European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2025:0150OS00114.24I.0226.000
Rechtsgebiet: Strafrecht
Fachgebiet: Medienrecht
Spruch:
Der Antrag wird zurückgewiesen.
Gründe:
[1] In der Medienrechtssache des Antragstellers * G* gegen den Antragsgegner Ö* (O*) wegen §§ 6 Abs 1, 7b Abs 1 MedienG wurde mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 25. April 2023, GZ 93 Hv 2/23d‑5.3, ausgesprochen, dass „im Rahmen einer Sendung vom 6. 10. 2022 aus Anlass der Bundespräsidentenwahl 2022 auf dem Fernsehsender *, in welcher behauptet wurde, der Antragsteller * G* sei wegen übler Nachrede rechtskräftig strafrechtlich verurteilt worden, […] in einem Medium in Bezug auf den Antragsteller der objektive Tatbestand der üblen Nachrede nach § 111 Abs 1 und 2 StGB hergestellt und dessen Unschuldsvermutung verletzt“ wurde.
[2] Dem Antragsgegner wurde nach §§ 6 Abs 1, 7b Abs 1 MedienG die Zahlung einer Entschädigung sowie gemäß § 8a Abs 1 MedienG iVm § 389 Abs 1 StPO der Ersatz der Verfahrenskosten auferlegt; nach § 8a Abs 6 MedienG wurde er überdies zur Urteilsveröffentlichung verpflichtet.
[3] Der dagegen erhobenen Berufung des Antragsgegners wegen Nichtigkeit sowie des Ausspruchs über die Schuld und die Strafe gab das Oberlandesgericht Wien als Berufungsgericht mit Urteil vom 16. Mai 2024, AZ 18 Bs 216/23f, nicht Folge. Zum Bedeutungsinhalt der inkriminierten Interviewpassage übernahm es die folgenden vom Erstgericht – dort durch wörtliche Zitierung – getroffenen Feststellungen und schlussfolgerte daraus wie folgt:
[4] Gegenständlich wird die inkriminierte Passage des Interviews mit dem Antragsteller in der Live-Sendung zur Bundespräsidentenwahl 2022 vom Moderatorenteam damit eingeleitet, dass der Antragsteller damit konfrontiert wird, dass zahlreiche, namentlich genannte frühere *‑Politiker wegen Korruptionsdelikten verurteilt wurden (US 4: „Sie treten als Kandidat gegen Korruption auf. Das hat uns jetzt ein bisschen überrascht. Sie waren ja Obmann des *, also jener Partei, * W*, die Gebrüder S*, * D*, * Do*, * P*, allesamt *-Politiker, rechtskräftig wegen Korruptionsdelikten verurteilt.“), woran im unmittelbaren Anschluss die Frage geknüpft wird, wie der Antragsteller angesichts dessen als ehemaliger *‑Obmann nunmehr glaubhaft gegen Korruption auftreten wolle (US 4: „Wie wollen Sie da glaubhaft gegen Korruption auftreten?“). Auf diese Frage bzw den damit transportierten Vorwurf der Unglaubwürdigkeit seines Wahlprogramms angesichts der kriminellen Vergangenheit zahlreicher Parteifunktionäre entgegnet der Antragsteller mit den Worten: „Schauen Sie, jetzt stehe ich zur Wahl des Bundespräsidenten und ich hab das in einem Buch aufgearbeitet, auch die Schalmeientöne, wo man probiert hat, mich in ein korruptes Feld zu drängen. Ich bin nie vor Gericht gestanden.“ Letzterer Satz steht damit nicht isoliert für sich, sondern ist im gegebenen Kontext klar und deutlich so zu verstehen, dass er (der Antragsteller) nie wegen derartiger Korruptionsdelikte oder auch anderer Straftaten vor Gericht gestanden habe, also gegen seine Person (im Unterschied zu anderen *‑Politikern) kein Strafverfahren geführt worden sei und er auch nicht vorbestraft sei.
[5] Dieser Aussage (und nicht der einschränkungslosen Behauptung des Antragstellers, generell niemals vor irgendeinem Gericht gestanden zu haben) widerspricht die Moderatorin Dr. Sc*, indem sie dem Antragsteller eine rechtskräftige Verurteilung wegen übler Nachrede, Kreditschädigung und Ehrenbeleidigung im Zusammenhang mit der fälschlichen Unterstellung einer sexuellen Beziehung einer O*-Kollegin mit einem*‑Politiker im Jahr 2007 vorhält (US 4: „Das stimmt nicht. Sie sind rechtskräftig verurteilt wegen übler Nachrede, wegen Kreditschädigung, wegen Ehrenbeleidigung. Sie haben eine O*-Kollegin 2007 wegen, fälschlicherweise, wegen einer sexuellen Beziehung, einem Verhältnis zu einem *‑Politiker beschuldigt. Sie sind rechtskräftig verurteilt.“)Dass der Zuschauer unter dieser vorgehaltenen rechtskräftigen Verurteilung (wie vom Erstgericht konstatiert) eine strafgerichtliche Verurteilung versteht, ergibt sich somit aus der Stoßrichtung der Einleitung (zahlreiche ehemalige Parteigenossen wurden wegen Korruptionsdelikten verurteilt) und der darauf konkret Bezug nehmenden Antwort des Antragstellers (also dem Gesamtkontext der Äußerung). Verstärkt wird dieser Eindruck durch die Benennung von zwei Deliktsbezeichnungen aus dem Strafgesetzbuch, nämlich des Vergehens der üblen Nachrede nach § 111 StGB und des Vergehens der Kreditschädigung nach § 152 StGB. Dass der zudem verwendete Begriff „Ehrenbeleidigung“ (auch) mit dem Zivilrecht assoziiert wird, ändert an diesem Gesamteindruck nichts (US 4 ff).
