European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:1977:0030OB00623.76.0607.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Spruch:
1.) Der Revisionsrekurs wird, soweit er sich gegen die Verweigerung einer Entschädigung für das Haus *, richtet, zurückgewiesen.
2.) Im übrigen wird dem Revisionsrekurs Folge gegeben. Die Beschlüsse der Gerichte erster und zweiter Instanz werden im Ausspruch über die Abweisung des Begehrens auf Zuspruch einer Entschädigung für die Grundstücke */1 und */6 KG * aufgehoben und es wird dem Erstgericht in diesem Umfange die neuerliche, nach Verfahrensergänzung zu fällende Entscheidung aufgetragen.
Begründung:
Mit Bescheid des Landeshauptmannes für OÖ vom 5. 12. 1972, ZI. BauR 574/15-1972, wurden die in der Katastralgemeinde * gelegenen Grundstücke der Antragstellerin bzw. Teilflächen der Grundstücke */2 Wiese, *0 Garten und *7 Baufläche der EZ *, */1 Straße der EZ *2, */6 Privatweg, */2 Wiese, *9 Wiese, */4 Wiese der EZ *4, */9 Garten der EZ *9, */2 Wiese der EZ *0 und */3 Acker der EZ *1 zum Zwecke der Umlegung der Eisenbundesstraße im Baulos * zugunsten der Republik Österreich enteignet. Als Entschädigung für das auf dem Grundstück *7 der EZ * KG * stehende Wohngebäude *, setzte die Verwaltungsbehörde den Betrag von S 626.375,‑‑ fest. Eine Entschädigung für die Grundstücke */1 und */6 KG * lehnte die Verwaltungsbehörde mit der Begründung ab, daß es sich um durch Asphaltbelag befestigte öffentliche Verkehrsflächen der Gemeinde handle.
Die Antragstellerin begehrte rechtzeitig die Festsetzung der Enteignungsentschädigung durch das Gericht und zwar begehrte die Antragstellerin für das Gebäude *, den von der Verwaltungsbehörde ermittelten Betrag und für die Grundstücke */1 und */6 KG * je S 500,‑‑ pro Quadratmeter.
Mit Beschluß vom 17. 12. 1975 sprach das Erstgericht der Antragstellerin einen Teil der begehrten Gesamtentschädigung zu; das Mehrbegehren, insbesondere das Begehren auf Zuspruch einer Entschädigung von S 500,‑‑pro m2 für die Grundstücke */1 Straße der EZ *2 KG * und */6 Privatweg EZ *4 KG * sowie von S 626.375,‑‑ für das Wohnobjekt *, wies es ab, wobei es von. folgenden Feststellungen ausging: Das auf der Grundparzelle *7 Baufläche KG * errichtete Haus *, befindet sich in einem desolaten Zustand. Die Außenmauern sind bis zum Obergeschoß (erster Stock) durchfeuchtet, der Verputz ist daher im Abblättern begriffen. Der Zustand der Bedachung und jener des Inneren des Hauses mit Ausnahme des Erdgeschoßes sind mittelmäßig. Licht-, Kraftstrom-, Wasserleitungs- und Kanalanschlüsse sind vorhanden. Das Haus wird nur im Obergeschoß, und zwar von Parteien, die Mieterschutz genießen, bewohnt. Im Erdgeschoß gibt es nur desolate Abstellräume. Über die Parzellen */1 und */6 KG * führt die ungefähr zu Beginn des zweiten Weltkrieges errichtete und dem öffentlichen Verkehr dienende * Straße, in die von der Stadtgemeinde * bereits öffentliche Einrichtungen (Wasserleitung und Kanalisation) eingebaut wurden. Die Straße wird von der Stadtgemeinde * erhalten.
Rechtlich war das Erstgericht der Ansicht, daß der Antragstellerin für diese beiden Grundstücke und das Haus * keine Entschädigung zuzusprechen sei, weil sie durch die Enteignung keinen vermögensrechtlichen Nachteil erleide. Die seit Jahrzehnten dem öffentlichen Verkehr dienende *straße werde von der Stadtgemeinde * erhalten, das Haus * befinde sich im Zustand der wirtschaftlichen Abbruchreife. Dieses Haus habe weder einen Ertrags- noch einen Verkehrswert.
