European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2017:0270OS00003.16T.0518.000
Spruch:
Der Berufung wird nicht Folge gegeben.
Der Disziplinarbeschuldigten fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Gründe:
Mit dem angefochtenen Erkenntnis des Disziplinarrats der Rechtsanwaltskammer Wien vom 25. Jänner 2016, AZ D 76/13, wurde ***** der Disziplinarvergehen der Berufspflichtenverletzung und der Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Standes nach § 1 Abs 1 DSt schuldig erkannt.
Danach hat sie, obwohl sie im Jahr 2009 als Vertragserrichterin eines Kaufvertrags den unvertretenen Käufer Stefan H***** nicht aufklärte, dass sie ausschließlich die Interessen der Verkäuferin, der A***** GmbH, vertrat, im Jahr 2010 im Verfahren AZ 31 Cg 145/10y des Handelsgerichts Wien gegen Stefan H***** als Kläger die A***** GmbH als Beklagte vertreten, wobei Gegenstand des Prozesses die Rückforderung der Anzahlung laut Kaufvertrag war.
Die Disziplinarbeschuldigte wurde hiefür nach § 16 Abs 1 Z 2 DSt zu einer Geldbuße von 500 Euro sowie zum Kostenersatz verurteilt.
Rechtliche Beurteilung
Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die Berufung der Disziplinarbeschuldigten wegen Vorliegens der Nichtigkeitsgründe des § 281 Abs 1 Z 4 und Z 9 lit a StPO iVm § 77 Abs 3 DSt sowie die Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld und wegen des Ausspruchs über die Strafe, der keine Berechtigung zukommt.
Der Verfahrensrüge (§ 281 Abs 1 Z 4 StPO iVm § 77 Abs 3 DSt) zuwider wurde die Rechtsmittelwerberin durch die Abweisung ihres in der Disziplinarverhandlung vom 25. Jänner 2016 gestellten Antrags auf Einvernahme der Zeugin Ya Hui C***** nicht in ihren Verteidigungsrechten verletzt. Sie hatte die Zeugin zum Beweis dafür beantragt, „dass sie ausschließlich die Vertretung der verkaufenden Partei übernommen hatte“. Dieses Beweisthema nahm der Disziplinarrat als erwiesen an. Der geltend gemachte Nichtigkeitsgrund liegt daher nicht vor ( Ratz , WK‑StPO § 82 Rz 342; RIS‑Justiz RS0099135). Das erst im Rechtsmittelverfahren erstattete Vorbringen zur Fundierung ihres Antrags hat mit Blick auf das aus dem Wesen des herangezogenen Nichtigkeitsgrundes resultierende Neuerungsverbot außer Bedacht zu bleiben (RIS‑Justiz RS0099618).
Der – vor der Rechtsrüge zu behandelnden ( Ratz , WK‑StPO § 476 Rz 9) – Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld kommt gleichfalls keine Berechtigung zu.
Die Berufung zeigt insoweit keine Umstände auf, die geeignet wären, Zweifel an der Beweiswürdigung des Disziplinarrats und deren schlüssigen Begründung zu wecken. Indem die Berufungswerberin – unter teils wörtlicher Wiedergabe der Aussagen des Zeugen Yves Z***** und ihrer eigenen Einlassung – im Wesentlichen die Glaubwürdigkeit des Zeugen Stefan H***** anzweifelt und diesem unterstellt, vom Standpunkt seines anwaltlichen Vertreters und einem „Eigeninteresse“ an ihrer Verurteilung beeinflusst gewesen zu sein, zeigt sie keine Mängel der erstinstanzlichen Erwägungen auf. Die ins Treffen geführten Widersprüchlichkeiten in den Angaben des Stefan H***** hinsichtlich der Daten der Zusammenkünfte in der Kanzlei der Disziplinarbeschuldigten berücksichtigte der Disziplinarrat umfassend und legte auch dar, warum diese Divergenzen die konstatierte Aussageehrlichkeit des Zeugen nicht erschüttern konnten.
Hinsichtlich des Vorwurfs, der Disziplinarrat hätte ein „wichtiges Beweismittel“, nämlich die Transkription der Besprechung vom 2. Februar 2010 unberücksichtigt gelassen, erklärt die Berufung nicht, inwiefern daraus hervorgehen soll, dass Stefan H***** über die Alleinvertretung der Verkäuferseite „schon viel früher“ aufgeklärt worden sei.
