European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:1977:0020OB00149.77.1013.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Spruch:
Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.
Die Rekurskosten sind weitere Verfahrenskosten.
Begründung:
Am 4. November 1969 gegen 18.00 Uhr lenkte J* auf der *autobahn, Richtungsfahrbahn *, einen LKW-Zug (Zugfahrzeug Marke Volvo F 88, KZ *, Anhänger KZ *), der mit 25 Tonnen Hagalith-Fertigputz (vermutlich Sorte A) beladen war. Halter dieses LKW-Zuges war Jo*, *, Haftpflichtversicherer ist die klagende Partei.
In die gleiche Richtung fuhren Jos* als Lenker eines VW-21 Kombi mit dem Kennzeichen * (Halter dieses VW 21 war die Firma W* AG, Haftpflichtversicherer ist die beklagte Partei) und M* als Lenkerin eines PKW Opel Kadett mit dem Kennzeichen *. Halter dieses Fahrzeuges war die Firma E. M*, Haftpflichtversicherer ist die A*AG.
Bei Kilometer 161.100 (Gemeindegebiet *) fielen von dem in der ersten Fahrspur fahrenden LKW-Zug 3 Säcke á 40 kg Hagalith-Fertigputz vom Anhänger auf die Fahrbahn. Infolge des Bremsens eines vor ihm fahrenden Fahrzeuges und der Sichtbehinderung durch den aufgewirbelten Staub des Fertigputzes unternahm auch Jos* eine Bremsung. Während des Bremsvorganges geriet der VW-Kombi schleudernd nach links, sodaß es zu einer leichten Berührung zwischen dem VW-Kombi und der Mittelleitschiene der Autobahn kam. Anschließend fuhr die in der zweiten Fahrspur fahrende M* frontal gegen den quergestellten Kombi. Durch diesen Unfall wurden H* (Mitfahrer im Opel Kadett) schwer, M*, Jos* und Al* (Mitfahrer im VW-Kombi) leicht verletzt.
Mit Urteil des Bezirksgerichtes Linz-Land vom 1. 7. 1970, 3 U 1618/69‑17, wurde J* wegen Übertretung nach § 335 StG rechtskräftig verurteilt: Er hat die Ladung auf den Ladungsflächen nicht ordnungsgemäß befestigt, sodaß drei Säcke Hagalith auf die Fahrbahn fallen konnten. M* wurde von der wider sie erhobenen Anklage gemäß § 259 Z. 3 StPO rechtskräftig freigesprochen. Ein Strafverfahren gegen Jos* war nicht eingeleitet worden.
Zu 26 Cg 212/70 (26 Cg 140/71) des Landesgerichtes für ZRS Wien hatte H* gegen die D*-AG als Haftpflichtversicherer der Firma W* AG die Feststellung begehrt, diese sei schuldig, ihm allen Schaden, den er aus dem Verkehrsunfall vom 4. 11. 1969 erleide, soweit dieser nicht durch eine Sozialversicherung gedeckt sei, bis zur Höhe der im Versicherungsvertrag vereinbarten Deckungssumme zu ersetzen.
Mit Urteil des Landesgerichtes für ZRS Wien vom 27. 12. 1972, 26 Cg 140/71‑51, wurde diesem Feststellungsbegehren stattgegeben. In seiner rechtlichen Beurteilung vertrat das Gericht die Ansicht, daß Jos* entweder einen zu geringen Tiefenabstand eingehalten oder dem Verkehrsgeschehen nicht die erforderliche Aufmerksamkeit geschenkt habe. Jedes dieser Verhalten begründe ein Verschulden. Der dagegen von der D*-AG erhobenen Berufung wurde mit Urteil des Oberlandesgerichtes Wien vom 28. 3. 1973, 10 R 34/73, nicht Folge gegeben. Das Berufungsgericht vertrat die Ansicht, daß der Haftpflichtversicherer schon auf Grund der Bestimmungen der §§ 9 EKHG, 63 KFG wegen der außergewöhnlichen Betriebsgefahr, die durch das Verhalten eines nicht beim Betrieb tätigen Dritten ausgelöst wurde, unabhängig von der – nicht weiter überprüften – Verschuldensfrage hafte.
