OGH 1Ob546/77

OGH1Ob546/7713.4.1977

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspäsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schneider als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Petretto, Dr. Schragel, Dr. Petrasch und Dr. Schubert als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Dr. C*, vertreten durch Dr. Walter Strigl, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Verlassenschaft nach K*, zuletzt wohnhaft gewesen *, vertreten durch Dr. Robert Wallentin, Rechtsanwalt in Wien, wegen S 66.206,– s.A., infolge Rekurses der beklagten Partei gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes vom 9. 9. 1976, GZ 9 R 145/76‑32, womit die von Dr. Joachim Mück, Rechtsanwalt in Wien, namens der beklagten Partei erhobene Berufung gegen das Urteil des Landesgerichtes für ZRS Wien vom 17. 2. 1976, GZ 10 Cg 241/74‑26, zurückgewiesen wurde, folgenden

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:1977:0010OB00546.77.0413.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

 

Die beklagte Partei hat die Kosten ihres erfolglosen Rechtsmittels selbst zu tragen.

 

Begründung:

Der Kläger begehrte von K* als Beklagtem die Bezahlung eines Betrages von S 66.206,— für Detektivkosten, die ihm im Zusammenhang mit der Überwachung des Beklagten wegen ehewidriger Beziehungen zur Gattin des Klägers aufgelaufen seien.

K*, der Rechtsanwalt Dr. Robert Wallentin Prozeßvollmacht erteilt hatte, ist am * 1974 verstorben. Im Verlassenschaftsverfahren A 273/74 des Bezirksgerichtes Scheibbs gaben die Witwe A* zu einem Viertel und die beiden Kinder des Verstorbenen, K* und die minderjährige M*, letztere vertreten durch einen Kollisionskurator, bedingte Erbserklärungen zu je drei Achtel ab. Die Erbserklärungen wurden zu Gericht angenommen. Eine Einantwortung des Nachlasses ist bisher nicht erfolgt.

In der Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung vom 17. 2. 1976 erschien für die beklagte Partei nicht Rechtsanwalt Dr. Robert Wallentin, sondern Rechtsanwalt Dr. Joachim Mück. Er legte eine von A* unterfertigte Vollmacht vor und gab bekannt, daß Vollmachtswechsel eingetreten sei. Das Urteil des Erstgerichtes wurde am 13. 5. 1976 an Rechtsanwalt Dr. Robert Wallentin zugestellt. Am 1. 6. 1976 gab Dr. Joachim Mück namens der beklagten Partei eine Berufung zur Post und wies darauf hin, daß er das Urteil des Erstgerichtes am 18. 5. 1976 von Rechtsanwalt Dr. Robert Wallentin erhalten habe, sodaß gemäß § 108 ZPO dieser Tag als Tag der Zustellung zu gelten habe.

Das Berufungsgericht wies die Berufung als verspätet zurück.

Dagegen richtet sich der Rekurs der beklagten Partei, der sowohl von Rechtsanwalt Dr. Joachim Mück als auch von Rechtsanwalt Dr. Robert Wallentin unterfertigt ist.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs ist nicht gerechtfertigt.

 

Gemäß § 35 Abs 1 ZPO wird die Prozeßvollmacht durch den Tod des Vollmachtgebers nicht aufgehoben. § 35 Abs 2 ZPO sieht aber vor, daß die Rechtsnachfolger des Vollmachtgebers die Prozeßvollmacht jederzeit widerrufen können. Die durch Widerruf herbeigeführte Aufhebung der Vollmacht zur Prozeßführung erlangt dem Gericht und dem Prozeßgegner gegenüber in Rechtssachen, in denen die Vertretung durch Rechtsanwälte geboten ist, erst dann Rechtswirksamkeit, wenn die Bestellung eines anderen Rechtsanwalts von der Partei angezeigt wird. Solange die Verlassenschaft nicht eingeantwortet ist, besteht der ruhende Nachlaß und diesen kann einer von mehreren Erben nur dann vertreten, wenn er von den anderen Erben zum Vertreter bestellt wurde oder wenn ihm das Verlassenschaftsgericht gemäß § 810 ABGB und § 145 AußStrG die Verwaltung und Besorgung des Nachlasses überlassen hat (so 5 Ob 256/62, 3 Ob 252/75; vgl. auch Fasching II 143). Von diesen Personen hat demnach aber auch ein Vollmachtswiderruf bzw. die Erteilung einer Prozeßvollmacht an einen anderen Bevollmächtigten auszugehen.

