European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:1977:0050OB00903.76.0215.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Spruch:
Der Revision wird Folge gegeben.
Das angefochtene Urteil und das erstgerichtliche Urteil werden aufgehoben und die Rechtssache zur ergänzenden Verhandlung und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.
Auf die Kosten des Rechtsmittelverfahrens ist gleich weiteren Prozesskosten Bedacht zu nehmen.
Begründung:
Der Beklagte ist Eigentümer der Liegenschaft EZ * KG *, zu welcher auch die Grundstücke * Wald und * Wald gehören.
Das Erstgericht stellte mit seinem Urteil dem Klagebegehren entsprechend fest, dass der klagenden Partei die jahreszeitlich nicht beschränkte Dienstbarkeit des Gehens über die nachstehenden, auf den Grundstücken des Beklagten in der EZ * der KG * errichteten Promenaden und Wege zustehe, und zwar
a) über die M*Promenade in einer Länge von 240 m auf dem Grundstück * Wald und in einer durchschnittlichen Breite von einem Meter,
b) über den N*weg in einer Länge von 250 m auf dem Grundstück Nr. * Wald und in einer durchschnittlichen Breite von einem Meter und
c) über den K*steig in einer Länge von 60 m auf dem Grundstück Nr. * Wald und in einer durchschnittlichen Breite von einem Meter.
Das Berufungsgericht bestätigte dieses Urteil auf der Grundlage der für unbedenklich befundenen erstgerichtlichen Feststellungen mit dem Ausspruche, dass der Wert des Streitgegenstandes S 50.000,– übersteige.
Den Urteilen der Untergerichte liegt folgender Sachverhalt zugrunde:
Nach einem Grossbrand in W* wurde 1927 ein Fremdenverkehrsverband gegründet, welcher die wirtschaftliche Lage der Gemeinde durch Förderung des Fremdenverkehrs verbessern sollte. Dazu wurden mit vorbehaltloser Zustimmung der Grundeigentümer Wanderpromenaden geschaffen.
Im Jahre 1929 wurde die M*Promenade errichtet, die in einer Länge von 240 m über das Grundstück * Wald führt und seither in einer durchschnittlichen Breite von einem Meter von Gemeindebürgern und Gästen, der Gemeinde ungestört begangen wird. Über dieses Grundstück führt auch schon seit 60 Jahren oder länger in einer Länge von 250 m und einer durchschnittlichen Breite von einem Meter der sogenannte N*. Er wird von der W* Bevölkerung und den Gästen der Gemeinde als Fussweg benützt und wurde früher auch für Prozessionen herangezogen. Ebenfalls seit etwa 60 Jahren wird von der Bevölkerung, insbesondere den Schulkindern der sogenannte K*steig als Abkürzungsweg benützt, der über das Grundstück * Wald mit einer Länge von 60 m und einer durchschnittlichen Breite von einem Meter führt und ebenso wie der N*weg den Ortsteil S* mit dem sogenannten Kirchboden verbindet.
Es ist nicht erwiesen, dass zwischen der klagenden Partei und dem Eigentümer der Liegenschaft EZ * KG * jemals eine Vereinbarung abgeschlossen worden wäre, wonach die klagende Partei für die Benützung der angeführten Wege Entgelt zu leisten hätte. Der Beklagte erwarb die belastete Liegenschaft im Jahre 1938 durch Kauf vom Vater. Nach dem Krieg versuchte er wiederholt, die klagende Partei zur Entrichtung eines Entgelts für die Promenadenbenützung zu bewegen. Es kam jedoch zu keiner Einigung, weil das von der Gemeinde gebotene Entgelt nicht seine Zustimmung fand. Der Umfang des Fremdenverkehrs in W* stieg in den letzten 30 Jahren stark an. Die Promenaden sind für diesen Fremdenverkehr wichtig. Die klagende Partei beschloss daher im Jahr 1974, den Rechtserwerb des Gehrechtes bezüglich der Promenaden durchzusetzen.
Im Rahmen der rechtlichen Beurteilung erachtete das Erstgericht die behaupteten Voraussetzungen für die Ersitzung des beanspruchten Wegerechtes als gegeben. Die Einwendung, dass durch den gestiegenen Fremdenverkehr eine Erweiterung der Dienstbarkeit eingetreten sei, wurde nicht für bedeutsam erachtet, weil diese gerade jenen Bedürfnissen habe dienen sollen, wie sie der zunehmende Fremdenverkehr und die zunehmende Bevölkerung gezeigt hätten. Da mit Hilfe der Promenaden der Fremdenverkehr intensiviert werden sollte, wäre eine Beschränkung der Servitut auf geringen Fremdenverkehr sinnlos.
Das Berufungsgericht billigte diese rechtliche Beurteilung.
Die beklagte Partei bekämpft das berufungsgerichtliche Urteil aus dem Revisionsgrunde der unrichtigen rechtlichen Beurteilung der Sache gemäß § 503 Z 4 ZPO mit den Revisionsanträgen, das angefochtene Urteil abzuändern und das Klagebegehren zur Gänze, allenfalls hinsichtlich der Dienstbarkeit des Gehens über die M*Promenade abzuweisen, in eventu das angefochtene Urteil wegen Unvollständigkeit der Sachgrundlage aufzuheben und die Streitsache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Gericht erster Instanz zurückzuverweisen.
Die klagende Partei beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist berechtigt.
