European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:1977:0030OB00007.77.0419.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Spruch:
Der Revision wird Folge gegeben. Die Urteile der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, daß der Urteilsspruch zu lauten hat:
Der Unterhaltsanspruch der Beklagten gegenüber dem Kläger aus dem gerichtlichen Vergleich vom 8. Juli 1971, GZ. 4 Cg 189/71‑4 des Landesgerichtes Linz, auf Grund dessen mit Beschluss dieses Gerichtes vom 23. Dezember 1971, GZ. 4 Cg 189/71‑7 die Exekution bewilligt wurde, sowie aus dem Urteil des Bezirksgerichtes Linz-Land vom 22. September 1972, GZ. C 610/72‑8, ist erloschen.
Die Beklagte ist schuldig, dem Kläger die mit S 22.015,60 bestimmten Prozeßkosten erster Instanz (darin S 1.425,60 USt. und S 2.770,-- Barauslagen), ferner die mit zusammen S 13.359,52 bestimmten Kosten des Berufungs- und Revisionsverfahrens (darin S 875,52 USt. und S 1.540,-- Barauslagen) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.
Entscheidungsgründe:
Unbestritten ist folgender Sachverhalt:
Die von den Parteien am 7. November 1949 geschlossene Ehe wurde mit rechtskräftigem Urteil des Landesgerichtes Linz vom 8. Juli 1971, 4 Cg 189/71‑5, aus dem Alleinverschulden des nunmehrigen Klägers geschieden, wobei ihm Desinteresse gegenüber seiner Frau und gegenüber dem am 8. April 1957 geborenen ehelichen Kind angelastet wurde. Anläßlich der Ehescheidung verpflichtete sich der Kläger durch gerichtlichen Vergleich zu einer monatlichen Unterhaltsleistung von S 3.500,-- an die nunmehrige Beklagte.
Nach seiner Wiederverheiratung zahlte der Kläger an die Beklagte zunächst nur mehr S 2.500,-- monatlichen Unterhalt. Am 7. Februar 1972 erhob er gegen die von der Beklagten mit Beschluß des Landesgerichtes Linz vom 23. Dezember 1971 4 Cg 189/71‑7, erwirkte Exekution zur Hereinbringung eines Unterhaltsrückstandes von S 1000,-- und der ab 1. Jänner 1972 fälligen Unterhaltsbeträge zu 12 C 1/72 des Bezirksgerichtes Linz eine Oppositionsklage, welche er jedoch nach Aufnahme von Beweisen und Außerstreitstellung seines nunmehrigen Einkommens am 13. Juli 1972 zurückzog. Die Beklagte habe damals ihrerseits eine Unterhaltserhöhung ab 10. Mai 1972 auf monatlich S 4.500,-- begehrt, tatsächlich wurde die Unterhaltsverpflichtung des Klägers mit rechtskräftigem Urteil des Bezirksgerichtes Linz-Land vom 22. September 1972 C 610/72‑8, auf monatlich S 4.250,-- erhöht. Die Exekutionsbewilligung auf Grund des Beschlusses des Landesgerichtes Linz vom 23. Dezember 1971 4 Cg 189/71‑7, ist weiterhin aufrecht, zur Hereinbringung des mit Urteil des Bezirksgerichtes Linz-Land vom 22. September 1972, C 610/72‑8, zugesprochenen Mehrbetrages hat die Beklagte bisher keinen Exekutionsantrag gestellt.
Der Kläger stellte mit der vorliegenden Klage den Urteilsantrag, den Unterhaltsanspruch der Beklagten aus dem Vergleich vom 8. Juli 1971 und dem Urteil vom 22. September 1972 sei erloschen. Dieses Begehren begründet der Kläger mit der Behauptung, daß die Beklagte ihren Unterhaltsanspruch durch ihr ‒ näher beschriebenes ‒ schuldhaftes Verhalten gemäß § 74 EheG verwirkt habe.
