European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:1977:0080OB00258.76.0216.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Spruch:
Der Revision wird Folge gegeben.
Das angefochtene Urteil wird dahin abgeändert, dass die Entscheidung des Erstgerichtes wieder hergestellt wird.
Die Beklagten sind zur ungeteilten Hand schuldig, der Klägerin die mit S 2.285,60 bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens (darin die Barauslagen von S 50,--und die Umsatzsteuer von S 165,60) sowie die mit S 2.290,84 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin die Barauslagen von S 480,-- und die Umsatzsteuer von S 134,14) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.
Entscheidungsgründe:
Am 20. Dezember 1973 kam es auf der Pinzgauer-Ersatzstrasse (B 311) beim Bahnübergang zwischen Lend und Taxenbach zu einem Verkehrsunfall, an welchem ein von E* K* gelenkter, aus Richtung Taxenbach kommender PKW der Klägerin und ein aus der Gegenrichtung kommender, vom Erstbeklagten gelenkter und bei der Drittbeklagten haftpflichtversicherter Sattelschlepper der Zweitbeklagten beteiligt waren. Das Fahrzeug der Klägerin erlitt hiebei Totalschaden.
Die Klägerin begehrt nach mehrfacher Klagsmodifizierung den Ersatz ihres Unfallschadens in der behaupteten Höhe von S 43.395,60 s.A.: Den Erstbeklagten treffe das Alleinverschulden an dem Unfall, weil er die Kurve derartig geschnitten habe, dass der Anhänger nach links ausgeschert sei und den ordnungsgemäss am rechten Fahrbahnrand fahrenden PKW der Klägerin gerammt habe; K* habe trotz sofortiger Bremsung den Unfall nicht vermeiden können.
Die Beklagten behaupteten das Alleinverschulden des PKW-Lenkers, weil dieser mit überhöhter Geschwindigkeit nicht am äussersten rechten Fahrbahnrand gefahren sei und zu spät gebremst habe, wodurch der PKW ins Schleudern geraten und gegen die erste Achse des Anhängers geprallt sei.
Das Erstgericht gab dem Klagebegehren – ausgehend vom Alleinverschulden des Erstbeklagten – statt.
Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten teilweise Folge und änderte das Ersturteil dahin ab, dass es – ausgehend vom gleichteiligen Verschulden der Beteiligten – der Klägerin S 21.697,80 s.A. zuerkannte und ihr Mehrbegehren in gleicher Höhe abwies.
Gegen die Entscheidung des Gerichtes zweiter Instanz richtet sich die Revision der Klägerin aus den Anfechtungsgründen des § 503 Z 2 und 4 ZPO mit dem Antrag, es im Sinne der Wiederherstellung des Ersturteils abzuändern. Hilfsweise wird ein entsprechender Aufhebungsantrag gestellt.
Die Beklagten beantragen in ihrer Revisionsbeantwortung, der Revision keine Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist gerechtfertigt.
Die Vorinstanzen legten ihrer Entscheidung folgenden Unfallshergang zu Grunde: Die Pinzgauer‑Ersatzstrasse B 311 verlief im weiteren Unfallsbereich von Osten nach Westen (Fahrtrichtung des Erstbeklagten) zunächst gerade, sodann in einer sehr engen Rechtskurve, unmittelbar anschliessend in einer sehr engen Linkskurve, sodann wieder gerade. Im Auslauf der Rechtskurve bzw. Beginn der Linkskurve überquerte sie einen beschrankten Bahnübergang der hier zweigleisigen Westbahn. Die Fahrbahn verlief bei der Anfahrt zum Bahnübergang mit einer Steigung von etwa 2 % sodann zwischen den Gleisen wellig, stieg sodann bis etwa zum Scheitelpunkt der Linkskurve noch ganz leicht an und fiel in der Folge über eine längere gerade Strecke leicht ab.
Die Fahrbahn war im weiteren Unfallsbereich schneebedeckt. Der Unfall ereignete sich etwa zwei bis drei Meter westlich des Auslaufes der Linkskurve. Die Fahrbahn war hier 6,60 m breit. Die Unfallstelle lag in Fahrtrichtung des Erstbeklagten etwa 30 m nach dem Beginn der Rechtskurve.
Der Erstbeklagte konnte am Beginn der Rechtskurve den PKW erstmals erblicken, als dieser etwa 20 m vor der Unfallsstelle fuhr und das Fahrzeugdach über der Schneeverwehung deutlich sichtbar wurde. In umgekehrter Richtung konnte der Sattelschlepper, als er sich am Beginn der Rechtskurve befand, wegen des höheren Führerhauses vom PKW-Lenker bereits wahrgenommen werden als dieser von der Unfallstelle noch etwa 35 m entfernt war (objektive Sicht).
In Fahrtrichtung des PKWs befand sich rechts neben der Fahrbahn eine Mauer, die teilweise mit Schnee bedeckt war.
