OGH 12Os85/98

OGH12Os85/9827.8.1998

Der Oberste Gerichtshof hat am 27. August 1998 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Rzeszut als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schindler, Dr. E.Adamovic, Dr. Holzweber und Dr. Philipp als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Urban als Schriftführer, in der Strafsache gegen Gudrun von J***** wegen des Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs 1 StGB über die vom Generalprokurator erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes gegen die Strafverfügung des Bezirksgerichtes Mödling vom 10. Mai 1996, GZ 6 U 1026/95-11, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit der Vertreterin des Generalprokurators, Generalanwältin Dr. Bierlein, jedoch in Abwesenheit der Verurteilten, zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Die Strafverfügung des Bezirksgerichtes Mödling vom 10.Mai 1996, GZ 6 U 1026/95-11, verletzt das Gesetz in der Bestimmung des § 460 StPO.

Diese Strafverfügung wird aufgehoben und es wird dem Bezirksgericht Mödling die Einleitung des ordentlichen Verfahrens (§ 462 Abs 1 StPO) aufgetragen.

Text

Gründe:

Mit (in Rechtskraft erwachsener) Strafverfügung des Bezirksgerichtes Mödling vom 10.Mai 1996, GZ 6 U 1026/95-11, wurde Gudrun von J***** des Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs 1 StGB schuldig erkannt und zu einer Geldstrafe verurteilt, weil sie "laut Anzeige des Gendarmeriepostens Maria Enzersdorf und nach dem Ergebnis der durchgeführten Erhebungen am 18.September 1995 in Maria Enzersdorf die nötige Aufsichtspflicht über ihre Katze außer acht ließ und sie nicht ordnungsgemäß verwahrte, sodaß es geschehen konnte, daß die Katze Grete N***** in den rechten Handrücken biß, sodaß diese eine tiefere Bißwunde des rechten Handrückens und mehrfache kratzartige Hautabschürfungen des rechten Unterarms erlitt".

Rechtliche Beurteilung

Die bezeichnete Strafverfügung steht - wie der Generalprokurator in seiner zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zutreffend ausführt - mit dem Gesetz nicht im Einklang:

Mangels einer eigenen dienstlichen Wahrneh- mung des Tathergangs durch eine Behörde oder ein Sicherheitsorgan und mangels eines Geständnisses der Beschuldigten scheiden vorliegend die beiden ersten Fälle der Zulässigkeit der Strafverfügung nach § 460 StPO aus. Die hier aktuelle Frage, ob die vorgenommenen Erhebungen zur Beurteilung aller für die Entscheidung maßgebenden Umstände ausreichen, ist nach ständiger Judikatur zu verneinen, wenn die Aktenlage kein zur schlüssigen Ableitung sämtlicher Deliktsmerkmale geeignetes Substrat bietet (SSt 60/31, EvBl 1995/185 ua, jüngst ZVR 1997/12).

Ein Fahrlässigkeitsvorwurf im Sinn des § 6 StGB hat einen Verstoß gegen eine objektive Sorgfaltspflicht zur Voraussetzung. Den allgemeinen Maßstab dafür, ob die mit dem zu prüfenden Verhalten verbundene Gefahr einer Tatbildverwirklichung als sozialinadäquat und damit das Verhalten als objektiv sorgfaltswidrig einzustufen ist, bildet das gedachte Verhalten eines mit den rechtlich geschützten Werten verbundenen, besonnenen und einsichtigen Menschen in der Lage des Täters. Ein Verhalten ist dann objektiv sorgfaltswidrig, wenn es nicht dem entspricht, das die beschriebene Maßfigur in der konkreten Situation gesetzt hätte (Burgstaller WK Rz 38 zu § 6; Kienapfel, AZ6 Z 25 RN 9).

Tierhalter haben nach § 1320 zweiter Satz ABGB für die "erforderliche Verwahrung oder Beaufsichtigung" zu sorgen. Deren konkrete Ausgestaltung muß sich entsprechend den genannten Kriterien nach den Umständen des einzelnen Falles richten, wobei vor allem die Gefährlichkeit des Tieres je nach Art und Individualität und die Möglichkeit einer Schädigung durch das spezifische Tierverhalten in Betracht zu ziehen sind. Die Vorkehrungen müssen den bekannten oder doch erkennbaren Eigenschaften, dem bisherigen Verhalten des Tieres und dessen Umgebung entsprechen (Diettrich/Tades, ABGB34 E 36, 39, 42, 71 mwN).

Dem Akt sind lediglich Hinweise zu entnehmen, die nach den Denkgesetzen und nach allgemeiner Lebens- erfahrung eine besondere Verwahrung oder Beaufsichtigung der Katze nicht geboten erscheinen ließen (3). Ohne Anhaltspunkte für eine spezielle Gefährlichkeit gerade dieses Exemplares einer für Menschen an sich harmlosen Tierart oder für besondere Umstände, die das Tier vorhersehbar zu einem verletzungsgefährlichen Verhalten veranlassen konn- ten, ist aber ein Verstoß gegen das (hier) deliktsspezifische Sorgfaltsgebot nicht zu erkennen.

Damit liegen die Voraussetzungen für die Einleitung und Durchführung des Mandatsverfahrens nicht vor (Mayerhofer, StPO4 § 460 E 12 bis 14).

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