Mit der vorliegenden Klage begehrt die Klägerin als Haftpflichtversicherer des LKW-Zuges als Ausgleich ein Drittel der von ihr an H* und die D* erbrachten und zugestandenen Leistungen, das sind S 82.693,-- (S. 69 d.A.), von der beklagten Partei als Haftpflichtversicherer des VW‑Kombi; Jos* treffe ein Mitverschulden.
Die beklagte Partei beantragte kostenpflichtige Klagsabweisung. Sie bestritt ein Mitverschulden des Jos* am Zustandekommen des Unfalles. Durch den auf die Fahrbahn verstreuten Hagalith-Fertigputz sei nicht nur die Sicht des Jos*, sondern auch die Haftfähigkeit des VW-Kombi mehr als beeinträchtigt worden. Es liege auf Seite des Jos* ein unabwendbares Ereignis vor. Selbst wenn aber ein Mitverschulden des Jos* bejaht werde, würde dieses gegenüber dem grob vorschriftswidrigen Verhalten des J* nicht ins Gewicht fallen und daher nicht zur Ausgleichung nach § 11 EKHG verpflichten.
Außerdem machte die beklagte Partei aufrechnungsweise S 17.543,-- , das sind die Reparaturkosten des VW-Kombi der Firma W* AG geltend; dieser Betrag sei von ihr bezahlt worden, der Schadenersatzanspruch daher auf sie übergegangen. Der Betrag von S 17.543,-- wurde zwar der Höhe nach außer Streit gestellt, gleichzeitig wendete aber die klagende Partei ein, daß sie über den geltend gemachten Betrag als Haftpflichtversicherer des Jo* auf Grund des Unfalles vom 4. 11. 1969 weitere Zahlungen in der (zugestandenen) Höhe von S 37.248,-- geleistet habe.
Das Erstgericht sprach aus, daß die Klagsforderung mit S 82.693,-- zu Recht, die aufrechnungsweise eingewendete Gegenforderung von S 17.543,-- aber nicht zu Recht bestehe und verurteilte daher die beklagte Partei zur Bezahlung eines Betrages von S 82.693,-- s.A. Es traf folgende wesentliche Feststellungen:
Mindestens ein PKW ist über die vom LKW-Zug herabgefallenen drei Säcke hinweggefahren und hat dadurch den feinen Gipsputz verstäubt. Dadurch hat sich eine nebelartige Staubwolke gebildet. Jos* hielt eine Geschwindigkeit von 80 km/h ein und fuhr auf der ersten Fahrspur Richtung *. Plötzlich sah er das Aufleuchten der Bremslichter eines vor ihm fahrenden PKW. Gleichzeitig bildete sich eine Staubwolke. Jos* bremste den VW-Kombi ab – der Reaktionspunkt lag 67 m vor der späteren Kollisionsstelle – und lenkte ihn nach links, um einen Auffahrunfall zu vermeiden. Er hatte sich nämlich inzwischen bereits auf 2 m an das vor ihm befindliche Fahrzeug genähert. Durch dieses Bremsmanöver geriet der VW-Kombi nach links ins Schleudern. Nach Abzeichnen einer längsten Schleuderspur von 18 m fuhr er gegen die Leitschiene. Zu Beginn der Schleuderspur betrug seine Geschwindigkeit 50 km/h, die Anprallgeschwindigkeit an die Leitschiene lag im Bereich von 15 km/h. Auf Grund dieses Anpralles wurde der VW-Kombi entgegen dem Uhrzeigersinn gedreht und kam nahezu senkrecht über die zweite Fahrspur zum Stillstand. Um seine Fahrt fortsetzen zu können, hätte Jos* mit dem Fahrzeug rückwärts fahren müssen, um sich von der Leitschiene zu lösen. Gerade als er dieses Fahrmanöver durchführen wollte, näherte sich auf der zweiten Fahrspur M* als Lenker des Opel Kadett. Sie hielt eine Geschwindigkeit von etwa 100 km/h ein. Ihr Gefahrenerkennungspunkt lag 67 m vor der späteren Kollisionsstelle. Nach Abzeichnen einer 39 m langen, völlig geraden Bremsspur kollidierte sie frontal mit der linken Breitseite des VW-Kombi. Ihre Anstoßgeschwindigkeit betrug etwa 58 km/h.
