OGH 2Ob258/77

OGH2Ob258/772.2.1978

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Lassmann als Vorsitzenden und durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Piegler sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Reithofer, Dr. Scheiderbauer und Dr. Kralik als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei L*, Pensionistin, *, vertreten durch Dr. Kurt Strizik und Dr. Ferdinand Weber, Rechtsanwälte in Krems a. d. Donau, wider die beklagten Parteien 1.) H*, Angestellter, *, 2.) W*-AG, *, beide vertreten durch Dr. Peter Fiegl und Dr. Franz Riel, Rechtsanwälte in Krems a. d. Donau, wegen Schadenersatzes und Feststellung infolge der Revisionen der klagenden und der beklagten Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes vom 5. Oktober 1977, GZ. 10 R 123/77‑49, womit infolge der Berufungen der klagenden und der beklagten Parteien das Urteil des Kreisgerichtes Krems a. d. Donau vom 13. Juli 1977, GZ. 5 Cg 151/76‑41, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:1978:0020OB00258.77.0202.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

 

Keiner der beiden Revisionen wird Folge gegeben.

Die Klägerin hat den Beklagten 2.549,44 S (davon 171,04 S Umsatzsteuer und 240 S Barauslagen), die Beklagten haben zur ungeteilten Hand der Klägerin 6.538,94 S (davon 342,14 S Umsatzsteuer und 1.920 S Barauslagen) an Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

 

Entscheidungsgründe:

Am 16. 9. 1973 ereignete sich um etwa 0:35 Uhr auf der Landesstraße * östlich der Ortschaft * ein Verkehrsunfall, woran die Klägerin als Mitfahrerin auf dem von ihrem Ehegatten W* gelenkten Moped und der Erstbeklagte mit seinem bei der Zweitbeklagten haftpflichtversicherten PKW beteiligt waren. W* erlitt tödliche Verletzungen; die Klägerin wurde schwer verletzt. Der Erstbeklagte wurde nach §§ 335, 337 b StG verurteilt, weil er „infolge mangelnder Vorsicht und Aufmerksamkeit, insbesondere durch Unterlassen einer sofortigen Bremsung, beim erstmaligen Bemerken eines ihm auf seiner Fahrbahnseite entgegenkommenden Motorfahrrades, durch Weiterfahren, noch dazu mit einer für die Sichtweite des Abblendlichtes überhöhten Geschwindigkeit und durch Auslenken auf die linke Fahrbahnseite, sowie durch Alkohol, in seiner Fahrtüchtigkeit beeinträchtigt“, mit dem entgegenkommenden Mopedlenker W* frontal zusammengestoßen sei.

Die Klägerin begehrte zuletzt ein restliches Schmerzengeld von 280.000 S, 152.430,76 S Verdienstentgang bis einschließlich Februar 1977, 3.139,50 S für Todfallskosten ihres Gatten, 1.500 S für den Mopedschaden, 1.200 S für eine Haushaltshilfe, 4.000 S Verpflegskosten für den jüngsten Sohn, monatlich 600 S für Unterhaltsentgang ab 1. 10. 1973 sowie die Feststellung, daß ihr die Beklagten für alle weiteren Unfallsfolgen haften, die Zweitbeklagte nur im Rahmen des Versicherungsvertrages.

Die Beklagten wendeten ein Mitverschulden des Mopedlenkers zu zwei Drittel und der Klägerin zur Hälfte ein. Gegen die abgeleiteten Ansprüche der Klägerin wurde eine Gegenforderung des Erstbeklagten von 25.000 S Schmerzengeld und 29.000 S für Fahrzeugschaden zur Aufrechnung eingewendet.

Das Erstgericht erkannte die Klagsforderung mit 170.216,38 S und die Gegenforderung mit 579,74 S als zu Recht bestehend; es verurteilte daher die Beklagten zur Zahlung von 169.636,54 S samt Anhang. Das Mehrbegehren auf Zahlung von 272.633,82 S, einer monatlichen Rente und ein Zinsenmehrbegehren wurden abgewiesen. Außerdem stellte das Erstgericht fest, daß die Beklagten der Klägerin für alle künftigen Folgen des Unfalles zu 75 % haften, die Zweitbeklagte nur im Rahmen des Haftpflichtversicherungsvertrages.

Das Berufungsgericht bestätigte das Feststellungserkenntnis und sprach aus, daß die Klagsforderung mit 134.229,44 S und die Gegenforderung mit 579,94 S zu Recht bestehe; es sprach daher der Klägerin 133.649,50 S samt Anhang zu und wies das Mehrbegehren von 308.620,76 S samt Anhang sowie das Rentenbegehren ab.

Beide Streitteile erheben Revision wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung. Die Klägerin beantragt, ihr einen weiteren Betrag von 37.500 S an Schmerzengeld zuzusprechen. Die Beklagten erstreben die Abänderung des Berufungsurteiles dahingehend, daß der Klägerin unter Berücksichtigung eines Mitverschuldens von 50 % bezüglich ihrer originären Ansprüche und eines Mitverschuldens im Ausmaß von zwei Drittel bezüglich der abgeleiteten Ansprüche ein restlicher Betrag von 31.116,56 S zugesprochen, das Mehrbegehren abgewiesen und das Feststellungsbegehren mit 50 % als zu Recht bestehend festgestellt werde. Hilfsweise stellen sie einen Aufhebungsantrag.

In den Revisionsbeantwortungen wird beantragt, der Revision der Gegenseite nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revisionen sind nicht berechtigt.

Die Untergerichte sind von den Feststellungen ausgegangen, die auf den Seiten 5 bis 11 des Berufungsurteiles wiedergegeben sind.

Das Erstgericht meinte, dem Erstbeklagten sei die sorglose Unterlassung einer entsprechenden Reaktion auf das vor ihm auftauchende Moped und die Weiterfahrt mit relativ überhöhter Geschwindigkeit, W* der Verstoß gegen das Rechtsfahrgebot vorzuwerfen. Zusammen mit der erheblichen Alkoholisierung beider Fahrzeuglenker führe dies zu einer Verschuldensteilung 1 : 1. Der Klägerin sei ein Mitverschulden von einem Viertel anzulasten, weil ihr die schwere Alkoholisierung ihres Ehegatten bekannt gewesen sei oder zumindest bei entsprechender Aufmerksamkeit hätte auffallen müssen und sie trotzdem mitgefahren sei. Bis zum Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung sei ein Schmerzengeld von 350.000 S angemessen. Abzüglich des 25 %igen Mitverschuldens und der erhaltenen Teilzahlungen von 120.000 S führe dies zu einem Zuspruch von 142.500 S. Von dem der Klägerin entgangenen Unterhalt und ihrem unfallsbedingten Verdienstentgang seien nach Abzug der Mitverschuldensquote die nach § 332 Abs. 1 ASVG auf die Sozialversicherung übergegangenen Beträge abzurechnen. Dadurch verbleibe der Klägerin kein Rentenanspruch; vom Verdienstentgang bis Februar 1977 erübrige ein Betrag von insgesamt 26.236,44 S. Der Hilflosenzuschuß könne mangels der Kongruenz dabei nicht berücksichtigt werden. Die Todfallskosten und der Mopedschaden seien der Klägerin nur im Umfang ihres Erbrechtes von einem Viertel nach Abzug des ihrem Ehegatten anzulastenden halben Mitverschuldensanteiles zuzusprechen, was einen Betrag von 579,94 S ergebe. Die Kosten der Familienhelferin gebührten der Klägerin nach Abzug von einem Viertel mit 900 S.

Die Gegenforderungen des Erstbeklagten könnten nur gegen die von W* abgeleiteten Ansprüche der Klägerin aufgerechnet werden.

Das Berufungsgericht führte zum Unfallshergang aus, der Erstbeklagte habe auf ca. 100 m im Scheinwerferlicht ein Hindernis auf seiner Fahrbahnhälfte erkannt, ohne sich über dessen Art und Umfang zu vergewissern. Er habe im Gegenteil abgeblendet und sich dadurch die Möglichkeit genommen, die vor ihm liegende Fahrbahn in einer seiner Geschwindigkeit entsprechenden Weite einzusehen. Er habe auf die Gegenfahrbahn gelenkt und dabei die Geschwindigkeit beibehalten, die ein rechtzeitiges Anhalten vor einem sichtbar werdenden Hindernis nicht erlaubte. Wesentlichen Anteil an dieser gefährlichen Sorglosigkeit habe offenbar seine Alkoholisierung gehabt. Der Erstbeklagte habe daher der ungeklärten Verkehrslage nicht Rechnung getragen und sei nicht auf Sicht gefahren. Dem Gatten der Klägerin sei nicht vorzuwerfen, daß er wieder nach rechts gelenkt habe, weil er dasselbe vom Erstbeklagten habe erwarten dürfen. W* habe daher neben seiner erheblichen Alkoholisierung nur seinen anfänglichen Verstoß gegen das Rechtsfahrgebot zu verantworten. Beim Zusammenstoß habe er sich bereits wieder auf seiner rechten Fahrbahnseite befunden. Es gehe zu Lasten der für das Mitverschulden ihres Gegners beweispflichtigen Beklagten, daß nicht mehr festgestellt werden konnte, ob die Lichtanlage des Mopeds eingeschaltet war und auch funktionierte. Fest stünden nur die Mängel der Beleuchtungsanlage, die aber auf die Wahrnehmungsmöglichkeit des Mopeds für einen anderen Verkehrsteilnehmer keinen wesentlichen Einfluß gehabt haben könnten. Das Fehlverhalten des Erstbeklagten überwiege daher dermaßen, daß eine Verschuldensteilung 1 : 2 zu seinen Lasten gerechtfertigt erscheine.

Das eigene Mitverschulden der Klägerin sei vom Erstgericht zutreffend bemessen worden.

Die Beklagten bezeichnen die Verschuldensteilung 1 : 2 zu Lasten des Erstbeklagten im Verhältnis zu W* als irrig. W* habe den PKW des Erstbeklagten auf größere Entfernung bemerken müssen; dessen Fahrlinie sei ihm bekannt gewesen. Er hätte daher entweder sofort nach Ansichtigwerden entgegenkommender Scheinwerfer zum Fahrbahnrand zurücklenken oder am linken Fahrbahnrand anhalten müssen. Die einleitende Fahrlässigkeit W*s wiege schwerer als das Auslenkmanöver des Erstbeklagten. Das Verschulden hätte daher richtig 1 : 2 zu Lasten W*s geteilt werden müssen. Trotz der Schwere der Alkoholisierung des letzteren habe die Klägerin mit ihm das Moped bestiegen. Ihr Mitverschulden sei daher mit 50 % anzunehmen. Der ganze Unfallsablauf spreche dafür, daß das Moped unbeleuchtet gewesen sei. Es wäre Sache der Klägerin gewesen, den Gegenbeweis zu erbringen. Das Mißlingen desselben falle der Klägerin zur Last. Auch dieser Umstand spreche für die begehrte Verschuldensteilung.

Diese Ausführungen vermögen jedoch die zutreffenden Erwägungen des Berufungsgerichtes zur Verschuldensfrage nicht zu widerlegen. Der entscheidende Fehler des Erstbeklagten war, daß er beim Abblenden seine hohe Geschwindigkeit nicht sofort soweit herabsetzte, daß sie der Sichtweite entsprach, weshalb er nicht imstande war, die Vorgänge auf der Straße rechtzeitig zu erkennen und sich dementsprechend zu verhalten. Zutreffend ist auch, daß die Beklagten für ihre Behauptung beweispflichtig waren, das Moped sei unbeleuchtet gewesen, weil sie daraus ein Mitverschulden des Mopedfahrers bzw. der Klägerin ableiten wollten. Trägt aber W* gegenüber dem Erstbeklagten ein Mitverschulden von einem Drittel, dann ist ein Mitverschulden der Klägerin gegenüber dem Erstbeklagten von einem Viertel keinesfalls zu niedrig angesetzt.

Das Berufungsgericht vertrat die Ansicht, daß sich die Klägerin von ihrem Anspruch auf Verdienstentgang als kongruente Leistungen der Sozialversicherung zwar das Krankengeld und die Invaliditätspension, nicht aber die Witwenpension abziehen lassen müsse, weil letztere sich aus dem Arbeitseinkommen des Ehegatten herleite und an die Stelle seiner Unterhaltsleistungen trete. Es bestehe auch keine sachliche Kongruenz zwischen dem Verdienstentgang der Klägerin und dem Hilflosenzuschuß, weil dieser nur die Abgeltung einer Forderung für die nötige Pflege betreffe.

Diese Rechtsansicht wird von den Beklagten in ihrer Revision als unrichtig bezeichnet; sie deckt sich jedoch völlig mit der Ansicht des Obersten Gerichtshofes über den Begriff der Leistungskongruenz.

Die Klägerin erklärt in ihrer Revision, das Berufungsurteil insoferne anzufechten, als ihr nicht noch weitere 37.500 S zugesprochen worden seien und als das Berufungsgericht ausgesprochen habe, daß mit dem zuerkannten Schmerzengeld auch künftige Schmerzen abgegolten seien; sie begehre weitere 37.500 S im Hinblick darauf, daß ihre Verletzungen ein Schmerzengeld von 350.000 S für die bis zum Schluß der mündlichen Verhandlung erster Instanz erlittenen Schmerzen rechtfertige, zumal sie zum Krüppel geworden sei, sich nicht mehr selbst erhalten könne, ihren Gatten verloren habe und daher auch schwersten seelischen Belastungen ausgesetzt worden sei.

Dazu ist festzuhalten, daß die Klägerin zuletzt ein Schmerzengeld von (rechnerisch) 400.000 S begehrt hat (ONr. 27, S. 160 des Aktes). Sie hat aber nie erklärt, daß damit nur ihre Schmerzen bis zum Schluß der mündlichen Streitverhandlung abgegolten sein sollten. Dennoch sprach das Erstgericht aus, daß der Klägerin bis zum Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung ein Schmerzengeld von 350.000 S gebühre, ohne zu begründen, weshalb es nicht ‒ wie begehrt ‒ einen Globalbetrag zuerkenne. Das Berufungsgericht führte aus, daß eine Beschränkung des Schmerzengeldzuspruches auf einen bestimmten Zeitraum nur vorzunehmen sei, wenn die Auswirkungen der Verletzung in Zukunft nicht abgeschätzt werden könnten, was hier nicht der Fall sei. In Abwägung aller in Betracht zu ziehender Umstände stehe der Klägerin ohne zeitliche Begrenzung ein Schmerzengeld von 300.000 S zu. Nach Abzug der Mitschuldquote von einem Viertel und der Teilzahlungen von 120.000 S ergebe sich ein restlicher Anspruch von 105.000 S. Dem Berufungsgericht ist zunächst darin beizupflichten, daß dem Erstgericht insoferne eine unrichtige rechtliche Beurteilung unterlaufen ist, als es Schmerzengeld für einen begrenzten Zeitraum zusprach, ohne daß dafür eine Notwendigkeit bestand.

Das Berufungsgericht ist aber auch im Recht, wenn es bei dem festgestellten Sachverhalt einen Schmerzengeldbetrag von rechnerisch 300.000 S für angemessen erachtet.

Da sich somit beide Revisionen als unberechtigt erweisen, gebührt den Parteien jeweils der Ersatz der Kosten ihrer Revisionsbeantwortungen (§§ 41, 50 ZPO).

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