OGH 11Os112/94

OGH11Os112/9418.10.1994

Der Oberste Gerichtshof hat am 18.Oktober 1994 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Lachner als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Prof. Dr. Hager, Dr. Schindler, Dr. Mayrhofer und Dr. Schmucker als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Dr. Hobel als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Ali I* und andere wegen des Verbrechens der kriminellen Organisation nach § 278 a StGB und anderer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerden und die Berufungen der Angeklagten Ali I*, Seyho K*, Ishan B* und Ishan Y* sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft hinsichtlich dieser Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck als Schöffengericht vom 14. April 1994, GZ 37 Vr 3575/93‑192, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Dr. Fabrizy, und des Verteidigers Dr. Kazda, jedoch in Abwesenheit der Angeklagten zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:1994:0110OS00112.9400000.1018.000

Rechtsgebiet: Strafrecht

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerden werden verworfen.

Der Berufung der Staatsanwaltschaft wird teilweise Folge gegeben und über die Angeklagten Seyho K*, Ishan B* und Ishan Y* unter Ausschaltung des § 37 StGB aus dem Ersturteil eine Freiheitsstrafe in der Dauer von jeweils 8 Monaten verhängt, die gemäß § 43 Abs 1 StGB unter Bestimmung einer Probezeit von 3 Jahren bedingt nachgesehen wird.

Im übrigen wird den Berufungen, der Berufung des Angeklagten Ali I* auch soweit sie als Beschwerde zu betrachten ist, nicht Folge gegeben.

Die Angeklagten haben auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zu ersetzen.

 

 

Gründe:

 

 

Rechtliche Beurteilung

Mit dem angefochtenen Urteil, das auch rechtskräftige Freisprüche enthält, wurden die türkischen Staatsangehörigen Ali I*, Seyho K*, Ishan B* und Ishan Y* (zu A) des Verbrechens der kriminellen Organisation nach § 278 a Abs 1 StGB, Ali I* darüberhinaus der Vergehen (zu B 1 a) der Nötigung nach § 105 Abs 1 StGB und (zu B 1 b) der Sachbeschädigung nach § 125 StGB sowie (zu B 2) des Vergehens nach § 36 Abs 1 Z 1 WaffG schuldig erkannt.

Nach dem hier (für die Rechtsmittelanfechtung) allein relevanten Schuldspruch A haben Ali I*, Seyho K*, Ishan B* und Ishan Y* in der Zeit von 1. Oktober 1994 (gemeint: 1993), und zwar die drei Erstgenannten bis 4. November 1993 und Ishan Y* bis 27. November 1993 in Innsbruck und anderen Orten sich an einer Organisation, deren Zweck oder Tätigkeit, wenn auch nicht ausschließlich, auf die fortgesetzte Begehung im § 278 Abs 1 StGB genannter strafbarer Handlungen, nämlich von Morden, anderen erheblichen Gewalttaten gegen Leib oder Leben und Erpressungen sowie nicht geringfügigen Sachbeschädigungen gerichtet ist, als Mitglieder beteiligt.

Diesen Schuldspruch wegen des Verbrechens der kriminellen Organisation nach § 278 a Abs 1 StGB bekämpfen die vier Angeklagten mit einer (gemeinsam ausgeführten) auf § 281 Abs 1 Z 9 lit a (sachlich auch Z 9 lit b) StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde.

In ihrer Rechtsrüge führen sie zunächst aus, daß der Tatbestand der kriminellen Organisation nach § 278 a Abs 1 StGB weder auf "politische Parteien im Ausland" noch auf deren Unterorganisationen anzuwenden sei. Das Erstgericht habe den Umstand, daß es sich bei der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) ‑ an der bzw deren Unterorganisationen die Angeklagten nach den Feststellungen des Erstgerichtes als Mitglieder beteiligt gewesen sind ‑ um eine politische Partei im Ausland handle, nicht entsprechend berücksichtigt.

