OGH 1Ob22/77

OGH1Ob22/779.11.1977

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schneider als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Petretto, Dr. Schragel, Dr. Petrasch und Dr. Schubert als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei F*, vertreten durch Dr. Erwin Gstirner, Rechtsanwalt in Graz, wider die beklagte Partei Republik Österreich, vertreten durch die Finanzprokuratur, *, wegen S 113.020,40 samt Anhang und Feststellung, infolge Rekurses der klagenden Partei gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgerichtes vom 17. Mai 1977, GZ 5 R 73/77‑32, womit das Zwischenurteil des Landesgerichtes für ZRS Graz vom 4. Februar 1977, GZ 6 Cg 82/76‑23, unter Beisetzung eines Rechtskraftvorbehaltes aufgehoben wurde, folgenden

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:1977:0010OB00022.77.1109.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Der Rekurswerber hat die Kosten seines erfolglosen Rechtsmittels selbst zu tragen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

Am 26. September 1975 machte der in Dienstausübung befindliche Gendarmeriebeamte R* H* anläßlich einer Kontrolle des Klägers von der Schußwaffe Gebrauch und verletzte dadurch den Kläger. Das gegen R* H* eingeleitete Strafverfahren wurde gemäß § 90 StPO eingestellt.

Der Kläger begehrt mit der Behauptung, R* H* habe als Organ der Beklagten vorschriftswidrig von der Schußwaffe Gebrauch gemacht, die Bezahlung von S 50.000,— (Schmerzengeld), S 22.110,42 (Verdienstentgang), S 40.310,— (Aufwendungen für Hilfskräfte), S 600,— (Fahrzeugschaden) sowie die Feststellung der Ersatzpflicht der Beklagten für künftige Schäden aus diesem Vorfall.

Die Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens, weil ihr Organ weder schuldhaft noch rechtswidrig gehandelt habe; die Ansprüche seien auch der Höhe nach nicht gerechtfertigt.

Das Erstgericht sprach mit Zwischenurteil aus, daß der Anspruch des Klägers auf Bezahlung eines Betrages von S 113.020,40 samt Zinsenanhang und Feststellung der Ersatzpflicht der Beklagten für künftige Schäden des Klägers aus dem Schußwaffengebrauch vom 26. 9. 1975 dem Grunde nach zu 20 % zu Recht bestehe. Es ging dabei von folgenden Feststellungen aus:

Im Revier der Jagdgesellschaft W* wurden in der Zeit vor Juni 1975 von den Jagdberechtigten immer wieder auffällige Wildverluste an Rehböcken, Rehgeißen und Hasen festgestellt. So verschwanden aus dem Revier etwa 5 bis 6 Böcke in einem Gesamtwert von S 10.000,– bis S 12.000,—, eine Geiß im Werte von S 700,— bis S 800,— und pro Jahr etwa 20 bis 30 Hasen im Gesamtwert von S 1.000,— bis S 1.500,—. Ab Juni 1975 wurden schließlich frische Wildaufbrüche im Revier gefunden, die eindeutig auf Wilddiebstähle hinwiesen; diesbezüglich wurden laufend Anzeigen an die zuständigen Gendarmerieposten erstattet. Es bestand Gewißheit, daß im Revier gewildert werde, weil Gewehrschüsse in Nichtjagdzeiten und außerhalb angesetzter Jagden wahrgenommen wurden. Im September 1975 waren am zuständigen Gendarmerieposten W* auch mehrere Überfälle auf Raiffeisenkassen, im Postenbereich aus dem Jahre 1973 und 1974 unaufgeklärt.

