European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0080OB00130.24M.1205.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Fachgebiet: Unternehmens-, Gesellschafts- und Wertpapierrecht
Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)
Spruch:
Der Revision wird Folge gegeben.
Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Rechtssache wird an das Erstgericht zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung zurückverwiesen.
Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Begründung:
[1] Der Kläger (ein Elektrotechniker ohne berufliche Erfahrung mit Wertpapieren oder Finanzinstrumenten) zeichnete im Jänner 2019 aufgrund einer Empfehlung seines Finanzberaters neben anderen Investments auch ein von einer GmbH (Emittentin) begebenes Nachrangdarlehen über 30.000 EUR. Über das Vermögen der Emittentin wurde am 8. 7. 2022 das Insolvenzverfahren eröffnet.
[2] Der Kläger begehrt von der beklagten Steuerberatungs- und Wirtschaftsprüfungsgesellschaft als Prospektkontrollorin nach § 8 Abs 2 KMG 1991 (BGBl 1991/625) die Zahlung eines Betrags in Höhe seines Investments zuzüglich der Zinsen eines Alternativinvestments Zug um Zug gegen die Übertragung der Rechte aus der Veranlagung, hilfsweise die Feststellung der Haftung der Beklagten für alle künftigen Schäden aufgrund rechtswidrigen und schuldhaften Verhaltens, insbesondere der Unterlassung der pflichtgemäßen Kontrolle des Kapitalmarktprospekts der Emittentin aus Dezember 2015 einschließlich eines Nachtrags aus Februar 2018 sowie Verschleppung der Insolvenz der Emittentin im Zusammenhang mit der Zeichnung eines Nachrangdarlehens der Emittentin.
[3] Der Kläger brachte vor, er habe ein Nachrangdarlehen der Tranche 2 gezeichnet, welches die Emittentin auf Basis eines Kapitalmarktprospekts 2015 aufgelegt habe; diesen habe die Beklagte im November 2015 ebenso wie einen Nachtrag im Februar 2018 im Auftrag der Emittentin kontrolliert und den Kontrollvermerk unterfertigt. Der Kläger sei bei seiner Anlageentscheidung auf Basis der ihm zur Verfügung gestellten Informationen davon ausgegangen, in ein rentables Geschäftsmodell der Emittentin als Pfandleihinstitut und eine profitable und solide Anlage zu investieren. Er habe die Veranlagung im Vertrauen auf die Richtigkeit und Vollständigkeit der Prospektangaben gezeichnet, auf deren Grundlage auch der Berater seine Auskünfte und Empfehlungen erteilt hätte. Demnach wäre die Ertragssituation im Geschäftsfeld der Emittentin ausgesprochen aussichtsreich gewesen, was sich aus der guten Verzinsung für die kurzfristige Zurverfügungstellung von Kapital ergäbe. Die Vergabe von Pfandleihen würde nur bis zu 60 % des Marktwerts der Sicherungsobjekte erfolgen.
[4] Die Informationen im Kapitalmarktprospekt zum Geschäftsmodell, zur wirtschaftlichen Lage der Emittentin und zur Mittelverwendung seien jedoch unvollständig, unrichtig und irreführend gewesen. Wenn – wie hier – keine Pflicht zur Abschlussprüfung bestehe, dürfe der Prospektkontrollor nicht von der Richtigkeit eines Jahresabschlusses der Emittentin ausgehen, sondern habe eine „entsprechende Kontroll- und Prüftätigkeit zu entfalten“; die Beklagte hätte den Jahresabschluss einer Kontrolle zu unterziehen gehabt, zumal darin dessen Erstellerin darauf hingewiesen habe, dabei die Buchhaltungsunterlagen der Emittentin weder auf Ordnungsmäßigkeit noch auf Plausibilität geprüft zu haben. Die Beklagte wäre zu „erhöhter Achtsamkeit“ und „vertiefter Kontrolle“ verpflichtet gewesen und hätte den Prospekt einschließlich des darin veröffentlichten Jahresabschlusses der Emittentin sowie deren Geschäftsunterlagen zu zentralen Geschäftsfällen auf Richtigkeit zu prüfen gehabt, dies jedoch unterlassen, worin grobes Verschulden liege. Bei pflichtkonformer Kontrolle hätte die Beklagte zentrale Änderungen der Angaben im Kapitalmarktprospekt verlangen müssen, und zwar insbesondere zu mangels Bankenkonzession gesetzwidrigen Kreditgeschäften der Emittentin; zu deren negativem Eigenkapital; zu „hochgradig kritischen“ Hintergründen für ausgewiesene Forderungen gegenüber zwei „Altgesellschaftern“ (welche als uneinbringlich auszubuchen gewesen wären) und Auszahlungen von Investorengeldern an