Der auf der Fahrbahn verstreute Hagalith-Putz hat auf der Überholspur keinen wesentlichen Einfluß auf das Fahrverhalten der darüber rollenden Fahrzeuge gehabt.
Rechtlich beurteilte das Erstgericht diesen Sachverhalt dahin, daß Jos* entweder mit einem zu geringen Tiefenabstand gefahren sei oder dem Verkehrsgeschehen nicht die erforderliche Aufmerksamkeit geschenkt habe: jedenfalls habe er sein Fahrzeug verreißen müssen, um einen Auffahrunfall mit dem vor ihm fahrenden PKW zu vermeiden. Es bestehe eine Ausgleichspflicht von einem Drittel. Die Klagsforderung sei daher zur Gänze berechtigt. Zwei Drittel der aufrechnungsweise eingewendeten Gegenforderungen ergeben S 11.695,33. Da die klagende Partei aber über die geltend gemachten Beträge hinaus noch weitere S 49.886,-- (richtig S 37.248,--) geleistet habe, ihr daher weitere S 16.628,66 (richtig S 12.416,--) als Ausgleichsanspruch zustehen, sei auch die Gegenforderung „abgegolten“.
Das Berufungsgericht gab der Berufung der beklagten Partei gegen das erstgerichtliche Urteil Folge, hob das angefochtene Urteil unter Rechtskraftvorbehalt auf und trug dem Prozeßgericht die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung auf. Das Berufungsgericht führte im wesentlichen aus:
Mit der vorliegenden Klage mache die Klägerin den auf sie nach § 67 VVG übergegangenen Ausgleichsanspruch gegen die Haftpflichtversicherung eines Unfallsbeteiligten geltend. Beim Ausgleichsanspruch handle es sich um einen selbständigen Anspruch, der neben dem Schadenersatzanspruch des Verletzten bestehe. Voraussetzung eines Ausgleichsanspruches wäre im vorliegenden Fall die auf Grund des Urteils des Oberlandesgerichtes Wien vom 28. 3. 1973, 10 R 34/73, bestehende Ersatzpflicht der beklagten Partei. Da es sich um einen selbständigen Anspruch handle, könne die Haftung eines Ausgleichspflichtigen im Ausgleichsprozeß aber anders beurteilt werden als im vorausgegangenen Haftpflichtprozeß. § 11 EKHG stelle als Regel eine Rangordnung der für die Beurteilung über Ausgleichsansprüche maßgeblichen Umstände auf: In erster Linie komme es auf das Verschulden an, dann folge im nächsten Rang die außergewöhnliche Betriebsgefahr und schließlich die überwiegende gewöhnliche Betriebsgefahr. Der Ausgleichspflichtige müsse daher keineswegs einen Entlastungsbeweis nach § 9 Abs. 2 EKHG erbringen. Gelänge ihm aber dieser Entlastungsbeweis, so bestehe keine Ausgleichspflicht.
Das Verschulden des Lenkers des LKW-Zuges J* ergebe sich gemäß § 268 ZPO bindend auf Grund des rechtskräftigen Urteils des Bezirksgerichtes Linz-Land vom 1. 7. 1970, 3 U 1618/69‑17: J* habe es unterlassen, die Ladung des von ihm gelenkten LKW-Zuges ordnungsgemäß zu befestigen; dadurch konnten drei Säcke Hagalith auf die Fahrbahn fallen (§ 102 Abs. 1 KFG). Aus den vom Erstgericht getroffenen Feststellungen lasse sich aber ein Mitverschulden des Jos* für dessen Vorliegen die klagende Partei beweispflichtig wäre, nicht ableiten. Zunächst habe das Erstgericht festgestellt, daß Jos* gleichzeitig das Aufleuchten der Bremslichter des vor ihm fahrenden Kraftfahrzeuges und die Bildung einer Staubwolke wahrnahm: Eine Sichtbehinderung, die ein Herabsetzen seiner Geschwindigkeit notwendig gemacht hätte, habe daher vor Aufleuchten der Bremslichter des vor ihm fahrenden Fahrzeuges nicht bestanden. Das Erstgericht habe weiter festgestellt, daß Jos* den VW-Kombi gebremst habe. Eine Feststellung, daß der Bremseinsatz verspätet (mehr als eine Sekunde nach Aufleuchten der Bremslichter des vor ihm fahrenden Kraftfahrzeuges) erfolgt wäre, habe das Erstgericht nicht getroffen. Der Vorwurf einer verspäteten Reaktion („Jos* hat dem Verkehrsgeschehen nicht die erforderliche Aufmerksamkeit geschenkt“) könne ihm daher nicht gemacht werden.