Die Beklagte bestritt ein derartiges Verhalten sowie dessen Eignung, eine Anspruchsverwirkung herbeizuführen, und beantragte Klagsabweisung.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab.
Nach den zusätzlich zum eingangs geschilderten Sachverhalt getroffenen wesentlichen Feststellungen des Erstgerichtes stahl der Kläger in den Jahren 1955 bis 1957 seinem damaligen Arbeitgeber Elektrokabel im Wert von S 5.500,--. Er wurde deshalb im Mai 1957 verhaftet, ferner wurde in der ehelichen Wohnung *, eine Hausdurchsuchung vorgenommen. Auf Grund eines Strafantrages der Staatsanwaltschaft Krems vom 17. Juni 1957 wurde der am 18. Juni 1957 enthaftete Kläger mit rechtskräftigem Urteil des Kreisgerichtes Krems vom 24. Juli 1957 wegen Verbrechens des Diebstahls nach §§ 171, 173, 176 II b StG zu zwei Monaten schwerem Kerker, bedingt auf drei Jahre, verurteilt. Die Tatsache dieser Verurteilung wurde „vor allem auf Grund der Hausdurchsuchung“ in * bekannt.
Ein Gesuch des Klägers um gnadenweise Tilgung dieser Vorstrafe wurde mit Beschluß vom 8. Februar 1960 abgelehnt, die Verurteilung wurde jedoch nach Ablauf der gesetzlichen Tilgungsfrist im Jahr 1967 getilgt. Trotzdem konnte der Kläger kurz nach seinem Dienstantritt bei der Q*‑AG in * im Jahr 1962 seiner Arbeitgeberin ein Leumundszeugnis seiner Gemeinde vorlegen, welches die angeführte, damals noch nicht getilgte Verurteilung nicht enthielt.
Im angeführten Unternehmen war der Kläger zunächst Elektromeister (Werkstättenleiter). Für seine Gesellenprüfung ‒ diese und die anschließende Meisterprüfung hatte der Kläger, wie aus späteren Feststellungen hervorgeht, schon vor Antritt seines Postens bei der Q*-AG * abgelegt ‒ brauchte er einen Nachweis über Beschäftigungszeiten. Über Aufforderung des Klägers unterschrieb die Beklagte ‒ nach dem Akteninhalt mit dem Namen ihres Vaters, also mit Unterschriftsfälschung einen diesbezüglichen, vom Kläger produzierten und mit dem Stempel des verstorbenen Vaters der Beklagten ‒ eines befugten Elektromeisters ‒ versehenen Nachweis. Die Meisterprüfung legte der Kläger sodann ganz regulär ab.
Im Jahre 1963 wurde der Kläger Obmann des Angestelltenbetriebsrates der Q*-AG *. Die Tatsache seiner Verurteilung wurde zumindest bei einigen (Betriebsrats-)Kollegen schon relativ bald bekannt, was unter anderem darauf zurückzuführen war, daß einige Arbeitnehmer des Unternehmens aus * stammen.
Im Feber 1972 ‒ also in jenem Zeitpunkt, als der Kläger wegen der Unterhaltsexekution der Beklagten die später zurückgezogene Oppositionsklage eingebracht hatte ‒ lernte die Beklagte anläßlich einer Privatgesellschaft das damalige Betriebsratsmitglied der Q*-AG *, H*, kennen. Sie zog diesen, als sie von seiner beruflichen Tätigkeit erfahren hatte, in ein Gespräch, erwähnte die gerichtliche Vorstrafe des Klägers und äußerte ihre Verwunderung bezüglich der Stellung ihres geschiedenen Mannes; sie lud bei dieser Gelegenheit H* nach * ein, um ihm die noch in ihrem Besitz befindlichen Unterlagen über die Verurteilung des Klägers zeigen zu können.