diese; zum Umstand, dass die Emittentin kein eigenes Pfandleihgeschäft betrieben habe und ihre Betriebsergebnisse falsch angegeben worden seien; dass die Emittentin ein gesetzwidriges und damit sittenwidriges Geschäftsmodell verfolgt habe und sie dadurch laufend entreichert worden und materiell insolvent gewesen sei, sodass keine wirksame Nachrangabrede vorgelegen sei; zur Unvollständigkeit des Prospekts in Ansehung einer im Jahresabschluss erwähnten Fondsgründung. Hätte die Emittentin die von der Beklagten bei pflichtgemäßem Verhalten zu fordernden (Bilanz-) Korrekturen und Prospektergänzungen verweigert, hätte die Beklagte die Erteilung des Kontrollvermerks bei pflichtkonformen Verhalten verweigern müssen. Hätte die Beklagte diese Umstände offengelegt oder hätte sie den unvollständigen und unrichtigen Prospekt in der vorliegenden Form nicht genehmigt oder mit einem Kontrollvermerk versehen, wäre das Produkt unverkäuflich gewesen, die Darlehen an die Emittentin wären nicht auf dem Markt vertrieben worden oder platzierbar gewesen und dies hätte bereits vor dem Investment des Klägers zur Insolvenz der Emittentin geführt. Auch der Berater hätte dem Kläger das Produkt nicht empfohlen bzw hätte bereits der etablierte Vertriebsapparat der Emittentin die Platzierung eingestellt. Die fehlerhafte Prüfung des Prospekts sei auf eine grobe Verletzung der gebotenen Sorgfaltspflichten bzw ein grob fahrlässiges Unterlassen pflichtgemäßen Handelns der Beklagten zurückzuführen, wobei für letzteren hypothetischen Kausalverlauf überwiegende Wahrscheinlichkeit genüge. Dies sei dafür kausal gewesen, dass der Kläger ein Investment getätigt habe, welches nicht seinen Vorstellungen entsprochen habe. Der Prospektkontrollor hafte solidarisch mit der Emittentin. Handlungen und Verschulden der Rechtsanwaltsgesellschaft, welche den Prospekt erstellt habe, seien der Beklagten zuzurechnen.
[5] Die Beklagte erwiderte, sie hafte nur für eine bei ex ante‑Betrachtung unrichtige oder unvollständige Kontrolle, jedoch nicht für Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit des im Auftrag der Emittentin von einer Rechtsanwalts-GmbH erstellten Kapitalmarktprospekts 2015 sowie des Nachtrags 2018; das sich nur auf Letzteres stützende Klagebegehren sei daher unschlüssig. Dass ein Prospektkontrollor eine Detailprüfung von Jahresabschlüssen durchführen müsste, sofern – wie hier für den Jahresabschluss 2014 – keine gesetzliche Prüfpflicht nach dem UGB bestehe, entspreche nicht dem Gesetz. Die Beklagte als Kontrollorin habe den Prospekt anhand der von der Emittentin und deren Auskunftspersonen beizustellenden Unterlagen zu kontrollieren, jedoch keine einer Abschlussprüfung gleichzuhaltende Überprüfung der von einer anderen Wirtschaftstreuhandgesellschaft erstellten Jahresabschlüsse oder die Kontrolle jedes einzelnen Bilanzpostens oder jedes einzelnen Buchungskontos vorzunehmen gehabt; sie habe davon ausgehen dürfen, dass die Jahresabschlüsse ordnungsgemäß und richtig erstellt worden seien. Die Haftung der Beklagten sei bei einer Veranlagung im Sinne des § 1 Abs 1 Z 3 KMG 1991, wie sie hier vorliege, nach § 11 Abs 1 Z 2a KMG 1991 auf eigenes grobes Verschulden oder das ihrer Leute oder sonstiger Personen beschränkt, die von ihr zur Prospektkontrolle herangezogen worden seien. Die Beklagte habe die Kontrolle des Prospekts gesetzeskonform und sorgfältig einerseits auf formelle Vollständigkeit (dahin, dass er alle vom Gesetz sowie den sonstigen verbindlichen Normen verlangten Angaben enthalte) und darüber hinaus auch dessen Richtigkeit stichprobenartig durchgeführt und insbesondere aufgrund der ausgewählten Stichproben keine Hinweise erhalten, die Zweifel an Richtigkeit und Vollständigkeit erweckt hätten; nach damaligem Wissen der Beklagten seien alle ihre Fragen und Anmerkungen vollständig und angemessen beantwortet und erledigt worden. Behauptung und Beweis von Unrichtigkeit, Kontrollfehlern, Schaden und Schadenskausalität sowie Tatsachen, aus denen sich grobes Verschulden der Beklagten ergäben, oblägen dem Kläger. Dieser habe seine Anlageentscheidung nicht aufgrund des ordnungsgemäß kontrollierten Prospekts getroffen, und es wären seine Verluste nicht