Am 26. September 1975 hielten die Jagdpächter W* und I* der Jagdgesellschaft W* mit dem Gendarmeriebeamten R* H* des GPK W* zur Nachtzeit an der von W* nach P* führenden Gemeindestraße Vorpaß nach Wilddieben. Sie vermuteten, daß diese die erbeuteten Tiere in Kraftfahrzeugen abtransportieren. Während W* und I* etwa 10 bis 12 m abseits der Straße in einem Mischwald warteten, stand R* H* in Uniform und mit einer Dienstpistole versehen an der Straße, um vorbeifahrende Kraftfahrzeuge und deren Lenker auf allfällige Zusammenhänge mit den Wilddiebstählen zu kontrollieren. I* hatte seinen PKW etwa 10 bis 15 m von der Straße entfernt im Wald, W* sein Fahrzeug nahe dem rechten Fahrbahnrand außerhalb der Fahrbahn in Fahrtrichtung W* abgestellt. Um etwa 23,40 Uhr – es hatte leicht genieselt, die Fahrbahn war außerhalb des Waldes feucht, es herrschte völlige Dunkelheit – näherte sich der Kläger mit seinem Kombiwagen Ford Taunus Transit aus Richtung W*. R* H* hielt das Fahrzeug mit Rotlicht an und verlangte von dem ihm unbekannten Lenker die Fahrzeugpapiere. Der Kläger antwortete durch das geöffnete linke Seitenfenster, neben dem H* stand, daß er keine Papiere besitze. H* faßte den Türgriff und öffnete die Seitentüre mit der Aufforderung auszusteigen. Während dieses Vorganges setzte der Kläger das Fahrzeug mit rascher Beschleunigung in Bewegung und ergriff die Flucht. R* H* wurde ein Stück mit dem Fahrzeug mitgerissen, konnte sich aber freimachen, zog seine Dienstpistole und schoß zweimal in unmittelbarer Folge auf das wegfahrende Fahrzeug des Klägers um dessen Flucht zu verhindern, wobei er auf das linke Hinterrad zielte. R* H* war der Ansicht, daß der Kläger entweder das von ihm benützte Fahrzeug gestohlen hatte oder sonst mit den unaufgeklärten Banküberfällen und Wilddiebstählen in Zusammenhang stehe. H* hatte nämlich im Schein seiner Taschenlampe im Laderaum des Fahrzeuges des Klägers einen Haufen Jutesäcke liegen gesehen und den Laderaum auf allenfalls darunter verstecktes Beutewild untersuchen wollen. Trotz der beiden Schüsse setzte der Kläger die Flucht fort und verschwand mit seinem Fahrzeug in den nächsten Sekunden um die rund 40 m vom Schußort entfernte unübersichtliche Linkskurve. Der herbeigeeilte Jagdpächter W* setzte den Gendarmeriebeamten in Kenntnis, daß er das Fahrzeug als das des „U*“ aus P* erkannt habe. W* fuhr mit H* mit seinem Wagen zum Anwesen U*, wo sie den verletzten Kläger antrafen.

R* H* ist seit 1. 9. 1972 bei der Gendarmerie tätig. Die zweimal jährlich bei Tageslicht absolvierten Schießübungen, bei denen jeweils zwei Serien zu je fünf Schuß aus der Dienstpiole abgegeben werden, erbrachten ein durchschnittliches Trefferresultat. Einer der beiden von H* abgegebenen Schüsse hatte das Fahrzeug des Klägers am Heck links oben getroffen, worauf das Geschoß nach senkrechtem Aufschlag auf die Heckwand und geradliniger Weiterbewegung durch das Wageninnere den Brustkorb des Klägers rechts oberhalb der Lunge durchschlug und schließlich durch die Windschutzscheibe, die dabei zersprang, wiederum aus dem Fahrzeug austrat. H* hatte den Schuß aufrecht stehend mit bis zur Schulterhöhe gehobenem gestreckten Arm abgegeben. Der Kläger erlitt einen Durchschuß des Brustkorbes ohne Lungenverletzung. Er befand sich vom 27. September bis 6. Oktober 1975 in stationärer Krankenhausbehandlung. Als Pächter bewirtschaftete er die Landwirtschaft seiner Mutter. Durch die Verletzungsfolgen war er bei den Erntearbeiten im Herbst 1975 behindert. Er mußte deshalb Hilfskräfte aufnehmen und entlohnen. Außerdem war der Kläger als Hilfsarbeiter in einem Sägewerk tätig. Diesem Erwerb konnte er während seines Krankenstandes nicht nachgehen, so daß ihm ein die Krankengeldzahlungen des Sozialversicherers übersteigender Verdienstentgang entstanden ist. Anläßlich der letzten ambulanten ärztlichen Kontrolle am 6. November 1975 war der Kläger zwar beschwerdefrei, doch wurde ärztlicherseits das Wiederauftreten irgendwelcher Beschwerden nicht ausgeschlossen und für diesen Fall die Wiederaufnahme der ambulanten Behandlung empfohlen. Gegen den Kläger ist, ebenso wie gegen mehrere andere in derselben Gegend wohnhafte Personen, ein Strafverfahren wegen Wilddiebstahls anhängig; der Kläger befand sich vorübergehend auch in Untersuchungshaft.