Die Beschwerdeführer verkennen jedoch dabei, daß Tatobjekt der beiden Deliktsfälle des § 278 a Abs 1 StGB die kriminelle Organisation ist. Diese ist nicht nur durch eine größere Anzahl von Personen, sondern auch durch eine auf Dauer oder zumindest auf längere Zeit ausgerichtete Verbindung, durch arbeitsteiliges Vorgehen, durch eine hierarchische Struktur und eine gewisse Infrastruktur gekennzeichnet (1160 Blg NR 18.GP, 2 f). Damit stellt das Gesetz allein auf tatsächliche Merkmale ab, während dem Umstand, ob der Organisation eine rechtliche Struktur zugrunde liegt oder sie sich in‑ oder ausländischer juristischer Gestaltungsmöglichkeiten für ihre Verbindung bedient, keine Bedeutung zukommt. Aus diesem Grunde ist auch daraus, daß der "Kurdische Arbeiter‑ und Kultur‑Verein Ararat in Tirol", eine Teilorganisation der PKK, deren Obmann der Angeklagte K* war (US 12 f), von der Vereinsbehörde nicht untersagt war, für den Beschwerdestandpunkt nichts zu gewinnen. Da somit die rechtliche Konstruktion der kriminellen Organisation für die Strafbarkeit der Mitgliedschaft daran ohne Bedeutung ist, handelt es sich beim Umstand, welcher Teilorganisation der PKK die Angeklagten angehört haben, um keine für die rechtliche Beurteilung entscheidende Tatsache. Zudem übersehen die Beschwerdeführer, daß das Erstgericht ausdrücklich festgestellt hat, daß sie als Funktionäre der "Nationalen Befreiungsfront Kurdistans" (ENRK), einer Teilorganisation der PKK, zur Beschaffung des Finanzbedarfes durch Eintreiben monatlicher Spenden und jährliche Großsammlungen zuständig waren (US 11, 23 f).

Damit hat das Schöffengericht die Tathandlungen hinlänglich dargelegt, durch welche sich die Beschwerdeführer an einer Organisation beteiligt haben, deren ‑ wenn auch nicht ausschließliche ‑ Tätigkeit in der Ausübung von Terrorakten bestand. Nach den Feststellungen des Erstgerichtes haben die Angeklagten diese Beteiligung auch nach Inkrafttreten der Strafgesetznovelle 1993 (BGBl 1993/527) am 1. Oktober 1993 nicht beendet (US 31 f), sodaß ihnen das tatbestandsmäßige Verhalten ab diesem Zeitpunkt zu Recht als strafbar zugerechnet wurde (US 3). Entgegen ihrer Rüge wurde daher das in § 1 Abs 1 StGB und Art 7 Abs 1 MRK statuierte Rückwirkungsverbot von Strafbestimmungen nicht verletzt.

Dem Beschwerdevorbringen zuwider wurde den Angeklagten nur ihr im Inland gesetztes Verhalten als strafbar zugerechnet. Die Tathandlung im Sinne des § 278 a Abs 1 zweiter Fall StGB liegt nämlich in der Beteiligung an einer kriminellen Organisation als Mitglied. Erfolgt eine solche Beteiligung in Österreich, so ist ein inländischer Tatort gegeben; dies auch dann, wenn die kriminelle Organisation auf die Begehung der von § 278 a Abs 1 StGB umfaßten strafbaren Handlungen im Ausland gerichtet ist. Die inländische Gerichtsbarkeit war daher im vorliegenden Fall gemäß § 62 StGB gegeben (vgl 12 Os 36/94).

Soweit die Beschwerdeführer Feststellungsmängel zur subjektiven Tatseite behaupten, ohne darzutun, welche Feststellungen das Erstgericht unterlassen habe, erweist sich die Rechtsrüge als nicht prozeßordnungsgemäß ausgeführt. Dasselbe gilt für die Behauptung der Verfassungswidrigkeit der durch die Strafgesetznovelle 1993 neu geschaffenen Strafbestimmung des § 278 a StGB. Im übrigen vermögen die Beschwerdeführer keine Bedenken gegen die Anwendung des genannten Gesetzes aus dem Grunde der Verfassungswidrigkeit aufzuzeigen, welche Anlaß zu einem Vorgehen des Obersten Gerichtshofes gemäß Art 89 Abs 2 B‑VG böten; der Umstand, daß sich die kriminelle Organisation des rechtlichen Mantels eines von der Vereinsbehörde nicht untersagten Vereines bedient, vermag solche Bedenken nicht zu begründen.

Mit ihrem Vorbringen, daß es an Feststellungen des Erstgerichtes zur Frage, ob die Angeklagten in einem entschuldbaren Rechtsirrtum gehandelt haben, mangle, machen die Beschwerdeführer der Sache nach den Nichtigkeitsgrund nach § 281 Abs 1 Z 9 lit b StPO geltend. Der Beschwerde zuwider bestand jedoch für das Erstgericht kein Anlaß für eine Auseinandersetzung mit dem erwähnten Schuldausschließungsgrund, weil sich die Beschwerdeführer nicht damit verantwortet hatten und auch die in der Hauptverhandlung vorliegenden Beweisergebnisse nicht darauf hindeuteten. Der insoweit behauptete Feststellungsmangel liegt daher gleichfalls nicht vor.

