European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:0110OS00004.16X.0216.000
Spruch:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.
Begründung
Mit dem angefochtenen Urteil wurde der Betroffene Usama A***** nach § 21 Abs 1 StGB in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher eingewiesen,
weil er unter dem Einfluss eines seine Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Zustands, der auf einer geistigen und seelischen Abartigkeit von höherem Grad, nämlich auf einer wahnhaften Störung (F 62.0 Paranoia Querulans) beruht,
in Wien in der Nacht von 6. auf 7. November 2014 Maria M***** mit Gewalt und durch gefährliche Drohung, indem er mit dem Tod bzw einer erheblichen Verstümmelung drohte, zu Handlungen
1./ genötigt, nämlich aufzustehen und mit ihm den Raum zu verlassen, indem er ein Fleischmesser mit einer 15 bis 20 cm langen Klinge im Abstand von einem halben bis einem Meter gegen sie richtete und sie mehrfach fragte, ob sie ein Blutbad wolle, ob er die Kinder umbringen solle;
2./ zur Aufrechterhaltung der Ehe zu nötigen versucht, indem er sie in zwei Angriffen würgte und ihr erklärte, wenn sie ihn verlasse, würden die Kinder sterben müssen,
somit Taten begangen hat, die ihm, wäre er zurechnungsfähig gewesen, als Verbrechen der schweren Nötigung nach §§ 105 Abs 1, 106 Abs 1 Z 1, 15 StGB zuzurechnen gewesen wären, und nach seiner Person, nach seinem Zustand und nach der Art der Tat zu befürchten ist, dass er sonst unter dem Einfluss seiner geistigen oder seelischen Abartigkeit eine mit Strafe bedrohte Handlung mit schweren Folgen begehen werde.
Rechtliche Beurteilung
Dagegen richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 5, 9 lit a und 11 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Betroffenen.
Der ‑ die gebotene Gesamtbetrachtung der Entscheidungsgründe außer Acht lassenden (RIS‑Justiz RS0119370, RS0116504) ‑ Mängelrüge (Z 5 zweiter Fall) zuwider hat das Gericht die Verantwortung des Beschwerdeführers nicht unerwähnt gelassen, sondern durch die Angaben der Zeugin Maria M***** als widerlegt erachtet (US 7). Dass es dem Gebot gedrängter Darstellung folgend (RIS‑Justiz RS0106642; Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 428) nicht seine gesamte Verantwortung im Detail wiedergegeben und erörtert hat, führt nicht zur Urteilsnichtigkeit. Im Ergebnis bekämpft der Beschwerdeführer bloß mit eigenen spekulativen Erwägungen in unzulässiger Weise die Beweiswürdigung des Kollegialgerichts.
Die Rechtsrüge (Z 9 lit a) hält mit beweiswürdigenden Erwägungen und der Behauptung, getroffene Feststellungen seien „falsch“ und es sei nach seiner „lebensnah geschilderten Verantwortung“ dem Betroffenen nicht darauf angekommen, die Zeugin M***** zu bedrohen, prozessordnungswidrig (RIS‑Justiz RS0099810; Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 584) nicht an den Urteilsannahmen fest.
Weshalb das Verhalten des Betroffenen und der Zeugin nach der Tat für die Entscheidung über die Schuld- oder Subsumtionsfrage entscheidend sein sollte, leitet der Beschwerdeführer ebenso wenig aus dem Gesetz ab wie das ‑ auch der hiezu zitierten oberstgerichtlichen Entscheidung (SSt 48/61) nicht entnehmbare und sich demzufolge als bloße Rechtsbehauptung darstellende ‑ Vorbringen, bei einer Drohung komme es darauf an, „wie der Bedrohte die Bedrohung verstanden hat“ (RIS‑Justiz RS0092753, RS0116565; Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 588, 590).