Das Berufungsgericht verwarf die Berufung des Besagten soweit sie Nichtigkeit geltend machte; im übrigen gab es den Berufungen beider Streitteile Folge, hob das angefochtene Urteil unter Beisetzung eines Rechtskraftvorbehaltes auf und verwies die Rechtssache zur Verfahrensergänzung und neuen Entscheidung an das Erstgericht zurück.

Das Berufungsgericht erblickte eine Mangelhaftigkeit des Verfahrens darin, daß das Erstgericht Feststellungen aus dem im Strafakt abgegebenen Gutachten des Sachverständigen W* S* über die bei den damaligen Sichtverhältnissen bestehenden Ziel‑ und Treffermöglichkeiten beim Schußwaffengebrauch getroffen habe. Im übrigen reichten die getroffenen Feststellungen für eine verläßliche Beurteilung der Rechtssache noch nicht aus. In § 2 Z 2 bis 4 des Waffengebrauchsgesetzes 1969, BGBl Nr 149, werde Organen der Bundesgendarmerie der Gebrauch der Dienstwaffe zur Überwindung eines auf die Vereitelung einer rechtmäßigen Amtshandlung gerichteten Widerstandes, zur Erzwingung einer rechtmäßigen Festnahme und zur Verhinderung des Entkommens einer rechtmäßig festgehaltenen Person erlaubt. Nach dem festgestellten Sachverhalt habe das Verhalten des Klägers beim kontrollierenden Gendarmeriebeamten den Eindruck erwecken können, daß der Kläger das Auto gestohlen habe oder an den Eingriffen in fremde Jagdrechte beteiligt gewesen sei. Für R* H* sei der Kläger einer strafbaren Handlung verdächtig gewesen, dieser sei auch bestrebt gewesen, sich der rechtmäßigen Festnahme durch Flucht zu entziehen. Da andere Mittel zur Verhinderung der Flucht nicht zur Verfügung standen, sei nur die Möglichkeit offen geblieben, von der Schußwaffe Gebrauch zu machen, um die Flucht zu verhindern. R* H* habe nach den unbedenklichen Feststellungen auf ein Hinterrad des Fluchtautos und nicht auf den Kläger gezielt. Er habe also versucht, durch Waffeneinwirkung gegen eine Sache zum angestrebten Erfolg zu gelangen. Die Verletzung des Klägers wäre dann als ein unerwarteter Schaden anzusehen, der als unvorhersehbar nicht der beklagten Partei angelastet werden könne. Es seien aber dem Strafakt Umstände zu entnehmen, die, wenn sie zuträfen, den Schußwaffengebrauch nicht mehr als gegen eine Sache, sondern vielmehr gegen einen Menschen gerichtet erscheinen ließen. Wenn nach den besonderen Umständen die Zielsicherheit weitgehend herabgesetzt sei und die Abgabe von Schüssen auf ein davonfahrendes Auto wegen dieser besonderen Beeinträchtigung in einer das übliche Maß übersteigenden Weise mit Lebensgefahr verbunden sei, sei der Gebrauch der Schußwaffe nicht mehr unter den weniger strengen Voraussetzungen des § 2 sondern nur nach denen des § 7 Waffengebrauchsgesetzes erlaubt. Es fehlten aber genaue Feststellungen, ob die Sichtverhältnisse und die anderen Begleitumstände zur fraglichen Zeit die Abgabe gezielter Schüsse überhaupt ermöglicht hätten. Wohl sei festgestellt, daß damals vollkommene Dunkelheit geherrscht habe, doch hätte unter Umständen die Fahrzeugbeleuchtung des Autos, falls sie nicht ausgeschaltet worden sei, eine gewisse Treffsicherheit gewährleisten können. Sei für den Gendarmeriebeamten erkennbar gewesen, daß ein einigermaßen präzises Zielen nicht möglich sei, dann müsse ein mit Lebensgefährdung verbundener Gebrauch der Schußwaffe gegen Menschen angenommen werden. Dieser sei aber gemäß § 7 Z 3 WGG nur zur Erzwingung der Festnahme oder Verhinderung des Entkommens einer Person erlaubt, die einer gerichtlich strafbaren Handlung, die nur vorsätzlich begangen werden kann und mit mehr als einjähriger Freiheitsstrafe bedroht ist, überwiesen oder dringend verdächtigt ist, die für sich allein oder in Verbindung mit ihrem Verhalten bei der Festnahme oder Entweichung sie als einen für die Sicherheit des Staates, der Person oder des Eigentums allgemein gefährlichen Menschen kennzeichne. Wenn der Kläger auch zufolge seines Verhaltens für einen Autodieb oder Wilderer gehalten werden konnte, so sei er deshalb noch nicht als ein für die Sicherheit des Eigentums allgemein gefährlicher Mensch anzusehen gewesen. Von ihm sei wohl eine Gefahr für fremde Jagdrechte im Bereich des Gendarmeriepostens W* aber nicht eine Gefahr allgemein gegen fremdes Eigentum ausgegangen. Der lebensgefährdende Waffengebrauch wäre dann unzulässig gewesen; allerdings begründe das Verhalten des Klägers ein gewichtiges Mitverschulden. Im fortgesetzten Verfahren werde daher in erster Linie der Sachverhalt bezüglich der zur Tatzeit herrschenden, für die Abgabe gezielter Schüsse wesentlichen Verhältnisse zu erörtern und die hiefür angebotenen Beweise ohne gegen den Grundsatz der Unmittelbarkeit des Verfahrens zu verstoßen, aufzunehmen sein.