Der an derartigen Informationen interessierte H* besuchte daraufhin im Jahre 1972 mehrmals die Beklagte und erwirkte von ihr „zwecks genauerer Einsichtnahme“ die Ausfolgung des seinerzeitigen Entlassungsscheines des Klägers aus der U-Haft am 18. Juni 1957, des seinerzeitigen Strafantrages vom 17. Juni 1957, der Urkunde über die bedingte Verurteilung vom 5. August 1957 und des Beschlusses über die Abweisung des Ansuchens um gnadenweise Tilgung vom 8. Februar 1960; die Beklagte untersagte H* allerdings eine Weiterverbreitung dieser Unterlagen.
H* stellte diese Unterlagen nach der vereinbarten Einsichtsfrist zurück, hatte jedoch inzwischen zwei Fotokopiesätze davon angefertigt, wovon er einen für sich behalten und den anderen zwecks Erörterung dieser Angelegenheit dem Betriebsratsobmannstellvertreter E* übergeben wollte. E* fand jedoch bei dieser Besprechung, daß die Sache zu lange zurückliege und daher nichts weiter unternommen werden solle. Er gab deshalb auch die ihm überreichten Fotokopien wieder zurück.
H* steckte alle Fotokopien in ein Kuvert und verwahrte sie in seinem Büroschreibtisch.
Noch im Jahr 1972 wurde der Klager wegen innerbetrieblicher Streitigkeiten (Kündigung eines Arbeitsnehmers) von der gegnerischen Betriebsratsgruppe zum Rücktritt als Betriebsratsobmann gezwungen, behielt jedoch sein Betriebsratsmandat. Betriebsratsobmann wurde auf diese Weise bis zur nächsten Betriebsratswahl am 10. Mai 1974 der bisherige Stellvertreter E*.
Ebenfalls „noch im Jahr 1972“ ‒ und zwar, wie aus den Feststellungen über den Inhalt hervorgeht, nach dem Rücktritt des Klägers als Betriebsratsobmann ‒ schickte die Beklagte an H* einen von ihrer Hand geschriebenen Brief. In diesem von den Vorinstanzen zum Teil wörtlich wiedergegebenen Schreiben führte die Beklagte aus: „Das mein Ehegatte keine Ruhe gibt, kann ich mir sehr gut vorstellen, ich habe gleich gesagt, daß ihm kein Mittel zu schlecht sein wird um wieder an die Macht zu kommen, darum muß man das ganz einfach verhindern, daß er nochmals nach Oben kommt, wenn ich da mithelfen kann, so ist das für mich ein großes Vergnügen.“ Nach diesen einleitenden Worten schilderte die Beklagte zunächst die verschiedenen Beschäftigungen des Klägers bis 1961 ‒ mit dem Hinweis auf die schlechte finanzielle Lage der Familie und im Zusammenhang mit der Diebstahlssache ‒ völlig sachlich, erwähnte im Zusammenhang mit der Zulassung zur Gesellenprüfung den Umstand, daß der Kläger das einem Funktionär der * gegebene Versprechen nicht eingehalten habe, und fuhr sodann fort: „Die Meisterprüfung für das Elektro-Installationsgewerbe hat er dann im November 1957 gemacht. Das war so, diesen Herrn (*-Funktionär) hat er nicht mehr gebraucht, weil ja mein Papa da war, der damals ein Elektrogeschäft gehabt hat, er ist auch gelernter Elektromeister. Da aber mein Papa niemals die Unterschrift sowie den Stempel für K*s Meisterprüfung abgegeben hätte, so hat mein Exgatte folgendes gemacht: Er hat sich den Stempel von meinem Papa genommen und ganz einfach auf das Formular drauf gedrückt. Jetzt hat er natürlich die Unterschrift von meinem Papa auch noch gebraucht. Er selbst hätte die Unterschrift von Papa niemals machen können, weil er ganz einfach nicht so schreiben kann wie Papa, aber er hat gewußt, daß ich dieselbe Schrift habe wie mein Papa und so hat er gesagt, ich muß hier unterschreiben, ich wollte vorerst nicht aber dann ist es losgegangen ... Und so hat er seine Meisterprüfung bekommen. Wo er die weiteren Gewerbescheine her hat, das weiß ich nicht, denn er hat auch noch andere, auf jeden Fall hat er sie nicht auf gerechte Weise ...“