Das Rekursgericht bestätigte die nur von der Antragstellerin mit Rekurs bekämpfte Entscheidung der ersten Instanz. Es billigte die Ansicht des Erstgerichtes, daß die Antragstellerin durch die Enteignung der Grundstücke */1 und */6 der KG * keinen Vermögensnachteil erleide und daher keine Entschädigung zu beanspruchen habe. Die Antragstellerin könne die * Straße, wenn man von den im Straßengrund verlegten werkseigenen Leitungen, die auch nach der Enteignung unter der neuen Straße verblieben, absehe, im selben Umfang wie jeder andere Teilnehmer am öffentlichen Verkehr benützen. In der der Antragstellerin möglichen Verwertbarkeit dieser Grundparzellen trete daher durch die Enteignung keine Änderung ein. Der Rechtssatz der SZ 34/119, daß der Enteignete durch die Entschädigung in die Lage versetzt werden solle, ein gleichwertiges Objekt in derselben Form an anderer Stelle zu errichten, sei auf das Wohnobjekt *, nicht anwendbar, da es technisch unmöglich sei und wirtschaftlich unsinnig wäre, ein wirtschaftlich abbruchreifes Objekt zu errichten. Ein Bauwerk könne nicht mehr als aktiver Vermögensbestandteil gewertet werden, wenn wegen seines schlechten Bauzustandes jede Investition, wie diesfalls, praktisch unwirtschaftlich wäre. Während dem Problem der abgewohnten Häuser in den Großstädten durch Abbruch dieser Gebäude begegnet werde, würden auf dem Land solche Objekte verlassen und dem Verfall preis gegeben. Die Antragstellerin erleide auch durch die Verringerung der verfügbaren nur mir überhöhtem Erhaltungsaufwand nutzbaren Wohnräume keinen Vermögensnachteil, weil die Wohnungen im enteigneten Objekt gewiß nicht für leitende Angestellte oder andere für das Unternehmen wichtige Dienstnehmer, sondern nur für einfache Arbeiter in Betracht kämen, für die sie auch sonst keine Wohnungen beistellen müsse, um sie für den Betrieb zu gewinnen. Aus der Enteignung dieses Objektes erwachse der Antragstellerin eher ein Vorteil, weil sie nicht weiter mit unproduktiver Verwaltungsarbeit für ein Gebäude, das steigenden Erhaltungsaufwand erfordere, belastet werde.
Gegen diese Entscheidung der zweiten Instanz richtet sich der Revisionsrekurs der Antragstellerin mit dem Antrag, ihr in Abänderung des angefochtenen Beschlusses für die Parzellen */1 und */6 KG * je S 500,‑‑ pro m2 und für das Haus * S 626.375,‑‑ zuzusprechen. Hilfsweise stellt die Antragstellerin auch einen Aufhebungsantrag.
Die Antragsgegnerin beantragt in ihrer Gegenäußerung, den Revisionsrekurs zurückzuweisen oder ihm nicht Folge zu geben.
