeitpunkten und in verschiedenem Kontext erfolgt seien, eine gesonderte Entschädigung festzusetzen, und erachtete eine Entschädigung in Höhe von 150 Euro pro inkriminierter Veröffentlichung als angemessen (ON 17.4, 2 und 14 ff).

Rechtliche Beurteilung

[21] Gegen die Urteile des Landesgerichts Korneuburg vom 11. Mai 2023 und des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 14. Dezember 2023 richten sich die von der Generalprokuratur erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes sowie der Antrag des U* auf Erneuerung des Verfahrens gemäß § 363a StPO.

[22] Wie die Generalprokuratur zutreffend ausführt, stehen die Urteile mit dem Gesetz nicht im Einklang.

[23] Wird in einem Medium der objektive Tatbestand der üblen Nachrede hergestellt, so hat der Betroffene gemäß § 6 Abs 1 MedienG gegen den Medieninhaber Anspruch auf eine Entschädigung für die erlittene persönliche Beeinträchtigung. Der Anspruch nach § 6 MedienG besteht demnach ausschließlich gegen den Medieninhaber iSd § 1 Abs 1 Z 8 MedienG (Rami in WK² MedienG Vor §§ 6–7c Rz 4; Berka in Berka/Heindl/Höhne/Koukal, Praxiskommentar MedienG4 Vor §§ 6–8a Rz 34 ff).

[24] Medieninhaber eines elektronischen Mediums ist gemäß § 1 Abs 1 Z 8 lit c MedienG, wer dessen inhaltliche Gestaltung besorgt und dessen Ausstrahlung, Abrufbarkeit oder Verbreitung entweder besorgt oder veranlasst. Medieninhaber einer Website ist somit der für deren inhaltliche Gesamtgestaltung Letztverantwortliche (RIS‑Justiz RS0125859; Rami in WK² MedienG § 1 Rz 47).

[25] In diesem Sinn ist der Betreiber einer Facebook-Profilseite, dem die inhaltliche Gestaltung dieser Website zukommt und der die Möglichkeit hat, nicht nur eigene Beiträge, sondern auch Kommentare anderer Nutzer zu löschen oder für bestimmte Nutzer auszublenden und Kommentierende zu „sperren“, Medieninhaber dieser Profilseite (RIS‑Justiz RS0125859 [T2]; Rami in WK² MedienG § 1 Rz 47/5; Koukal in Berka/Heindl/Höhne/Koukal, Praxiskommentar MedienG4 § 1 Rz 30g).

[26] Dass auf der von einem Facebook-Nutzer betriebenen Profilseite andere Facebook-Nutzer – von ihrem Facebook-Konto aus – Postings in Form von Kommentaren veröffentlichen können, macht die Verfasser dieser Kommentare nicht zu Medieninhabern (Rami in WK² MedienG § 1 Rz 47/2 mwN).

[27] Die Zuerkennung eines Entschädigungsanspruchs nach § 6 Abs 1 MedienG erfordert Sachverhaltsannahmen, auf deren Grundlage die Anspruchsvoraussetzungen dieses Entschädigungstatbestands erfüllt sind.

[28] So erfordert die in einem Strafurteil ausgesprochene Verpflichtung des Angeklagten (vgl § 8 Abs 2 erster Satz MedienG) zur Zahlung einer Entschädigung nach § 6 Abs 1 MedienG ua Tatsachenfeststellungen, die die rechtliche Annahme der Medieninhaberschaft des Angeklagten tragen.

[29] Nach den Feststellungen des Landesgerichts Korneuburg erfolgten die von den Schuldsprüchen 1./ erfassten Veröffentlichungen auf den Facebook-Seiten des Privatanklägers Dr. B* (1./a./ und 1./b./) sowie des Bi* (1./c./). Diese sind – auf Basis der erstrichterlichen Konstatierungen zu den Gestaltungsmöglichkeiten – Medieninhaber dieser Webseiten. Allein der Umstand, dass die inkriminierten Postings von U* unter Nutzung seines eigenen Facebook-Kontos verfasst wurden, macht diesen noch nicht zum Medieninhaber.

[30] Dass die inkriminierten Äußerungen jeweils auch auf der von U* betriebenen Facebook-Seite erfolgten (hinsichtlich derer dem Genannten die Stellung des Medieninhabers zukommt), kann der Gesamtheit der erstrichterlichen Entscheidungsgründe nicht entnommen werden.

[31] Solcherart vermögen aber die Urteilsfeststellungen die rechtliche Annahme, der Angeklagte sei Inhaber jenes Mediums, in dem die unter 1./a./, 1./b./ und 1./c./ angeführten Veröffentlichungen erfolgten, nicht zu tragen.

[32] Das Urteil des Landesgerichts Korneuburg verletzt daher in Ansehung der Verpflichtung des U* zur Zahlung einer Entschädigung nach § 6 Abs 1 MedienG wegen der unter 1./a./, 1./b./ und 1./c./ angeführten Veröffentlichungen das Gesetz in der genannten Bestimmung.

