OGH 5Ob130/24i

OGH5Ob130/24i18.12.2024

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Hofrat Mag. Wurzer als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen und Hofräte Mag. Painsi, Dr. Weixelbraun‑Mohr, Dr. Steger und Dr. Pfurtscheller als weitere Richter in der wohnrechtlichen Außerstreitsache der Antragsteller 1. S* GmbH, *, vertreten durch Dr. Johannes Hebenstreit LL.M., Rechtsanwalt in Salzburg, 2. G*gesellschaft mbH, *, vertreten durch Schubeck & Schubeck Rechtsanwälte in Salzburg, gegen die Antragsgegner 1. P* GmbH, *, vertreten durch Winkler Reich‑Rohrwig Illedits Wieger, Rechtsanwälte‑Partnerschaft in Wien, 2. O* mbH, *, sowie sämtliche Mit‑ und Wohnungseigentümer der Liegenschaft EZ * KG *, Liegenschaftsadresse *, wegen § 34 iVm § 52 Abs 1 Z 6 WEG, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der Erstantragsgegnerin gegen den Sachbeschluss des Landesgerichts Salzburg als Rekursgericht vom 20. Juni 2024, GZ 53 R 162/24s‑38, mit dem der Sachbeschluss des Bezirksgerichts Salzburg vom 8. März 2024, GZ 33 Msch 14/23z‑30, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0050OB00130.24I.1218.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Wohnungseigentumsrecht

Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)

 

Spruch:

Dem außerordentlichen Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben.

Dem Erstgericht wird die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufgetragen.

Die Kosten des Revisionsrekursverfahrens sind Kosten des weiteren Verfahrens.

 

Begründung:

[1] Die Erstantragstellerin war seit 2017 Miteigentümerin von 778/70892 Anteilen einer Liegenschaft verbunden mit Wohnungseigentum am Büro 2 (vormals B‑LNr 287), seit 2020 auch von weiteren 220/70892 Anteilen verbunden mit Wohnungseigentum am Büro 16. Die Erstantragsgegnerin war die für das Jahr 2019 zuständige Hausverwaltung, zuvor hatte die Zweitantragstellerin die Hausverwaltung geführt. Der auf der Liegenschaft errichtete Gebäudekomplex besteht im Erdgeschoss und ersten Stock überwiegend aus Geschäftsräumlichkeiten und Büros, darüber aus Wohnungen. Das Objekt der Erstantragstellerin B 2 (nur die Abrechnung hiefür ist Gegenstand) liegt im dritten Obergeschoss des Bauteils IV und weist eine Nutzfläche von 349,48 m2 auf. Zu diesem Objekt gehört die Tiefgaragenparkplatzfläche Nr 392 im zweiten Untergeschoss mit einem Ausmaß von 11,5 m2.

[2] Errichtet wurde der Einkaufs‑ und Wohnkomplex Mitte der 90er Jahre von der Zweitantragsgegnerin (in der Folge auch: O*), wobei diese noch während der Errichtungsphase mit Vertrag vom 28. 3. 1995 Anteile der nunmehrigen Zweitantragstellerin abtrat, die auch die Hausverwaltung übernahm. Die Zweitantragstellerin war in der Folge Eigentümerin von 22388/70892 Anteilen, die Zweitantragsgegnerin von 48504/70892 Anteilen.

[3] Diese Parteien schlossen am 15. 12. 1997 einen Wohnungseigentumsvertrag mit einem abweichenden Verteilungsschlüssel laut Punkt VII. wie folgt:

„In Abweichung bzw Ergänzung zu den Bestimmungen des Wohnungseigentumsgesetzes 1975 und des Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuchs (ABGB), 16. Hauptstück, gelten hinsichtlich der Aufteilung der Betriebs‑, Erhaltungs‑ und Instandhaltungskosten hinsichtlich des auf EZ * und Teilflächen der EZ * je Grundbuch * (KG *) errichteten Z* (vormals M*) folgende Vereinbarungen:

a) die Betriebs‑, Erhaltungs‑ und Instandhaltungskosten, welche auf die Wohnungseigentumseinheiten der [Zweitantragstellerin] sowie auf die Räume und Flächen, die der Sondernutzung der [Zweitantragstellerin] zugeordnet sind, sowie die Aufschließungsgänge, die ausschließlich zur Aufschließung dieser Wohnungseigentumseinheiten und Sondernutzungsflächen und -räume dienen, entfallen, trägt die [Zweitantragstellerin] und ihre Rechtsnachfolger im Eigentum ihrer Wohnungseigentumseinheiten und Sondernutzungsrechte alleine.

b) die Betriebs‑, Erhaltungs‑ und Instandhaltungskosten, welche auf die Wohnungseigentumseinheiten der [Zweitantragsgegnerin] sowie auf die Räume und Flächen, die der Sondernutzung der [Zweitantragsgegnerin] zugeordnet sind, sowie die Aufschließungsgänge, die ausschließlich zur Aufschließung dieser Wohnungseigentumseinheiten und Sondernutzungsflächen und –räume dienen, entfallen, trägt die [Zweitantragsgegnerin] und ihre Rechtsnachfolger im Eigentum ihrer Wohnungseigentumeinheiten und Sondernutzungsrechte alleine [...].

Im Übrigen werden die Betriebs‑, Erhaltungs‑ und Instandhaltungskosten, die auf die allgemeinen Flächen und Teile sowie die Dienstbarkeitsfläche der Firma S* GmbH & Co KG entfallen im Verhältnis der Miteigentumsanteile aufgeteilt.“

[4] Im Vertrag wurde der Verbleib jeder einzelnen Wohnungseigentumseinheit aufgeschlüsselt. Die demnach im Eigentum der Erstantragstellerin gestandene Einheit B 2 verblieb bei der Zweitantragsgegnerin.

[5] Diese hatte „dieses Objekt“ allerdings bereits zuvor im Jahr 1996 an den K* verkauft und in diesem Kaufvertrag betreffend die Betriebs‑ und Instandhaltungskosten auf eine abweichende Verteilungsregelung mit der Zweitantragstellerin verwiesen. Ergänzt wurde dieser Vermerk wie folgt:

„Im Übrigen werden die Betriebs‑ und Instandhaltungskosten der einzelnen Wohnungseigentumseinheiten jeweils soweit wie möglich nach dem Verursacherprinzip dem jeweiligen Wohnungseigentumseinheiten zugeordnet. Die Betriebs‑ und Instandhaltungskosten, die nicht einer einzelnen Wohnungseigentumseinheit zugeordnet werden können, werden im Übrigen gemäß den Bestimmungen des Wohnungseigentumsgesetzes 1975 im Verhältnis der Miteigentumsanteile aufgeteilt.“

[6] Gegenstand des Revisionsrekursverfahrens ist die von der Erstantragstellerin begehrte Überprüfung der Betriebskostenabrechnung für das Objekt B 2 für das Jahr 2019. Die Erstantragsgegnerin verrechnete die Betriebskosten für 2019 anhand von vier verschiedenen Abrechnungsschlüssel ( ./i). So verrechnete sie Betriebskosten, welche für die Büros und die Geschäfte aufliefen, für Anteile von 778/48504 und bezeichnete diese als „BK O*“. Mit „allgemeinen Betriebskosten“ wurde die Antragstellerin zu 778/70892 Anteilen belastet. Heizung und Warmwasser berechnete sie nach Quadratmetern, wobei ein Schlüssel von 360,98/22182,32 Anteilen für das Objekt der Erstantragstellerin herangezogen wurde.