Gemäß § 20 Abs. 5 Bundesstraßengesetz 1971 BGBl Nr 286/1971, finden auf das gerichtliche Verfahren zur Ermittlung der Entschädigung für eine enteignete Grundfläche die Bestimmungen des EisenbahnenteignungsG BGBl Nr 71/1954 Anwendung. In einem nach diesem Gesetz durchzuführenden Verfahren finden nach ständiger Rechtsprechung auch für das Rechtsmittelverfahren die Vorschriften des Gesetzes über das gerichtliche Verfahren in Rechtsangelegenheiten außer Streitsachen Anwendung. Gegen einen bestätigenden Beschluß des Rekursgerichtes ist daher ein weiteres Rechtsmittel an den Obersten Gerichtshof nur unter den Voraussetzungen des § 16 AußStrG zulässig (SZ 33/73, SZ 40/11, JBl 1972, 327 u.a.). Dies wird auch von der Antragstellerin erkannt, die das Vorliegen einer offenbaren Gesetzwidrigkeit behauptet. Eine solche 1iegt nach ständiger Rechtsprechung vor, wenn die zur Beurteilung gestellte Frage im Gesetz selbst so klar gelöst ist, daß kein Zweifel über die Absicht des Gesetzgebers aufkommen kann und trotzdem eine damit im Widerspruch stehende Entscheidung gefällt wird (SZ 40/11 u.v.a.); sie kann daher nicht bereits in einer nur als unrichtig angesehenen rechtlichen Beurteilung eines Falles erblickt werden, wenn sich deren Unrichtigkeit nicht schon eindeutig aus dem Gesetzeswortlaut ergibt. Die Bestimmung des § 18 Abs. 1 BundesstraßenG 1971 besagt nun, daß dem Enteigneten für alle durch die Enteignung verursachten Vermögensnachteile einschließlich einer Verminderung des Wertes eines etwa verbleibenden Restgrundstückes Schadloshaltung (§ 1323 ABGB), d.h. also nur Ersatz des erlittenen Schadens, nicht aber auch des entgangenen Gewinns gebührt. Die Frage, welcher Betrag als angemessene Entschädigung für ein enteignetes Grundstück anzusehen ist, ist im Gesetz nicht näher geregelt und stellt daher in erster Linie eine Ermessensfrage dar, die unter Berücksichtigung der Ergebnisse des Sachverständigenbeweises zu entscheiden ist (SZ 40/11 u.a.). Da die Entschädigung des Enteigneten nach dem Wortlaut des § 18 Abs. 1 BundesstraßenG 1971 den Eintritt eines Schadens voraussetzt (vgl. Hellbling, Gedanken zum Enteignungsproblem JBl 1960 S 356) kann die Ansicht der Vorinstanzen, daß dem Enteigneten keine Entschädigung gebührt, wenn er durch die Enteignung keinen vermögensrechtlichen Nachteil erleidet, nicht offenbar gesetzwidrig sein; sie wird von der Antragstellerin auch nicht bekämpft. Der Revisionsrekurs zieht auch die von den Untergerichten auf Grund des Gutachtens des Sachverständigen angenommene wirtschaftliche Abbruchreife des Hauses *, nicht in Zweifel, sondern wendet sich gegen die Auffassung der Vorinstanzen, daß dieses Haus keinen Verkehrswert besitze und daß die Antragstellerin deshalb durch die Enteignung dieses Hauses keinen Vermögensnachteil erleide. Bei Werkswohnungen bestehe der Ertragswert in der bloßen Tatsache, daß man solche Räume zur Verfügung habe und ohne die Enteignung auch weiter verwendet hätte. Diesen Ausführungen ist entgegenzuhalten, daß der Oberste Gerichtshof auch im außerstreitigen Verfahren nur Rechts- und nicht Tatsacheninstanz ist (EvBl 1973/222 u.a.). Er hat also nur die Einhaltung der gesetzlichen Vorschriften, nicht aber die Würdigung der Beweise durch die Unterinstanzen zu überprüfen. Die auf dem Gutachten des Sachverständigen beruhende Feststellung der Untergerichte, daß das erwähnte Bauwerk weder einen Ertragswert noch einen Verkehrswert besitze, kann daher als in den Tatsachenbereich fallend in einem außerordentlichen Revisionsrekurs nicht mehr bekämpft werden. Die Ansicht der Untergerichte, daß die Antragstellerin durch die Enteignung dieses abbruchreifen Gebäudes ohne Ertrags- und Verkehrswert keinen Vermögensnachteil im Sinne des § 18 Abs. 1 BundesstraßenG 1971 erleidet, ist daher nicht offenbar gesetzwidrig.
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs ist also, soweit er sich gegen die Verweigerung einer Entschädigung für das Haus *, richtet, mangels Vorliegens eines gesetzlichen Anfechtungsgrundes unzulässig und in diesem Umfange zurückzuweisen.