Im vorliegenden Fall liegt eine Bevollmächtigung des Rechtsanwaltes Dr. Joachim Mück durch sämtliche erbserklärten Erben nicht vor. Es wurde auch nicht nachgewiesen, daß A* namens der beiden anderen Miterben einzuschreiten befugt wäre und in deren Namen Rechtsanwalt Dr. Joachim Mück Prozeßvollmacht erteilt hat. Das Abhandlungsgericht hat A* auch nicht den Nachlaß zur Besorgung und Verwaltung übertragen. Demzufolge konnte aber auch die Erklärung des Rechtsanwaltes Dr. Joachim Mück in der Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung vom 17. 2. 1976, es sei Vollmachtswechsel eingetreten, nicht bewirken, daß der Nachlaß nunmehr nicht mehr durch Rechtsanwalt Dr. Robert Wallentin, sondern durch Rechtsanwalt Dr. Joachim Mück vertreten wird. Einzig im Prozeß gesetzmäßig ausgewiesener Vertreter blieb vielmehr weiterhin Rechtsanwalt Dr. Robert Wallentin.

Das Erstgericht war aber auch nicht gehalten darauf hinzuwirken, daß die Bevollmächtigung des Rechtsanwaltes Dr. Joachim Mück durch sämtliche erbserklärten Erben nachgewiesen wird. Die Bestimmung des § 36 ZPO soll gerade verhindern, daß das Gericht Untersuchungen darüber anzustellen hat, wer nun eigentlich der bevollmächtigte Prozeßvertreter ist (Fasching II 289). Solange eine Neubestellung des Vertreters unter gleichzeitigem Nachweis seiner Vollmacht nicht erfolgt ist, ändert sich an der Vertretungsbefugnis des ausgewiesenen Vertreters nichts und es sind auch alle Zustellungen an den bisherigen Bevollmächtigten zu bewirken (Fasching a.a.O. 289, 573).

Lediglich ergänzend sei bemerkt, daß die Zulassung des Rechtsanwaltes Dr. Mück auch nicht als solche gemäß § 38 ZPO gewertet werden kann. Im Gerichtshofverfahren mit Anwaltszwang ist eine vorläufige Zulassung nach § 38 ZPO auf Seiten des Beklagten nur bei der ersten Tagsatzung (und bei Beweisaufnahmetagsatzungen) nicht aber auch bei Tagsatzungen zur mündlichen Streitverhandlung nach der ersten Tagsatzung zulässig, weil ja schon in der Klagebeantwortung die Vertretung durch einen Rechtsanwalt nachgewiesen sein muß und sich an der Vertretungsbefugnis bis zum gültigen Eintritt eines anderen Vertreters nichts ändert (vgl. Fasching II 296). Für die Bestimmung des § 38 ZPO, die zum Schutze der Person gedacht ist, die noch keine Prozeßvollmacht erteilt hat, oder deren Vertreter die erteilte Vollmacht nicht nachweisen kann, verbleibt daher im vorliegenden Fall kein Raum.

Das Vorliegen einer Prozeßvollmacht ist aber Prozeßhandlungsvoraussetzung. Liegt sie nicht vor, sind sämtliche vom angeblich Bevollmächtigten gesetzten Prozeßhandlungen unwirksam (1 Ob 76, 77/75). Dies gilt nicht nur für die im Rahmen der Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung vom 17. 2. 1976 durch Rechtsanwalt Dr. Joachim Mück gesetzten Prozeßhandlungen, sondern insbesondere auch von der von ihm namens der beklagten Partei erhobenen Berufung; ihre Zurückweisung durch das Berufungsgericht entspricht daher dem Gesetz.

Aus dem Vorgesagten ergibt sich, daß die Rechtsansicht des Erstrichters, die beklagte Partei sei durch Rechtsanwalt Dr. Joachim Mück vertreten, unrichtig war. Die Zustellung der Entscheidung des Erstgerichtes wäre daher an Rechtsanwalt Dr. Robert Wallentin, als den ausgewiesenen Vertreter der beklagten Partei zu verfügen gewesen (§ 93 ZPO). Nun wurde Rechtsanwalt Dr. Robert Wallentin zwar eine Ausfertigung des Ersturteils zugestellt, aber doch nur zufolge eines Versehens. Die dem Rechtsanwalt Dr. Robert Wallentin zugekommene Ausfertigung war nach dem Willen des Erstrichters, der ja davon ausging, daß Rechtsanwalt Dr. Joachim Mück der Vertreter der Verlassenschaft ist, nicht für ihn bestimmt, wie sich dies aus dem Urteilskopf ergibt, in dem Rechtsanwalt Dr. Joachim Mück als Vertreter der beklagten Partei angeführt ist; demzufolge ist aber der Zustellvorgang unwirksam (vgl. Fasching II 598; JBl 1969, 612). Es wird daher nunmehr die Zustellung des Ersturteils an Rechtsanwalt Dr. Robert Wallentin zu verfügen sein. Erst damit beginnt auch die Frist für die Erhebung eines Rechtsmittels durch die beklagte Partei zu laufen.

 

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 40, 50 ZPO.

 

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