Der Erstbeklagte fuhr mit dem fünfachsigen Sattelschlepper, der 13,90 m lang, 2,40 m breit und rund 32 Tonnen schwer war, auf der Pinzgauer-Ersatzstrasse von Osten nach Westen. Die Doppelkurve im Bereich des Bahnüberganges befuhr der Erstbeklagte mit etwa 10 km/h.
Der Zeuge K* fuhr mit dem 4,27 m langen und 1,57 m breiten PKW Ford Escort Combi der Klägerin, seiner Dienstgeberin, auf der Pinzgauer‑Ersatzstrasse von Westen nach Osten. Der PKW war mit vier Winterreifen ausgerüstet. K* fuhr zunächst mit etwa 50 bis 60 km/h. Etwa 60 m vor der späteren Unfallsstelle schaltete er auf den zweiten Gang zurück und befuhr in der Folge mit etwa 30 und sodann etwa 25 km/h die leichte Steigung zur Doppelkurve. Der Abstand zur rechten Fahrbahnbegrenzung betrug etwa 0,5 m. K* nahm etwa 20 m vor der Unfallsstelle den oberen Teil des Führerhauses des Sattelschleppers wahr, erkannte aber noch nicht, dass es sich bei dem entgegenkommenden Fahrzeug um einen Sattelschlepper handelte. Als er etwa 7 m vor der späteren Unfallsstelle fuhr, sah er, dass der Abstand der beiden Fahrzeuge bei den Hinterrädern der Zugmaschine knapp werden und er an den Hinterrädern des Aufliegers nicht vorbeikommen werde. K* bremste den PKW stark ab, fuhr die letzten etwa zwei Meter vor dem Unfall gebremst mit einem rechten Seitenabstand von etwa 0,5 m und prallte schliesslich mit der linken vorderen Kante des PKW mit einer Restgeschwindigkeit von etwa 20 km/h auf das linke Rad der ersten der drei Hinterachsen des Sattelschleppers auf, der zur Unfallszeit noch mit etwa 10 km/h fuhr.
Der Erstbeklagte nahm das Fahrzeug der Klägerin erstmals wahr, als er etwa 15 m vor der Unfallsstelle mit dem Führerhaus das nördliche Gleis überfuhr. Der Erstbeklagte bremste in der Folge den Sattelschlepper ab (die Bremswirkung setzte etwa im Unfallszeitpunkt ein) und brachte den Sattelschlepper etwa 0,5 m nach dem Zusammenstoß zum Stehen.
Bedingt durch die Bauart des Sattelschleppers und den Verlauf der Kurve konnte der Erstbeklagte die Linkskurve nicht anders fahren als mit einem Abstand der letzten Hinterachse zum linken Fahrbahnrand von etwa 1,50 bis 1,60 m.
Auf dieser Grundlage lastete das Erstgericht dem Lenker des Sattelschleppers das Alleinverschulden an dem Unfall an, während das Berufungsgericht beiden beteiligten Lenker ein gleichschweres Verschulden zur Last legte: da der Sattelschlepper durch seine Beschaffenheit infolge seiner Breite, seiner Länge und seines Gewichtes, aber auch durch das Erfordernis des Überschreitens der Fahrbahnmitte eine weitaus größere Gefahrenquelle darstelle als ein PKW, andererseits der PKW-Lenker im Zeitpunkt des Zusammenstoßes etwa doppelt so schnell gefahren sei wie der Erstbeklagte und über dies den Sattelschlepper etwas früher hätte erkennen können, als der Erstbeklagte den PKW, sei die Schadensteilung gerechtfertigt.
