OGH 7Ob23/24v

OGH7Ob23/24v22.5.2024

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Solé als Vorsitzende und die Hofrätinnen und Hofräte Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Malesich, Dr. Weber und Mag. Fitz als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei H* F*, vertreten durch Dr. Michael Gumpoltsberger, Rechtsanwalt in Wörgl, gegen die beklagte Partei S* GmbH, *, vertreten durch Held Berdnik Astner & Partner Rechtsanwälte GmbH in Graz, wegen Feststellung, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 20. Oktober 2023, GZ 3 R 164/22y‑32, womit das Urteil des Bezirksgerichts Kufstein vom 26. April 2023, GZ 5 C 716/22f‑27, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0070OB00023.24V.0522.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 602,54 EUR (darin enthalten 100,42 EUR an USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Begründung:

[1] Das beklagte Elektrizitätsunternehmen kündigte mit Schreiben vom 22. 7. 2022 – unter Einhaltung einer Kündigungsfrist von mehr als acht Wochen – den Stromlieferungsvertrag der Klägerin zum 30. 10. 2022 auf und bot gleichzeitig den Abschluss eines neuen Stromlieferungsvertrags zu einem höheren Preis an. Die Klägerin nahm dieses Anbot nicht an.

[2] Die Vorinstanzen wiesen das auf Feststellung der Unwirksamkeit der Kündigung, in eventu des Weiterbestehens des Stromlieferungsvertrags und der Haftung der Beklagten für sämtliche aus der Kündigung folgenden Schäden lautende Klagebegehren, ab.

[3] Das Berufungsgericht sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 5.000 EUR, nicht jedoch 30.000 EUR übersteige und die ordentliche Revision zulässig sei. Es fehle höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage, ob § 80 Abs 2a ElWOG auch dann (analog) anzuwenden sei, wenn der Energieanbieter die einseitige Kündigung des bisherigen Energielieferungsvertrags ausspreche und gleichzeitig ein Anbot zum Abschluss eines Neuvertrags mit höheren Preisen unterbreite.

Rechtliche Beurteilung

[4] 1. Die von der Beklagten angeführte offenkundige Überbewertung des Streitgegenstands liegt nicht vor: Der Bewertungsausspruch der zweiten Instanz ist grundsätzlich unanfechtbar und auch für den Obersten Gerichtshof bindend (RS0042515), es sei denn, das Berufungsgericht hätte zwingende Bewertungsvorschriften verletzt (RS0042385 [T8]) oder den ihm vom Gesetzgeber eingeräumten Ermessensspielraum überschritten (RS0042385 [T22]; RS0042515 [T8]) und eine offenkundige Unter‑ oder Überbewertung vorgenommen (RS0109332 [T1]). Dies ist hier nicht der Fall, weil es – selbst wenn man auf die von der Beklagten ins Treffen geführte Preisdifferenz abstellen wollte – nicht allein auf einen Jahresdifferenzbetrag ankommen kann, handelt es sich doch bei Energielieferungsverträgen um sogenannte Sukzessivlieferungsverträge mit einem häufig längerfristigen Zeithorizont (RS0025878 [T2]).

[5] 2. Der Oberste Gerichtshof hat die von der Klägerin behaupteten Mängel des Berufungsverfahrens geprüft; sie bestehen nicht (§ 510 Abs 3 ZPO).

[6] 3. Das Vorliegen einer erheblichen Rechtsfrage ist nach dem Zeitpunkt der Entscheidung des Obersten Gerichtshofs über das Rechtsmittel zu beurteilen (vgl RS0112921; RS0112769). Eine im Zeitpunkt der Einbringung des Rechtsmittels aufgeworfene erhebliche Rechtsfrage fällt weg, wenn sie durch eine Entscheidung des Obersten Gerichtshofs bereits geklärt wurde (RS0112921; RS0112769 [T12]).

