OGH 3Ob22/25v

OGH3Ob22/25v26.2.2025

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Höllwerth als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen Dr. Weixelbraun‑Mohr und Dr. Kodek, den Hofrat Dr. Stefula und die Hofrätin Mag. Fitz als weitere Richter in der außerstreitigen Familienrechtssache des Antragstellers M*, vertreten durch Dr. Walter Platzgummer, Rechtsanwalt in Innsbruck, gegen die Antragsgegnerin V*, geboren am * 2004, *, vertreten durch Dr. Daniela Entner, Rechtsanwältin in Achenkirch, wegen Einwendungen gegen den Anspruch (§ 35 EO), über den Revisionsrekurs des Antragstellers gegen den Beschluss des Landesgerichts Innsbruck als Rekursgericht vom 6. Dezember 2024, GZ 53 R 111/24y‑21, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Schwaz vom 12. Juli 2024, GZ 1 Fam 17/24y‑13, abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2025:0030OB00022.25V.0226.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiete: Exekutionsrecht, Unterhaltsrecht inkl. UVG

Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Der Antragsteller ist schuldig, der Antragsgegnerin die mit 751,92 EUR (hierin enthalten 125,32 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisions-rekursverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Begründung:

[1] Die 2004 geborene Antragsgegnerin ist die Tochter des Antragstellers. Sie hat im September 2023 eine HBLA für Mode und Design mit der Matura abgeschlossen. Seit 25. November 2023 nimmt sie an einem „Work & Travel-Programm“ in Australien teil, das für eine Aufenthaltsdauer von zwölf Monaten vorgesehen ist. Während dieser Zeit bereisen die Teilnehmer Australien und können dort auch berufliche Erfahrungen sowohl in Teilzeit als auch in Vollzeit sammeln. Teilweise sind sie auch bei Gastfamilien unterbracht, wo sie freie Kost und Unterkunft erhalten und im Gegenzug Haus‑ und Gartenarbeiten zu erbringen haben. Dieses Programm dient dazu, Australien zu bereisen, zahlreiche Erfahrungen in verschiedenen Jobs zu sammeln und ihre Englischkenntnisse zu vertiefen; weiters dient es der Antragsgegnerin auch zur „Selbstfindung“.

[2] Mit vollstreckbarem Beschluss des Landesgerichts Innsbruck als Rekursgericht vom 6. August 2021 wurde der Antragsteller zur Leistung eines monatlichen Unterhaltsbeitrags von 560 EUR monatlich verpflichtet.

[3] Mit Beschluss des Erstgerichts vom 2. November 2023 zu 6 E 2759/23m wurde der Antragsgegnerin als Betreibender gegen den Antragsteller als Verpflichteten aufgrund des genannten Unterhaltstitels zur Hereinbringung des rückständigen Unterhalts für Oktober 2023 in Höhe von 560 EUR sowie des laufenden Unterhalts von 560 EUR monatlich ab November 2023 die Forderungsexekution gemäß § 295 EO bewilligt.

[4] Der Antragsteller begehrt mit seinem Oppositionsantrag den Ausspruch, dass der betriebene Unterhaltsanspruch seit Dezember 2023 gehemmt sei, weil die Antragsgegnerin jedenfalls für die Dauer ihres Aufenthalts in Australien im Rahmen des „Work & Travel-Programms“ selbsterhaltungsfähig sei.

[5] Die Antragsgegnerin wendete ein, ihr Auslandsjahr ziele darauf ab, ihre Englischkenntnisse zu verbessern und ihr weiteres Fortkommen positiv zu beeinflussen. Nach Abschluss dieses Auslandsjahres, während dessen sie nicht selbsterhaltungsfähig sei, werde sie studieren.

[6] Das Erstgericht sprach – in Überschreitung des gestellten Antrags – aus, dass der titulierte Anspruch seit 1. Dezember 2023 zur Gänze erloschen sei. Einerseits sei die Antragsgegnerin in Australien dazu in der Lage, einer Teilzeit- oder auch Vollzeitbeschäftigung nachzugehen (worauf sie anzuspannen sei), und andererseits könne sie dort auch bei Gastfamilien bei freier Kost und Logis gegen Mithilfe bei Haus‑ und Gartenarbeiten untergebracht werden, wodurch sie voll versorgt sei.

