European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2025:0040OB00112.24K.0225.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage
Spruch:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung:
[1] Die Beklagte hat ihren Sitz auf Malta. Sie bietet auf ihrer Website Online‑Glücksspiele auch in Österreich an, verfügt jedoch nur über eine maltesische Glücksspiellizenz.
[2] Ein Verbraucher mit Wohnsitz in Österreich nahm im Zeitraum vom 24. 10. 2016 bis 16. 11. 2021 an Glücksspielen der Beklagten teil und erlitt dabei insgesamt Verluste in Höhe des Klagsbetrags.
[3] Der Spieler trat seine Rückforderungsansprüche für diese Verluste an die Klägerin, eine Gesellschaft mit Sitz in der Schweiz, ab. Von der Rückforderbarkeit seiner Verluste erfuhr der Spieler mehr als drei Jahre vor Klagseinbringung.
[4] Die Klägerin begehrte mit der am 26. 1. 2022 eingebrachten Klage die Differenz aus Ein‑ und Auszahlungen des Spielers aus den Titeln Schadenersatz und Bereicherung. Sie berief sich ausdrücklich auf die Anwendbarkeit österreichischen Rechts.
[5] Die Beklagte bestritt von Anfang an die internationale Zuständigkeit, brachte zur Sache jedoch nur unter Bezugnahme auf österreichisches Recht und Unionsrecht vor. Sie wandte – soweit im Revisionsverfahren noch relevant – Verjährung der mehr als drei Jahre vor Klagseinbringung entstandenen Verluste, Unschlüssigkeit der Klage wegen Geltendmachung des teils schon verjährten Gesamtverlustes und rechtmäßiges Alternativverhalten ein.
[6] Im ersten Rechtsgang wies das Erstgericht die Klage wegen fehlender internationaler Zuständigkeit zurück.
[7] Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung für die Bereicherungsansprüche, trug dem Erstgericht jedoch die Fortsetzung des Verfahrens über die deliktischen Schadenersatzansprüche auf. Die Entscheidung erwuchs in Rechtskraft.
[8] Im zweiten Rechtsgang wies das Erstgericht das Klagebegehren ab. Nach Art 6 Abs 1 Rom I-VO sei österreichisches Recht anzuwenden. Das Verhalten der Beklagten sei wegen Verstoßes gegen das österreichische GSpG zwar rechtswidrig und schuldhaft gewesen; der Spieler hätte jedoch dieselben Verluste erlitten, wenn die Beklagte ihr Glücksspiel mit einer österreichischen Lizenz angeboten hätte, also bei rechtmäßigem Alternativverhalten der Beklagten.
[9] Das Berufungsgericht gab dem Klagebegehren statt. Die Anwendbarkeit österreichischen Rechts folge nicht aus der Rom‑I‑VO, die für vertragliche Schuldverhältnisse gelte, sondern aus einer konkludenten Rechtswahl der Parteien im Zivilprozess gemäß Art 14 Rom‑II‑VO für außervertragliche Schuldverhältnisse. Die Beklagte könne sich nicht auf rechtmäßiges Alternativverhalten berufen, weil dieses bei einem iSd § 879 ABGB verbotenen Geschäft darin bestanden hätte, in Österreich gar kein Glücksspiel anzubieten. Die Verjährungsfrist könne frühestens zu laufen beginnen, wenn der endgültige Schaden feststehe, weil nach Beendigung der laufenden Teilnahme an Glücksspielen ein Verlust auf dem Spielerkonto verbleibe.
[10] Es ließ die ordentliche Revision zu, weil klare höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Verjährung fehle. Es sei auch denkbar, dass für jeden einzelnen Verlust eine gesonderte Verjährungsfrist zu laufen beginne.
Rechtliche Beurteilung
[11] Die Revision der Beklagten zielt auf die Abweisung des Klagebegehrens ab. Sie ist ungeachtet des – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden – Ausspruchs des Berufungsgerichts jedoch nicht zulässig.
[12 ] 1.1. Die Beklagte bestreitet die internationale Zuständigkeit erneut und regt im Hinblick auf das Vorabentscheidungsersuchen zu 5 Ob 9/24w zum Ort des Schadenseintritts iSd Art 4 Abs 1 Rom‑II‑VO bei einer deliktischen Schadenersatzklage wegen konzessionslosen Online-Glücksspiels eine Unterbrechung des Revisionsverfahrens an.
[13] 1.2. Im vorliegenden Fall wurde über die internationale Zuständigkeit bereits mit einem rechtskräftigen Beschluss des Oberlandesgerichts entschieden. Dieser bindet gemäß § 42 Abs 3 JN auch den Obersten Gerichtshof (RS0114196 [insbes T8]), sodass die Argumente der Beklagten zu diesem Thema keine Rechtsfragen aufzeigen können, die hier noch präjudiziell wären (vgl RS0088931).
