European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:1977:0020OB00575.77.1222.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Spruch:
Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.
Der angefochtene Beschluß, der in seinem Ausspruch hinsichtlich des vom Beklagten für das eheliche Kind I* L* zu leistenden vorläufigen Unterhaltes als unangefochten unberührt bleibt, wird im übrigen ebenso wie der des Erstgerichtes, aufgehoben und dem Erstgericht die neuerliche Beschlußfassung über den Antrag der Klägerin auf Leistung vorläufigen Unterhaltes für ihre Person aufgetragen.
Die Rekurskosten sind weitere Verfahrenskosten.
Begründung:
Mit der am 5. Juli 1977 eingebrachten Klage begehrte die klagende und gefährdete Partei (im folgenden: Klägerin) die Verurteilung des Beklagten zur Zahlung eines monatlichen Unterhaltsbetrages von 4.000 S und beantragte gleichzeitig die Erlassung einer einstweiligen Verfügung des Inhaltes, daß der Beklagte und Gegner der gefährdeten Partei (im folgenden: Beklagter) zur Leistung eines einstweiligen Unterhaltes für ihre Person von monatlich 4.000 S, für den minderjährigen ehelichen Sohn G* L* von monatlich 2.000 S sowie für die eheliche minderjährige Tochter I* L* von monatlich 2.500 S verpflichtet werde.
Zur Klage und gleichzeitig zur beantragten einstweiligen Verfügung brachte die Klägerin vor, daß sie vom Beklagten, ihrem Ehemann, welcher als Postbeamter ein monatliches Einkommen von 12.000 S erziele, nach zahlreichen Aggressionen in der letzten Zeit am 12. Juni 1977 aus der ehelichen Wohnung, in welcher sie bisher den gemeinsamen Haushalt führte, gewiesen und am 13. Juni 1977 mit einen Faustschlag tätlich mißhandelt worden sei. Sie sei daher am 12. Juni 1977 mit den ehelichen minderjährigen Kindern G* und I* L* zur älteren Tochter Ga* in die Wohnung *, gezogen. Ihr und den Kindern sei mit Rücksicht auf die dargestellten Vorfälle ein Zusammenleben mit dem Beklagten nicht mehr zumutbar. Dieser mache jede Unterhaltszahlung von einer Rückkehr in die eheliche Wohnung abhängig. Sie verfüge über kein eigenes Einkommen. Die begehrten einstweiligen Unterhaltsbeträge seien daher sowohl für sie selbst als auch für den * 1959 geborenen Sohn G* (unter Bedachtnahme auf dessen Lehrlingsentschädigung) und die * 1964 geborene Tochter I* zusätzlich zu der von der Klägerin direkt zu beziehende Familienbeihilfe angemessen und deren Erbringung dem Unterhaltspflichtigen auch zumutbar.
Der Beklagte bestritt in seiner Äußerung das Vorbringen der Klägerin, beantragte die Abweisung des Antrages auf Erlassung der einstweiligen Verfügung und wendete ein, daß er die Klägerin weder aus der ehelichen Wohnung gewiesen, noch ihr einen Faustschlag versetzt habe. Diese sei vielmehr grundlos aus der ehelichen Wohnung ausgezogen und habe eigenmächtig eine Hausratsteilung vorgenommen, wobei sie die besseren Stücke für sich ausgewählt habe. Trotz Aufforderung sei die Klägerin nicht in die eheliche Wohnung zurückgekehrt. Daher sei ihr Unterhaltsanspruch verwirkt. Das monatliche Nettoeinkommen des Beklagten betrage einschließlich Familienunterstützung und Familienbeihilfe 10.084,60 S. Er habe der Klägerin bis zu deren Auszug aus der ehelichen Wohnung immer pünktlich ein monatliches Wirtschaftsgeld von 6.000 S zur Verfügung gestellt und die Wohnungsmiete zusätzlich bezahlt. Der eheliche Sohn G* sei bereits selbsterhaltungsfähig. Dieser habe zuletzt eine wöchentliche Lehrlingsentschädigung von 650 S bezogen und am 31. Juli 1977 seine Lehrzeit beendet. Der Beklagte habe daher keinen Grund zur Klage und zum Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung gegeben.
Mit Beschluß vom 5. August 1977 (ONr. 5) erließ das Erstgericht eine einstweilige Verfügung des Inhaltes, daß es den Beklagten ab 1. Juli 1977 zu einer monatlichen einstweiligen Unterhaltsleistung für die Klägerin von 3.105 S und für die minderjährige I* L* von 1.350 S verpflichtete, wohingegen es den Antrag auf Zuerkennung eines einstweiligen Unterhaltes für den minderjährigen G* L* zur Gänze abwies.
Mit Beschluß vom 18. August 1977 (ONr. 7) berichtigte das Erstgericht den oben angeführten Beschluß bezüglich der Unterhaltszahlung für die Klägerin dahin, daß der monatlich zu leistende Betrag mit 2.587,08 S beziffert wurde.
Auf Grund des durchgeführten Bescheinigungsverfahrens nahm das Erstgericht einschließlich der unbestrittenen Tatsachen folgenden Sachverhalt als glaubhaft gemacht an:
Die Streitteile sind seit 1954 verheiratet. Die gemeinsame eheliche Wohnung befindet sich in der * in *. Seit Juni 1976 stellte der Beklagte der Klägerin einen monatlichen Unterhalt (richtig wohl ein monatliches Wirtschaftsgeld) von 6.000 S zur Verfügung, wovon er gelegentlich im Jahre 1977 Abzüge von 150 S bis 200 S machte, wenn er selbst Lebensmittel einkaufte.
Am 12. Juni 1977 kam es zwischen den Streitteilen in der ehelichen Wohnung deshalb zu einer Auseinandersetzung, weil der Beklagte der Ansicht war, daß der auf diesen Tag gefallene „Vatertag“ nicht gebührend gefeiert worden sei. Im Zuge dieser Auseinandersetzung forderte die Klägerin die Tochter I* auf, im Schlafzimmer zu übernachten. Als sich diese mit ihren Schlafutensilien ins Schlafzimmer ihrer Eltern begab, wies sie der Beklagte mit den Worten „schau daß Du hinauskommst“ aus dem Zimmer. Auf die Bitte der Tochter I* mitzugehen, verließ die Klägerin ebenfalls das eheliche Schlafzimmer und ging gemeinsam mit der Tochter I* ins Kinderzimmer. In der Folge kam der Beklagte ein- oder zweimal ins Kinderzimmer und beschimpfte die Klägerin. Sodann kleidete sich der Beklagte an und begab sich in ein in der Nähe gelegenes Gartenhaus.
Hierauf rief die Klägerin in der Wohnung der selbsterhaltungsfähigen älteren Tochter Ga* L* in *, in welcher auch der Sohn G* L* wohnt, an, um sich zu erkundigen, ob sich der Beklagte dort aufhalte. Nachdem sich ergeben hatte, daß dies nicht der Fall sei, begab sich die Klägerin mit der Tochter I* in diese Wohnung. Am Vormittag und Nachmittag des 13. Juni 1977 holte die Klägerin aus der ehelichen Wohnung Hausratsgegenstände, darunter auch eine Nähmaschine. Als der Beklagte an diesem Tag nach Rückkehr von seiner Arbeit das Fehlen dieser Gegenstände feststellte, forderte er die Klägerin telefonisch zur Rückstellung derselben bis 20 Uhr auf. Am Abend dieses Tages kam der Beklagte in die Wohnung der Tochter Ga* L* und nahm seinen Fernsehapparat und die Nähmaschine mit sich. Dabei kam es zu einem Handgemenge, in dessen Zuge der Beklagte die Klägerin wegstieß. Seit dem 12. Juni 1977 wohnen die Klägerin, und die Tochter I* L* in der Wohnung in *. Bis zu diesem Datum wurde von der Klägerin der Haushalt in der Ehewohnung geführt.
Der Beklagte verfügt über ein monatliches Nettoeinkommen von 8.870 S vierzehnmal im Jahr, wobei die Klägerin ab Juli 1977 die Familienbeihilfe bezieht.
Der Sohn G* L* beendete am 31. Juli 1977 seine Lehre als Schriftenmaler. Er bezog bisher eine wöchentliche Lehrlingsentschädigung von 650 S. Er wird auch weiterhin seinem Beruf nachgehen.
Der Beklagte erklärte etwa eine Woche nach den Vorfällen vom 12./13. Juni 1977 gegenüber der Klägerin, daß er zur Unterhaltsleistung nur unter der Voraussetzung bereit sei, daß die Klägerin in die Ehewohnung zurückkehre.
In rechtlicher Hinsicht bejahte das Erstgericht die Unterhaltspflicht des Beklagten gegenüber seiner Ehegattin im Hinblick auf § 94 ABGB und bezüglich der ehelichen Tochter I* unter Bezugnahme auf § 141 ABGB. Es nahm die Bescheinigung einer Verletzung der Unterhaltspflicht als erbracht an, so daß es die Voraussetzungen für die Zuerkennung eines einstweiligen Unterhaltes im Provisorialverfahren für die beiden vorgenannten Personen bejahte. Ohne Begründung wurde der Beginn der Leistungspflicht mit 1. Juli 1977 bestimmt, obgleich der Antrag erst am 5. Juli 1977 gestellt wurde.
Was den ehelichen Sohn G* L* betrifft, gelangte das Erstgericht zu dem Ergebnis, daß dieser bereits durch den Bezug der wöchentlichen Lehrlingsentschädigung von 650 S die Selbsterhaltungsfähigkeit erlangte und demnach ein Unterhaltsanspruch gegenüber dem Vater nicht mehr bestehe.
Die eingewendete Verwirkung des Unterhaltsanspruches der gefährdeten Partei hingegen verneinte das Erstgericht unter Hinweis auf § 94 Abs. 2 ABGB.
Das Rekursgericht gab den gegen die beiden erstgerichtlichen Beschlüsse erhobenen Rekursen, dahin Folge, daß es den Beschluß vom 18. August 1977 ersatzlos aufhob und den Beschluß vom 5. August 1977 in Bezug auf den Beginn der aufgetragenen einstweiligen Unterhaltsleistungen (5. statt 1. Juli 1977) abänderte. Zu der für die Behandlung des vorliegenden Rechtsmittels allein noch bedeutsamen Frage der Verwirkung des Unterhaltsanspruches der Klägerin führte das Rekursgericht aus, das als bescheinigt angenommene Verhalten der Klägerin sei keinesfalls so gravierend, daß es ‒ als Mißbrauch des Rechtes im Sinne des § 94 Abs. 2 ABGB ‒ zum Verlust des Unterhaltsanspruchs führen könnte.
Rechtliche Beurteilung
Gegen den Beschluß des Rekursgerichtes „seinem gesamten Inhalte nach“ erhebt der Beklagte (richtig:) Revisionsrekurs mit dem Antrag auf Abänderung dahin, „daß die Anträge der gefährdeten Partei auf Zuerkennung eines vorläufigen Unterhaltes abgewiesen werden“.
Der Beklagte führt ins Treffen, daß das eigenmächtige Verlassen der Ehewohnung und die eigenmächtige Vornahme der Hausratsteilung durch die Klägerin so schwere Eheverfehlungen darstellten, daß die Geltendmachung des Unterhaltsanspruches durch die Klägerin als Mißbrauch des Rechtes anzusehen sei.
Ungeachtet der Anfechtungserklärung und des weit gehaltenen Rekursantrages enthält der Revisionsrekurs nur Ausführungen hinsichtlich des von der Klägerin selbst geltend gemachten Unterhaltsbegehrens. Im Ausspruch über den Anspruch des Kindes erscheint dagegen der Beschluß nicht angefochten.
Hinsichtlich des Ausspruches über den Unterhalt der Klägerin ist der Revisionsrekurs zulässig, weil der Beklagte Verwirkung und damit das Fehlen eines Anspruches dem Grunde nach behauptet. Auch die Rechtsmittelbeschränkung des § 528 Abs. 1 ZPO, welche gemäß §§ 402, 65, 78 EO für Rechtsmittel gegen Beschlüsse im Provisorialverfahren gilt (SZ 20/91), findet im vorliegendem Fall keine Anwendung, weil die zweite Instanz den Beschluß des Erstgerichtes nicht vollständig bestätigte und die Grundsätze des Jud 56 neu auch im Rekursverfahren gelten. Dies ist auch dann der Fall, wenn ‒ wie hier ‒ die zweite Instanz eine vom Erstgericht erlassene einstweilige Verfügung über die Bezahlung eines einstweiligen Unterhaltes nur hinsichtlich des Beginnes der Unterhaltsleistungen abänderte.
Der insoweit zulässige Revisionsrekurs ist im Sinne einer Aufhebung gerechtfertigt.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes verliert die Ehegattin den Anspruch auf Unterhalt, der ihr bei Aufhebung der ehelichen Gemeinschaft in Geld zusteht (SZ 23/245 u.v.a.) nur dann, wenn sie sich besonders schwerer Eheverfehlungen wie Ehebruchs, fortgesetzter empfindlicher Verletzungen der ehelichen Treue, schwerer körperlicher Mißhandlungen oder Drohungen, die sich unmittelbar gegen die körperliche und seelische Integrität des Ehepartners richten, schuldig machte (SZ 24/308; SZ 38/7; JBl 1966/89; EFSlg 21.462; 5 Ob 522/76 u.a.). Bei der Beurteilung der Frage des Gewichtes der der Ehefrau zur Last gelegten Eheverfehlungen und ihrer Eignung, ein Erlöschen des Unterhaltsanspruches bei aufrechtem Bestand der Ehe herbeizuführen, darf aber auch das Verhalten des anderen Teiles nicht vernachlässigt werden; immer ist auf die Umstände des Einzelfalles Bedacht zu nehmen (EFSlg 19.158, 16.888; RZ 1967, 89 u.v.a.). Da § 94 ABGB in der Fassung BGBl 1975/412 über die Verwirkung des Unterhaltsanspruches nichts sagt, besteht kein Anlaß, von der bisherigen Judikatur zu dieser Frage abzugehen (5 Ob 522/76). Nach wie vor rechtfertigen daher nur besonders krasse Fälle (z.B. wenn die Ehefrau ihren Gatten grundlos verlassen hat), in welchen die Geltendmachung eines Unterhaltsanspruches wegen des Verhaltens des betreffenden Gatten grob unbillig, also im Sinne des § 94 Abs. 2 Satz 3 ABGB mißbräuchlich erschiene, die Annahme einer Unterhaltsverwirkung des betreffenden Gattenteils (3 Ob 604/77, 7 Ob 608/77).
Im vorliegenden Fall ist nun lediglich bescheinigt, daß die Klägerin die Ehewohnung am 12. Juni 1977 nach einem Streit mit dem Beklagten und nachdem dieser sie beschimpft hatte, verlassen hat und daß es am 13. Juni 1977 zu einer tätlichen Auseinandersetzung kam. Diese Vorfälle erscheinen indes nicht triftig genug, um das Verlassen des Beklagten ohne Verwirkung des Unterhaltsanspruches zu rechtfertigen. Allerdings hat die Klägerin zur Begründung ihres Anspruchs nicht bloß diese Vorfälle, sondern ‒ siehe S. 2 und 3 des Aktes ‒ wiederholtes grob ehewidriges Verhalten des Beklagten seit Oktober 1976 geltend gemacht. Erschiene auch dies bescheinigt, könnte wohl nicht mehr von einem den Unterhaltsanspruch verwirkenden grundlosen Verlassen gesprochen werden. Um dies aber beurteilen zu können, bedarf es der Ergänzung des Provisorialverfahrens im aufgezeigten Umfange.
Es war daher wie im Spruche zu entscheiden.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 52 ZPO und 78, 402 EO.
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