European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0090OB00086.24Y.1121.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Fachgebiet: Familienrecht (ohne Unterhalt)
Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)
Spruch:
Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.
Der angefochtene Beschluss wird hinsichtlich seines bestätigenden Teils (Spruchpunkt 1 und 4 der erstgerichtlichen Entscheidung) aufgehoben und dem Rekursgericht die neuerliche Entscheidung aufgetragen.
Begründung:
[1] Der Minderjährige ist das Kind von S* und Mag. E*. Die Obsorge kommt den Eltern gemeinsam zu, wobei der Minderjährige bislang hauptsächlich im Haushalt der Mutter betreut wird. Dem Vater kommt zuletzt ein Regelkontaktrecht in ungeraden Kalenderwochen von Donnerstag nach Kindergarten/Schulende bis Montag zu Kindergarten/Schulbeginn zu.
[2] Der Vater beantragt die Regelung eines Ferienkontaktrechts sowie die Beibehaltung des bisherigen Kontaktrechts bzw die Abweisung des Antrags der Mutter auf Einschränkung des Kontaktrechts. Er bringt dazu im Wesentlichen (soweit für das Revisionsrekursverfahren von Relevanz) vor, dass ein regelmäßiger und intensiver Kontakt zu seinem Sohn dessen Wohl förderlich sei, insbesondere, weil er als Vater auch in die Alltagsbetreuung des Kindes eingebunden werden sollte. Die Mutter habe dem Wohl des Kindes widersprechende und dessen Interessen zuwiderlaufende Vorstellungen von seiner schulischen Karriere einerseits und seines Förder- und Unterstützungsbedarfs andererseits, weshalb die von ihr beantragte Einschränkung des Kontaktrechts nicht angezeigt sei, sondern vielmehr eine deutliche Ausweitung der Kontaktzeiten, die einer gleichteiligen Betreuung möglichst nahe kommen sollte.
[3] Die Mutter spricht sich gegen die Anträge des Vaters aus und beantragte die Einschränkung des zuletzt geregelten Kontaktrechts des Vaters, sodass dieser nur mehr berechtigt sei, den Minderjährigen von Freitag nach dem Kindergarten/Schule bis Montag zu Kindergartenbeginn/Schule zu sehen. Sie bringt (soweit für das Revisionsrekursverfahren von Relevanz) vor, dass sich der Minderjährige nach den Kontaktwochenenden beim Vater zunehmend auffällig zeige. Der Vater unterlasse es, dem Minderjährigen Grenzen zu setzen. Das Verhalten des Minderjährigen in der Schule, das durch aggressive Durchbrüche gegenüber anderen Kindern und Lehrerinnen gekennzeichnet sei, sei auf die grenzenlose Erziehungshaltung des Vaters zurückzuführen. Das derzeit geregelte Kontaktrecht sei dem Wohl des Kindes abträglich.
[4] Im Verfahren holte das Erstgericht ein Sachverständigengutachten aus dem Bereich Familien-, Kinder- und Jugendpsychologie ein. Nach Vorliegen des Gutachtens lehnte die Mutter die Sachverständige mit Schriftsatz vom 12. 9. 2023 als befangen ab (ON 170). Über diesen Antrag wurde vom Erstgericht nicht entschieden.
