OGH 4Ob16/25v

OGH4Ob16/25v25.2.2025

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Schwarzenbacher als Vorsitzenden sowie den Vizepräsidenten Hon.‑Prof. PD Dr. Rassi, die Hofrätinnen Mag. Istjan, LL.M., und Mag. Waldstätten und den Hofrat Dr. Stiefsohn als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei * GmbH, *, vertreten durch Hübel & Payer Rechtsanwälte in Salzburg, gegen die Beklagte *, vertreten durch Dr. Peter Lechenauer, Dr. Margrit Swozil, Rechtsanwälte in Salzburg, wegen Räumung, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Salzburg vom 9. Jänner 2025, GZ 53 R 288/24w-33, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2025:0040OB00016.25V.0225.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Bestandrecht

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

 

Begründung:

[1] Die Beklagte nutzte von 1985 bis 2002 eine ca 31 m2 große Kellerwohnung im Haus der Klägerin, wobei vereinbart wurde, dass die Beklagte dem (damaligen) Liegenschaftseigentümer dafür (geldwertäquivalent zur Nutzung der Wohnung) bestimmte Dienstleistungen (Stiegenhausreinigung, Hofbetreuung und sonstige Hausarbeiten) erbringt. Sie musste dafür weder Mietentgelt noch (abgesehen vom eigenen Stromverbrauch) Betriebskosten bezahlen. Seit 1991 musste sie auch keine Dienstleistungen mehr erbringen.

[2] 2002 zog die Beklagte von der Kellerwohnung in die (66 m² große) streitgegenständliche Wohnung im Hochparterre desselben Hauses. Im Zusammenhang mit diesem Umzug wurde zwischen ihr und dem damaligen Liegenschaftseigentümer vereinbart, dass sie nunmehr einen Teil der – für die streitgegenständliche Wohnung anfallenden – Betriebskosten, aber weiterhin keinen Mietzins zu zahlen habe. Auch Dienstleistungen wurden für die Nutzung der streitgegenständlichen Wohnung nicht vereinbart oder erbracht.

[3] Die Klägerin begehrt die Räumung der streitgegenständlichen Wohnung und brachte vor, dass diese der Beklagten unentgeltlich gegen jederzeitigen Widerruf, somit prekaristisch zum Gebrauch überlassen worden sei. Im Jahr 2002 sei zwischen dem damaligen Liegenschaftseigentümer und der Beklagten ein neuer, den im Jahr 1985 gänzlich substituierender Prekariumsvertrag betreffend die streitgegenständliche Wohnung abgeschlossen worden.

[4] Die Beklagte wandte ein, dass wie schon bei der Kellerwohnung auch hinsichtlich der gegenständlichen Wohnung ein Mietvertrag und kein Prekarium vorliege.

[5] Die Vorinstanzen gaben dem Räumungsbegehren statt. 2002 sei wegen des Wechsels des Bestandobjekts und wegen des Umstands, dass die Beklagte keine Dienstleistungen mehr zu erbringen und nun Betriebskosten zu zahlen habe, ein neuer Vertrag durch Novation nach §§ 1376 ff ABGB zustandegekommen. Es liege ein Prekarium vor, das jederzeit widerrufbar sei.

[6] Die dagegen erhobene außerordentliche Revision der Beklagten zeigt keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO auf.

Rechtliche Beurteilung

[7] 1. Ein Neuerungsvertrag im Sinn der §§ 1376 ff ABGB kommt zustande, wenn nach dem Willen der vertragschließenden Parteien das ursprüngliche Schuldverhältnis durch Änderung des Rechtsgrundes oder des Hauptgegenstands durch ein neues ersetzt wird, in dem sie mit der Begründung des neuen die Aufhebung des alten verknüpfen (RS0032502). Ob eine Novation vorliegt, ist eine Frage des Einzelfalls, die – abgesehen von einer auffallenden Fehlbeurteilung durch die zweite Instanz – regelmäßig keine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO aufwirft (RS0032502 [T8]).

[8] 1.2 Die Beklagte nutzt anstatt der ursprünglichen Kellerwohnung seit 2002 dauerhaft eine andere Wohnung (vgl zB 6 Ob 124/20h), ist erst seit diesem Zeitpunkt zum Ersatz von Betriebskosten verpflichtet und muss hinsichtlich der streitgegenständlichen Wohnung – anders als nach dem 1985 abgeschlossenen Vertrag für die Kellerwohnung – ihrem Vertragspartner bzw dem Liegenschaftseigentümer keine Dienste erbringen. Die Vorinstanzen haben aufgrund dieser Umstände eine Novation im Anlassfall jedenfalls vertretbar angenommen und den neuen Vertrag losgelöst von den früheren Vereinbarungen geprüft.

[9] 2.1 Das kennzeichnende Merkmal einer Bittleihe im Sinn des § 974 ABGB liegt darin, dass eine Verbindlichkeit des Verleihers zur Gestattung des Gebrauchs nicht besteht, weil der Gebrauch der Sache bloß gegen jederzeitigen Widerruf überlassen wurde (RS0020524). Das durch diese freie Widerruflichkeit gekennzeichnete Prekarium kann ausdrücklich vereinbart sein oder sich schlüssig aus den Umständen des Falls ergeben. Letzteres etwa deshalb, weil im Allgemeinen niemand ohne entsprechendes Entgelt eine Verpflichtung eingeht, mit der man an der freien Ausübung des Eigentumsrechts eingeschränkt wird (RS0019196).

[10] 2.2 Die Auslegung einer konkreten Vereinbarung (hier: betreffend die Frage, ob 2002 ein Mietvertrag oder eine Bittleihe abgeschlossen wurde) ist keine Rechtsfrage, deren Beantwortung zur Wahrung der Rechtseinheit, Rechtssicherheit oder Rechtsentwicklung erhebliche Bedeutung (§ 502 Abs 1 ZPO) zukäme (RS0042776; RS0042936; RS0044298; RS0044358; RS0112106 ua). Dabei ist unerheblich, ob es um die Auslegung ausdrücklicher oder konkludenter Willenserklärungen geht. Ob diese im Einzelfall richtig ausgelegt wurden, stellt nach ständiger Rechtsprechung nur dann eine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO dar, wenn in krasser Verkennung der Auslegungsgrundsätze ein unvertretbares – aus Gründen der Einzelfallgerechtigkeit zu korrigierendes – Auslegungsergebnis erzielt wurde (RS0042769 ua).

[11] 2.3 Ein derartig gravierender, korrekturbedürftiger Beurteilungsfehler des Berufungsgerichts (vgl RS0044088) liegt hier aber selbst nach den Rechtsmittelausführungen nicht vor. Die Rechtsansicht des Berufungsgerichts, dass sich die Widerruflichkeit aus den Umständen des Falls ergebe, zumal die Leistungen der Beklagten schon die tatsächlichen Kosten der klagenden Eigentümerin nicht abdeckten, weshalb ein Prekarium vorliege, ist jedenfalls vertretbar. Ob auch die im Rechtsmittel dargelegte andere Auslegung (im Sinn der dort vorgetragenen Argumente gegen die schlüssig vereinbarte jederzeitige Widerruflichkeit des Vertrags) vertretbar wäre, also ob eine andere Interpretation in Betracht käme, ist keine erhebliche Rechtsfrage (RS0112106 ua).

[12] 3. Mangels einer Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO ist die außerordentliche Revision daher zurückzuweisen.

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