Was die von der Antragstellerin beanspruchte Entschädigung für die Grundstücke */1 und */6 KG * anlangt, so ist der (außerordentliche) Revisionsrekurs aus nachstehenden Erwägungen zulässig und berechtigt.
Das Eigentum an einem Grundstück umfaßt mangels anderer Vereinbarung oder gesetzlicher Einschränkung sowohl dessen Ober- als auch dessen Unterfläche (§ 1125 ABGB) und ist insbesondere nach unten nicht begrenzt (EvBl 1964 Nr 260). Nur soweit besondere Vorschriften vorliegen oder besondere Vereinbarungen getroffen wurden, können ausnahmsweise Teile des Untergrundes selbständige Sachen sein (Ehrenzweig System2 I/2 S. 38). Sonst aber gehört alles was erd-, mauer-, niet- oder nagelfest ist (§ 297 ABGB), somit auch alle Teile der Unterfläche zur unbeweglichen Sache (SZ 42/35, KlangKomm2 II S. 11, Gschnitzer Sachenrecht S. 58). Diese Erwägungen gelten grundsätzlich auch für den Eigentumserwerb durch Enteignung. Es hätte daher der Anführung der auf den Grundstücken befindlichen Objekte im Enteignungsbescheid nicht bedurft. Anderseits kann aus ihrer Anführung nicht der Umkehrschluß gezogen werden, daß die im Straßengrund befindlichen werkseigenen Versorgungsleitungen der Antragstellerin von der Enteignung ausgenommen sein sollten. Nun ist es Sache des Gerichtes, bei der Bemessung der Entschädigung, die insgesamt allerdings nicht höher als der vom Enteigneten begehrte Betrag sein kann, von amtswegen alle durch die Enteignung verursachten vermögensrechtlichen Nachteile zu berücksichtigen. Es spielt daher keine Rolle, daß die Antragstellerin das Vorhandensein von Versorgungsleitungen unter dem Straßengrund der * Straße nicht behauptet und dafür eine eigene Entschädigung nicht beansprucht hat. Obwohl nun das Rekursgericht vom Vorhandensein solcher Versorgungsleitungen im Straßengrund ausgegangen ist, hat es sich mit der Frage, ob die Antragstellerin durch die Enteignung dieser als Zubehör der enteigneten Grundstücke anzusehenden Versorgungsleitungen einen vermögensrechtlichen Nachteil erleidet, nicht befaßt. Die Ausführungen des Rekursgerichtes, daß der Antragstellerin die bisherige Benützung auch künftighin in gleicher Weise möglich sein werde, beziehen sich offensichtlich nur auf die Straßenoberfläche, nicht aber auf die Werksleitungen. Die Frage, ob im konkreten Falle der Antragstellerin durch die Enteignung der Versorgungsleitungen ein vermögensrechtlicher Nachteil erwächst, wurde bisher nicht geprüft. Das Rekursgericht hielt auch jede Prüfung in dieser Richtung für entbehrlich. Es kann daher nicht beurteilt werden, ob und warum diesbezüglich ein vermögensrechtlicher Nachteil der Antragstellerin durch die Enteignung nicht angenommen wurde. Die Unterlassung der Prüfung dieser Frage verstößt aber gegen eine ausdrückliche und eindeutige Bestimmung des materiellen Rechtes, nämlich gegen die Bestimmung des § 18 Abs. 1 BundesstraßenG 1971 derzufolge für jeden vermögensrechtlichen Nachteil eine Entschädigung zu gewähren ist (vgl. SZ 40/78). Darin liegt eine offenbare Gesetzwidrigkeit der angefochtenen Entscheidung. Da die Frage von den Unterinstanzen überhaupt nicht erörtert und auch keine näheren Feststellungen hiezu getroffen wurden, erweist sich auch die Aufhebung des Beschlusses der ersten Instanz als notwendig.
Dem Revisionsrekurs war daher im übrigen Folge zu geben und spruchgemäß zu entscheiden.
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