auf adäquat kausales, schuldhaftes Fehlverhalten der Beklagten zurückzuführen. Die Verfasserinnen des Prospekts sowie der Jahresabschlüsse (diese hätten auch die Buchhaltung der Emittentin besorgt) sowie Mitarbeiter der Emittentin seien jeweils nicht der Beklagten, sondern der Emittentin zuzurechnen. Bestritten werde, dass es sich bei der Veranlagung um ein „Ponzi‑Scheme“ oder „Schneeball-System“ gehandelt habe; dass Investorengelder nicht für den Aufbau des Pfandleihgeschäfts aufgewendet worden wären; dass es sich dabei um konzessionslos abgewickelte Kreditgeschäfte gehandelt hätte; dass das im Prospekt beschriebene Geschäftsmodell des Pfandleihgeschäfts schon grundsätzlich wegen mangelnder wirtschaftlicher Tragfähigkeit nicht funktionsfähig oder gesetzwidrig und damit sittenwidrig gewesen wäre; dass im Prospekt angeführte Renditeerwartungen nicht plausibilisiert worden wären; dass Forderungen der Emittentin nicht werthaltig oder Forderungen des Geschäftsführers gegen die Emittentin auffällig gewesen wären; dass diese überschuldet oder insolvenzgefährdet gewesen wäre; dass sich Hinweise darauf oder sonstige Auffälligkeiten bei der Kontrolle ergeben hätten; dass der Prospekt unaufgelöste Widersprüche enthalten hätte; oder dass der Beklagten Unrichtigkeiten oder Unvollständigkeiten oder eine Irreführungseignung der Angaben bekannt geworden wäre. Die in ihrer Gesamtheit und nicht bloß bruchstückhaft zu lesenden Prospektangaben zum Geschäftsmodell der Emittentin und zur beabsichtigten Mittelverwendung seien für Anleger und Berater des angesprochenen Verkehrskreises ex ante ausreichend klar, vollständig, verständlich, nachvollziehbar, schlüssig, in geeigneter Form, in angemessenem Umfang und in ausreichender Detaillierung dargestellt worden und seien daher eine geeignete und angemessene Grundlage für einen anleger- und anlagegerechten, risikobewussten Veranlagungsentschluss gewesen. FMA und WKStA hätten in der Folge den Prospekt selbst nicht bemängelt; auch nach nunmehriger intensiver Aufarbeitung der Unterlagen und Geschäftsbücher der Emittentin durch den Insolvenzverwalter seien keine ex ante augenscheinlich auffälligen Sachverhalte vorgelegen. Für – wie sich nachträglich herausgestellt habe – weitgehend irreführende und beschönigende begleitende Werbung durch die Emittentin sei die Beklagte nicht verantwortlich. Die Beklagte habe voraussetzen dürfen, dass Anleger und Berater die Angaben im Prospekt angemessen und sorgfältig erarbeiten würden; hätten sie dies getan, wären ihnen die nunmehr behaupteten Prospektmängel aufgefallen. Hätten sie die Prospektangaben tatsächlich als widersprüchlich erachtet, hätten sie jedenfalls von einer Investition abgesehen, andernfalls habe der Kläger aber trotz der behaupteten Mängel des Prospekts bewusst investiert, womit dieser nicht schadenskausal gewesen sei. Wenn dem Kläger von seinem Berater das gegenständliche Nachrangdarlehen als sichere Veranlagung präsentiert worden sei, entspreche dies nicht dem mehrfach auf ein Totalverlustrisiko hinweisenden Prospekt; für eine solche Fehldarstellung durch einen Berater habe die Beklagte ebenfalls nicht einzustehen. Kausalität anhand einer „positiven Anlagestimmung“ zu begründen sei zufolge der Unzulässigkeit eines Anscheinsbeweises nicht möglich; es komme alleine auf die tatsächliche Relevanz des tatsächlich verwendeten Prospekts bei der Anlageentscheidung des Klägers an. Seine Zeichnung am 31. 1. 2019 sei überhaupt auf Basis des damals aktuellen Kapitalmarktprospekts vom 22. 12. 2018 erfolgt, der von dritter Seite und nicht von der Beklagten kontrolliert worden und für dessen Inhalt sie nicht verantwortlich sei; der Kapitalmarktprospekt 2015 sowie der Nachtrag 2018 seien für die gegenständliche Investition somit schon deshalb nicht relevant oder kausal gewesen. Die Beklagte hafte dem voll risikobewussten Kläger nicht für ihm allenfalls entstandene Spekulationsverluste. Er trage das Alleinverschulden für den ihm entstandenen Schaden, weil er bewusst in eine riskante Veranlagung investiert habe. Der Kläger habe seine Schadensminderungspflicht verletzt, indem er seine Ansprüche gegen die Emittentin nicht unverzüglich geltend gemacht habe.