Auch von diesem Brief fertigte H* mehrere auszugsweise Kopien an, aus welchen Absender und Empfänger nicht ersichtlich war. Eine derartige Fotokopie zeigte er auch E*. Dieser wollte bei einer vor dem 10. Mai 1974 stattfindenden Aufsichtsratssitzung der Q* in * unter gewissen Voraussetzungen sozusagen etwas in der Hand haben und ersuchte daher H* um Übergabe von Kopien hinsichtlich der Verurteilung des Klägers und des Briefes der Beklagten. Durch das Versehen eines um die Übermittlung ersuchten Vorstandsmitgliedes erhielt E* das Kuvert mit den Kopien erst nach der Sitzung, verwahrte es einige Zeit im Handschuhfach seines PKWs und legte es in der Folge in den Safe eines Vorstandsmitgliedes.
H* zeigte eine Kopie des Briefes der Beklagten auch mehreren Betriebsratsmitgliedern der Liste E* und bald nach der Betriebsratswahl vom 10. Mai 1974 auch dem Betriebsrat N*. Außerdem zeigte er sowohl vor als auch nach dem 10. Mai 1974 Betriebsratsmitgliedern und anderen Betriebsangehörigen die Kopien über die bedingte Verurteilung des Klägers. Der Großteil von ihnen zeigte sich nicht überrascht, sondern erklärte, hievon ohnehin schon zu wissen.
Die Betriebsratswahl vom 10. Mai 1974 ergab einen knappen Erfolg der Liste des Klägers (5 Mandate) vor der Liste E* (4 Mandate); weitere drei Namenslisten erhielten je ein Mandat. Eine Anfechtung dieser Wahl führte zu keinem Ergebnis.
Mitte Juli 1974 langte bei Dr. S* (dem obersten Chef der Q*-Unternehmungen) unter Anschluß von Kopien des oben wiedergegebenen Briefes der Beklagten und über „die bedingte Verurteilung des Klägers“ ein anonymes Schreiben ein, in welchem zum Ausdruck gebracht wurde, da jetzt die vor zwei Jahren eingestellten „Gemeinheiten“ wieder begonnen würden, wolle man die Geschäftsleitung über den wahren Charakter des Klägers informieren. Man sei zwar selbverständlich dafür, Menschen, die einmal ein Vergehen begangen hätten, wieder auf die Füße zu helfen, das müsse aber seine Grenzen haben, wenn sie sich „nachher noch mit List und Gemeinheit etwas erschwindeln und dadurch in Führungsstellen gelangen“.
Am 26. August 1974 wurden im Betrieb der Q*‑AG * etwa 500 anonyme Flugblätter aufgefunden, die neben Angriffen auf den Kläger wegen seiner betrieblichen Tätigkeit auch folgenden Absatz enthielten:
„Meister K* (wo hat er jemals eine Lehre absolviert, hat er seine Meisterprüfung auf reale Weise erworben? Hat es ein Betrieb wie die Q* nicht notwendig, sich über die Zeugnisse und deren Herkunft zu informieren, wenn man einen Konzessionsbetrieb im Konzern aufbaut?).“
In einem an verschiedene Personen der *‑AG am 29. August 1974 zugestellten Brief, ferner in einem mit 4. Dezember 1974 datierten Flugblatt würden neben anderen Angriffen auf den Kläger wegen seines Verhaltens bei Personalmaßnahmen die Fotokopie des Briefes der Beklagten bzw. deren Inhalt gegen den Kläger verwertet.