Der Hinweis, dem der deutschen Sprache nur unzulänglich mächtigen Stefan H***** seien „möglicherweise“ wesentliche Ausführungen der Disziplinarbeschuldigten bei den Vertragsverhandlungen von der anwesenden Übersetzerin nicht korrekt weitergegeben worden, verbleibt mangels Bezeichnung konkreter Anhaltspunkte für diese These im Bereich der bloßen Spekulation.
Ebenso wenig überzeugen die gleichsam unter eigenständiger Interpretation des Geschehens rund um die Vertragsverhandlungen angestellten Überlegungen, der Disziplinarrat hätte den „amtsbekannten Erfahrungssatz“ zu Unrecht außer Acht gelassen, wonach „gerade bei Geschäftsleuten mit außereuropäischem, insbesondere chinesischem Migrationshintergrund“ die vertrauliche Behandlung jener Gesichtspunkte „sehr wichtig“ sei, die nur das Verhältnis zwischen den Vertragspartnern berühren und für Dritte nicht von Belang seien.
Die sich auf die Bestreitung finanzieller Beweggründe beschränkende Kritik an der Überzeugung des Disziplinarrats, wonach die Übernahme der Vertretung im Verfahren AZ 31 Cg 145/10y des Handelsgerichts Wien durch die Disziplinarbeschuldigte „von pragmatischen Erwägungen für das laufende Gerichtsverfahren getragen“ gewesen sei, geht schon deshalb fehl, weil sie sich bloß gegen einen einzelnen Aspekt der beweiswürdigenden Betrachtung der Motivlage der Berufungswerberin wendet.
Die unter dem Nichtigkeitsgrund des § 281 Abs 1 Z 9 lit a StPO iVm § 77 Abs 3 DSt erhobene Rechtsrüge, der Disziplinarrat hätte verkannt, dass die Disziplinarbeschuldigte im Zuge einer rechtlichen Prüfung ihre Vertretungstätigkeit für die Beklagte im Verfahren AZ 31 Cg 145/10y des Handelsgerichts Wien keine ausreichenden Gründe für die Annahme einer Doppelvertretung finden konnte, übergeht die Feststellung im angefochtenen Erkenntnis, wonach die Disziplinarbeschuldigte das Mandat zur Vertretung der A***** GmbH im genannten Verfahren in Kenntnis der Tatsache übernommen hatte, dass sie den Käufer anlässlich der Vertragsverhandlungen nicht darüber informiert hatte, ausschließlich im Interesse der Verkäuferin zu vertreten. Die Ausführung materiell‑rechtlicher Nichtigkeitsgründe setzt aber voraus, dass an den Feststellungen in der angefochtenen Entscheidung festgehalten, somit der gesamte im Erkenntnis dargestellte Sachverhalt mit dem darauf anzuwendenden Gesetz verglichen wird.
Ebenfalls unter dem Nichtigkeitsgrund des § 281 Abs 1 Z 9 lit a StPO iVm § 77 Abs 3 DSt rügt die Disziplinarbeschuldigte das Unterbleiben der Anwendung des § 39 DSt. Damit bringt sie lediglich einen Berufungsgrund zur Darstellung. Soweit die Rechtsmittelwerberin dazu vorbringt, sie hätte die Vertretung im Verfahren vor dem Handelsgericht Wien „sofort reflexartig zurückgelegt“, widerspricht dies den Festellungen im angefochtenen Erkenntnis, wonach– aufgrund der im Verfahren erfolgten Thematisierung einer Vertragserrichtung durch die Disziplinarbeschuldigte – die erste Mandatsauflösung am 31. März 2011, die neuerliche Mandatsübernahme trotzdem am 19. Februar 2013, die Disziplinaranzeige jedoch erst am 21. März 2013 erfolgte. Auf dieser Basis kann nicht davon ausgegangen werden, dass nach den Umständen dieses Falles und der Persönlichkeit der Rechtsmittelwerberin ein Schuldspruch allein genügen werde, um die Disziplinarbeschuldigte von weiteren Disziplinarvergehen abzuhalten.
Die vom Disziplinarrat verhängte Geldbuße von 500 Euro ist sowohl tat‑ als auch schuldangemessen, wobei das lange Zurückliegen der Tat und die übermäßig lange Verfahrensdauer ausdrücklich in Rechnung gestellt wurden. Die angefochtene Entscheidung berücksichtigt überdies die von der Disziplinarbeschuldigten in der Berufung hervorgehobenen persönlichen Verhältnisse, insbesondere die geringen Einnahmen aus ihrer Tätigkeit als Rechtsanwältin.
Der Berufung war daher insgesamt keine Folge zu geben.
Die Kostenentscheidung stützt sich auf § 54 Abs 5 DSt iVm § 38 Abs 2 DSt.
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