[6] Das Erstgericht wies die Klage ab. Da der Kläger den Kapitalmarktprospekt nicht gelesen habe und nicht festgestellt worden sei, dass der Kläger seine Anlageentscheidung auf weitere Inhalte des Prospekts gestützt hätte oder ihm davon vom Berater berichtet worden wäre, seien die vom Kläger behaupteten Unrichtigkeiten oder Unvollständigkeiten des Kapitalmarktprospekts für die Investition nicht ursächlich gewesen. Gegenstand und Wesen der Prospekthaftung sei, dass Anleger auf den Inhalt des Prospekts vertrauten, dieses Vertrauen jedoch aufgrund der Unrichtigkeit der darin enthaltenen Informationen enttäuscht werde. Gewährte man jedem Anleger einen solchen Anspruch auf den Vertrauensschaden, obwohl dieser den Prospekt nicht selbst gelesen hätte oder ihm dessen konkreter Inhalt nicht durch den Berater vermittelt worden wäre, würde sich die Prospekthaftung von ihrem Wesen entfernen und in einer den §§ 1293 ff ABGB grundsätzlich fremden allgemeinen kausalitätsunabhängigen Haftung für die Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit des Prospekts bzw für die unrichtige und unvollständige Prüfung durch den Prospektkontrollor aufgehen.
[7] Das Berufungsgericht bestätigte die erstgerichtliche Entscheidung. Es komme nicht darauf an, ob der Anleger selbst unmittelbar Kenntnis von den relevanten Inhalten des Prospekts erlange oder ihm diese durch den Berater vermittelt würden. Da aber eine Haftung nur in Betracht komme, wenn der konkrete Prospektmangel für den Schaden kausal gewesen sei, müsse der Berater im Rahmen der sich auf die Anlageentscheidung des Klägers positiv auswirkenden Beratung von den fehlerhaften Prospektangaben beeinflusst gewesen sein, wofür der Sachverhalt aber keine Anhaltspunkte liefere. Die zur Abschlussprüferhaftung vertretene Ansicht, dafür genüge es, dass sich eine Nachricht über die Verweigerung oder eingeschränkte Erteilung des Bestätigungsvermerks auf dem Kapitalmarkt rasch verbreitet und zu einer Kaufwarnung geführt hätte, lasse sich nicht auf die Haftung des Prospektkontrollors übertragen. Rechtliche Feststellungsmängel lägen nicht vor, weil das Erstgericht zur (Intensität der) Beschäftigung des Beraters mit dem Kapitalmarktprospekt samt Jahresabschluss Konstatierungen getroffen habe. Zudem wären auch keine Feststellungen zu konkreten Fehlern der Beklagten oder zum Schaden des Klägers zu treffen gewesen, da der Kläger nicht nachweisen habe können, dass überhaupt konkrete Angaben aus dem Kapitalmarktprospekt Eingang in die Beratung gefunden und seine Kaufentscheidung beeinflusst hätten.
[8] Das Berufungsgericht ließ die ordentliche Revision zur Frage zu, ob – ähnlich der Abschlussprüferhaftung – der Umstand, dass bei rechtlich richtigem Vorgehen des Prospektkontrollors der Kontrollvermerk nicht erteilt hätte werden dürfen, bereits zur Bejahung des erforderlichen Kausalzusammenhangs für die Annahme einer Prospekthaftung ausreiche.