[14] 2.1. Die Beklagte kritisiert, dass das Berufungsgericht die Anwendung österreichischen Rechts mit einer Rechtswahlim Verfahren begründete. Eine ausdrückliche Rechtswahl habe nie stattgefunden. Aus den Umständen des Falls ergäbe sich keine hinreichende Sicherheit für eine Rechtswahl der Parteien, zumal nach ErwGr 31 Rom‑II‑VO bei der Prüfung, ob eine Rechtswahl vorliege, auf den Willen der Parteien zu achten sei. Nach herrschender Lehre dürfe es deshalb keine Rechtswahl mangels besseren Wissens geben. Eine Rechtswahl dürfe nicht allein daraus hergeleitet werden, dass die Geltung österreichischen Rechts nicht bestritten worden sei.
[15] 2.2. Im konkreten Fall erscheint die Annahme des Berufungsgerichts, dass die Parteien österreichisches Recht gewählt hätten, im Licht der höchstgerichtlichen Rechtsprechung (RS0040169) vertretbar. Die von der Beklagten dargestellten Fallgruppen betreffen andere Sachverhalte. Hier berief sich die Klägerin schon in erster Instanz ausdrücklich auf die Anwendbarkeit österreichischen Rechts und bezog sich dabei auf den grenzüberschreitenden Sachverhalt und – wenn auch unzutreffend – auf die Rom‑I‑VO. Daher konnte das Vorbringen der Beklagten unter ausdrücklicher Bezugnahme (nur) auf österreichische Normen, Rechtsprechung und Literatur (beginnend mit ihrem vorbereitenden Schriftsatz) vertretbar als Rechtswahl des österreichischen Rechts gewertet werden.
[16] 3.1. Die Beklagte wiederholt auch in der Revision ihren Einwand des rechtmäßigen Alternativverhaltens. Sie argumentiert, dass der Spieler auch dann ihr Angebot an Online-Glücksspiel in Anspruch genommen hätte, wenn die Beklagte über eine österreichische Lizenz verfügt hätte.
[17] 3.2. Auch mit diesem Argument zeigt die Beklagte keine erhebliche Rechtsfrage auf. Hat der Geschädigte die objektive Übertretung einer Schutznorm nachgewiesen, so trägt der Schädiger nach ständiger höchstgerichtlicher Rechtsprechung die Behauptungs- und Beweislast dafür, dass der Schaden auch im Fall vorschriftsmäßigen Verhaltens, das heißt, ohne Verletzung der Schutznorm, eingetreten wäre (RS0111707). Solche Behauptungen sind aus dem Vorbringen der Beklagten aber nicht abzuleiten, weil sie gar nicht vorträgt, ob und wie sie überhaupt eine österreichische Glücksspiellizenz hätte erhalten können, um legal in Österreich Glücksspiel anzubieten.
[18] 4.1. Schließlich kommt die Beklagte auf ihren Einwand zurück, dass mehr als drei Jahre vor Klagseinbringung erlittene Verluste verjährt seien. Entgegen der Rechtsansicht des Berufungsgerichts beginne die Verjährungsfrist nicht erst mit Auflösung des Spielerkontos, sondern laufe für jeden erfolglosen Einsatz separat.
[19] 4.2. Die Beklagte zeigt mit dieser Argumentation schon deshalb keine erhebliche Rechtsfrage auf, weil sie kein Tatsachenvorbringen erstattete, welche Einsätze der Spieler wann getätigt habe. Im Zivilprozess hat aber jede Partei die für ihren Rechtsstandpunkt günstigen Tatsachen zu behaupten und zu beweisen (RS0037797). Der Beklagte muss damit jenen Sachverhalt darstellen, der dem Gericht ermöglicht, den anspruchsvernichtenden Verjährungseinwand zu prüfen (vgl RS0037797 [T1, T3, T7]).
[20] Die Klägerin hatte hier vorgebracht, welche Gesamtverluste der Spieler in einem fünfjährigen Zeitraum erlitten habe – was die Beklagte außer Streit stellte. Wenn die Beklagte unter diesen Umständen die Verjährung eines Teils der Ansprüche einwenden möchte, muss sie nicht nur zum Zeitpunkt der Kenntnis des Spielers von Schaden und Schädiger vorbringen, sondern auch zu den Zeitpunkten der Eintritte der einzelnen Verluste. Anders ist nicht nachvollziehbar, welche Teile des Klagebegehrens verjährt sein mögen. Entgegen der – zumindest noch in erster Instanz – vertretenen Ansicht der Beklagten macht das Fehlen von Vorbringen zu den einzelnen Spielvorgängen hier nicht die Klage unschlüssig, weil es nicht an anspruchsbegründenden, sondern anspruchsvernichtenden Tatsachenbehauptungen fehlt.
[21] 5. Eine Revisionsbeantwortung wurde nicht erstattet, sodass keineKostenentscheidung zu treffen ist.
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