Die Anordnung einer Maßnahme nach § 21 StGB stellt einen Ausspruch nach § 260 Abs 1 Z 3 StPO dar, der grundsätzlich mit Berufung und nach Maßgabe des § 281 Abs 1 Z 11 StPO auch mit Nichtigkeitsbeschwerde bekämpft werden kann. Dabei sind Überschreitung der Anordnungsbefugnis (§ 281 Abs 1 Z 11 erster Fall StPO) und Ermessensentscheidung innerhalb dieser Befugnis zu unterscheiden. Gegenstand der Nichtigkeitsbeschwerde ist jedenfalls die Überschreitung der Anordnungsbefugnis, deren Kriterien der auf einer geistigen oder seelischen Abartigkeit höheren Grades beruhende Zustand, dessen Einfluss auf die Anlasstat sowie deren Mindeststrafdrohung nach § 21 StGB sind. Hinsichtlich dieser für die Sanktionsbefugnis entscheidenden Tatsachen ist neben der Berufung auch die Bekämpfung mit Verfahrens-, Mängel- und Tatsachenrüge (§ 281 Abs 1 Z 11 erster Fall iVm Z 2 bis 5a StPO) zulässig.
Werden die gesetzlichen Kriterien für die Ermessensentscheidung (Gefährlichkeitsprognose) verkannt oder wird die Prognosetat verfehlt als solche mit schweren Folgen beurteilt, kommt eine Anfechtung aus § 281 Abs 1 Z 11 zweiter Fall StPO in Betracht (vgl zum Ganzen Ratz in WK² StGB Vor §§ 21 bis 25 Rz 8 ff mwN). In diesem Fall liegt Nichtigkeit vor, wenn die Gefährlichkeitsprognose zumindest eine der in § 21 Abs 1 StGB genannten Erkenntnisquellen vernachlässigt oder die aus den gesetzlich angeordneten Erkenntnisquellen gebildete Feststellungs-grundlage die Ableitung der Befürchtung, also der rechtlichen Wertung einer hohen Wahrscheinlichkeit für die Sachverhaltsannahme, der Rechtsbrecher werde eine oder mehrere bestimmte Handlungen begehen, welche ihrerseits rechtlich als mit Strafe bedroht und entsprechend sozialschädlich (mit schweren Folgen) zu beurteilen wären, als willkürlich erscheinen lässt. Der Gefährlichkeitsprognose zugrunde liegende Feststellungen können aus Z 11 zweiter Fall ‑ anders als bei Sachverhaltsannahmen zur Beurteilung der Sanktionsbefugnis (Z 11 erster Fall) ‑ mit Verfahrens‑, Mängel‑ oder Tatsachenrüge nicht bekämpft werden (RIS‑Justiz RS0118581, RS0113980, RS0090341; Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 715 ff).
Vorliegend richtet sich das (auf einen dem Gutachten des gerichtlich bestellten psychiatrischen Sachverständigen angeschlossenen neurologischen Befund [Beilagen zu ON 11 S 107], Vorbefunde, auf ein Gutachten eines Facharztes für Psychiatrie und Neurologie [ON 6 S 13 ff] und auf die mündliche Gutachtensergänzung durch den gerichtlichen Sachverständigen bezogene) Vorbringen nicht gegen die Feststellungen betreffend den auf einer geistigen oder seelischen Abartigkeit höheren Grades beruhenden Zustand der Person, sondern gegen den daraus gezogenen, deren Gefährlichkeit betreffenden Schluss und stellt sich dergestalt ‑ zumal Willkür nicht behauptet wird - als bloßes Berufungsvorbringen dar. Dies gilt auch für die Kritik daran, dass die Einweisung nicht bedingt nachgesehen wurde (§ 45 Abs 1 StGB; RIS‑Justiz RS0100032; Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 728).
Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher ‑ in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur ‑ bereits bei nichtöffentlicher Beratung gemäß § 285d Abs 1 StPO sofort zurückzuweisen, woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die implizierte Berufung folgt (§ 290 Abs 1 letzter Satz StPO; § 285i StPO).
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