Demgegenüber vertritt die Revision der Klägerin die Auffassung, dass den Erstbeklagten das Alleinverschulden an dem Unfall treffe. Ihr ist aus folgenden Erwägungen beizupflichten:
Es ist davon auszugehen, dass nach den Feststellungen der Sattelschlepper infolge seiner Beschaffenheit in der unübersichtlichen Kurve eine Fahrlinie einhalten musste, die die für den Gegenverkehr bestimmte Fahrbahnhälfte auf 1,50 m bis 1,60 m einschränkte. Er stellte somit eine erhebliche Beeinträchtigung der Sicherheit des Gegenverkehrs dar. Unter diesen Umständen muss vom Lenker des Sattelschleppers besondere Vorsicht, Umsicht und Aufmerksamkeit gefordert werden, um den sich für den Gegenverkehr ergebenden Gefahren entgegenwirken zu können. Diesen Erfordernissen hat der Erstbeklagte in mehrfacher Weise nicht entsprochen. Da der Erstbeklagte bei einer derartigen Einschränkung der für den Gegenverkehr bestimmten Fahrbahnhälfte keineswegs mit einer gefahrlosen Begegnung rechnen durfte, war er bei erster Sicht auf einen solchen zur unverzüglichen Bremsung seines Fahrzeuges verpflichtet. Nach den Feststellungen hatte der Erstbeklagte 15 m vor der Unfallsstelle erste Sicht auf den entgegenkommenden PKW und befuhr die beiden Kurven mit einer Geschwindigkeit von 10 km/h, ehe er mit der gleichen Geschwindigkeit den entgegenkommenden PKW rammte. Es standen ihm dabei bis zum Zusammenstoß ab erster Sicht mehr als 4 Sekunden zur Verfügung. Auch wenn man im Hinblick auf die Art des Fahrzeuges von einer verlängerten Bremsansprech- und Schwellzeit ausgeht und dem Erstbeklagten eine Vorbremszeit von 1 1/2 Sekunden zubilligt, hat er den Bremsentschluss dennoch um mehr als 2 1/2 Sekunden zu spät gefasst. Dies ist ihm als Verschulden anzulasten. Darüber hinaus war der Erstbeklagte, wie das Erstgericht zutreffend dargelegt hat, bei erster Sicht auf den Gegenverkehr unter den festgestellten Verhältnissen zur unverzüglichen Abgabe von Warnzeichen verpflichtet (§ 22 StVO, ZVR 1965/141). Ebenso wie der Erstrichter bei der Überprüfung des Verschuldensvorwurfes der Klägerin gegenüber dem Erstbeklagten prüfen durfte, inwieweit der Erstbeklagte bei seiner Fahrweise und der Beschaffenheit seines Fahrzeuges die Gegenfahrbahn benützen musste, war von ihm auch zu prüfen, welche Massnahmen vom Erstbeklagten zur Entschärfung der von ihm geschaffenen Gefahrenlage zu fordern waren. War aber unter den gegebenen Umständen die Abgabe von Warnzeichen geboten, dann wäre den Beklagten der Beweis oblegen, dass sich der Unfall bei rechtzeitiger Abgabe von Warnzeichen in gleicher Weise ereignet hätte. Dieser kann nach den Feststellungen über die gegenseitigen Sichtverhältnisse und Annäherungswege nicht als erbracht angesehen werden.
Den Erstbeklagten trifft somit ein Verschulden an dem Unfall der Klägerin, wofür die Zweitbeklagte als Halter und die Drittbeklagte als Haftpflichtversicherer einzustehen haben. Sie trifft daher die Behauptungs- und Beweislast für das Mitverschulden des Lenkers der Klägerin, wobei allfällige Unklarheiten im erhobenen Sachbild in diesem Umfang zu ihren Lasten gehen. Geht man hievon aus, dann kann auch der Nachweis eines Mitverschuldens des Lenkers der Klägerin nicht als erbracht angesehen werden. Unter den festgestellten Verhältnissen kann weder die Einhaltung einer Geschwindigkeit von 25 km/h bei Annäherung an die Unfallstelle noch die Einhaltung eines Seitenabstandes von 50 cm vom rechten Fahrbahnrand beanstandet werden, zumal unter Berücksichtigung der PKW-Breite von 1,57 m in dessen linke Fahrzeugbegrenzung noch fast 1 1/4 m von der Fahrbahnmitte entfernt war. Dem Berufungsgericht ist allerdings zuzugeben, dass der PKW-Lenker nach den Feststellungen das Dach des Führerhauses des LKWs nicht erst auf 20 m, sondern schon auf 35 m hätte wahrnehmen können. Dem kommt aber keine Bedeutung zu, weil die Sicht auf das Führerhaus eines LKWs keineswegs den Schluss rechtfertigt, dass der begegnende LKW mit der ihm zur Verfügung stehenden Fahrbahnbreite von mehr als 4 1/2 m (6,60 m Fahrbahnbreite an der Unfallstelle abzüglich 2,07 m in PKW-Breite einschließlich rechten Seitenabstandes) nicht das Auslangen finden werden. Wach den Feststellungen sah K* 7 m vor der Unfallstelle, dass er an den Hinterrädern der (13,9 m langen) entgegenkommenden Zugmaschine nicht werde vorbeifahren können. Umstände, denen zufolge K* dies hätte früher bemerken müssen, sind nicht hervorgekommen. Als K* dies bemerkte, bremste er unverzüglich und spurhaltend und verringerte seine Geschwindigkeit bis zum Zusammenstoß auf ca. 20 km/h. Hierin kann weder eine fehlerhafte noch eine unzureichende Reaktion erblickt werden. Gegenüber dem eindeutigen Verschulden des Erstbeklagten kommt auch eine Heranziehung der Klägerin zur Mithaftung unter dem Gesichtspunkt einer Ausgleichspflicht nach § 11 EKHG nicht in Betracht.
Der Revision war daher Folge zu geben und das Urteil des Erstgerichtes wieder herzustellen.
Die Firmenbezeichnung der Klägerin war entsprechend ihrem Wortlaut auf der Vollmacht und ihrer Eintragung im Handelsregister (HG Wien, HRB *) richtig zu stellen.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41 und 50 ZPO.
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)