[33] Indem das Oberlandesgericht Wien diesen dem Ersturteil in Ansehung der Zuerkennung eines Entschädigungsanspruchs nach § 6 Abs 1 MedienG anhaftenden, U* zum Nachteil gereichenden Rechtsfehler (§ 489 Abs 1 iVm § 281 Abs 1 Z 9 lit a StPO) nicht amtswegig wahrgenommen hat (§ 489 Abs 1 iVm § 471 iVm § 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO iVm § 41 Abs 1 MedienG; vgl zur Überprüfungspflicht in Hinsicht auf den Urteilsinhalt: Ratz, WK‑StPO § 290 Rz 17), verletzte es § 6 Abs 1 MedienG sowie § 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO.

[34] Da sich diese Gesetzesverletzungen zum Nachteil des Angeklagten und Antragsgegners ausgewirkt haben, sah sich der Oberste Gerichtshof veranlasst, deren Feststellung – in Hinblick auf den fristgerechten Erneuerungsantrag gemäß § 363a StPO – mit konkreter Wirkung zu verknüpfen (§ 292 letzter Satz StPO iVm § 41 Abs 1 und Abs 6 MedienG; RIS‑Justiz RS0124740, RS0124838 [T4], RS0124798 [T2]).

[35] Soweit sich der Antrag des Verurteilten und Antragsgegners auf Erneuerung des Verfahrens gemäß § 363a StPO gegen die Berufungsentscheidung des Oberlandesgerichts Wien vom 14. Dezember 2023 in Ansehung des Ausspruchs nach § 6 Abs 1 MedienG richtet, war er auf die Entscheidung über die Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes zu verweisen.

[36] Im Übrigen war sein Antrag jedoch – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – gemäß § 363b Abs 2 Z 2 und Z 3 StPO iVm § 41 Abs 1 MedienG zurückzuweisen.

[37] Sowohl gegen das Urteil des Landesgerichts Korneuburg als auch gegen jenes des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht richtet sich der rechtzeitige Antrag des Verurteilten und Antragsgegners auf Erneuerung des Verfahrens gemäß § 363a StPO iVm § 41 Abs 1 MedienG (RIS‑Justiz RS0122228) mit der Behauptung, seine in Ansehung der Veröffentlichungen vom 11. September 2022, 8. Dezember 2022 und 27. April 2023 (1./a./, 1./b./ und 1./c./) erfolgte Verurteilung wegen § 111 Abs 1 und 2 StGB und Verpflichtung zur Zahlung einer Entschädigung nach § 6 Abs 1 MedienG verletzten Art 10 MRK.

[38] Soweit sich der Erneuerungsantrag gegen das Urteil des Landesgerichts Korneuburg vom 11. Mai 2023, GZ 328 Hv 24/23g‑8.6, richtet, war er zurückzuweisen (§ 363b Abs 2 Z 2 StPO), weil Erneuerungsanträge gegen Entscheidungen, die der Erneuerungswerber mit Berufung anfechten kann, unzulässig sind (vgl Art 35 Abs 1 MRK; RIS‑Justiz RS0124739 [T4]).

[39] Soweit sich dieser durch das Berufungsurteil des Oberlandesgerichts Wien in Ansehung der Verurteilung wegen § 111 Abs 1 und 2 StGB in seinem durch Art 10 MRK garantierten Recht auf Freiheit der Meinungsäußerung verletzt erachtet, kommt dem Erneuerungsantrag keine Berechtigung zu.

[40] Der Antragsteller behauptet, seine satirischen Äußerungen über den (ehemaligen) S*‑Politiker Dr. B* wären als kritisches Werturteil von Art 10 MRK gedeckt.

[41] Ein nicht auf eine Entscheidung des EGMR gestützter Erneuerungsantrag hat deutlich und bestimmt darzulegen, worin eine Grundrechtsverletzung zu erblicken sei. Dabei hat er sich mit der als grundrechtswidrig bezeichneten Entscheidung in allen relevanten Punkten auseinanderzusetzen (RIS‑Justiz RS0124359) und – soweit er (auf Grundlage der Gesamtheit der Entscheidungsgründe) nicht Begründungsmängel aufzeigt oder erhebliche Bedenken gegen die Richtigkeit getroffener Feststellungen zu wecken vermag – seine Argumentation auf Basis der Tatsachenannahmen der bekämpften Entscheidung methodengerecht zu entwickeln (RIS‑Justiz RS0125393 [T1], RS0128393).

[42] Diesen Anforderungen wird der Erneuerungsantrag nicht gerecht.