[5] Mit dem angefochtenen Beschluss vom 18. 12. 2023 wies das Erstgericht den Antrag der Mutter auf Einschränkung des Kontaktrechts des Vaters ab (Spruchpunkt 1) und legte die Betreuung des Minderjährigen ab 8. 1. 2024 im Sinne eines Doppelresidenzmodells fest, wobei der Betreuungswechsel im Rhythmus 2‑2‑3‑Tage zu erfolgen habe, sprach aus, dass die hauptsächliche Betreuung im Sinn der primären Wahrnehmung jener Aufgaben, deren Grundlage ein bestimmter Aufenthaltsort des Minderjährigen ist, nicht jedoch die Bestimmung des Wohnorts des Kindes im Sinn des § 162 Abs 2 AußStrG, der Mutter zukomme (Spruchpunkte 2 und 3). Weiters regelte es ein Ferienkontaktrecht des Vaters für die Weihnachtsferien, Semesterferien, Osterferien, Sommerferien und Herbstferien (Spruchpunkt 4) und wies die Anträge beider Eltern, die fehlende Zustimmung des jeweiligen anderen Elternteils zum Besuch bestimmter Schulen unbekämpft ab (Spruchpunkte 5 bis 7). Schließlich trug es beiden Eltern den Besuch einer Elternberatung – ebenso unbekämpft – auf (Spruchpunkte 8 und 9) und erkannte dieser Entscheidung vorläufige Verbindlichkeit und Vollstreckbarkeit zu (Spruchpunkt 10).
[6] Das Erstgericht stützte seine Feststellungen überwiegend auf das im Verfahren eingeholte kinderpsychologische Gutachten. In der Beweiswürdigung führte es aus, die Versuche der Mutter, der Sachverständigen eine Befangenheit zuzuschreiben, seien ungeeignet gewesen. Die Verschriftlichung der Wahrnehmungen einer Psychologin, die vom Gericht zur Beurteilung der Erziehungsfähigkeit der Eltern eingesetzt worden sei, gehöre zu den Kernaufgaben der eingesetzten Gutachterin. Die Mitteilung dieser Wahrnehmungen sei nicht geeignet, eine Befangenheit zu begründen, sondern sei zur ordnungsgemäßen Erfüllung des Gutachtenauftrags erforderlich.
[7] Rechtlich führte das Erstgericht zusammengefasst aus, die vom Vater begehrten Ferienkontakte entsprächen dem Wohl des Minderjährigen, weil das Verfahren – insbesondere nach dem Inhalt des kinderpsychologischen Gutachtens – einer Ausdehnung der Kontakte bis hin zur Doppelresidenz, nicht jedoch einer Einschränkung der Kontakte des Vaters zu seinem Sohn als dessen Wohl förderlich ergeben habe. Eine Ausweitung des Kontaktrechts bringe es mit sich, dass der Vater mehr in den Alltag des Kindes eingebunden sei und nicht nur die Freizeit mit ihm verbringe, was zu einer Entlastung der Mutter führen sollte.
[8] Mit einem weiteren Beschluss vom 17. 1. 2024 berichtigte das Erstgericht den Beschluss vom 18. 12. 2023 dahingehend, dass dessen Spruch durch einen Punkt 11 ergänzt werde, nach dem der Antrag der Mutter, die Sachverständige für befangen zu erklären, abgewiesen werde. Dem Rekurs der Mutter gegen diesen Beschluss gab das Rekursgericht Folge und hob den Beschluss ersatzlos auf. Ein Berichtigungsfall liege nicht vor, weil der Entscheidungswille des Erstgerichts nur darauf gerichtet gewesen sei, dem Gutachten uneingeschränkten Beweiswert zuzuerkennen, nicht auf eine Entscheidung über den Ablehnungsantrag.
[9] Dem Rekurs der Mutter gegen Spruchpunkt 1 und 4 des Beschlusses vom 18. 12. 2023 (Abweisung des Antrags auf Einschränkung des Kontaktrechts des Vaters und Festlegung des Ferienkontaktrechts) gab das Rekursgericht nicht Folge, dagegen gab es den gegen die Spruchpunkte 2, 3 und 10 gerichteten Rekurs Folge und hob diese ersatzlos auf. Die Spruchpunkte 5 bis 9 wurden nicht bekämpft.
[10] Zutreffend zeige der Rekurs zwar auf, dass das Erstgericht weder ausdrücklich noch schlüssig über den Ablehnungsantrag der Mutter gegen die Sachverständige entschieden habe. Die Begründung des Erstgerichts in der Beweiswürdigung, dass die Versuche der Mutter, die Sachverständige abzulehnen, untauglich gewesen seien, reiche nicht aus, um die Anforderungen des § 39 AußStrG gerecht zu werden. Für die Beurteilung der Berechtigung des Antrags auf Einschränkung der Kontakte des Vaters zu seinem Sohn und des Ferienkontaktrechts und die Bekämpfung der Anordnung der Doppelresidenz sei jedoch die Frage der Ablehnung der Sachverständigen nicht von Relevanz.