[7] Die Erstantragstellerin behauptet, die Erstantragsgegnerin als Hausverwaltung habe einen unrichtigen Verteilungsschlüssel angewendet, weil sie für das Objekt B 2 von einem Schlüssel für eine Sondernutzung ausgehe, der sie benachteilige und nicht zutreffen könne, weil der im Wohnungseigentumsvertrag vereinbarte Aufteilungsschlüssel sich nicht auf schon zuvor abverkaufte Objekte beziehe. Die Zweitantragstellerin als frühere langjährige Hausverwalterin habe sich die von ihr über Jahre unbeanstandet verwendeten Aufteilungsschlüssel von allen Beteiligten genehmigen lassen.

[8] Die Erstantragsgegnerin verwies zur Begründung ihrer Abrechnung auf den sich aus dem Wohnungseigentumsvertrag ergebenden Verteilungsschlüssel. Das Objekt der Erstantragstellerin B 2 unterliege derselben Aufteilung der Betriebskosten wie bei der „O*“, zumal die Antragstellerin deren Rechtsnachfolgerin sei.

[9] Das Erstgericht gab dem Sachantrag statt und stellte fest, die von der Erstantragsgegnerin für die im Eigentum der Erstantragstellerin stehenden Anteile, mit denen Wohnungseigentum an B 2 verbunden ist, erstellte Betriebskostenabrechnung 2019 sei unrichtig, sodass sämtliche Positionen, die mit dem Kürzel „O*“ gekennzeichnet seien, zu entfallen hätten.

[10] Das Rekursgericht gab dem Rekurs der Erstantragsgegnerin nicht Folge, bewertete den Entscheidungsgegenstand mit 10.000 EUR übersteigend und ließ den Revisionsrekurs nicht zu.

[11] Dagegen richtet sich der außerordentliche Revisionsrekurs der Erstantragsgegnerin, in dem sie die Abänderung im Sinn einer Abweisung des Sachantrags anstrebt.

[12] Die Erstantragstellerin beantragt in der ihr freigestellten Revisionsrekursbeantwortung, den Revisionsrekurs zurückzuweisen, hilfsweise ihm keine Folge zu geben.

[13] Die übrigen Mit‑ und Wohnungseigentümer haben sich am Revisionsrekursverfahren nicht beteiligt.

Rechtliche Beurteilung

[14] Der Revisionsrekurs ist zulässig, weil die Feststellungen für eine abschließende Beurteilung der Frage, ob hier auch für die Erstantragstellerin verbindlich nach § 19 Abs 2 WEG 1975 (idF des 3. WÄG) bzw § 32 Abs 2 WEG 2002 ein abweichender Verteilungschlüssel vereinbart wurde und gegebenenfalls, welchen Inhalt diese Vereinbarung bei objektiver Auslegung hat, nicht ausreichen und hiezu Erörterungsbedarf besteht. Er ist daher im Sinn einer Aufhebung der angefochtenen Entscheidungen auch berechtigt.

Die Revisionsrekurswerberin macht geltend, eine ergänzende Auslegung von Urkunden sei nach ständiger Rechtsprechung im Fall eines gesetzlichen Formgebots durch den Formzweck beschränkt. Da der Wohnungseigentumsvertrag und die Vereinbarung der Mit- und Wohnungseigentümer nach § 32 Abs 2 WEG 2002 der Schriftform bedürfen, seien diese nur nach dem einer objektiven Auslegung zugänglichen Wortlaut zu interpretieren, auf den Willen der vertragsschließenden Parteien komme es im Gegensatz zur Auffassung der Vorinstanzen nicht an.

Hiezu wurde erwogen:

[15] 1.1. Vorauszuschicken ist, dass die Erstantragstellerin ihr Objekt B 2 nach dem Grundbuchsstand mittels Kaufvertrag vom 11. Juli 2024 mittlerweile verkauft hat und die Käuferin D* GmbH bereits als Wohnungs-gentümerin einverleibt wurde.

