OGH 2Ob150/21d

OGH2Ob150/21d14.12.2021

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Veith als Vorsitzenden und den Hofrat Dr. Musger, die Hofrätin Dr. Solé und die Hofräte Dr. Nowotny und MMag. Sloboda als weitere Richter in der Verlassenschaftssache nach dem * 2017 verstorbenen A* H*, zuletzt *, über den Revisionsrekurs des E* H*, vertreten durch Dr. Günther Riess und andere Rechtsanwälte in Innsbruck, gegen den Beschluss des Landesgerichts Innsbruck als Rekursgericht vom 19. Jänner 2021, GZ 51 R 62/20x‑55, mit welchem der Beschluss des Bezirksgerichts Innsbruck vom 1. September 2020, GZ 52 A 545/18b‑47, aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:0020OB00150.21D.1214.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

 

Begründung:

[1] Der am * 2017 verstorbene Erblasser hinterließ drei Söhne. Nach den Ergebnissen der Todesfallaufnahme war er deutscher Staatsangehöriger und lebte zuletzt in Toronto (Kanada). Er verfügte über ein Sparbuch einer österreichischen Bank und hatte dort zusammen mit einem der Söhne (in der Folge: Antragsgegner) zwei Safes gemietet, in denen sich Goldmünzen mit beträchtlichem Wert befanden. Nach Auskunft der Bank war jeder Mieter allein berechtigt, diese Safes zu öffnen.

[2] Gegenstand des Revisionsrekursverfahrens ist ein auf § 150 AußStrG gestützter Ausfolgungsantrag einer kanadischen Gesellschaft, die sich zunächst als Vertreterin des Nachlasses bezeichnet hatte, in weiterer Folge aber im eigenen Namen auftrat (in der Folge: Antragstellerin). Sie brachte vor, dass sie von einem kanadischen Gericht mit der Verwaltung des Nachlasses betraut worden sei. Ihre Aufgabe sei es, das Vermögen einzuziehen und unter den Erben zu verteilen. Zunächst beantragte sie die „Ausfolgung“ des Sparbuchs, nach Verständigung von der Existenz der Safes die „Ausfolgung aller in Österreich befindlichen Vermögenswerte“. Als Nachweis legte sie eine Sterbeurkunde sowie einen Beschluss (order) und eine Bestätigung (certificate) des Superior Court von Ontario vor, wonach sie zum „Estate Trustee Without a Will“ bestellt worden war. Die Urkunden waren nicht durch die österreichische Botschaft in Kanada (über-)beglaubigt.

[3] Der Antragsgegner wandte sich gegen die „Ausfolgung“ der Goldmünzen, weil sie aus näher dargestellten Gründen in seinem Eigentum stünden. Eine vom Gerichtskommissär veranlasste Öffnung der Safes sei rechtswidrig gewesen. Der Bestellung der Antragstellerin zur Treuhänderin habe er nicht zugestimmt.

[4] Das Erstgericht beschloss, dass „das in Österreich befindliche Vermögen des Erblassers“ der Antragstellerin ausgefolgt werde. Als Bestandteil dieses Vermögens nannte es im Spruch sowohl das Sparbuch als auch die in den Safes verwahrten Goldmünzen. Weiters sprach es aus, dass die Antragstellerin über diese Vermögenswerte „im Rahmen der Befugnisse des Erblassers allein verfügungsberechtigt“ sei.

[5] Zur Begründung verwies das Erstgericht auf die Zuständigkeit nach Art 10 Abs 2 EuErbVO und das Ausfolgungsverfahren nach § 150 AußStrG. In diesem Verfahren sei nicht über die Zugehörigkeit bestimmter Rechte oder Sachen zum Nachlass zu entscheiden. Bei den Safes habe es sich um „Oder-Safes“ gehandelt; zur „Auflösung des Mietverhältnisses“ sei daher jeder Mieter allein berechtigt. Ob der Inhalt ausschließlich dem Antragsgegner „zukomme“, sei im Ausfolgungsverfahren nicht zu klären. Daher sei das gesamte im Inland befindliche Vermögen, „so wie im Spruch ersichtlich“ auszufolgen.

[6] Das Rekursgericht hob diese Entscheidung auf und verwies die Sache zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurück. Den Revisionsrekurs ließ es zu.