[11] Die Bedingung für den – prozessual zulässigen – bedingten Kontaktrechtsantrag des Vaters auf Betreuung im Sinne eines Doppelresidenzmodells sei nicht eingetreten. Die Entscheidung sei in diesem Umfang (Spruchpunkt 2 und 3) daher ersatzlos zu beheben.
[12] Soweit sich die Mutter gegen Feststellungen zur Ausdehnung bzw Ausweitung des Kontaktrechts des Vaters wende, unterlasse sie es, konkrete Beweismittel aufzuzeigen, aus denen die von ihr begehrten Ersatzfeststellungen abzuleiten seien. Die Feststellungen würden daher als Ergebnis eines mängelfreien Verfahrens und einer ausreichend begründeten Beweiswürdigung übernommen.
[13] Rechtlich führte das Rekursgericht zum Kontaktrecht aus, die Mutter übergehe, dass das ihrer Meinung nach wenig Grenzen setzende Verhalten und auf Vergnügungen und Belohnungen fokussierte Verhalten des Vaters damit zusammenhänge, dass er bislang nur berechtigt gewesen sei, seinen Sohn im bisherigen eingeschränkten Umfang zu sehen. Würde der Vater indes durch eine Ausweitung von Kontakten auch vermehrt in den Alltag des Kindes eingebunden, hätte er auch mehr Verantwortung – sowohl in erzieherischen als auch in schulischen Angelegenheiten – zu übernehmen, was zwangsläufig dazu führe, dass auch er in der alltäglichen Betreuung und Erziehung des Kindes eher darauf bedacht sein müsse, diesem Grenzen zu setzen. Wenn die Mutter im Verhalten des Vaters eine Änderung bewirken wolle, erweise sich gerade nicht die Einschränkung der Kontakte als das Mittel der Wahl, sondern deren Ausdehnung. Ausgehend von diesen Überlegungen komme es für die Beurteilung des Kontaktrechts gerade nicht auf das inhaltliche Substrat des Gutachtens der – abgelehnten – Sachverständigen an, weshalb auch die bislang unterbliebene Entscheidung über den Ablehnungsantrag keine Auswirkung auf die inhaltliche Entscheidung über das Kontaktrecht des Vaters habe. Daher sei die Abweisung des Einschränkungsantrags genauso wenig zu beanstanden wie das dem Vater eingeräumte Ferienkontaktrecht.
[14] Der ordentliche Revisionsrekurses wurde vom Rekursgericht nicht zugelassen, weil eine Rechtsfrage von der im § 62 Abs 1 AußStrG geforderten Qualifikation nicht vorliege.
[15] Gegen den bestätigenden Teil dieses Beschlusses wendet sich der Revisionsrekurs der Mutter mit dem Antrag, die Entscheidungen der Vorinstanzen in diesem Umfang dahingehend abzuändern, dass dem Antrag der Mutter auf Einschränkung des Kontaktrechts Folge gegeben wird und der Antrag des Vaters auf Festsetzung des Ferienkontaktrechts abgewiesen wird. In eventu wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
[16] Der Vater beteiligte sich nicht am Revisionsrekursverfahren.
Rechtliche Beurteilung
[17] Der Revisionsrekurs ist zur Klarstellung zulässig und im Sinn des Aufhebungsantrags auch berechtigt.
[18] 1. Im Revisionsrekurs wird geltend gemacht, das Rekursverfahren sei mangelhaft, weil auch der Rekursentscheidung die auf dem Gutachten der abgelehnten Sachverständigen gegründeten Feststellungen des Erstgerichts zugrunde gelegt würden.