Dem Kläger, der nunmehr Hauptabteilungsleiter im Bereich Kundendienst ist und dem in dieser Funktion rund 150 Leute direkt unterstellt sind, entstanden durch das Verhalten der Beklagten keine unmittelbaren berufliche Nachteile. Die Mitglieder des Vorstandes der Q*-AG brachten ihm gegenüber zum Ausdruck, daß sie die Sache als eine Kampagne (im Zusammenhang mit der Betriebsratswahl) betrachten und empfahlen dem Kläger, mit der Beklagten Kontakt aufzunehmen. Sein daraufhin am 27. August 1974 unternommener Versuch, die Originalunterlagen über seine Verurteilung von der Beklagten zu erhalten, scheiterte an deren Behauptung, diese Unterlagen inzwischen vernichtet zu haben.
Bei diesem Sachverhalt hielt das Erstgericht zunächst fest, daß die gegenständliche Klage in Ansehung des Begehrens, den exekutiv betriebenen Unterhaltsanspruch (S 3.500,-- monatlich) als erloschen zu erkennen, als Oppositionsklage, in Ansehung des darüber hinausgehenden Anspruches auf Grund des Urteils vom 22. September 1972 als (zulässige) Feststellungsklage anzusehen sei. Es vertrat die Auffassung, daß im festgestellten Verhalten der Beklagten bei Würdigung aller Umstände, insbesondere wegen der vereinbarungswidrigen Verbreitung der dem H* erteilten Informationen, welche die Beklagte nicht gewollt habe und die ihr jede Einflußmöglichkeit auf das weitere Geschehen genommen habe, der Verwirkungstatbestand gemäß § 74 EheG nicht erblickt werden könne.
Mit dem angefochtenen Urteil bestätigte das Berufungsgericht diese Entscheidung des Erstgerichtes.
Es sah die vom Kläger behaupteten Verfahrensmängel nicht als gegeben an, übernahm die Feststellungen des Erstgerichtes als unbedenklich und trat auch dessen rechtlicher Beurteilung mit zusätzlichen Ausführungen bei.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Klägers aus dem Revisionsgrund unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil im Sinne des Klagebegehrens abzuändern.
Die Beklagte beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist gerechtfertigt. Zunächst war in Übereinstimmung mit dem Berufungsgericht festzuhalten, daß die Bestimmung des § 74 EheG bei vergleichsweiser Regelung einer dem Gesetz entsprechenden Unterhaltspflicht anwendbar ist (vgl. Schwind in Klang2 I/1, 898 u. 909, EvBl 1961/338, EF-Slg 20.523 u.a.).
Dem Berufungsgericht ist ferner grundsätzlich in der Auffassung beizupflichten, daß die Bestimmung des § 74 EheG ein gravierenderes Verhalten verlangt als jene des § 49 EheG. Das Argument, an das Verhalten der Frau sei nach Scheidung der Ehe kein allzu „sittenstrenger“ Maßstab anzulegen, schlägt hier aber deshalb nicht durch, weil der in § 74 EheG angeführte Verwirkungstatbestand eines ehrlosen oder unsittlichen Lebenswandels hier nicht in Betracht kommt. Auch die in mehreren Entscheidungen gebrauchten Formulierungen, der Unterhaltsanspruch sei nur dann verwirkt, wenn die Frau den geschiedenen Mann „mehrmals in seiner Ehre kränkt“ oder in „geradezu in Verruf“ gebracht hat (so etwa EF-Slg 20.550), sind hier nur bedingt brauchbar, weil das der Beklagten im vorliegenden Fall angelastete Verhalten in eine ganz andere Richtung weist, nämlich dahin, ob und unter welchen Voraussetzungen es auch der geschiedenen Frau als Verfehlung, bejahendenfalls als schwere Verfehlung anzulasten ist, falls sie verschiedene, ihr auf Grund des seinerzeitigen ehelichen Zusammenlebens bekannte, aber für den anderen Ehegatten sehr nachteilige Umstände dritten Personen eröffnet.