[7] 3.1. Sämtliche in der Revision als erheblich im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO bezeichneten Rechtsfragen hat der Oberste Gerichtshof erst jüngst in seiner Entscheidung 3 Ob 7/24m, der der nahezu idente Sachverhalt zugrunde lag, mit ausführlicher Begründung geklärt:

[8] 3.2.1. § 76 Abs 1 ElWOG geht – schon seinem klaren Wortlaut nach – von der Zulässigkeit einer Vertragskündigung („ordentliche Kündigung“) durch den Lieferanten aus, von dem er bei Verträgen mit Verbrauchern im Sinn des § 1 Abs 1 Z 2 KSchG und mit Kleinunternehmern die Einhaltung einer Frist von zumindest acht Wochen verlangt. § 80 Abs 2 und Abs 2a ElWOG betreffen dagegen – wiederum schon nach dem klaren Gesetzeswortlaut und überdies im Einklang mit Art 10 Abs 4 der Elektrizitätsbinnenmarkt‑RL 2009/944/EU – die einseitigen „Änderungen der (...) vertraglich vereinbarten Entgelte“ im aufrechten Vertragsverhältnis, nach welcher der Kunde berechtigt ist, die „Kündigung des Vertrags (...) kostenlos und ungeachtet allfälliger vertraglicher Bindungen zu erklären“. Folgerichtig hat die Novelle BGBl I 2022/7, mit der § 80 Abs 2a ElWOG eingeführt wurde, die – einen anderen Regelungsinhalt betreffende – Bestimmung des § 76 ElWOG unberührt gelassen.

[9] 3.2.2. Die Beklagte hat mit ihrem Schreiben vom 27. 7. 2022, das – entgegen den untauglichen gegenteiligen Auslegungsversuchen der Klägerin – keinem anderen Verständnis zugänglich ist, keine Änderungen des vertraglich vereinbarten Entgelts bei weiterbestehendem Vertragsverhältnis und keine bloß bedingte, sondern die unbedingte ordentliche Kündigung des damals mit der Klägerin bestandenen Stromlieferungsvertrag vorgenommen.

[10] 3.3. Soweit sich die Ausführungen der Klägerin, wonach jede Preisänderung zu einem unbefristeten Stromlieferungsvertrag in den Anwendungsbereich des § 80 ElWOG falle, (auch) gegen das neue Vertragsanbot der Beklagten richten sollten, welches die Klägerin auch für intransparent sowie sitten‑ und gesetzwidrig hält, übersieht sie, dass sie das Anbot der Beklagten auf Abschluss eines neuen Vertrags mit höheren Strompreisen nicht angenommen hat und dies auch mit ihrem Klagebegehren nicht anstrebt. Ob dieses Anbot den dafür maßgeblichen gesetzlichen Anforderungen oder den von der Klägerin dazu verlangten Informationen entsprochen hat, bedarf keiner Überprüfung.

[11] 3.4. Für die hier vorliegende Konstellation der Stromversorgung steht es dem Verbraucher infolge Liberalisierung des Strommarktes frei, aus verschiedenen Stromanbietern zu wählen. Der einfache Umstieg zwischen verschiedenen Stromanbietern (Wechselmöglichkeiten) wird durch §§ 76 ff ElWOG sichergestellt. Demnach liegt in diesem Bereich keine Fremdbestimmtheit der Klägerin vor, weil sie als Verbraucherin ein echtes Wahlrecht unter verschiedenen Anbietern hat. Es besteht auch keine relevante marktbeherrschende Stellung der Beklagten für eine Stromlieferung, hat doch das Erstgericht ohnehin zahlreiche Angebote anderer Lieferanten festgestellt, die unter Nutzung des Netzes der Beklagten für die Lieferung von elektrischer Energie an das Wohnhaus der Klägerin zur Verfügung stehen. Aus deren Tarifen ergeben sich keine Hinweise, dass jener der Beklagten nicht marktkonform wäre. Es liegt demnach kein Fall einer Marktbeherrschung vor, der die Kündigung der Beklagten als unwirksam erweisen und diese zur Weiterbelieferung nach den seinerzeitigen Konditionen verpflichten könnte.

[12] 3.5. Da selbst ein – redlicher – Erklärungsempfänger (vgl RS0014160 [T24]; RS0014205 [insb T2 und T18]) auch wiederholte Preiserhöhungen nicht als (schlüssigen) Verzicht auf das Recht zur ordentlichen Kündigung verstehen könnte, liegen die in diesem Zusammenhang von der Klägerin angeführten sekundären Feststellungsmängel nicht vor.

[13] 4. Dieser Beschluss bedarf keiner weiteren Begründung (§ 510 Abs 3 ZPO).

[14] 5. Die Kostenentscheidung gründet auf die §§ 41, 50 ZPO.

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