OGH 9Ob8/25d

OGH9Ob8/25d13.2.2025

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsrekursgericht durch den Senatspräsidenten Mag. Ziegelbauer als Vorsitzenden und die Hofrätinnen und Hofräte Dr. Hargassner, Mag. Korn, Dr. Stiefsohn und Dr. Wallner‑Friedl in der Pflegschaftssache des Minderjährigen L*, über die außerordentlichen Revisionsrekurse der väterlichen Großmutter M*, vertreten durch Dr. Christoph Naske, Rechtsanwalt in Wien, und der Pflegeeltern 1. M*, 2. Mag. T*, beide vertreten durch Mag. Ulrike Kargl, Rechtsanwältin in Wien, gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 4. Dezember 2024, GZ 42 R 422/24f‑98, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2025:0090OB00008.25D.0213.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

Die außerordentlichen Revisionsrekurse werden zurückgewiesen.

 

Begründung:

[1] Der mj L* ist der Sohn von A* und B*. M* ist die Großmutter väterlicherseits. Mit Beschluss vom 6. 6. 2023 entzog das Erstgericht (ua) der Mutter die alleinige Obsorge im Bereich Pflege und Erziehung und übertrug diese dem Kinder‑ und Jugendhilfeträger.

[2] Mit Beschluss vom 28. 6. 2024 wies das Erstgericht 1. den Antrag der Großmutter auf Übertragung der Obsorge an sie ab und räumte der Großmutter 2. ein Kontaktrecht zum Minderjährigen unter der Auflage, dass die Eltern des Minderjährigen bei den Kontakten nicht anwesend sind, ein; zu 3. wurde der darüber hinausgehende Kontaktrechtsantrag der Großmutter abgewiesen.

[3] Das Rekursgericht gab den gegen diese Entscheidung gerichteten Rekursen der Großmutter und des Kinder‑ und Jugendhilfeträgers nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

[4] Die außerordentlichen Revisionsrekurse der Großmutter gegen die Abweisung des Antrags auf Übertragung der Obsorge an sie und der Pflegeeltern gegen die Einräumung eines unbegleiteten Kontaktrechts sind mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage iSd § 62 Abs 1 AußStrG nicht zulässig.

I. Zum Revisionsrekurs der Großmutter:

[5] 1. Richtig ist, dass in Entsprechung des Grundsatzes der Familienautonomie den Familienmitgliedern die Obsorge solange gewahrt bleiben soll, als sich das mit dem Kindeswohl verträgt, sodass die Beschränkung der Obsorge nur das letzte Mittel sein und nur insoweit angeordnet werden darf, als dies zur Abwendung einer drohenden Gefährdung des Kindeswohls notwendig ist. Von einer solchen Vorkehrung darf das Gericht nur aus schwerwiegenden Gründen Gebrauch machen (RS0048712).

[6] 2. Wenn der Rekurs allerdings meint, dass keine Einwände gegen die Erziehungsfähigkeit der Großmutter bestehen, geht er nicht vom festgestellten Sachverhalt aus. Nach diesem zeigt sich im Hinblick auf ihre spezielle Erziehungsfähigkeit, dass Schwierigkeiten bestehen, Probleme im Selbsterleben und bei anderen wahrzunehmen und auch eine Tendenz, Negatives nicht wahrhaben zu wollen und dieses positiv umzudeuten. Sie kann den Bedürfnissen des Kindes nach Betreuungskontinuität und nach Fortsetzung der ihm emotionalen Halt gebenden Lebenssituation nicht nachkommen.

[7] 3. Gegen die Rechtsauffassung der Vorinstanzen, dass eine Übertragung der Obsorge an die väterliche Großmutter derzeit nicht dem Kindeswohl entspricht, bestehen daher keine Bedenken.

II. Zum Revisionsrekurs der Pflegeeltern:

[8] 1. Den Pflegeeltern wurde der erstgerichtliche Beschluss zugestellt. Ein Rechtsmittel dagegen wurde von ihnen nicht erhoben.

[9] 2. Nach § 42 AußStrG erwächst, soweit eine Partei einen Beschluss nicht mehr anfechten kann, dieser Beschluss ihr gegenüber in Rechtskraft. Die Unanfechtbarkeit tritt ua mit ungenütztem Ablauf der Rechtsmittelfrist ein.

[10] Der Zeitpunkt des Eintritts der formellen Rechtskraft kann – abhängig von der Zustellung oder der Erhebung eines Rechtsmittels – für jede Partei verschieden ausfallen (vgl Deixler‑Hübner in Gitschthaler/Höllwerth [Hrsg], AußStrG I2 § 42 Rz 4).

[11] 3. Die Kontaktsrechtsentscheidung des Erstgerichts ist daher gegenüber den Pflegeeltern formell in Rechtskraft erwachsen und kann nicht mehr angefochten werden.

[12] Daran würde auch eine Unkenntnis der Pflegeeltern über ihr Rekursrecht nichts ändern. Der Vollständigkeit halber ist aber darauf hinzuweisen, dass den Pflegeeltern mit der erstgerichtlichen Entscheidung eine entsprechende Rechtsmittelbelehrung übermittelt wurde.

[13] III. Mangels einer Rechtsfrage von der Qualität des § 62 Abs 1 AußStrG bzw Eintritts der formellen Rechtskraft sind daher die Revisionsrekurse der Großmutter und der Pflegeeltern zurückzuweisen.

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