[7] Die Antragstellerin stütze sich auf kanadische öffentliche Urkunden. Diese bedürften nach § 35 AußStrG iVm § 293 ZPO mangels staatsvertraglicher Regelung der Überbeglaubigung durch die österreichische Botschaft in Kanada. Schon dieser bisher nicht beachtete Umstand müsse zur Aufhebung führen. Im fortgesetzten Verfahren sei zudem zu klären, ob der Nachlass oder die Treuhandgesellschaft (im eigenen Namen) Antragsteller sei. Weiters sei zu beachten, dass der Erblasser deutscher Staatsangehöriger gewesen sei. Daher sei abzuklären, ob er nicht auch über Vermögen in Deutschland verfüge. Denn in diesem Fall wären die deutschen Gerichte nach Art 10 Abs 1 lit a EuErbVO auch für den österreichischen Nachlass zuständig. Sollte das nicht zutreffen, sei ein Ausfolgungsverfahren zudem nur zulässig, wenn keine „widersprechenden Anträge“ vorlägen. Werte man den Antrag des Antragsgegners als widersprechenden Antrag, so „spräche“ das gegen ein Ausfolgungsverfahren. Auch das sei zu erörtern. Würde sich im weiteren Verfahren herausstellen, dass der Erblasser tatsächlich in Kanada ansässig gewesen sei, wäre auch auf den Erbschaftserwerb kanadisches Recht anzuwenden. Nach diesem Recht wäre auch zu beurteilen, was „nachlassgegenständlich“ sei.

[8] Der Revisionsrekurs sei wegen des Fehlens von Rechtsprechung zum Zusammenspiel von § 35 AußStrG, § 293 ZPO einerseits und §§ 143, 150 AußStrG andererseits sowie zur Frage zuzulassen, ob die Abweisung des Antrags nicht allein aufgrund des Vorbringens ohne Klärung der offenen Tatsachenfragen („Todesfall, gewöhnlicher Aufenthalt, Staatsangehörigkeit usw“) möglich sei.

[9] In seinem Revisionsrekurs beantragt der Antragsgegner die Abänderung des angefochtenen Beschlusses dahin, dass der Ausfolgungsantrag abgewiesen werde. Es liege keine Erklärung vor, wonach die Antragstellerin im Sinn des § 150 AußStrG zur Übernahme des Nachlasses berechtigt sei. Zudem sei Voraussetzung für das Ausfolgungsverfahren, dass eine Abhandlung unterbleibe. Dies treffe hier nicht zu, weil er der Ausfolgung widersprochen habe und auch die Voraussetzungen des § 153 AußStrG nicht vorlägen. § 150 AußStrG sei zudem unionsrechtswidrig, weil bei Bestehen der Zuständigkeit nach Art 10 Abs 2 EuErbVO in Österreich abzuhandeln sei.

[10] Die Antragstellerin beantragt in der Rechtsmittelbeantwortung, den Revisionsrekurs „abzuweisen“. Die vorgelegte Bestätigung des kanadischen Gerichts reiche als Erklärung im Sinn von § 150 AußStrG aus. Aufgrund ihrer Bestellung zur Treuhänderin habe sie den Nachlass einzuziehen, Schulden zu begleichen und das verbliebene Vermögen an die Erben zu verteilen. Zuvor seien vor den kanadischen Gerichten alle offenen Rechtsverhältnisse (Gültigkeit des Testaments, Erbenstellung, Eigentumsverhältnisse) zu klären. Der Antragsgegner habe kein Erbrecht geltend gemacht, sondern nur behauptet, Eigentümer der Goldmünzen zu sein. Das müsse er mit Eigentumsklage gegen die Antragstellerin geltend machen, nach Verteilung des Nachlasses an die Erben gegen diese. Das Ausfolgungsverfahren sei nicht unionsrechtswidrig.

Rechtliche Beurteilung

[11] Der Revisionsrekurs ist wegen des Fehlens von Rechtsprechung zur Unionsrechtskonformität von § 150 AußStrG zulässig, er ist aber nicht berechtigt.