Die Nichtigkeitsbeschwerden waren daher zu verwerfen.

Das Schöffengericht verhängte ‑ jeweils nach § 278 a Abs 1 StGB - über den Angeklagten I* unter Anwendung des § 28 StGB eine einjährige Freiheitsstrafe, hinsichtlich der es nach § 43 a Abs 3 StGB einen Teil von acht Monaten für eine Probezeit von drei Jahren bedingt nachsah, und über die weiteren Angeklagten unter Anwendung des § 37 StGB jeweils Geldstrafen, nämlich über K* 300 Tagessätze zu je 50 S, für den Uneinbringlichkeitsfall 150 Tage Ersatzfreiheitsstrafe, über B* 300 Tagessätze zu je 30 S, für den Uneinbringlichkeitsfall 150 Tage Ersatzfreiheitsstrafe, und über Y* 360 Tagessätze zu je 30 S, für den Uneinbringlichkeitsfall 180 Tage Ersatzfreiheitsstrafe. Es wertete dabei als erschwerend bei I* die einschlägige Vorverurteilung, das Zusammentreffen eines Verbrechens mit drei Vergehen und seine besonders aktive Rolle als Terrorist im Sinne der Zielsetzung der Organisation, bei Y* eine einschlägige Verurteilung im Zusammenhang mit einem Verkehrsunfall; als mildernd fanden bei I* das Geständnis zum Waffendelikt und bei K* und B* ihr bisher ordentlicher Lebenswandel Berücksichtigung.

Mit ihren Berufungen streben die vier Angeklagten jeweils eine Strafreduktion, die Staatsanwaltschaft hinsichtlich I* eine Anhebung des Strafmaßes und die Ausschaltung der teilbedingten Strafnachsicht sowie hinsichtlich der übrigen Angeklagten gleichfalls die Verhängung unbedingter Freiheitsstrafen an.

Nur die Berufung der Staatsanwaltschaft ist ‑ teilweise ‑ hinsichtlich der Angeklagten K*, B* und Y* berechtigt.

Der Schöffensenat hat die Strafzumessungsgründe bei allen Angeklagten im wesentlichen richtig und vollständig festgestellt und beim Angeklagten I* auch zutreffend gewürdigt. Insbesondere Art und Umfang der strafbaren Handlungen, die von Zweck und Tätigkeit der Organisation mitumfaßt werden, an der die Angeklagten sich als Mitglieder beteiligten, und das sich daraus ergebende höhere Schuldausmaß gebieten ‑ selbst wenn man der ideellen Motivation der Angeklagten für das inkriminierte Verhalten entsprechend Rechnung trägt ‑ auch bei K*, B* und Y* die Verhängung einer Freiheitsstrafe, die im Ausmaß von jeweils acht Monaten ihrer tat‑ und persönlichkeitsbezogenen Schuld ebenso entspricht wie das vom Schöffensenat bei I* festgesetzte Strafausmaß von einem Jahr.

Der Berufung der Staatsanwaltschaft zuwider stehen ‑ nicht zuletzt auch mit Rücksicht auf die in Untersuchungshaft verbrachten (Vorhaft‑)Zeiten ‑ weder spezial‑ noch generalpräventive Erwägungen der bedingten Nachsicht der Freiheitsstrafen bei den Angeklagten K*, B* und Y* und der ‑ schon vom Schöffensenat gewährten -teilweisen bedingten Strafnachsicht bei I* entgegen. Eine gänzliche bedingte Strafnachsicht kam beim Letztgenannten vor allem mit Rücksicht auf das Zusammentreffen mehrerer Delikte und seine Vorstrafe wegen Körperverletzung schon aus spezialpräventiver Sicht nicht (mehr) in Betracht.

Es war daher über die Berufungen wie aus dem Spruch ersichtlich zu entscheiden.

Zu Recht hat das Schöffengericht auch die dem Angeklagten I* vom Bezirksgericht Hall am 3.Jänner 1992 zum AZ U 703/91 gewährte bedingte Nachsicht einer wegen § 83 Abs 1 StGB verhängten Geldstrafe gemäß § 494 a Abs 1 Z 4 StPO widerrufen, zumal bei der gegebenen Fallkonstellation neuerlicher gleichartiger Straffälligkeit diese Maßnahme aus spezialpräventiver Sicht (§ 53 Abs 1 StGB) jedenfalls geboten war.

Es mußte daher auch der Berufung des Angeklagten I*, soweit sie als Beschwerde zu betrachten war (§ 498 Abs 3 StPO), ein Erfolg versagt bleiben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 390 a StPO.

 

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