[19] 2. Dies ist zutreffend. Gemäß § 35 AußStrG sind – von hier nicht relevanten Ausnahmen abgesehen – die Bestimmungen der Zivilprozessordnung über die einzelnen Beweismittel im Außerstreitverfahren sinngemäß anzuwenden. Das bedeutet, dass auch im Außerstreitverfahren für die Ablehnung eines Sachverständigen die Bestimmungen der §§ 355 ff ZPO sinngemäß zu gelten haben (vgl Höllwerth in Gitschthaler/Höllwerth, AußStrG² [2019] § 31 Rz 80; RS0110741). Gleichzeitig mit der Ablehnung sind die Gründe der Ablehnung anzugeben. Wird der Ablehnung stattgegeben, so ist ohne Aufschub die Bestellung eines anderen Sachverständigen zu veranlassen (§ 356 Abs 2 ZPO). Geschieht dies nicht, bewirkt dies mangels gesetzlicher Anordnung keine Nichtigkeit, wohl aber einen sonstigen Verfahrensmangel (RS0040667 [T5; T7]). Es darf also der gerichtlichen Sachentscheidung nicht ein Gutachten eines abgelehnten Sachverständigen zu Grunde gelegt werden, solange nicht über den Ablehnungsantrag rechtskräftig im abweisenden Sinn entschieden wird (7 Ob 252/09y; Höllwerth in Gitschthaler/Höllwerth, AußStrG² [2019] § 31 Rz 80).
[20] 3. Das Erstgericht hat seine Feststellungen zur Erziehungsfähigkeit der Eltern, der Beeinträchtigung der speziellen Erziehungsfähigkeit, den Auffälligkeiten des Minderjährigen und insbesondere zu den (aus fachlich kinderpsychologischer Sicht) der Förderung des Kindeswohls dienlichen Kontakten des Minderjährigen zum Vater im Wesentlichen auf das Gutachten der Sachverständigen gestützt. Diese Feststellungen wurden vom Rekursgericht ausdrücklich übernommen. In seiner rechtlichen Beurteilung geht das Rekursgericht von denselben Argumenten aus, die den Feststellungen auf Basis des Gutachtens zugrunde liegen, wobei es aber zugleich darauf verweist, dass es für diese Überlegungen nicht auf das inhaltliche Substrat des Gutachtens ankomme.
[21] Abgesehen davon, dass diese Begründung widersprüchlich ist, kann dem auch inhaltlich nicht gefolgt werden. Eine Übernahme von Feststellungen auf Grundlage eines mangelhaften Verfahrens ist nicht zulässig. Bei Außerachtlassung der Feststellungen, die auf dem Gutachten gründen, hat die Entscheidung über das Kontaktrecht aber keine Sachverhaltsgrundlage mehr.
[22] Es mag im Allgemeinen durchaus zutreffen, wie vom Rekursgericht dargelegt, dass umfangreichere Kontakte eines Elternteils Verpflichtungen für den Alltag eines Kindes und damit auch Verantwortung für erzieherische und schulische Angelegenheiten mit sich bringen und eine Einschränkung von Kontakten für dieses Ziel kontraproduktiv wäre. Zu prüfen ist aber immer im konkreten Einzelfall bezogen auf die Bedürfnisse des jeweiligen Kindes und der Persönlichkeit, Eigenschaften und Lebensumstände des jeweiligen Elternteils in welchem Umfang ein Kontaktrecht dem Kindeswohl förderlich ist. Eine Entscheidung darüber ist ohne eine ausreichende Sachverhaltsgrundlage nicht möglich.
[23] 4. Dem Revisionsrekurs war daher Folge zu geben. Die Entscheidung des Rekursgerichts war im angefochtenen Umfang aufzuheben. Das Rekursgericht wird sich im fortzusetzenden Verfahren mit der im Rekurs geltend gemachten Mangelhaftigkeit der erstgerichtlichen Entscheidung (Sachentscheidung ohne vorherige Entscheidung über den Ablehnungsantrag) auseinanderzusetzen haben.
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