Rechtliche Beurteilung
[6] Gegen beide Urteile richtet sich der auf die Behauptung einer Verletzung im Grundrecht auf Freiheit der Meinungsäußerung nach Art 10 MRK gestützte Antrag des Antragsgegners auf Erneuerung des Verfahrens gemäß § 363a Abs 1 StPO im erweiterten Anwendungsbereich (RIS‑Justiz RS0122228) iVm § 41 Abs 1 MedienG.
Diesem kommt keine Berechtigung zu:
[7] Soweit sich der Erneuerungsantrag gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien, GZ 93 Hv 2/23d‑5.3, richtet, ist er gemäß § 363b Abs 2 Z 2 StPO iVm § 41 Abs 1 MedienG zurückzuweisen, weil Erneuerungsanträge gegen Entscheidungen, die der Erneuerungswerber mit Berufung anfechten kann, unzulässig sind (vgl Art 35 Abs 1 MRK; RIS‑Justiz RS0124739 [T4]).
[8] Auch dem gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht, AZ 18 Bs 216/23f, gerichteten Antrag kommt keine Berechtigung zu:
[9] Für einen – wie hier – nicht auf ein Urteil des EGMR gestützten Erneuerungsantrag gelten alle bezogen auf die Anrufung dieses Gerichtshofs normierten Zulässigkeitsvoraussetzungen der Art 34 und 35 MRK sinngemäß (RIS‑Justiz RS0122737, RS0128394).
[10] Da die Opfereigenschaft nach Art 34 MRK nur anzunehmen ist, wenn der Beschwerdeführer substantiiert und schlüssig vorträgt, in einem bestimmten Konventionsrecht verletzt zu sein, hat ein Erneuerungsantrag deutlich und bestimmt darzulegen, worin eine Grundrechtsverletzung im Sinn des § 363a Abs 1 StPO zu erblicken sei (RIS‑Justiz RS0122737 [T17]). Ferner hat er sich mit der als grundrechtswidrig bezeichneten Entscheidung in allen relevanten Punkten auseinanderzusetzen (RIS‑Justiz RS0124359) und – soweit er (auf Grundlage der Gesamtheit der Entscheidungsgründe) nicht Begründungsmängel aufzeigt oder erhebliche Bedenken gegen die Richtigkeit getroffener Feststellungen weckt – seine Argumentation auf Basis der Tatsachenannahmen der bekämpften Entscheidung zu entwickeln (RIS‑Justiz RS0125393 [T1]; Rebisant, WK‑StPO §§ 363a–363c Rz 84).
[11] Diese Voraussetzungen der Anfechtbarkeit von Feststellungen sind auch beim Bedeutungsinhalt einer inkriminierten Äußerung (insbesondere im Bereich der Mediengerichtsbarkeit) von Bedeutung (vgl RIS‑Justiz RS0123504 [T1]; Rebisant, WK‑StPO §§ 363a–363c Rz 85).
[12] Die Behandlung von Erneuerungsanträgen bedeutet somit nicht die Überprüfung einer Rechtssache nach Art einer zusätzlichen Beschwerde‑ oder Berufungsinstanz, sondern beschränkt sich auf die Prüfung der reklamierten Verletzung eines Rechts nach der MRK oder eines ihrer Zusatzprotokolle (vgl RIS‑Justiz RS0129606 [T2, T3]).
[13] Den dargestellten Erfordernissen wird das gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien gerichtete Vorbringen nicht gerecht:
[14] Danach hätte das Berufungsgericht den „Bedeutungsgehalt des fraglichen Live-Interviews grundlegend verkannt“, bestünden gegen „die Richtigkeit der für die rechtliche Beurteilung maßgebenden Sachverhaltsannahmen in Form der Tatsachenfeststellungen zum Bedeutungsgehalt – nämlich, dass der angesprochene Zuschauer die inkriminierte Veröffentlichung dahingehend verstanden habe, dass dieser wegen Übler Nachrede und sonstiger ähnlicher Delikte strafrechtlich verurteilt worden sei“ – erhebliche Bedenken und ließe sich „sogar begründen, dass die Tatsachenfeststellungen gegen das Willkürverbot (§ 281 Abs 1 Z 5 vierter Fall StPO) verstoßen“.