[7] Das Rekursgericht änderte den erstgerichtlichen Beschluss infolge Rekurses der Antragsgegnerin dahin ab, dass es den Oppositionsantrag abwies. Die Ablegung der Reifeprüfung führe noch nicht zum Eintritt der Selbsterhaltungsfähigkeit. Aus dem Umstand, dass die Antragsgegnerin dem Antragsteller mitgeteilt habe, dass sie sich während des Auslandsjahres entscheiden werde, an welcher Universität sie sich anmelden werde, ergebe sich, dass ihre Ausbildung noch nicht abgeschlossen sei. Nach ständiger Rechtsprechung verliere ein Kind nicht schon deshalb seinen Unterhaltsanspruch, weil es nicht sogleich nach der Matura ein Studium beginne oder ein aufgenommenes Studium aufgrund „besserer Einsicht“ wechsle, wobei für die Wahl eines den Neigungen und Fähigkeiten entsprechenden Studiums eine gewisse Überlegungsfrist (im Allgemeinen längstens bis zu einem Jahr) „nötig“ sei. Diese „Überlegungs‑ oder Korrekturfristen“ müssten daher auch für Kinder gelten, die sich, wie die Antragsgegnerin, vor Wahl einer weiterführenden Ausbildung dazu entscheiden, zunächst im Ausland erste eingeschränkte Arbeitserfahrungen in unterschiedlichen Bereichen zu sammeln und Sprachkenntnisse zu vertiefen. Dadurch würden die Chancen der Antragsgegnerin auf dem Arbeitsmarkt zweifellos verbessert. Wollte man der Antragsgegnerin die Möglichkeit eines solchen Auslandsaufenthalts absprechen, käme dies auch einer Schlechterstellung gegenüber jenen Kindern gleich, die sogleich nach der Matura eine spezifische Ausbildung wählen und in der Folge (innerhalb einer angemessenen Frist von rund einem Jahr) einen Wechsel der Studienrichtung vornehmen. Es sei auch davon auszugehen, dass eine solche Möglichkeit einem Kind auch in einer intakten Familie eingeräumt würde. Dass dem Antragsteller die Leistung weiteren Unterhalts nicht zumutbar wäre, habe er nicht behauptet.

[8] Das Rekursgericht ließ den ordentlichen Revisionsrekurs zu, weil höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage fehle, ob ein Auslandsaufenthalt zur Vertiefung der Sprachkenntnisse und zum Sammeln erster Arbeitserfahrungen bzw zur Selbstfindung in der Dauer von zwölf Monaten nach Abschluss einer berufsbildenden höheren Schule und vor Beginn eines Studiums als „Überlegungsfrist“ anzusehen sei und damit der Unterhaltsanspruch nicht verloren gehe.

[9] Mit seinem Revisionsrekurs strebt derAntragsteller die Stattgebung seines Oppositionsantrags an.

[10] Die Antragsgegnerin beantragt in ihrer Revisionsrekursbeantwortung, dem Revisionsrekurs nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[11] Der Revisionsrekurs ist zur Klarstellung der Rechtslage zulässig; er ist abernicht berechtigt.

[12] 1. Die Ablegung der Reifeprüfung allein genügt nach der Rechtsprechung nicht zur Erlangung der Selbsterhaltungsfähigkeit (RS0047527). Im Allgemeinen schließt erst an die Beendigung (den Abschluss oder Abbruch) der Schule die Berufsausbildung an (RS0047527 [T3]).

[13] 2. Der Antragsteller behauptet zu Recht nicht, dass der Unterhaltsanspruch der Antragsgegnerin bereits aufgrund der Ablegung der Matura dauerhaft erloschen sei. Selbst wenn nämlich der Schulabschluss in einer berufsbildenden mittleren oder höheren Lehranstalt mit der Berechtigung zur Ausübung eines Lehrberufs oder den Voraussetzungen für die Ausübung eines Gewerbes verbunden ist, tritt nicht immer sogleich die Selbsterhaltungsfähigkeit ein. In ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs wird auch in solchen Fällen zunächst der Anspruch eines Kindes bejaht, die bereits erworbene berufliche Qualifikation durch eine weiterführende Berufsausbildung auf Kosten der Eltern im Rahmen derer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit zu ergänzen, wenn es die erforderliche Neigung und Begabung aufweist und den Abschluss einer solchen Ausbildung ernsthaft und zielstrebig verfolgt. Eine Ungleichbehandlung der Absolventen von berufsbildenden und allgemeinbildenden höheren Schulen ist grundsätzlich nicht angebracht, zumal die Wahl der Schulform in der Regel auf einem Wunsch der Eltern beruht und in einem Alter getroffen wird, in dem das Kind meistens noch keine gefestigte Vorstellung von seinem künftigen Berufsweg hat (8 Ob 160/18i mwN).