Als alternatives Verschuldensmoment führe das Erstgericht an, daß Jos* andernfalls einen zu geringen Tiefenabstand eingehalten hätte. Das Erstgericht stelle aber nicht fest, wie groß der Tiefenabstand, der bei einer Geschwindigkeit von 80 km/h größer als der Sekundenweg von 22 m hätte sein müssen, tatsächlich war. Ohne eine solche konkrete Feststellung sei aber ein Schuldvorwurf, Jos* habe die Vorschrift des § 18 Abs. 1 StVO verletzt, nicht möglich. Nun habe zwar Jos* bei seiner ersten, nicht niederschriftlich erfolgten Einvernahme vor der Gendarmerie (S. 16 des Strafaktes) angegeben, daß er deshalb nach links verriß, weil der vor ihm fahrende PKW plötzlich stand und er damit einen Auffahrunfall vermeiden wollte. Ob diese subjektive Meinung Jos* zutreffend war oder ob es sich bloß um eine unrichtige Schreckreaktion, die letztlich durch das grobvorschriftswidrige Verhalten des J* hervorgerufen war, gehandelt habe, welche Reaktion aber ein Verschulden nicht begründen könnte, werde im angefochtenen Urteil nicht festgestellt: Hiezu hätte es vor allem der Feststellung bedurft, ob und wo das vor Jos* im Abbremsen begriffene Fahrzeug zum Stillstand kam. Habe es sich dabei um das Fahrzeug des Jose* gehandelt, was aber nicht feststehe, so hätte eine Feststellung, das vor Jos* fahrende Fahrzeug wäre zum Stillstand gekommen, gar nicht getroffen werden können, weil Jose* niemals angegeben habe, er hätte angehalten.
Was nun die Feststellung betreffe, Jos* sei auf etwa 2 m an dieses vor ihm fahrende oder zum Stillstand gekommene Fahrzeug herangekommen, so werde nicht angegeben, in welchem Zeitpunkt der Annäherung des von Jos* gelenkten Fahrzeuges an das vor ihm fahrende Fahrzeug dieser Tiefenabstand zutraf. Jos* gebe nur ein einziges Mal diese Entfernung von 2 m an (S. 60 in 26 Cg 140/71 des Landesgerichtes für ZRS Wien). Gerade in diesem Zusammenhang führe es aber aus, daß es ihm noch gelungen sei, einen halben Meter hinter dem vor ihm angehaltenen Fahrzeug zum Stillstand zu kommen. Im gegenständlichen Verfahren habe Jos* als Zeuge angegeben, daß er anläßlich seiner Einvernahme zu 26 Cg 140/71 des Landesgerichtes für ZRS Wien zwei verschiedene Unfälle verwechselt habe (S. 43 d.A.), daher dürfte die von ihm angegebene Entfernung von 2 m nicht stimmen (S. 45). Wäre die Annäherung Jos* an das vor ihm fahrende Fahrzeug der Anlaß gewesen, nach links zu lenken, so bleibe das Erstgericht eine technische Erklärung dafür schuldig, wieso Jos* nicht während des Reaktionsweges für diese Auslenkbewegung oder zu Beginn der Abzeichnung von Schleuderspuren (siehe den Spurenverlauf in der Unfallsskizze S. 49 des Strafaktes) auf das vor ihm fahrende Fahrzeug aufgefahren sei. Aus den getroffenen Feststellungen ergebe sich daher auch nicht, daß Jos* einen zu geringen Tiefenabstand eingehalten hat. Der klagenden Partei sei daher weder der Beweis der Verletzung des § 20 Abs. 1 StVO noch der des § 18 Abs. 1 StVO durch Jos* gelungen. Ein Mitverschulden Jos* am Zustandekommen des Unfalles könne daher nicht angenommen werden.