[16] 1.2. Die Parteistellung im wohnrechtlichen Außerstreitverfahren nach § 52 Abs 1 WEG 2002 ist nach ständiger Rechtsprechung des Fachsenats zwar grundsätzlich an das aufrechte bücherliche Eigentum geknüpft (RS0083100; RS0083106). § 234 ZPO ist im wohnrechtlichen Außerstreitverfahren nicht anzuwenden, sodass ein Wechsel in der Parteistellung vor der Entscheidung erster Instanz beachtlich ist (RS0005764; 5 Ob 39/18y). Der Richter hat von Amts wegen alle Personen, deren Rechte durch die Entscheidung betroffen werden, noch im Lauf des Verfahrens in dieses einzubeziehen (RS0005786 [T2]; RS0005764 [T2]), dies gilt jedenfalls bei in die Zukunft weisenden Begehren. Besitzt ein Antrag Wirkung für die Zeit sowohl vor als auch nach einer Übertragung der Rechtsposition, kommen dem Rechtsvorgänger und dem Rechtsnachfolger Parteistellung zu (5 Ob 13/22f unter Hinweis auf 5 Ob 183/11i [Hauptmietzinsabrechnung]).

[17] 1.3. Gegenstand dieses Verfahrens ist die Überprüfung der Betriebskostenabrechnung für das Jahr 2019, also für die Vergangenheit, sodass die Erstantragstellerin ihre Parteistellung durch die Veräußerung nicht verloren hat.

[18] 2.1. Der auf die hier in Rede stehende Vereinbarung anzuwendende § 19 Abs 1 Satz 1 WEG 1975 ordnete – wie nun § 32 Abs 1 Satz 1 WEG 2002 – an, dass die Aufwendungen für die Liegenschaft einschließlich der Beiträge zur Rücklage von den Wohnungseigentümern nach dem Verhältnis ihrer Miteigentumsanteile bei Ende der Abrechnungsperiode zu tragen sind. Gemäß § 19 Abs 2 WEG 1975 (idF des 3.  WÄG) konnten sämtliche Miteigentümer schriftlich einen von der Regelung des Abs 1 abweichenden Aufteilungsschlüssel oder eine von der Liegenschaft abweichende Abrechnungseinheit festlegen; dem entspricht nunmehr § 32 Abs 2 WEG 2002.

[19] 2.2. Diese Regeln über das Abbedingen des gesetzlichen Kostenaufteilungsschlüssels sind auf Vereinbarungen im Vorstadium des Wohnungseigentums jedenfalls dann analog anzuwenden, wenn der im Gesetz genannte Personenkreis der (späteren) Miteigentümer nicht verlassen wird (5 Ob 98/98t mwN [§ 19 Abs 2 WEG 1975]). Das Erfordernis der Einstimmigkeit kann nicht dadurch umgangen werden, dass einzelne Wohnungseigentumsbewerber, die eine derartige Vereinbarung nicht abschließen wollen, durch den Wohnungseigentumsorganisator „substituiert“ werden (5 Ob 8/98g; RS0109841 [T2]). Uneinigkeit bestand in der Lehre dazu, ob die von den Wohnungseigentumsbewerbern mit dem Wohnungseigentumsorganisator abgeschlossenen schriftlichen Verträge eine Vereinbarung iSd § 19 Abs 2 WEG 1975 ersetzen könnten (offenlassend 5 Ob 98/98t mwN aus der dies bejahenden Lehre). Der Vertragsabschluss aller Vertragspartner vor Verbücherung des Wohnungseigentums ist aber jedenfalls kein Hindernis für die Gültigkeit einer solchen Vereinbarung (5 Ob 162/12b; vgl auch Kothbauer in GeKo, Wohnrecht II2 § 32 WEG 2002 Rz 31).