[43] Denn das Antragsvorbringen, der Angeklagte habe mit den Begriffen „braun“ und „Punschkrapferl“ dem Privatankläger keineswegs unterstellt, „dieser sei ein Nazi oder nationalsozialistischen Gedanken zugänglich“, orientiert sich nicht an den vom Erstgericht getroffenen, vom Berufungsgericht übernommenen Feststellungen zum Bedeutungsinhalt der inkriminierten Äußerungen, wonach U* dem Privatankläger eine nationalsozialistische oder zumindest eine dem Nationalsozialismus nahestehende und diesen gutheißende Gesinnung vorgeworfen hat (ON 8.6, 7 f, ON 17.4, 8).

[44] Indem der Erneuerungswerber darauf verweist, dass der Privatankläger einen Link zu dem als rechts eingestuften Medium „e*“ gepostet und selbst angegeben habe, dass er „in der öffentlichen Wahrnehmung des Öfteren als Person mit Interessen am rechten politischen Spektrum wahrgenommen werde“, sowie seine den konstatierten Bedeutungsinhalt und die subjektive Tatseite leugnende – vom Berufungsgericht erörterte (ON 17.4, 6 iVm ON 8.6, 9 f) – Verantwortung wiederholt, zeigt er Begründungsmängel der zum Bedeutungsinhalt seiner Äußerungen und zur inneren Tatseite getroffenen Urteilsfeststellungen (vgl ON 17.4, 6 f iVm ON 8.6, 7 f) nicht auf und vermag auch keine erheblichen Bedenken gegen deren Richtigkeit zu wecken.

[45] Soweit der Erneuerungswerber meint, der Privatankläger habe sich als (ehemaliger) Politiker, der sich auf Facebook in den öffentlichen Diskurs einbringe, „mehr gefallen zu lassen“, und „die Schwelle zum Wertungsexzess“ sei insofern höher anzusetzen, ist ihm Folgendes zu erwidern:

[46] Zur öffentlichen Meinungsbildung bestimmte kritische Werturteile sind – unter dem Gesichtspunkt des Grundrechts auf Freiheit der Meinungsäußerung nach Art 10 MRK – nach § 111 Abs 1 StGB nicht tatbildlich, wenn sie auf (unbestrittene oder erwiesene, wenigstens aber gutgläubig angenommene) gleichzeitig berichtete oder zumindest allgemein bekannte Tatsachen gestützt werden, solcherart durch ein hinreichendes Tatsachensubstrat gedeckt und in Relation zu diesem nicht exzessiv, nämlich unverhältnismäßig überzogen sind und sich nicht in bloß formalen Ehrenbeleidigungen erschöpfen (15 Os 130/16f, 131/16b EvBl 2017/83 mit Anm Rami = MR 2017, 51 mit Anm Zöchbauer; RIS‑Justiz RS0075690, RS0075702; Lambauer/Unger, SbgK Vorbem §§ 111 bis 117 Rz 58, 70; Grabenwarter/Pabel, EMRK7 § 23 Rz 30). Die Grenzen zulässiger Kritik sind gegenüber Politikern und in vergleichbarer Weise in der Öffentlichkeit stehenden Personen (public figures) weiter als gegenüber Privatpersonen (RIS‑Justiz RS0075696, RS0125220, RS0115541; Grabenwarter/Pabel, EMRK7 § 23 Rz 34, 46). Privatpersonen müssen dann mehr Kritik hinnehmen, wenn sie sich durch die Teilnahme an einer öffentlichen Diskussion aus dem Privaten herausbegeben (vgl Grabenwarter/Pabel, EMRK7 § 23 Rz 36). Hinsichtlich solcherart erhöhter Kritik unterworfenen Personen genügt bereits ein „dünnes“ Tatsachensubstrat für die Zulässigkeit einer Wertung (vgl RIS‑Justiz RS0127027).

[47] Inwiefern der vom Angeklagten gegenüber dem ehemaligen S*-Politiker Dr. B* (vgl ON 8.6, 3) erhobene Vorwurf einer nationalsozialistischen Gesinnung durch ein entsprechendes Tatsachensubstrat gedeckt und nicht unverhältnismäßig überzogen sein soll, macht der Antrag nicht klar. Denn er erklärt nicht, weshalb die Beiträge des Privatanklägers auf Facebook, insbesondere dessen Äußerungen zur S* und zu Dr. R* und zu D* sowie Verlinkungen zu Artikeln des „e*“ (ON 8.6, 5 f, ON 17.4, 10), auf eine nationalsozialistische Gesinnung des Dr. B* schließen ließen und sich die Äußerungen des Angeklagten bloß als subjektive Bewertung des Verhaltens des Privatanklägers darstellen sollen.

[48] Soweit sich der Erneuerungsantrag gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 14. Dezember 2023 in Ansehung der Verurteilung wegen § 111 Abs 1 und 2 StGB richtet, war er daher gemäß § 363b Abs 2 Z 3 StPO iVm § 41 Abs 1 MedienG zurückzuweisen.

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