[9] Die Revision des Klägers beantragt, dem Klagebegehren stattzugeben; hilfsweise wird Aufhebung beantragt. Der Kläger sei seiner Behauptungs- und Beweispflicht für den Kausalzusammenhang zwischen dem Fehlverhalten der Beklagten und seiner Vermögensdisposition ausreichend nachgekommen.
[10] In ihrer Revisionsbeantwortung beantragt die Beklagte, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
[11] Die Revision ist zur Wahrung der Rechtssicherheit zulässig und im Sinne des Aufhebungsantrags auch berechtigt.
[12] 1.1. Das Erstgericht hat das Vorliegen der vom Kläger in erster Instanz zusätzlich behaupteten Anspruchsgrundlagen Vertrag mit Schutzwirkung zu Gunsten Dritter und Insolvenzverschleppung verneint. Dagegen hat sich der Kläger in seiner Berufung gegen das klagsabweisende Ersturteil nicht mehr gewendet. Diese Anspruchsgrundlagen sind daher nicht mehr Gegenstand des Rechtsmittelverfahrens.
[13] 1.2. Unstrittig ist, dass sich eine allfällige Haftung der Beklagten nach der allein Gegenstand des Revisionsverfahrens bildenden Anspruchsgrundlage der fehlerhaften Prospektkontrolle wegen der im November 2015 bzw Februar 2018 erteilten Kontrollvermerke bzw der im Jänner 2019 erfolgten Veranlagung des Klägers nach dem KMG 1991 richtet (RS0008715).
[14] 2.1. Nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs bestehen Prospekthaftungsansprüche, wenn ein Anleger durch falsche, unvollständige oder irreführende Prospektangaben zur Zeichnung einer Kapitalanlage bewogen wird. Es handelt sich dabei um eine typisierte Vertrauenshaftung aus Verschulden bei Vertragsabschluss. Der Prospekt bildet im Regelfall die Grundlage für den wirtschaftlich bedeutsamen und mit Risiken verbundenen Beteiligungsentschluss. Aus diesem Grund muss sich der potenzielle Kapitalanleger grundsätzlich auf die sachliche Richtigkeit und Vollständigkeit der im Prospekt enthaltenen Angaben verlassen dürfen (RS0107352). An diesem Zweck orientieren sich auch Inhalt und Umfang der in § 8 Abs 2 KMG 1991 (in den maßgeblichen Fassungen BGBl I 2013/184 bzw BGBl I 2017/149) geregelten Prüfpflicht: Der Prospektkontrollor hat den Prospekt auf seine Richtigkeit und Vollständigkeit zu kontrollieren und bei deren Vorliegen mit der Beifügung „als Prospektkontrollor“ zu unterfertigen, was die unwiderlegliche Vermutung begründet, dass er den Prospekt kontrolliert und für richtig und vollständig befunden hat; er haftet gemäß § 11 KMG (in der hier maßgeblichen Fassung BGBl I 2012/83) aber gerade nicht für die Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit des Prospekts, sondern nur für dessen unrichtige oder unvollständige Kontrolle (RS0107352 [T5, T15]; 10 Ob 35/24f Rz 10 mwN).
[15] 2.2. Die für eine solche Haftung notwendige Kausalität wird von der Rechtsprechung bejaht, wenn sich der Anleger im Vertrauen auf den ihm bekannten Prospekt zum Kauf entschließt, wenn also unrichtige, unvollständige oder irreführende Angaben des Prospekts, welcher unrichtig oder unvollständig kontrolliert wurde, tatsächlich zur Grundlage seiner schadensauslösenden Disposition gemacht wurden; maßgeblicher Zeitpunkt für diesen Ursachenzusammenhang ist der des Vertragsabschlusses in Ansehung der konkreten Anlageentscheidung (vgl RS0108626).