Ob ein derartiges Verhalten eine „schwere Verfehlung“ im Sinn des § 74 EheG bildet, hängt einerseits von der Gesinnung, der dieses Verhalten entspricht, andererseits von der Art und Gewichtigkeit der bekanntgegebenen Umstände sowie von der Art ihrer Weitergabe und damit von den Auswirkungen derselben auf die Interessensphäre des geschiedenen Mannes ab (vgl. Hoffmann-Stephan 2 646 f., Godin 2, 283 f., EvBl 1968/299 u.a.), wobei auf sämtliche Umstände des jeweiligen Einzelfalles Bedacht zu nehmen ist (ebenso z.B. Hoffmann‑Stephan 647).
Nach Auffassung des Obersten Gerichtshofes ließen die Vorinstanzen bei Würdigung des vorliegenden Falles zwei wesentliche Umstände außer acht, nämlich einerseits das im Brief an H* von der Beklagten selbst niedergelegte Motiv für die Verfassung und Absendung dieses Briefes, andererseits die in diesem Brief enthaltenen Worte: „Wo er die weiteren Gewerbescheine her hat, weiß ich nicht. Er hat auch andere, auf jeden Fall hat er sie auf nicht gerechte Weise.“
Bei richtiger Beurteilung des Gesamtverhaltens der Beklagten müssen zwei zeitliche Phasen unterschieden werden.
Im Februar 1972 benützte die Beklagte zwar die sich zufällig bietende Gelegenheit, einem Betriebsratskollegen ihres geschiedenen Mannes eine lange zurückliegende und längst getilgte Vorstrafe mitzuteilen (die Beklagte zog H* ins Gespräch, nicht umgekehrt!). Da sie gleichzeitig ihrer Verwunderung Ausdruck gab, daß der Kläger Betriebsratsobmann ist ‒ er war es schon seit 1963, also auch viele Jahre während der Ehe ‒, ferner ohne hiezu genötigt zu sein, H* die Unterlagen hierüber zur „genaueren“ Einsicht, allerdings immerhin mit dem Verbot der Weiterverbreitung ausfolgte, ist dieses Verhalten als Verfehlung der Beklagten anzusehen, zumal ihr Motiv vermutlich dahin ging, einen dunklen Punkt in der Vergangenheit des Klägers aufzuzeigen und diesem damit mittelbar „eins auszuwischen“. Auf Grund des zeitlichen Zusammenhanges ihrer damaligen Vorgangsweise mit der ersten Oppositionsklage kommt als Motiv hiefür allerdings auch das damalige Verhalten des Klägers in Betracht, welcher versuchte, trotz seines gestiegenen Einkommens die vergleichsweise eingegangene Unterhaltsverpflichtung mit dem Hinweis auf die ‒ der Beklagten sicherlich unerwünschte ‒ Wiederverehelichung zu drücken.
Die Mitteilung der längst getilgten Strafe des Klägers an H* war zwar widerrechtlich, aber für sich allein aber objektiv noch kaum geeignet, die Interessensphäre des Klägers in schwerwiegender Weise zu beeinträchtigen, zumal die Beklagte nicht damit rechnen konnte, daß H* dem insoweit festgestellten Verbreitungsverbot zuwiderhandeln werde. Das vorstehend beurteilte Verhalten der Beklagten wäre somit für sich allein noch nicht als schwere Verfehlung im Sinn des § 74 EheG zu werten gewesen; es bildet aber schon einen deutlichen Hinweis auf die grundsätzliche Einstellung der Beklagten dem Kläger gegenüber.
