European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2025:0150OS00141.24K.0122.000
Rechtsgebiet: Strafrecht
Spruch:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Innsbruck zugeleitet.
Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Gründe:
[1] Mit dem angefochtenen Urteil wurde M* S* (richtig:) der Vergehen der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB idF BGBl 1974/60 und BGBl 1996/762 (A./I./1./ und 4./, II./1./ und 2./ und III./), der Vergehen der schweren Körperverletzung nach §§ 83 Abs 1, 84 Abs 1 StGB (A./I./2./, 3./ und 5./), der Vergehen der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB (A./IV./), des Verbrechens der fortgesetzten Gewaltausübung nach § 107b Abs 1, Abs 3, Abs 3a Z 3, Abs 4 zweiter Fall StGB (B./I./), des Verbrechens der fortgesetzten Gewaltausübung nach § 107b Abs 1, Abs 3 Z 2 StGB „idF BGBl I 40/2009“ (B./II./) sowie des Verbrechens der fortgesetzten Gewaltausübung nach § 107b Abs 1, Abs 3 Z 2, Abs 4 zweiter Satz StGB „idF BGBl I 40/2009“ (B./III./) schuldig erkannt.
[2] Danach hat er in H*, O*, I* und R*
A./ nachstehende Personen jeweils am Körper (zu I./2./, 3./ und 5./ schwer) verletzt, und zwar
I./ seine Ex-Ehefrau * K*
1./ von 1991 bis 31. Mai 2009, indem er sie in wiederholten Angriffen – ab Dezember 2002 mehrmals pro Woche – ohrfeigte, ihr Faustschläge sowie Tritte gegen das Gesicht, den Kopf sowie den ganzen Körper versetzte und sie würgte, wodurch sie teilweise, zumindest monatlich, Verletzungen in Form von Hämatomen, Würgemalen und Prellungen erlitt;
2./ am 5. April 2000, indem er ihr Faustschläge versetzte, wodurch sie einen verschobenen Nasenbeinbruch, der operativ versorgt werden musste, erlitt;
3./ am 19. Juli 2000, indem er ihr Faustschläge versetzte, wodurch sie einen Nasenbeinbruch sowie eine Schädel- und Kieferprellung erlitt;
4./ am 22. November 2008, indem er ihr Tritte gegen den ganzen Körper und gegen den Kopf versetzte sowie mit einem Obstmesser einmal auf ihren Oberschenkel einstach, wodurch sie eine Stichverletzung sowie eine Gesichts- und Schädelprellung erlitt;
5./ am 26. Februar 2009, indem er ihr Faustschläge versetzte, wodurch sie einen verschobenen Nasenbeinbruch, der operativ versorgt werden musste, erlitt;
II./ seine Tochter Y* S*
1./ von 1998 bis 31. Mai 2009, indem er sie in wiederholten Angriffen – ab Dezember 2002 mehrmals pro Woche – sowohl mit der flachen Hand, als auch mit der Faust sowie vereinzelt mit Gegenständen, wie einem Gürtel oder einem Baseballschläger, schlug, wodurch sie teilweise, zumindest monatlich, Verletzungen in Form von Hämatomen erlitt;
2./ am 22. November 2008, indem er ihr Faustschläge versetzte und sie derart würgte, dass sie das Bewusstsein verlor und dadurch Hämatome sowie Würgemale am Hals erlitt;
III./ seine Tochter D* S* von 2001 bis 31. Mai 2009, indem er sie in wiederholten Angriffen – ab Dezember 2002 mehrmals pro Woche – sowohl mit der flachen Hand, als auch mit der Faust schlug und sie an den Haaren zog, wodurch sie teilweise Verletzungen in Form von Blutergüssen, Hämatomen und Nasenbluten erlitt;
IV./ im Juli 2019 seine Kinder M*t S* und M*e S*, indem er ihnen Ohrfeigen und Faustschläge versetzte, sie mit ihren Köpfen zusammenstieß und M*t S* würgte, wodurch beide Hämatome erlitten, M*t S* darüber hinaus eine Platzwunde an der Lippe;
B./ zu nachstehenden Zeiten gegen Nachgenannte eine längere Zeit hindurch fortgesetzt Gewalt in Form von körperlichen Misshandlungen und vorsätzlichen mit Strafe bedrohten Handlungen gegen Leib und Leben sowie gegen die Freiheit ausgeübt, wobei er durch die Tat eine umfassende Kontrolle des Verhaltens derselben herstellte und eine erhebliche Einschränkung deren autonomer Lebensführung bewirkte, indem er ihre Selbstbestimmungsfreiheit unterband und sie ihr Leben nach ihm ausrichten mussten, ihre sozialen Kontakte nicht frei wählen durften und sich so zu verhalten hatten, wie er es ihnen befahl, und zwar:
I./ von 1. Juni 2009 bis Ende Februar 2021, somit länger als ein Jahr, gegen seine Ex‑Ehefrau K*, indem er sie in einer Vielzahl von Angriffen zunächst mehrmals pro Woche – ab Dezember 2015 zumindest einmal pro Woche (mit Ausnahme der Vorfälle am 17. Dezember 2012, 14. Oktober 2013 und 10. Jänner 2020),
a./ ohrfeigte, ihr Faustschläge sowie Tritte gegen das Gesicht und den Kopf sowie den ganzen Körper versetzte, sie mit Gegenständen aller Art schlug und würgte, wodurch sie teilweise Verletzungen in Form von Hämatomen, Würgemalen und Prellungen erlitt;