[16] 2.3. Den Kausalzusammenhang zwischen Sorgfaltsverletzung und dem Schaden hat – wie nach allgemeinen schadenersatzrechtlichen Grundsätzen auch – der Geschädigte zu behaupten und zu beweisen (vgl RS0108626 [T4, T7]; 10 Ob 35/24f Rz 18 mwN). In der zuletzt genannten Entscheidung wurde zur Prospekthaftung erwogen, eine durch den Berater vermittelte (mittelbare bzw indirekte) Kenntnis (wie sie zur Haftung des Abschlussprüfers anerkannt ist: vgl 4 Ob 145/21h Rz 31) als ausreichend anzusehen; auch bei Bestätigungsvermerken muss das Vertrauen zwar nicht durch die Kenntnis des konkreten Vermerks geschaffen werden, sondern es wäre auch denkbar, dass die auf die Anlageentscheidung positiv einwirkende Beratung von erteilten Vermerken beeinflusst war, jedoch nur wenn statt des Anlegers der Berater diese gekannt oder sonst von deren Erteilung erfahren hat (vgl RS0108627 [T2]). Ein Rückgriff auf Grundsätze des Anscheinsbeweises in der Frage des Kausalitätszusammenhangs zwischen mangelhaften Prospektangaben und dem Anlageentschluss eines Anlegers (wie er sich bei der Ansicht ergäbe, dass bereits ein am Markt vorhandener fehlerhafter Prospekt zu einer – hypothetischen – „Anlagestimmung“ führen und derart anstelle eines Beweises der konkreten Gründe für die Anlageentscheidung ein prima facie-Beweis zu Gunsten des Anlegers im Sinn einer anzunehmenden Beeinflussung genügen würde) wird dagegen von der ständigen Rechtsprechung abgelehnt (RS0108627; 10 Ob 69/11m; vgl 8 Ob 93/14f Pkt 2.3), was umso mehr für die Haftung aufgrund unrichtiger bzw unvollständiger Kontrolle des Prospekts gilt (4 Ob 119/24i Rz 18; 5 Ob 118/24z Rz 14; vgl jüngst 7 Ob 164/24d und 7 Ob 165/24a).
[17] 3.1. Nach den von den Vorinstanzen getroffenen Feststellungen las der Kläger weder den ihm übergebenen Kapitalmarktprospekt der Emittentin noch den diesem als Anlage angeschlossenen Jahresabschluss. Im Gespräch zwischen dem Berater und dem Kläger war der Kapitalmarktprospekt aber „oberflächlich Gegenstand“, wobei sie dabei einerseits „die groben Eckpunkte wie“ Laufzeit und Verzinsung besprachen. Andererseits konnte aber nicht festgestellt werden, ob „darüber hinaus“ noch weitere und gegebenenfalls welche Stellen des Kapitalmarktprospekts besprochen wurden. Der dem Kapitalmarktprospekt angeschlossene Jahresabschluss der Emittentin wurde jedenfalls nicht besprochen.
[18] Der Berater bezog die Informationen, die er dem Beratungsgesprächen mit dem Kläger zugrundelegte, zwar „primär“ von Vertriebsleuten der Emittentin, welche ihn betreuten und das Risiko als eher gering darstellten. Der Berater las aber andererseits „auszugsweise“ den Kapitalmarktprospekt und sah den darin enthaltenen Jahresabschluss durch, ohne aber die einzelnen Positionen des Jahresabschlusses „im Detail“ zu studieren. Zur Frage, welchen Einfluss der Prospekt auf seine Beurteilung der Veranlagung sowie auf seine Beratung und deren Inhalte hatte, finden sich keine Konstatierungen.
[19] 3.2. Auf dieser Tatsachengrundlage kann nicht abschließend beurteilt werden, ob sich der Kläger im Vertrauen auf den Prospekt zum Kauf entschloss, wie es die oben dargelegten gesetzlichen Bestimmungen als Voraussetzung für die Haftung des Prospektkontrollors festlegen: Es finden sich insbesondere keine hinreichend klaren und widerspruchsfreien Feststellungen, aus denen ableitbar wäre, ob die letztlich zur Zeichnung führende Kaufempfehlung des Beraters auf falsche, unvollständige oder irreführende Prospektangaben (RS0107352) oder bloß auf andere Quellen gegründet war.
[20] 3.3. Sollte aufgrund der insofern zu verbreiternden Tatsachengrundlage die Kausalität des Prospekts als Grundlage der schadensauslösenden Disposition des Klägers nicht von vornherein zu verneinen sein, wären im Rahmen der Prozessbehauptungen der Parteien auch Feststellungen zu treffen, ob und in welcher Weise der Beklagten konkret eine Verletzung der sie treffenden Kontrollpflichten anzulasten wäre, um auch in diesem Lichte beurteilen zu können, ob und in welcher Weise eine solche Pflichtverletzung zur Veranlagung geführt habe.
[21] 3.4. Einer Auseinandersetzung mit der sich im vorliegenden Verfahrensstadium bloß theoretisch stellenden (vgl RS0111271) Zulassungsfrage bedarf es an dieser Stelle ebenso wenig wie einer Erörterung, ob das Tatsachenvorbringen der Beklagten diesbezüglich ausreichend wäre.
[22] 4. Der Kostenvorbehalt fußt auf § 52 ZPO.
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