[12] 1. Der Ausfolgungsantrag wäre abzuweisen, wenn das Verfahren nach § 150 AußStrG gegen Unionsrecht verstieße oder allein der Widerspruch des Antragsgegners zur Unzulässigkeit der Ausfolgung führte. Beides trifft, wie unten zu zeigen ist (Punkte 2. und 3.), nicht zu.

[13] 2. Das Ausfolgungsverfahren nach § 150 AußStrG ist unionsrechtlich unbedenklich:

[14] 2.1. § 150 AußStrG lautet in der hier anwendbaren Fassung nach dem ErbRÄG 2015 wie folgt:

Im Fall des Art 10 Abs 2 EuErbVO hat das Gericht das im Inland gelegene bewegliche Vermögen auf Antrag einer Person, die auf Grund einer Erklärung der Heimatbehörde des Verstorbenen oder der Behörde des Staates, in dem der Verstorbene seinen letzten gewöhnlichen Aufenthalt hatte, zur Übernahme berechtigt ist, mit Beschluss auszufolgen, wenn eine Abhandlung unterbleibt.

[15] 2.2. Die Anwendung von § 150 AußStrG setzt daher voraus, dass sich die Zuständigkeit der österreichischen Gerichte aus Art 10 Abs 2 EuErbVO ergibt. Danach besteht eine subsidiäre Zuständigkeit für Entscheidungen über inländisches Nachlassvermögen, wenn kein anderer Zuständigkeitstatbestand der EuErbVO greift. Die Bestimmung ist daher nicht anwendbar, wenn der Erblasser den letzten gewöhnlichen Aufenthalt in einem Mitgliedstaat hatte (Art 4 EuErbVO), eine Gerichtsstandsvereinbarung vorliegt (Art 5 EuErbVO) oder ein anderer Mitgliedstaat nach Art 10 Abs 1 lit a oder b EuErbVO zuständig ist. Art 10 Abs 2 EuErbVO erfasst zwar auch streitige Verfahren (zB Pflichtteilsklagen), im vorliegenden Fall ist allerdings nur die damit begründete Zuständigkeit für Verlassenschaftsverfahren nach den §§ 143 ff AußStrG zu beurteilen.

[16] 2.3. Die nach Art 10 Abs 2 EuErbVO bestehende Zuständigkeit (auch) für Verlassenschaftsverfahren wird im Schrifttum als Grund für die Unionsrechtswidrigkeit von § 150 AußStrG genannt:

[17] Bestehe eine Zuständigkeit für das Verlassenschaftsverfahren, sei es dem nationalen Gesetzgeber verwehrt, die Abhandlung über im Inland belegenes Vermögen einer anderen Jurisdiktion zu übertragen (Motal, EU-Erbrechtsverordnung: Anpassungsbedarf im IPRG und der JN, EF-Z 2014, 251 [255]; ähnlich Gitschthaler in Deixler‑Hübner/Schauer, EuErbVO-Kommentar2 Art 10 Rz 28), dies auch deswegen, weil dadurch die Anwendung des nach der EuErbVO bestimmten Erbrechts nicht gesichert wäre (Tschugguel, EU-Erbrechtsverordnung: Zwei spezielle Fragen der gesetzlichen Anpassung, EF-Z 2015, 260 [260 f]). Durch das Ausfolgungsverfahren werde die in Art 10 Abs 2 EuErbVO getroffene Anordnung, das bewegliche Vermögen im Inland abzuhandeln, in unzulässiger Weise eingeschränkt (Rechberger/Frodl in Rechberger/Zöchling-Jud, Die EU‑Erbrechtsverordnung in Österreich [2015] Internationale Zuständigkeit Rz 71; Oswald in Schneider/Verweijen, AußStrG § 150 Rz 6).

[18] 2.4. Dem wird allerdings entgegengehalten, dass sich aus der EuErbVO keine Pflicht zur Abhandlung ergebe (Fucik in Deixler-Hübner/Schauer, EuErbVO-Kommentar2 § 150 AußStrG Rz 4; im Ergebnis auch Traar in Burgstaller et al, Internationales Zivilverfahrensrecht, Art 23 EuErbVO Rz 18): Auch in Binnenfällen entfalle bisweilen die Abhandlung, und andere Mitgliedstaaten würden überhaupt kein von Amts wegen einzuleitendes Verlassenschaftsverfahren kennen. Dem Verordnungsgeber könne daher nicht unterstellt werden, dass er von der ausnahmslos bestehenden Notwendigkeit eines solchen Verfahrens ausgehe.