Zur Zeit der Verfassung und Absendung des Briefes muß jedoch, wie bereits erwähnt, die Beklagte darüber informiert gewesen sein, daß der Kläger nicht mehr Betriebsratsobmann war, aber darnach strebte, „wieder an die Macht zu kommen“, also wieder Betriebsratsobmann zu werden, denn anders läßt sich die oben wiedergegebene Einleitung ihres Briefes an H* nicht verstehen. Zu diesem Zeitpunkt spielte aber der vorausgegangene Unterhaltsstreit offenbar keine wesentliche Rolle mehr, denn die Beklagte hatte inzwischen eine Unterhaltserhöhung erreicht und anscheinend auch keinen Anlaß, wegen dieses erhöhten Betrages Exekution zu beantragen. Der Brief an H* diente dem erklärten Zweck, zu verhindern, daß der Kläger „nochmals nach oben kommt“ (Einleitung), auch die innere Einstellung der Beklagten zu ihrem geschiedenen Gatten geht aus der Formulierung, es sei für sie „ein großes Vergnügen, da mitzuhelfen“ in nicht mißzuverstehender Weise hervor. In Ansehung dieses Briefes (dessen Absendung an H* die Beklagte in ihrer Parteienverrechnung bezeichnenderweise leugnete) wurde ein Verbot, von den darin enthaltenen Informationen Gebrauch zu machen, weder behauptet noch festgestellt. Vielmehr konnte der erklärte Zweck ja nur erreicht werden, wenn diese Informationen im Betriebsratswahlkampf in irgendeiner Form Verwendung finden. Die später tatsächlich erfolgte Verwertung dieses Briefes im Zusammenhang mit der Betriebsratswahl vom 10. Mai 1974 mußte daher von der Beklagten in Kauf genommen worden sein, auch wenn seine Verbreitung in Fotokopie und die anschließenden Vorfälle (ab Juli 1974) von der Beklagten nicht „gewollt“ gewesen sein mögen (auf Grund der in Kauf genommenen Verwendung der im Brief enthaltenen Informationen waren diese Vorfälle aber weder auszuschließen noch zu verhindern).
Schließlich war die inhaltliche Bekanntgabe, der Kläger habe sich die Voraussetzungen für eine Berufsprüfungs (sei es nun die Gesellen- oder Meisterprüfung) und damit der Gewerbeberechtigung durch Urkundenfälschung erschwindelt, über den von der Beklagten angestrebten Zweck hinaus durchaus geeignet, dem Kläger schwersten beruflichen Schaden zuzufügen.
Die eingestandenermaßen ohne sachliche Grundlage („wo er die weiteren Gewerbescheine her hat, weiß ich nicht ...“) von der Beklagten aufgestellte Behauptung, daß der Kläger andere Gewerbescheine „auf jeden Fall ... nicht auf gerechte Weise“ erworben habe, kennzeichnet nur noch zusätzlich die Gesinnung der Beklagten, welche sich am deutlichsten in der Erklärung ihres „großen Vergnügens“ manifestiert, dabei mitzuhelfen, daß der Kläger nicht wieder nach oben kommt.
Diese Gesinnung ist ausgesprochen „tadelnswert“ (vgl. Godin 283), die Weitergabe des Wissens um die Erschleichung von Prüfungsvoraussetzungen durch Urkundenfälschung in einer Weise, daß damit zu rechnen war, daß sie auf der Arbeitgeberseite bekannt wird, durchaus geeignet, dem Kläger schwersten beruflichen Schaden zuzufügen.
Aus allen diesen Erwägungen ist das Gesamtverhalten der Beklagten sowohl seinem Gewicht als auch seiner Gesinnung nach derart schwerwiegend, daß es selbst bei Berücksichtigung einer bestehenden verständlichen Aversion der Beklagten gegen den Kläger als schwere Verfehlung im Sinn des § 74 EheG zu qualifizieren ist.
Dem Klagebegehren war daher in Abänderung der Urteile der Vorinstanzen stattzugeben.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 41 ZPO (erste Instanz) bzw. §§ 41, 50 ZPO (zweite und dritte Instanz).
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