Gegen diesen Beschluß wendet sich der Rekurs des Klägers, dem Berechtigung nicht zukommt.

Vorauszuschicken ist, daß der Oberste Gerichtshof, der nicht Tatsacheninstanz ist, einem Auftrag des Berufungsgerichtes zur Verbreiterung der Sachverhaltsgrundlage nicht entgegentreten kann, sofern das Berufungsgericht nur bei seinem Erhebungsauftrag von einer zutreffenden rechtlichen Beurteilung der Sache ausging (RZ 1967, 74; SZ 40/109; SZ 41/68; 5 Ob 590/77; 3 Ob 67/77 u.v.a.). Das Berufungsgericht hat nun zutreffend erkannt, daß das Waffengebrauchsgesetz 1969 BGBl Nr 149 in der geltenden Fassung den Waffengebrauch im allgemeinen u.a. zur Überwindung eines auf die Vereitelung einer rechtmäßigen Amtshandlung gerichteten Widerstandes (§ 2 Z 2) und zur Erzwingung einer rechtmäßigen Festnahme (§ 2 Z 3) gestattet, den lebensgefährdenden Waffengebrauch aber nur unter den im § 7 Z 3 genannten engeren Voraussetzungen zuläßt. Wenn der Rekurswerber vermeint, es wäre auch der Waffengebrauch gegen Sachen (Abgabe von Schüssen gegen das Fahrzeug, um dieses funktionsuntüchtig zu machen) unzulässig gewesen, so kann ihm darin nicht gefolgt werden, weil nach dem festgestellten Sachverhalt der Kläger eine Amtshandlung, nämlich die Kontrolle seines Fahrzeuges vereiteln wollte. Von einem grundsätzlichen Verbot des Waffengebrauches kann daher nicht gesprochen werden. Da ein lebensgefährdender Waffengebrauch aber nur unter engen Voraussetzungen zulässig ist, kommt dem Umstand, ob die damals gegebene Situation die Abgabe gezielter Schüsse ermöglichte, Bedeutung zu. War dies nämlich nicht der Fall, weil die Treffsicherheit bei den obwaltenden Verhältnissen weitgehend herabgesetzt war, müßte von einem lebensgefährdenden Waffengebrauch ausgegangen werden. Die näheren Umstände sollen aber erst im fortgesetzten Verfahren unter Beachtung des Unmittelbarkeitsgrundsatzes geklärt werden. Ob der Waffengebrauch im vorliegenden Fall zulässig war und ob bzw. in welchem Ausmaß dem Kläger ein allfälliges Mitverschulden anzulasten ist, kann erst beurteilt werden, bis hinreichende Sachverhaltsfeststellungen vorliegen. Zu diesen Fragen ist daher im derzeitigen Verfahrensstadium noch nicht Stellung zu nehmen.

Der angefochtene Beschluß entspricht dem Gesetz, so daß dem Rekurs der Erfolg zu versagen war.

 

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