[19] 2.5. Der Senat teilt die Zweifel an der Unionsrechtskonformität von § 150 AußStrG nicht:

[20] 2.5.1. Ungeachtet der missverständlichen Terminologie „Ausfolgung“ handelt es sich beim Verfahren nach § 150 AußStrG um ein fakultatives Anerkennungsverfahren für Entscheidungen und andere Hoheitsakte (Erklärungen) des Heimatstaates oder des Staates des letzten gewöhnlichen Aufenthalts des Erblassers, nach denen eine bestimmte Person zur Übernahme des Nachlasses berechtigt ist (Oswald in Schneider/Verweijen, AußStrG § 150 Rz 6; Verweijen, Handbuch Verlassenschaftsverfahren3 [2021] 351; im Ergebnis auch Fucik in Deixler-Hübner/Schauer, EuErbVO-Kommentar2 § 150 AußStrG Rz 2; ebenso 2 Ob 162/15k EvBl 2017/58 [zust Verweijen] zur Rechtslage vor dem ErbRÄG 2015). Die Auffassung, dass Art 10 Abs 2 EuErbVO dem Ausfolgungsverfahren entgegenstehe, beruht daher letztlich auf der Annahme, dass das Bestehen einer internationalen Zuständigkeit ein unionsrechtliches Verbot der Anerkennung von Entscheidungen oder anderen Rechtsakten (Erklärungen) aus Drittstaaten begründe.

[21] 2.5.2. Die Anerkennung und Vollstreckung von Rechtsakten aus Drittstaaten richtet sich allerdings – wie auch sonst im europäischen Zivilverfahrensrecht – grundsätzlich nach nationalem Recht (Neumayr in Deixler-Hübner/Schauer, EuErbVO-Kommentar2 Art 43 Rz 38; Franzmann/Schwerin in Geimer/Schütze, Internationaler Rechtsverkehr in Zivil- und Handelssachen [62. EL 2021] Art 39 EuErbVO Rz 5; Dutta in MüKoBGB8 vor Art 39 EuErbVO Rn 3). Dass diese Regelungsbefugnis bei Bestehen einer internationalen Zuständigkeit für das Verlassenschaftsverfahren eingeschränkt wäre, bedürfte einer näheren Begründung. Eine solche Begründung liegt – auch angesichts des Umstands, dass nach Art 39 lit d EuErbVO eine ältere anzuerkennende Entscheidung aus einem Drittstaat der Anerkennung einer Entscheidung aus einem anderen Mitgliedstaat entgegensteht – jedenfalls nicht auf der Hand.

[22] 2.5.3. Auf diese Frage kommt es hier aber nicht an. Entscheidend ist vielmehr das Zusammenspiel zwischen § 143 Abs 2 und § 153 AußStrG einerseits und § 150 AußStrG andererseits: Die Anwendung von § 150 AußStrG setzt das Unterbleiben der Abhandlung voraus. Dieses Unterbleiben kann sich jedenfalls nach dem Wortlaut des Gesetzes aus § 143 Abs 2 AußStrG oder aus § 153 AußStrG ergeben (Oswald in Schneider/Verweijen, AußStrG § 150 Rz 3; aA Grün in Rechberger/Klicka, AußStrG3 § 150 Rz 1, und Verweijen, Handbuch Verlassenschaftsverfahren3 [2021] 349 [nur § 143 Abs 2 AußStrG]; wieder aA Fucik in Deixler-Hübner/Schauer, EuErbVO-Kommentar2 § 150 AußStrG Rz 4 [nur § 153 AußStrG]). In beiden Fällen kann ein Erbansprecher aber eine Entscheidung über sein Erbrecht erwirken:

[23] (a) Nach § 143 Abs 2 AußStrG ist die Abhandlung im Fall der Zuständigkeit nach Art 10 Abs 2 EuErbVO „nur auf Antrag einer Partei einzuleiten, die ihre Erbenstellung bescheinigt“. Es bleibt daher der Partei überlassen, ob sie die Durchführung der Abhandlung im Inland für sinnvoll hält (EB ErbRÄG 2015: 688 BlgNR 25. GP 41). Dies ist zunächst dahin auszulegen, dass die Einleitung des Verfahrens im Fall des Antrags bei Bescheinigung der Erbenstellung zwingend ist. Weiters wird unter „Abhandlung“ bei Anwendbarkeit fremden Rechts auch ein nach § 181a AußStrG modifiziertes Verfahren zu verstehen sein. Die Bestimmungen über die Erbantrittserklärung und die Einantwortung wären daher gegebenenfalls nur soweit anzuwenden, als es der Schutz der Rechte der Beteiligten und der Rechtsübergang nach dem maßgebenden Erbrecht erfordern (dazu ausführlich Oswald in Schneider/Verweijen, AußStrG § 181a Rz 5 ff, und Fucik in Deixler-Hübner/Schauer, EuErbVO-Kommentar2 § 181a AußStrG Rz 6 ff).

[24] Daraus folgt, dass ein Erbansprecher durch den Antrag auf Abhandlung jedenfalls eine Entscheidung über sein Erbrecht erwirken kann. Gelingt ihm nicht einmal die Bescheinigung seines Erbrechts, liegt diese Entscheidung in der damit begründeten Nichteinleitung des Verfahrens; gelingt ihm die Bescheinigung, ist die Entscheidung im weiteren Verfahren zu treffen (im Fall des Ipso-iure-Erwerbs in deklarativer Form: Oswald in Schneider/Verweijen, AußStrG § 181a Rz 9; Fucik in Deixler-Hübner/Schauer, EuErbVO-Kommentar2 § 181a AußStrG Rz 11 ff). Bei einem Antrag nach § 143 Abs 2 AußStrG wird die Zuständigkeit nach Art 10 Abs 2 EuErbVO daher jedenfalls wahrgenommen.

[25] (b) Gleiches gilt im Anwendungsbereich des § 153 AußStrG. Nach dieser Bestimmung unterbleibt die Abhandlung, wenn die Aktiven des Nachlasses den Wert von 5.000 EUR nicht übersteigen oder wenn die Rechtsnachfolge nach dem anwendbaren Recht von Gesetzes wegen eintritt. Auch hier ist das Verfahren aber auf Antrag fortzusetzen, was ebenfalls zu einer Entscheidung über das Erbrecht führt.

[26] Gründet sich die österreichische Zuständigkeit nur auf Art 10 Abs 2 EuErbVO, wird ein solcher Antrag die Bescheinigung der Erbenstellung erfordern, da § 143 Abs 2 AußStrG hier als lex specialis anzusehen ist. Insofern trifft im Ergebnis die Auffassung von Verweijen (Handbuch Verlassenschaftsverfahren3 349) und Grün (in Rechberger/Klicka, AußStrG3 § 150 Rz 1) zu, wonach für das Unterbleiben der Abhandlung im Sinn von § 150 AußStrG primär die Regelung des § 143 Abs 2 AußStrG maßgebend ist. Nicht zu folgen ist hingegen der Ansicht von Fucik (in Deixler‑Hübner/Schauer, EuErbVO-Kommentar2 § 150 AußStrG Rz 4), der nur ein Unterbleiben der Abhandlung nach § 153 AußStrG als mögliche Grundlage für ein Ausfolgungsverfahren ansieht. Für eine solche § 143 Abs 2 AußStrG ausblendende Einschränkung, die das Ausfolgungsverfahren auf geringwertige Nachlässe beschränkte, ist kein Grund erkennbar.

[27] 2.5.4. § 150 AußStrG ist nur anzuwenden, wenn eine Abhandlung unterbleibt. Eine Ausfolgung ist daher nur möglich, wenn ein Antrag nach § 143 Abs 2 oder § 153 AußStrG mangels Bescheinigung der Erbenstellung abgewiesen oder wenn ein solcher Antrag gar nicht gestellt wurde.

[28] (a) Im erstgenannten Fall wurde in der Sache (wenngleich negativ) über das Erbrecht des Antragstellers entschieden. Eine dann folgende Anerkennungsentscheidung („Ausfolgung“) zugunsten einer anderen Person ist unionsrechtlich jedenfalls unproblematisch, weil die Zuständigkeit nach Art 10 Abs 2 EuErbVO ohnehin wahrgenommen wurde.