Während nun die gewöhnliche Betriebsgefahr eines Fahrzeuges durch das Verschulden eines weiteren Unfallsbeteiligten gänzlich zurückgedrängt werde, eine Ausgleichspflicht daher in einem solchen Fall nicht bestehe, so hänge es bei der Gegenüberstellung von Verschulden und außerordentlicher Betriebsgefahr von den Umständen des Einzelfalles ab, ob ein Anlaß bestehe, einen Mitverursacher zum Ausgleich heranzuziehen. Alleinverschulden eines Teiles schließe daher die Ausgleichspflicht noch nicht schlechthin aus. Die Berufungswerberin rüge hier zu Recht, daß die vom Erstgericht getroffene Feststellung, der auf der Fahrbahn liegende „Grundputz“ habe auf der Überholspur keinen wesentlichen Einfluß auf das Fahrverhalten des von Jos* gelenkten VW-Kombi gehabt, auf Grund eines mangelhaften Verfahrens getroffen wurde. Zunächst habe das Erstgericht keine Feststellungen darüber getroffen, in welchem Ausmaß beide Fahrspuren der Richtungsfahrbahn * durch den herabgefallenen Hagalith-Fertigputz bedeckt waren. Anläßlich der um 18.10 Uhr begonnenen Sachverhaltsfeststellung habe die Gendarmerie festgestellt, daß beide Fahrstreifen mit Gipsputz bedeckt waren. Die Sachverständigen Ing. F* und Ing. Wa* gehen in ihrem Gutachten davon aus, daß eine Verminderung der Bremsverzögerung durch den Gipsverputz eintritt. Ing. Wa* spreche S. 47 d.A. von einer noch gegebenen gewissen Mindestverzögerung, ohne anzugeben, wie groß diese sei; Ing. F* S. 179 d.A. 26 Cg 140/71 des Landesgerichtes für ZRS Wien nehme als Untergrenze einen Verzögerungswert von 1,5 m/sec2 an. Die Feststellung des Erstgerichtes, daß der herabgefallene Hagalith-Fertigputz keinen wesentlichen Einfluß auf das Fahrverhalten des von Jos* gelenkten VW-Kombi gehabt habe, stütze sich auf die von Ing. F* herangezogenen Analogien: Einerseits habe der von M* gelenkte Opel Kadett eine völlig gerade Blockierspur abgezeichnet, woraus der Schluß zu ziehen sei, daß für beide Räder gleiche Spurenverhältnisse herrschten, andererseits hätte bei verminderter Haftfähigkeit der Fahrbahnoberfläche eine um vieles raschere Drehung des VW-Kombi erfolgen müssen. Der Zeuge Jose* habe in diesem Verfahren (S. 20 d.A.) angegeben, daß der Sack, von dem die sichtbehindernde Wolke ausging, annähernd in der Mitte der Richtungsfahrbahn, aber doch noch auf der rechten Fahrspur lag. Nun beginne zwar die rechte Blockier-(Schleuder-)Spur vom VW-Kombi auf dem zweiten Fahrstreifen, aber näher zur rechten Leitlinie als zur Mitte des Fahrstreifens. Der Beginn der linken Blockier-(Schleuder-)Spur decke sich aber mit der rechten Blockierspur des Opel Kadett. Es könne daher insbesondere im Hinblick auf die Aussage des Zeugen Jose* und die im Strafakt erliegenden Fotografien nicht ausgeschlossen werden, daß die Haftfähigkeit und damit die Bremsverzögerung durch Verschmutzung der Fahrbahn in Bereich der rechten Spur des VW-Kombi geringer war als im Bereich der linken: Ein Umstand, der sehr wohl dafür sprechen könnte, daß der VW-Kombi ins Schleudern geriet. Die Feststellung, ob die Schleuderbewegung des VW-Kombi durch den verstäubten Hagalith-Fertigputz derart bedingt war, daß ohne diese Verschmutzung der Fahrbahn das Anprallen an die Leitschiene nicht erfolgt wäre, sei aber für die rechtliche Beurteilung des Bestehens einer Ausgleichspflicht wesentlich.