[20] 3.1. Die Revisionsrekurswerberin verweist zutreffend auf die ständige Rechtsprechung des Fachsenats (RS0117165), dass – besteht ein gesetzliches Schriftformgebot – die ergänzende Auslegung von Urkunden durch den Formzweck beschränkt ist und sowohl der Wohnungseigentumsvertrag als auch Vereinbarungen der Mit‑ und Wohnungseigentümer nach § 32 Abs 2 WEG 2002 und § 19 Abs 2 WEG 1975, die der Schriftform bedürfen, daher nach dem einer objektiven Auslegung zugänglichen Wortlaut zu interpretieren sind (5 Ob 198/16b mwN; 5 Ob 17/16k). Auf den Willen der vertragsschließenden Parteien kommt es diesbezüglich daher tatsächlich nicht an (5 Ob 12/19d).

[21] 3.2. Diesem Grundsatz der streng objektiven, am Wortlaut orientierten Auslegung der im Wohnungseigentumsvertrag enthaltenen Vereinbarung über die Verteilung der Aufwendungen nach § 19 Abs 2 WEG 1975 scheint das Rekursgericht auf den ersten Blick tatsächlich wenig Augenmerk geschenkt zu haben, indem es primär auf die allgemeinen Auslegungsgrundsätze des § 914 ABGB Bezug nahm und aus dem bereits vor dem Wohnungseigentumsvertrag abgeschlossenen Kaufvertrag zwischen der O* und dem Rechtsvorgänger der Erstantragstellerin Schlüsse auf den Parteiwillen bei Abschluss des Wohnungseigentumsvertrags zog, wobei es – wie schon das Erstgericht – auch die Frage, ob das Objekt B 2 Sondernutzungsfläche sein sollte, in seine Überlegungen miteinbezog.

[22] 3.3. Grundsätzlich wirft die Frage, ob ein von § 32 Abs 1 Satz 1 WEG 2002 (bzw hier § 19 Abs 1 Satz 1 WEG 1975) abweichender Verteilungsschlüssel vereinbart wurde, keine erhebliche Rechtsfrage auf (RS0042776 [T40]). Dies gilt aber dann nicht, wenn – wie hier – zu rechtserheblichen Fragen – im Folgenden aufzuzeigender – Erörterungsbedarf besteht und die Feststellungen für die abschließende rechtliche Beurteilung nicht ausreichen.

[23] 4.1. Vor Klärung der Frage, ob die nur von der O* und der Zweitantragstellerin im Wohnungseigentumsvertrag vom 15. 12. 1997 getroffene Vereinbarung über eine vom Gesetz abweichende Verteilung der Aufwendungen objektiv auszulegen und ob das Rekursgericht von diesem Grundsatz abgewichen ist, bedarf es nämlich – was die Vorinstanzen nicht ausreichend berücksichtigten – einer näheren Auseinandersetzung mit der Behauptung der Erstantragstellerin, die Zweitantragstellerin als damalige Verwalterin habe sich den von ihr verwendeten Abrechnungsmodus einschließlich der von ihr gewählten Verteilungsschlüssel von „sämtlichen Beteiligten“ absegnen lassen, die ihre Zustimmung auch schriftlich durch Unterfertigung der ./M erklärt hätten. Dies kann nach Auffassung des erkennenden Senats nämlich durchaus in dem Sinn verstanden werden, dass damit ein zunächst nur zwischen der Zweitantragsgegnerin und der Zweitantragstellerin als damaligen Miteigentümern im Wohnungseigentumsvertrag vereinbarter Schlüssel schriftlich unter Beiziehung weiterer (späterer) Mit‑ oder Wohnungseigentümer oder auch Wohnungseigentumsbewerber (wie etwa des K* als Rechtsvorgänger der Erstantragstellerin) inhaltlich präzisiert, abgeändert oder überhaupt neu vereinbart wurde.