[29] (b) Im zweitgenannten Fall liegt kein Antrag eines Erbansprechers vor, über den in der Sache (also nicht nur durch bloße „Ausfolgung“, dh Anerkennung eines drittstaatlichen Aktes) zu entscheiden wäre.

[30] Dass auch in einem solchen Fall die Verpflichtung zu einer inländischen Abhandlung bestünde, lässt sich Art 10 Abs 2 EuErbVO nicht entnehmen. Denn diese Bestimmung regelt, wie Fucik (in Deixler-Hübner/Schauer, EuErbVO-Kommentar2 § 150 AußStrG Rz 4) zutreffend ausführt, schon nach ihrem Wortlaut nur die Zuständigkeit für Entscheidungen über das Erbrecht, nicht aber das darüber zu führende Verfahren.

[31] Vielmehr greift hier die Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten (Hertel in Rauscher, EuZPR-EuIPR V4 [2016] Art 23 EuErbVO Rn 49; Mankowski in Deixler-Hübner/Schauer, EuErbVO-Kommentar2 Art 23 Rz 131; Dutta in MüKoBGB8 Art 23 EuErbVO Rn 39; speziell zum Ausfolgungsverfahren Traar in Burgstaller et al, Internationales Zivilverfahrensrecht, Art 23 EuErbVO Rz 18). Damit regelt die EuErbVO aber auch nicht, ob Entscheidungen über das Erbrecht nur über Antrag oder auch von Amts wegen zu treffen sind.

[32] Auch der Zweck der Norm erfordert nicht, ihr einen solchen Inhalt zu unterstellen: Die subsidiäre Zuständigkeit nach Art 10 Abs 2 EuErbVO soll es Parteien ermöglichen, erbrechtliche Ansprüche in Bezug auf inländisches Nachlassvermögen durchzusetzen oder eine hier wirksame Entscheidung über ihre Erbenstellung zu erlangen. Wollen sie das nicht oder geben sie sich mit einem Ausfolgungsbeschluss zufrieden, besteht kein Grund, entgegen dem Grundsatz der Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten eine unionsrechtliche Verpflichtung zum amtswegigen Vorgehen anzunehmen.

[33] Gleiches gilt für die Erwägung, dass die Ausfolgung im Ergebnis auf einem nach der EuErbVO nicht anwendbaren Recht beruhen könnte (Tschugguel, EF-Z 2015, 260 f). Das mag zwar in Ausnahmefällen zutreffen. Auch hier ist aber wieder festzuhalten, dass die Erben durch Antragstellung nach § 143 Abs 2 AußStrG die Anwendung des „richtigen“ Rechts durchsetzen können. Die Ausfolgung setzt daher im Ergebnis Einigkeit aller Beteiligten voraus. Dem europäischen Gesetzgeber kann nicht unterstellt werden, dass er in einem solchen Fall ein implizites Anerkennungsverbot wegen Anwendung falschen Rechts anordnen wollte.

[34] 2.5.5. Die im Schrifttum vertretene Auffassung, dass Art 10 Abs 2 EuErbVO eine amtswegige „Abhandlung“ des in Österreich gelegenen beweglichen Vermögens „anordne“, lässt sich daher weder dem Wortlaut noch dem Zweck dieser Bestimmung entnehmen. Schon aus diesem Grund ist § 150 AußStrG unionsrechtlich unbedenklich. Ein Vorabentscheidungsersuchen ist angesichts dieser letztlich eindeutigen Rechtslage nicht erforderlich.

[35] 3. Auch der Widerspruch des Antragsgegners kann die Ausfolgung nicht verhindern.

[36] 3.1. Aus den bereits dargestellten Gründen wäre die „Ausfolgung“ unzulässig, wenn der Antragsgegner nach § 143 Abs 2 AußStrG einen Antrag auf Durchführung der Abhandlung gestellt hätte. Dieser Antrag bedarf abgesehen von der Bescheinigung der Erbenstellung keiner weiteren Begründung. Ein solcher Antrag liegt hier aber nicht vor. Vielmehr macht der Antragsgegner geltend, dass Goldmünzen, die sich in den Safes befanden, nicht zum Nachlass gehören. Strittig ist daher nicht seine erbrechtliche Stellung, sondern das Eigentum an den Münzen.