b./ mit dem Tod bedrohte, um sie in Furcht und Unruhe zu versetzen, wobei er ihr teilweise ein Messer bzw eine andere Waffe vorhielt, um seinen Äußerungen Nachdruck zu verleihen;
und er im Rahmen der fortgesetzten Gewaltausübung nach Abs 3 des § 107b StGB ab 1. Jänner 2016 wiederholt Straftaten gegen ihre sexuelle Selbstbestimmung und Integrität beging, indem er etwa wöchentlich gegen ihren Willen und nach vorangegangener Einschüchterung den Beischlaf an ihr vornahm;
II./ von 1. Juni 2009 bis Februar 2010 gegen seine Tochter Y* S*, indem er sie in einer Vielzahl von Angriffen mehrmals wöchentlich
a./ sowohl mit der flachen Hand, als auch mit der Faust sowie vereinzelt mit Gegenständen, wie einem Gürtel oder Baseballschläger, schlug, wodurch sie teilweise Verletzungen in Form von Hämatomen erlitt und ihr einmal ein Stück von einem Zahn herausbrach;
b./ durch gefährliche Drohung mit dem Tod zu Unterlassungen genötigt, indem er ankündigte, sie zu töten, falls sie das Haus verlassen würde;
III./ von 1. Juni 2009 bis Jänner 2019, somit länger als ein Jahr, gegen seine Tochter D* S*, indem er sie in einer Vielzahl von Angriffen von zunächst drei- bis viermal wöchentlich, ab 2014 circa einmal monatlich
a./ sowohl mit der flachen Hand, als auch der Faust schlug, an den Haaren zog und würgte, wodurch sie teilweise Verletzungen in Form von Blutergüssen, Hämatomen und Nasenbluten erlitt und ihr einmal eine Ader im Auge platzte;
b./ mit dem Tod und einer Verletzung am Körper bedrohte, um sie in Furcht und Unruhe zu versetzen, indem er ihr einmal ein Messer vorhielt sowie ihr die anderen Male sinngemäß ankündigte, sie umzubringen bzw sie derart zu verprügeln, bis sie gelähmt sei, wobei er ihr teilweise auch ein Messer vorhielt, um seinen verbalen Äußerungen Nachdruck zu verleihen.
Rechtliche Beurteilung
[3] Dagegen richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 3 und 11 zweiter Fall StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten, der keine Berechtigung zukommt.
[4] Die Verfahrensrüge (Z 3) beanstandet eine Verletzung von § 221 Abs 2 StPO insofern, als Ladung sowie Anklageschrift bloß zur Abholung hinterlegt worden seien, weshalb der Angeklagte keine Kenntnis vom Hauptverhandlungstermin gehabt habe und aufgrund seiner polizeilichen Vorführung dort zum ersten Mal mit den Anklagevorwürfen konfrontiert worden sei.
[5] Im Hinblick auf die Zulässigkeit der Zustellung der Ladung zur Hauptverhandlung im Weg der Hinterlegung (§ 83 Abs 3 StPO, § 17 Abs 1 ZustG; RIS‑Justiz RS0120038; Murschetz, WK-StPO § 83 Rz 8) am 28. Mai 2024 (Rückschein in der VJ) blieb dem Angeklagten von der Zustellung der Ladung bis zur Hauptverhandlung am 12. Juni 2024 (ON 69) eine Frist von mehr als acht Tagen, sodass eine Verletzung des § 221 Abs 2 StPO nicht vorliegt (vgl Danek/Mann, WK‑StPO § 221 Rz 8).
[6] Indem die Verfahrensrüge (Z 3) ferner die unterlassene Zustellung der Ladung durch die Polizei gemäß § 82 Abs 3 zweiter Satz StPO moniert sowie die Vorführung nach § 153 Abs 2 letzter Satz StPO als rechtswidrig beanstandet, spricht sie keine Verletzung oder Missachtung einer der in § 281 Abs 1 Z 3 StPO taxativ aufgezählten Bestimmungen an, deren Beobachtung das Gesetz ausdrücklich bei sonstiger Nichtigkeit vorschreibt (RIS‑Justiz RS0099128, RS0099118).
[7] Die Sanktionsrüge (Z 11 zweiter Fall) kritisiert mit Blick auf das bereits von § 107b Abs 4 zweiter Fall StGB umfasste Tatbestandsmerkmal der länger als ein Jahr dauernden Gewaltausübung nach Abs 3 oder Abs 3a Z 1 leg cit im erschwerend gewerteten „äußerst langen Tatzeitraum“ (US 37) einen Verstoß gegen das Doppelverwertungsverbot.
[8] Dabei vernachlässigt sie, dass sich dieses aus dem in § 32 Abs 2 erster Satz StGB enthaltenen Gebot, Erschwerungs‑ und Milderungsgründe nur soweit bei der Bemessung der Strafe zu berücksichtigen, als sie „nicht schon die Strafdrohung bestimmen“, ableitet. Für letztere bestimmend sind nur subsumtionsrelevante Umstände. Weshalb der hier fast zehnjährige Tatzeitraum dazu zählen sollte, erklärt die Rüge nicht (RIS‑Justiz RS0130193).
[9] Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bereits bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO). Die Entscheidung über die Berufung kommt dem Oberlandesgericht zu (§ 285i StPO).
[10] Der Kostenausspruch beruht auf § 390a Abs 1 StPO.
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