[15] Eine Verletzung des Grundrechts auf freie Meinungsäußerung nach Art 10 MRK ist dann gegeben, wenn die Gerichte den ihnen zukommenden Ermessensspielraum in willkürlicher Weise überschritten haben (RIS‑Justiz RS0134417; zur Kritik gegenüber Politikern siehe RIS‑Justiz RS0115541,RS0082182 [insb T16], RS0032201; zur freien Meinungsäußerung iZm der Presse vgl RIS‑Justiz RS0123667 und in der Form eines Interviews siehe RIS‑Justiz RS0126045).
[16] Der Bedeutungsinhalt einer inkriminierten Textpassage, einer bildlichen oder filmischen Darstellung (15 Os 172/08w, 173/08t) ist – als Tatfrage (RIS‑Justiz RS0092588) – aus der Sicht jenes Rezipienten, an den sich die Publikation nach ihrer Aufmachung und Schreibweise sowie den behandelten Themen richtet unter Berücksichtigung dessen Vor- und Begleitwissens (15 Os 21/16a, 62/16f), nach deren Wortsinn aus dem Gesamtzusammenhang der damit inhaltlich im Konnex stehenden Ausführungen zu ermitteln, sodass auf den situativen Kontext abzustellen ist, in den der fragliche Aussagegehalt einzuordnen ist. Die urteilsmäßige Feststellung des Bedeutungsinhalts obliegt dem Gericht in Ausübung des ihm nach § 258 Abs 2 StPO zukommenden Beweiswürdigungsermessens (RIS‑Justiz RS0092588 [T35, T36, T39], RS0123503).
[17] Fallbezogen legte das Berufungsgericht – unter Verweis auf die als zutreffend erachteten Ausführungen des Erstgerichts (US 4 ff) – anhand der von der Rechtsprechung entwickelten Auslegungsprämissen (vgl US 3) mit ausführlicher Begründung unter eingehender Auseinandersetzung mit den Argumenten des Antragsgegners und expliziter Berücksichtigung der Besonderheiten einer Live-Sendung (US 6 ff) sowie mit Blick auf den Gesamtzusammenhang, den Wortlaut und den situativen Kontext seiner Entscheidung den vom Erstgericht ermittelten Bedeutungsinhalt zugrunde (US 9).
[18] Indem der Erneuerungsantrag eigenständige Überlegungen dazu anstellt und insbesondere behauptet, es habe aufgrund des Wesens von Live-Interviews keinen durchgängigen Zusammenhang zur *‑Korruption gegeben, es sei ferner – auch mit Blick auf entsprechende User-Kommentare – im Gesamtzusammenhang eine Klarstellung in Richtung einer zivilgerichtlichen Verurteilung erfolgt und es liege eine mehrdeutige Terminologie vor, weshalb im Zweifel keine anspruchsbegründenden Tatsachen vorgelegen seien, orientiert er sich nicht an der Gesamtheit der eingangs wiedergegebenen Feststellungen zum Bedeutungsinhalt der Veröffentlichung. Begründungsmängel (Z 5) in Bezug auf diese Tatsachengrundlage oder erhebliche Bedenken gegen deren Richtigkeit (Z 5a) macht der Antrag hiedurch nicht prozessförmig geltend.
[19] Mit dem Hinweis, die Meinungsäußerungsfreiheit des Art 10 MRK verbiete es, dem Interview einen Sinngehalt zu unterstellen, der diesem nicht eindeutig zu entnehmen ist, unternimmt der Erneuerungswerber ebenso wenig den Versuch einer argumentativen Bezugnahme auf das Berufungsurteil wie mit dem Verweis auf den Grundsatz „in dubio pro reo“. Letzterer trifft nur unter der – hier nach den expliziten Urteilsannahmen des Berufungsgerichts (US 9) gerade nicht vorliegenden – Prämisse zu, dass vom erkennenden Gericht bei seiner Beweiswürdigung mehrere verschiedene Auslegungen zur Beurteilung des Sinngehalts einer Aussage nicht ausgeschlossen werden können (RIS‑Justiz RS0123503).
[20] Indem der Erneuerungswerber gesamthaft mit eigenständigen Erwägungen zum Bedeutungsinhalt des Interviews zuvor bezeichnete Urteilsfeststellungen dazu in Frage stellt, verfehlt er solcherart – auch unter Berücksichtigung der in medienrechtlichen Entscheidungen in tatsächlicher Hinsicht als niedriger anzusetzenden Erheblichkeitsschwelle (RIS‑Justiz RS0123504) – den Bezugspunkt des geltend gemachten Rechtsbehelfs (vgl RIS‑Justiz RS0125393).
[21] Der Erneuerungsantrag war daher – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur, jedoch entgegen der dazu erstatteten Äußerung des Erneuerungswerbers – bereits bei nichtöffentlicher Beratung zurückzuweisen (§ 363b Abs 2 Z 3 StPO iVm § 41 Abs 1 MedienG).
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