[24] 4.2. Allerdings fehlen dazu nähere Feststellungen, insbesondere zum damaligen Grundbuchsstand, zu den an dieser – behaupteten – Vereinbarung Beteiligten, zum genauen Datum des Abschlusses einer solchen Vereinbarung (die sich nach dem bisherigen Akteninhalt auf die Abrechnung für 1997 bezog und daher wohl nach dem Wohnungseigentumsvertrag gelegen wäre) und nicht zuletzt zu deren Inhalt, an dem die Abrechnung der Erstantragsgegnerin – sollte es sich um eine rechtswirksame schriftliche Vereinbarung über einen abweichenden Verteilungsschlüssel handeln – zu messen wäre.

[25] 4.3. Sollte sich im fortgesetzten Verfahren herausstellen, dass darin keine wirksame Vereinbarung eines abweichenden Schlüssels lag, wird zu berücksichtigen sein, dass nach den Behauptungen der Erstantragstellerin ihr Rechtsvorgänger K* bei Abschluss des Wohnungseigentumsvertrags bereits das (spätere) Objekt B 2 gekauft und eine Anmerkung der Zusage der Einräumung von Wohnungseigentum erwirkt haben soll. Feststellungen zu dieser Anmerkung fehlen ebenfalls, obwohl diese dem Rechtsvorgänger der Erstantragstellerin die Rechtsstellung eines Wohnungseigentumswerbers jedenfalls im Verhältnis zur Zweitantragsgegnerin vermittelt hätte.

[26] 4.4. In diesem Zusammenhang wird mit der Erstantragstellerin zu erörtern sein, ob sie sich als Rechtsnachfolgerin an die Vereinbarung abweichender Verteilungsschlüssel im Wohnungseigentumsvertrag grundsätzlich für gebunden erachtet (zumal sie die Vereinbarung zwar mehrfach zitiert, dann aber doch die Anwendung des gesetzlichen Aufteilungsschlüssels für sich verlangt), und wie sie mit der im noch im Gründungsstadium abgeschlossenen Kaufvertrag zwischen der Zweitantragsgegnerin und ihrem Rechtsvorgänger enthaltenen Überbindung der Vereinbarung eines abweichenden Verteilungsschlüssels zwischen der O* und der Zweitantragstellerin (zu dessen Inhalt im übrigen ebenfalls Feststellungen fehlen, zumal die entsprechende Vereinbarung im Wohnungseigentumsvertrag erst 1997 erfolgte) umgehen möchte.

[27] 5. Das Gericht darf die Parteien nämlich in seiner Entscheidung nicht mit einer Rechtsauffassung überraschen, die sie nicht beachtet haben oder auf die sie das Gericht nicht aufmerksam gemacht hat (RS0037300). Dieser Grundsatz gilt auch im Verfahren außer Streitsachen (RS0037300 [T53, T55]; zum wohnrechtlichen Außerstreitverfahren 5 Ob 173/19f) und auch für den Obersten Gerichtshof (RS0037300 [T9]). Den Parteien darf nicht die Möglichkeit entzogen werden, zu diesen neuen rechtlichen Gesichtspunkten Tatumstände und ihre Rechtsansichten vorzutragen (RS003700 [T14, T20]).

[28] 6. Die Entscheidungen der Vorinstanzen waren daher aufzuheben. Das Erstgericht wird den Parteien Gelegenheit zur Äußerung zu der vom Obersten Gerichtshof vertretenen Rechtsansicht zu geben haben. Inwieweit es aufgrund dieser Äußerungen einer Verfahrensergänzung bedarf, obliegt der Beurteilung durch das Erstgericht. Auf den Grundsatz der objektiven Auslegung einer Vereinbarung über abweichende Verteilungsschlüssel wird bei einer neuerlichen Entscheidung Bedacht zu nehmen sein, sofern im dargestellten Sinn eine solche erwiesen ist.

[29] 7. Die nach § 52 Abs 2 WEG iVm § 37 Abs 3 Z 16 MRG anzustellenden Billigkeitserwägungen werden von der endgültigen Entscheidung in der Hauptsache abhängen, sodass die Kosten des Revisionsrekursverfahrens der Endentscheidung vorzubehalten sind.

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