[37] 3.2. Dabei handelt es sich um keine erb-, sondern um eine sachenrechtliche Frage, die nicht nach dem Erbstatut zu beurteilen ist (Mankowski in Deixler-Hübner/Schauer, EuErbVO-Kommentar2 Art 23 Rz 69 mwN). Im Ausfolgungsverfahren ist darüber nicht – auch nicht vorfrageweise – zu entscheiden (2 Ob 162/15k EvBl 2017/58 [zust Verweijen]; Oswald in Schneider/Verweijen, AußStrG § 150 Rz 6; Fucik in Deixler-Hübner/Schauer, EuErbVO-Kommentar2 § 150 AußStrG Rz 5). Aus dem gegen die „Ausfolgung“ gerichteten Vorbringen des Antragsgegners folgt daher nur (aber immerhin), dass ein allfälliger Ausfolgungsbeschluss diese Frage nicht präjudizieren darf (2 Ob 162/15k). Es dürfte sich daraus nur ergeben, dass die Antragstellerin an den Münzen über dieselben Rechte verfügt wie der Erblasser und dass sie auch gegenüber der Bank jene Rechte geltend machen kann, die zuvor dem Erblasser zustanden. Eine (richtig formulierte) Ausfolgung verhindern kann das Vorbringen des Antragsgegners aber nicht.

[38] 3.3. Der Rechtsschutz des Antragsgegners ist dadurch nicht beeinträchtigt: Abgesehen von der Möglichkeit eines Antrags nach § 143 Abs 2 AußStrG, der ohne weiteres zur Unzulässigkeit des Verfahrens nach § 150 AußStrG führt, kann er nach Maßgabe der Bestimmungen des Safevertrags gegen die Bank vorgehen. Da dieser Vertrag offenbar eine Oder-Berechtigung vorsieht, ist derzeit nicht erkennbar, weshalb ihm die Bank die Herausgabe der Münzen und/oder das Zurverfügungstellen eines Schlüssels verweigern sollte. Daneben wird nach § 99 JN eine österreichische Zuständigkeit für die Durchsetzung eines sachenrechtlichen Anspruchs gegen die in Kanada ansässige Antragstellerin bestehen.

[39] 4. Weder Gründe des Unionsrechts noch der auf das Eigentum gestützte Antrag des Antragsgegners stehen daher einem Verfahren nach § 150 AußStrG entgegen. Die mit dem Revisionsrekurs angestrebte sofortige Abweisung des Ausfolgungsantrags kommt aus diesem Grund nicht in Betracht.

[40] 5. Damit hat es bei der Aufhebung zu bleiben. Im fortgesetzten Verfahren ist Folgendes zu beachten:

[41] 5.1. Keine der Parteien wendet sich gegen die Auffassung des Rekursgerichts, dass kanadische öffentliche Urkunden nach § 293 Abs 2 ZPO (iVm § 35 AußStrG) nur dann den Beweiswert einer inländischen öffentlichen Urkunde haben, wenn sie durch die österreichische Vertretungsbehörde in Kanada (über-)beglaubigt wurden. Der Antragstellerin wird daher ein entsprechender Verbesserungsauftrag zu erteilen sein. Zur Klarstellung ist aber festzuhalten, dass für Feststellungen zu den vom Rekursgericht genannten Fragen (Staatsangehörigkeit, gewöhnlicher Aufenthalt, Eintritt des Todes) jedes geeignete Beweismittel verwendet werden kann (§ 31 Abs 1 AußStrG).

[42] 5.2. Ein Ausfolgungsantrag ist nur schlüssig, wenn der Antragsteller die Voraussetzungen für die subsidiäre Zuständigkeit nach Art 10 Abs 2 EuErbVO behauptet. Dazu gehört insbesondere die Behauptung des Nichtvorliegens einer Zuständigkeit nach Art 10 Abs 1 EuErbVO. Die Antragstellerin wird daher aufzufordern sein, ein solches Vorbringen zu erstatten. Angesichts der nach dem bisherigen Stand des Verfahrens anzunehmenden deutschen Staatsangehörigkeit des Erblassers ist insbesondere die Behauptung erforderlich, dass kein deutsches Nachlassvermögen vorhanden ist. Wird solches Vorbringen nicht erstattet, wäre der Antrag als unschlüssig abzuweisen. Wird es hingegen erstattet, wären weitere Erhebungen nur dann erforderlich, wenn sich aus der Aktenlage oder einem Vorbringen des Antragsgegners Anhaltspunkte für die Unrichtigkeit ergäben.