[14] 3. Gegenstand des Oppositionsverfahrens ist daher ausschließlich die Frage, ob der Unterhaltsanspruch der Antragsgegnerin während ihres Aufenthalts in Australien, wie vom Antragsteller geltend gemacht, gehemmt ist.

[15] 4. Das Rekursgericht hat grundsätzlich zutreffend darauf verwiesen, dass dem Kind für die endgültige Wahl des Studiums oder der Berufsausbildung eine Überlegungs‑ und Korrekturfrist zuzubilligen ist, die im Allgemeinen die Dauer eines Jahres nicht übersteigen soll (vgl RS0047679 [T2, T4]). Allerdings ist dem Antragsteller zuzugestehen, dass das von der Antragsgegnerin in Anspruch genommene Auslandsjahr gerade nicht mit einem Universitätsstudium oder einer sonstigen zielgerichteten Ausbildung gleichzusetzen ist.

[16] 5. Allerdings ist die Entscheidung des Rekursgerichts im Ergebnis dennoch nicht zu beanstanden:

[17] 5.1. Nach der Rechtsprechung besteht grundsätzlich keine Anspannungsobliegenheit des an sich nicht selbsterhaltungsfähigen Kindes, sich um Erträgnisse oder Einkünfte zu bemühen. Davon macht die Rechtsprechung nur dann eine Ausnahme, wenn es sich um „leicht erzielbare“ Erträgnisse und Sozialleistungen handelt und die Erzielung dem Kind auch nicht aus einem anderen Grund unzumutbar ist. Verletzt das Kind diese Obliegenheit, so wird es so behandelt, als hätte es ihr entsprochen. Tatsächlich lukrierten Einkünften gleichgestellt sind unterlassene Einkünfte aber nur, wenn ihre Erzielung dem Kind (objektiv) leicht möglich und (subjektiv) zumutbar war (3 Ob 74/24i mwN).

[18] 5.2. Ein Au‑pair‑Mädchen, das neben Kost und Quartier von der Gastfamilie ein Taschengeld erhält, ist grundsätzlich nicht selbsterhaltungsfähig (4 Ob 502/93).

[19] 5.3. Der Aktenlage ist nicht zu entnehmen, dass die Antragsgegnerin während ihres Aufenthalts in Australien nennenswerte Arbeitseinkünfte erzielt hätte; zeitweise war sie (nur) gegen freie Kost und Logis – also ohne zusätzliches Taschengeld des Unterkunftgebers – bei einer Gastfamilie untergebracht, bei der sie im Gegenzug im Haushalt und im Garten mitzuarbeiten hatte.

[20] 5.4. Ausgehend von diesem Sachverhalt erschiene es nicht sachgerecht, die Antragsgegnerin schlechter zu stellen, als wäre sie für ein Jahr ins Ausland gegangen, um dort als Au‑pair‑Mädchen zu arbeiten. Das von ihr in Anspruch genommene Auslandsprogramm ist nämlich insofern durchaus mit einer Au‑pair‑Tätigkeit vergleichbar, als die Antragsgegnerin dadurch die Möglichkeit hat, nach Abschluss ihrer Schulausbildung außerhalb ihres gewohnten Umfelds erste Berufserfahrungen zu sammeln, gleichzeitig ihre Englischkenntnisse zu verbessern, ihre Selbständigkeit zu erhöhen und nicht zuletzt auch mehr Klarheit über den von ihr künftig einzuschlagenden Berufsweg bzw eine ihren Neigungen entsprechende weitere (universitäre oder sonstige) Ausbildung zu gewinnen.

[21] 6. Die behauptete Mangelhaftigkeit des Rekursverfahrens liegt nicht vor; dass das Rekursgerichts seiner Entscheidung – wenn auch ohne explizite Beweisergebnisse – zugrunde legte, dass der Auslandsaufenthalt der Antragsgegnerin samt damit einhergehender Vertiefung ihrer englischen Sprachkenntnisse sowie gesammelter Arbeitserfahrungen geeignet sei, ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt zu verbessern, ist schon deshalb unbedenklich, weil diese Auswirkungen des Auslandsaufenthalts offenkundig sind.

[22] 7. Der Revisionsrekurs muss daher erfolglos bleiben.

[23] Die Kostenentscheidung beruht auf § 78 Abs 2 AußStrG.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte