European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:1977:0020OB00234.77.1512.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Spruch:
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Der Kläger ist schuldig, den beklagten Parteien die mit S 811,41 (darin S 54,77 Umsatzsteuer und S 72 Barauslagen) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Entscheidungsgründe:
Am 22. Februar 1975 ereignete sich auf der Inntal‑Autobahn im Unterinntal ein Verkehrsunfall, an dem der vom Kläger gehaltene und von H* gelenkte PKW Opel Rekord Caravan, Kennzeichen *, und der vom Erstbeklagten gelenkte und gehaltene, bei der zweitbeklagten Partei haftpflichtversicherte PKW Cadillac Eldorado, Kennzeichen *, beteiligt waren. Der Sachschaden des Klägers beträgt S 3.354,86, der des Erstbeklagten S 9.048,‑‑.
Der Kläger begehrt von den Beklagten den Ersatz seines Schadens samt 4 % Zinsen seit 15. Juni 1976 und brachte dazu vor, daß H* mit dem PKW des Klägers auf der Normalspur der südlichen Richtungsfahrbahn der Inntal‑Autobahn von Innsbruck in Richtung Kufstein gefahren sei. Der Erstbeklagte habe den PKW des Klägers überholt und sei ohne ersichtlichen Grund von der Überholspur nach rechts abgekommen. Dadurch habe er den PKW des Klägers gestreift.
Die beklagten Parteien beantragten Klagsabweisung und wendeten ein, daß das Alleinverschulden am Unfall H* treffe, der mit dem Fahrzeug des Klägers nach links auf die Überholspur geraten sei und dadurch den PKW des Erstbeklagten gestreift habe. Die beklagten Parteien machten außerdem den Schaden des Erstbeklagten aufrechnungsweise gegen die Klagsforderung geltend.
Das Erstgericht stellte folgenden Sachverhalt fest:
Der PKW des Klägers ist 4,57 m lang und 1,56 m breit, hat ein Eigengewicht von 1.065 kg und war zum Unfallszeitpunkt mit vier Personen besetzt. Der PKW des Erstbeklagten ist 5,61 m lang und 2,03 m breit, hat ein Eigengewicht von 2.120 kg und war mit zwei Personen besetzt. Beide Fahrzeuge fuhren auf der Inntal‑Autobahn von Innsbruck in Richtung Kufstein. H* benützte vor dem Unfall den rechten Fahrstreifen und fuhr mit einer Geschwindigkeit von ca. 100 bis 120 km/h. In einem nicht genauer feststellbaren Bereich nach der Autobahnabfahrt Zillertal überholte der Erstbeklagte den PKW des Klägers. Er benützte dazu vor dem Unfall den linken Fahrstreifen und fuhr um mindestens 10 km/h schneller als H*. Während des Überholmanövers kam es zu einer Streifung zwischen der linken Vorderecke des PKWs des Klägers und der rechten hinteren Seitenwand des PKWs des Beklagten. Die beiden Fahrstreifen der Autobahn haben eine Breite von je 3,50 m. Die Autobahn verläuft im Unfallsbereich übersichtlich. Die Fahrbahn war trocken.
Im Rahmen der Beweiswürdigung führte das Erstgericht aus, daß nicht geklärt werden könne, auf welchem Fahrstreifen sich die Kollision ereignet habe. In rechtlicher Hinsicht erwog das Erstgericht, daß auf Grund des festgestellten Sachverhaltes auch ein Verschulden der Lenker der Fahrzeuge nicht festgestellt werden könne. Da von keinem der Fahrzeuge eine außergewöhnliche Betriebsgefahr ausgegangen sei, sei im Sinne des § 11 EKHG ein Schadensausgleich nach der gewöhnlichen Betriebsgefahr vorzunehmen. Hiebei überwiege die gewöhnliche Betriebsgefahr beim Fahrzeug des Beklagten, weil dieses mit höherer Geschwindigkeit gefahren sei, ein Überholmanöver durchgeführt habe, ein wesentlich größeres Gewicht habe und nahezu einen halben Meter breiter als der PKW des Klägers sei. Dieses Überwiegen der gewöhnlichen Betriebsgefahr lasse einen Schadensausgleich im Verhältnis von 2 : 1 zu Lasten der beklagten Parteien angemessen erscheinen. Das Erstgericht stellte daher die Klagsforderung in der Höhe von S 2.236,57 und die Gegenforderung bis zu dieser Höhe als zu Recht bestehend fest und wies das Klagebegehren ab.
Das Berufungsgericht gab der Berufung der beklagten Parteien teilweise Folge und änderte das erstgerichtliche Urteil – auf der Grundlage einer Schadensteilung im Verhältnis 1 : 1 – dahin ab, daß es die Klagsforderung mit S 1.673,43 und die Gegenforderung bis zu dieser Höhe als zu Recht bestehend erkannte und das Klagebegehren daher abwies.
Das Berufungsgericht pflichtete – in Erledigung der Mängel‑ und der Beweisrüge – dem Erstgericht bei, daß der Unfallshergang in wesentlichen Punkten nicht rekonstruiert werden und insbesondere nicht festgestellt werden könne, auf welchem Fahrstreifen die Streifung erfolgte. In rechtlicher Hinsicht führte das Berufungsgericht aus:
Grundsätzlich sei die gewöhnliche Betriebsgefahr bei zwei PKWs gleich groß. Eine Erhöhung der Betriebsgefahr könne sich nur aus den jeweils konkreten Umständen ergeben. Auch der Überholvorgang selbst bewirke an sich noch keine Erhöhung der gewöhnlichen Betriebsgefahr. Die Betriebsgefahr werde vielmehr durch die beim Überholen auftretenden besonderen Umstände, wie z.B. Gegenverkehr, Grenzgeschwindigkeit in Kurven etc., hervorgerufen. Im gegenständlichen Fall sei die gewöhnliche Betriebsgefahr des überholenden Fahrzeuges durch keine derartigen Umstände erhöht worden. Die Autobahn sei übersichtlich verlaufen, der überholende PKW habe nur eine geringfügig höhere Geschwindigkeit und jeder Fahrstreifen habe eine doch erhebliche Breite von 3,50 m gehabt. Auch auf Grund der größeren Breite und des größeren Gewichtes des überholenden Fahrzeuges sei mit Rücksicht auf die Breite der Fahrstreifen von 3,50 m und die Geschwindigkeit der Fahrzeuge von 100 bzw. 110 km/h eine Erhöhung der gewöhnlichen Betriebsgefahr zu verneinen, zumal grundsätzlich die Ausstattung eines Fahrzeuges den erzielbaren Geschwindigkeiten, dem Gewicht und dem Umfang entspreche und Rechnung trage. Mit Rücksicht auf die konkrete Situation sei daher die Betriebsgefahr der beiden am Unfall beteiligten Fahrzeuge als gleich hoch anzusehen und damit der Schade gemäß § 11 EKHG im Verhältnis von 1 : 1 auszugleichen.
Gegen das Urteil des Berufungsgerichtes erhebt der Kläger Revision wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, das erstinstanzliche Urteil wieder herzustellen.
Die beklagten Parteien, die eine Revisionsbeantwortung erstatteten, beantragen, der Revision nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist nicht gerechtfertigt.
Der Kläger macht geltend, daß die erhöhte Betriebsgefahr des vom Erstbeklagten gelenkten Fahrzeuges beim gegenständlichen Überholmanöver bereits durch die gegenüber jener des Fahrzeuges des Klägers höhere Geschwindigkeit, aber auch durch dessen größeres Gewicht, Breite und Länge gegeben gewesen sei.
Dem kann nicht beigepflichtet werden. Der Oberste Gerichtshof hat zwar ausgesprochen, daß in der beim Überholen notwendigen Geschwindigkeit und der damit verbundenen Linksbewegung eine Erhöhung der Betriebsgefahr liegt (vgl. ZVR 1976/151, ZVR 1977/137 u.a.), dabei aber betont, daß bei der Beantwortung der Frage, ob erhöhte Betriebsgefahr anzunehmen ist, jeweils auf die im konkreten Fall gegebenen Umstände Bedacht genommen werden muß (ZVR 1974/143, 1975/118, 1976/151). Erhöhte Betriebsgefahr kann nur dann angenommen werden, wenn die Gefahren, die regelmäßig und notwendig mit dem Betrieb eines Kraftfahrzeuges verbunden sind, durch das Hinzutreten besonderer, nicht schon in dem Betrieb gegebener Umstände vergrößert werden; das bedeutet lediglich, daß solche Besonderheiten beim Abwägen der beiderseits ursächlichen Umstände zu berücksichtigen sind (Jagusch, Straßenverkehrsrecht23 941 bei Randzahl 12; Wussow Das Unfallhaftpflichtrecht12 327 bei Randzahl 601 und 602). Solche Gefahren können bei Überholmanövern vielfach hinzutreten, sind aber mit dem Überholen an sich nicht schon zwangsläufig verbunden.
Im vorliegenden Fall sind nun überhaupt keine Umstände hervorgekommen, wonach der Schaden des Klägers durch eine überwiegende gewöhnliche Betriebsgefahr des Kraftfahrzeuges des Erstbeklagten verursacht worden wäre. Daß letzteres größer und schwerer ist und mit ca. 10 km/h höherer Geschwindigkeit als das Fahrzeug des Klägers fuhr, ist angesichts dessen, daß die Beteiligten auf einer Autobahn fuhren, dafür nicht ausreichend. Haben aber zwei Haftpflichtige jeweils nur Gefährdungshaftung zu vertreten, so ist bei gleich großer bzw. nicht erkennbar unterschiedlich großer Betriebsgefahr beider Kraftfahrzeuge der Schaden im Verhältnis 1 : 1 zu teilen (vgl. RiZ 1973/5 = ZVR 1974/58; 2 Ob 55/76).
Der Revision war daher ein Erfolg zu versagen.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41 und 50 ZPO.
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)