Ein durch eine dritte Person, hier durch das Verhalten des vor Jos* fahrenden VW‑Lenkers, unmittelbar verursachtes Bremsen oder Verreißen des VW-Kombi und die dadurch bewirkte Blockierung eines bisher nicht benützten Fahrstreifens stellten eine außergewöhnliche Betriebsgefahr dar (ZVR 1977 Nr. 45). Diese unterscheide sich von der allgemeinen Betriebsgefahr nicht graduell, sondern funktionell dadurch, daß besondere Gefahrenmomente hinzutreten. Würde der vom LKW-Zug herabgefallene Hagalith-Verputz keine unmittelbare Ursache der Schleuderbewegung des VW-Kombi gewesen sein, würde die Abwägung aller Umstände dafür sprechen, eine Ausgleichspflicht des Halters des VW-Kombi infolge außergewöhnlicher Betriebsgefahr anzunehmen. Diese Ausgleichspflicht wäre, ähnlich wie im Fall ZVR 1968 Nr. 131, in dem sich grobe Fahrlässigkeit und überwiegende Betriebsgefahr gegenüberstanden, mit 4 : 1 zugunsten des Halters des VW-Kombi anzunehmen sein. Würde aber das Schleudern des VW-Kombi direkte und unmittelbare Folge der Verschmutzung der Fahrbahn gewesen sein, wie dies von der beklagten Partei behauptet werde, so läge ein unabwendbares Ereignis nach § 9 Abs. 2 EKHG vor. Eine Ausgleichspflicht der beklagten Partei wäre in diesem Falle zu verneinen. Durch den plötzlichen und völlig unvermuteten Wechsel der Beschaffenheit der Fahrbahnoberfläche hätte der Unfall auch bei aller erdenklichen Sachkunde und Vorsicht nicht abgewehrt werden können (Koziol, Haftpflichtrecht II 457).
Das Erstgericht habe die Frage der Beeinträchtigung des Fahrverhaltens des von Jos* gelenkten VW-Kombis infolge Verschmutzung der Fahrbahn nicht erschöpfend erörtert und gründlich beurteilt (§ 496 Abs. 1 Z. 2 ZPO). Im fortgesetzten Verfahren seien daher nicht nur konkrete Feststellungen über den Umfang der Verschmutzung der Fahrbahn im Bereich der Fahrlinie des VW-Kombi zu treffen, sondern es seien auch die Sachverständigen-Gutachten unter Berücksichtigung des vorgelegten Privatgutachtens Beilage 5 im Hinblick auf den Umfang der festzustellenden Staubablagerung in der aufgezeigten Richtung zu ergänzen.
Rechtliche Beurteilung
Gegen den Aufhebungsbeschluß des Berufungsgerichtes erhebt die Klägerin fristgerecht Rekurs mit dem Antrag, den angefochtenen Beschluß aufzuheben und dem Berufungsgericht eine neuerliche Entscheidung aufzutragen.
Die Klägerin bekämpft zunächst die Rechtsansicht des Berufungsgerichtes, Jos* treffe kein Verschulden am Unfall. Richtig habe dagegen das Erstgericht angenommen, daß Jos* entweder einen ungenügenden Tiefenabstand eingehalten oder zu spät reagiert habe. Welcher von beiden Vorwürfen zutreffe, könne dahingestellt bleiben.