[43] 5.3. Die Ausfolgung setzt die Erklärung der Heimatbehörde oder der Behörde des Staates des letzten gewöhnlichen Aufenthalts voraus, dass der Antragsteller zur Übernahme des Nachlasses berechtigt ist.

[44] (a) Dafür reicht ein von einer solchen Behörde stammender Nachweis der Universalsukzession (also ein Erbschein iwS) grundsätzlich aus (EB zum ErbRÄG 2015, 688 BlgNR 25. GP 97; Schatzl/Spruzina in Gitschthaler/Höllwerth, AußStrG I2 § 150 Rz 10). Eine ausdrückliche Erklärung zur Übernahmeberechtigung ist hier im Regelfall nicht erforderlich, da bei nachgewiesener Erbenstellung typischerweise kein Zweifel an der Übernahmeberechtigung besteht. Anderes würde nur gelten, wenn sich im Einzelfall trotz eines solchen Nachweises Zweifel an der Übernahmeberechtigung ergäben.

[45] (b) § 150 AußStrG ermöglicht aber – mangels Differenzierung – auch die „Ausfolgung“ an eine Person, die aufgrund einer Verwalter- oder Treuhänderstellung zur Übernahme berechtigt ist. Darin liegt in der Sache die Anerkennung der von der zuständigen Behörde bestätigten Befugnis dieser Person, Rechte des Erblassers auszuüben. Hier schließt es der in der Verfahrensökonomie liegende Zweck des Ausfolgungsverfahrens (EB zum ErbRÄG 2015, 688 BlgNR 25. GP  97) aus, dass das Gericht aufgrund einer bloßen Bestätigung der Treuhänder- oder Verwalterstellung nachforschen müsste, ob sich aus dieser Stellung nach dem anwendbaren Recht eine Übernahmeberechtigung ergibt. Vielmehr ist insofern – dem Wortlaut des § 150 AußStrG entsprechend – eine ausdrückliche Erklärung der zuständigen Behörde zu fordern (Schatzl/Spruzina in Gitschthaler/Höllwerth, AußStrG I2 § 150 Rz 10).

[46] (c) Das gilt insbesondere im vorliegenden Fall. Denn aus der bloßen Bestätigung der Ernennung zum Estate Trustee Without a Will lässt sich ohne Rückgriff auf das Recht des Staates Ontario nicht ableiten, dass eine Übernahmeberechtigung besteht, die Antragstellerin also Rechte des Erblassers ausüben kann. Der Antragstellerin wird daher im fortgesetzten Verfahren aufzutragen sein, eine Erklärung der Heimatbehörde vorzulegen, die ihre Übernahmeberechtigung ausdrücklich bestätigt; nur dann wäre eine Ausfolgung möglich. Die vom Rekursgericht aufgetragene Erforschung des anwendbaren Rechts ist auf dieser Grundlage nicht erforderlich.

[47] (d) Ein allfälliger Ausfolgungsbeschluss wäre in einer Weise zu fassen, die den Streit über die Nachlasszugehörigkeit der Goldmünzen nicht präjudiziert (oben 3.2.). Dies wäre durch die (zumindest) missverständlichen Formulierungen in der erstinstanzlichen Entscheidung nicht gewährleistet gewesen.

[48] 6. Die diese Entscheidung tragenden Erwägungen können wie folgt zusammengefasst werden:

Das Ausfolgungsverfahren nach § 150 AußStrG ist unionsrechtlich unbedenklich. Es ist nicht durchzuführen, wenn ein Erbansprecher unter Bescheinigung seiner Erbenstellung die Einleitung der Abhandlung – die gegebenenfalls nach Maßgabe von § 181a AußStrG zu erfolgen hat – beantragt. Die Ausfolgung an einen Treuhänder oder Verwalter des Nachlasses setzt die ausdrückliche Erklärung der ausländischen Behörde voraus, dass dieser zur Übernahme des Nachlasses berechtigt ist.

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