Soweit die Rekurswerberin in diesem Zusammenhang die vom Berufungsgericht übernommenen Tatsachenfeststellungen anzweifelt, ist – mit der nachstehenden Ausnahme – auf ihr Vorbringen nicht einzugehen, weil die Bekämpfung der Feststellungsgrundlagen nicht nur im Revisionsverfahren, sondern auch im Verfahren über den Rekurs gegen einen Aufhebungsbeschluß des Berufungsgerichtes unzulässig ist (SZ 23/306 u.v.a.; Fasching IV 383 und 449). Bedeutung käme lediglich dem Vorwurf der Rekurswerberin zu, daß das Berufungsgericht – in Ansehung des Abstandes des von Jos* gelenkten Fahrzeuges zu dem vor diesem fahrenden Fahrzeug – ohne Beweiswiederholung zu anderen Feststellungen gelangt sei und dadurch gegen den Unmittelbarkeitsgrundsatz verstoßen habe.
Diese Rüge geht indes fehl. Da schon der Erstrichter zufolge Richterwechsels die Beweise mittelbar aufnahm, durfte dies auch das Berufungsgericht tun (Fasching IV 187). Zwar hat das Berufungsgericht diesbezüglich weder einen Beweisbeschluß gefaßt noch läßt sich dem Protokoll über die Berufungsverhandlung entnehmen, daß die Beweisaufnahmen verlesen worden wären, doch wurden diese Unterlassungen von der Klägerin nicht gerügt. Sie können daher durch den Obersten Gerichtshof nicht wahrgenommen werden (vgl. SZ 46/34, Fasching IV 205, 304). Nach dem festgestellten Sachverhalt hat das Berufungsgericht daher zutreffend ein Verschulden Jos* am Unfall verneint.
Ebenso unbegründet ist der Vorwurf eines Verstoßes gegen den Grundsatz der Parteienmaxime, der offenbar darin liegen soll, daß das Berufungsgericht das Vorbringen der beklagten Partei nicht beachtet habe, Jos* habe sein Fahrzeug auf die linke Seite gelenkt und es habe sich daher bei dem Linkszug nicht um einen Schleudervorgang gehandelt. Hiezu genügt der Hinweis, daß ohnedies festgestellt wurde, daß Jos* den VW-Kombi abbremste und nach links lenkte, um einen Auffahrunfall zu vermeiden.
Die Klägerin wendet sich schließlich dagegen, daß das Berufungsgericht zum Zweck der Beurteilung des Bestehens einer Ausgleichspflicht dem Erstgericht Aufträge erteilt und für den Fall, daß festgestellt würde, der vom LKW‑Zug herabgefallene Hagalith-Verputz sei keine unmittelbare Ursache der Schleuderbewegung des VW-Kombi gewesen, eine Ausgleichspflicht von 4 : 1 zugunsten der beklagten Partei „vorgeschrieben“ habe. Eine derart „bindende Vorschreibung der Verschuldensteilung“ sei unzulässig, weil erst nach der Ergänzung des Beweisverfahrens in erster Instanz und nach neuerlichen Tatsachenfeststellungen eine Grundlage für die rechtliche Beurteilung vorhanden sei.
Mit den bezüglichen Ausführungen zeigt die Rekurswerberin aber nicht eine unrichtige Rechtsansicht der zweiten Instanz auf. Das Berufungsgericht hat auch keineswegs „bindend vorgeschrieben“, wie der Schaden zu teilen sei, sondern hat seine Rechtsansicht für den Fall einer Ergänzung des Sachverhalts in einer bestimmten Richtung dargetan. Dies ist im allgemeinen nicht unzulässig und im besonderen Falle nicht rechtsirrig. Der dem Erstgericht zur Beurteilung des Vorliegens einer etwaigen außergewöhnlichen Betriebsgefahr auf Seiten des von Jos* gelenkten VW-Kombis erteilte Auftrag, konkrete Feststellungen über den Umfang der Verschmutzung der Fahrbahn im Bereich der Fahrlinie des VW-Kombi zu treffen, betrifft die Tatfrage und beruht jedenfalls nicht auf einer irrigen Rechtsansicht. Der Oberste Gerichtshof kann daher dem Aufhebungsbeschluß des Berufungsgerichtes nicht entgegentreten (vgl. SZ 38/29 u.v.a.; Fasching IV 414).
Dem unbegründeten Rekurs muß deshalb ein Erfolg versagt bleiben.
Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 ZPO.
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