Die von der klagenden Partei in Anspruch genommene Dienstbarkeit des Gehrechtes, für die als Rechtsgrundlage allein der Erwerb durch Ersitzung behauptet wird, ist als unregelmäßige Dienstbarkeit im Sinne des § 479 ABGB anzusehen, als deren Subjekt auch eine juristische Person, nämlich wie im vorliegenden Fall eine Gemeinde, in Betracht kommen kann. Eine solche Dienstbarkeit kann von einem unbestimmten Personenkreis, nämlich den Gemeindebürgern, aber auch von einem Touristenpublikum in Anspruch genommen werden und ist solange aufrecht, als die juristische Person selbst besteht (vgl Koziol-Welser 3 II 126, 127). Den Titel für den Erwerb einer Dienstbarkeit kann gemäß § 1480 ABGB aber auch ein Vertrag, insbesondere ein Servitutsbestellungsvertrag, abgeben. Daneben können die Vorteile des Gebrauches an fremder Sache auch bloß obligatorisch eingeräumt werden. Die Ersitzung ist der Erwerb eines Rechtes durch qualifizierten Besitz während der gesetzlich bestimmten Zeit und führt zu einem originären Rechtserwerb, der zur Folge hat, dass der bisherige Rechtsinhaber sein Recht verliert (§ 1478 ABGB). Daraus erhellt aber, dass ein bereits rechtsgeschäftlich eingeräumtes Recht nicht neuerlich durch Ersitzung erworben werden kann, zumal gemäß § 319 ABGB der Grund der Gewahrsame nicht eigenmächtig verwechselt werden darf (vgl SZ 44/41).
Nun ist aber den erstgerichtlichen Feststellungen zu entnehmen, dass die Initiatoren der Schaffung von Wanderpromenaden im Jahre 1927 „sich mit den Grundeigentümern in Verbindung setzten und vorbehaltlose Bewilligungen erreichten“. Diese Feststellung kann sich auf die Aussagen der im erstinstanzlichen Verfahren vernommenen Zeugen und Parteien stützen. So hat insbesondere der Bürgermeister der beklagten Partei, J* E*, angegeben, dass in W* Promenaden existierten, bezüglich welcher Dienstbarkeitsverträge abgeschlossen wurden. Darüber hinaus verwies E* aber noch darauf, dass mehrere Benützungsverträge bezüglich von Promenaden mit dem Fremdenverkehrsverein geschlossen worden seien. Diese, an sich schon undeutlichen Bekundungen haben in den Feststellungen der Untergerichte aber keinen näheren Niederschlag gefunden. Es ist ihnen nur zu entnehmen, dass eine Vereinbarung über die Benützung der in W* befindlichen Promenaden getroffen wurde, wobei auch nicht mit hinlänglicher Sicherheit erkennbar ist, ob sich dies nur auf die M*Promenade oder auch auf die beiden anderen klagsgegenständlichen Wege bezieht. Es kann daher aus der vorliegenden Sachverhaltsgrundlage nicht abschließend beurteilt werden, ob der allein als Klagegrund in Anspruch genommene Titel der Ersitzung im Hinblick auf gegebene Vereinbarungen überhaupt in Betracht kommen kann. Hinsichtlich derartiger Vereinbarungen fehlt es allerdings, abgesehen von der hinlänglich genauen Feststellung an einem entsprechenden Prozessvorbringen, das eine Berücksichtigung als Rechtsgrund ermöglichen würde. Nach den dargelegten Erwägungen erweist sich aber die Feststellungsgrundlage auch schon für die Beurteilung der behaupteten Ersitzung der Dienstbarkeit als unzureichend.
Soferne aber nach den Ergebnissen des fortgesetzten Verfahrens weiterhin die geltend gemachte Ersitzung der Dienstbarkeit des Gehrechtes in Betracht zu ziehen ist, kann zunächst hinsichtlich der Ersitzungsvoraussetzungen zur Vermeidung von Wiederholungen auf die eingehenden und zutreffenden Ausführungen des Berufungsgerichtes verwiesen werden. Es kommt demnach bei einer Ersitzungszeit von dreißig Jahren im Hinblick auf die Bestimmungen der §§ 1460, 1477 ABGB auf die Redlichkeit und Echtheit des Rechtsbesitzes an, nicht hingegen auf einen rechtmäßigen Erwerbstitel. Der Ersitzungsbesitzer hat außer einer Besitzausübung, die nach Inhalt und Umfang dem zu erwerbenden Recht entspricht, nur noch die Vollendung der Ersitzungszeit zu beweisen, wobei es genügt, wenn der Bestand des Rechtsbesitzes zu Beginn und zu Ende der Ersitzungszeit feststeht. Der Gegner hat demgegenüber einen in deren Verlauf eingetretenen Verlust des Besitzes oder eine Unterbrechung der Ersitzung zu beweisen, ferner auch, dass der Besitz nicht redlich und (oder) echt gewesen sei (Klang in Klang2 VI, 583, 578). Dies gilt auch für die Ersitzung der Dienstbarkeit des Wegerechtes durch eine Gemeinde. Die erkennbare Bekundung des Besitzwillens kann dabei durch den Beschluss der Gemeindevertretung dargetan werden (vgl SZ 34/59 ua).
Demgegenüber wurde vom Revisionswerber zunächst im Hinblick auf das Anbot eines Entgelts im Wege eines Pachtvertrages oder eines finanziellen Entgegenkommens die Redlichkeit des Besitzes der klagenden Partei, das ist der gute Glaube an die Rechtmäßigkeit der Besitzausübung in Frage gestellt. Die Unredlichkeit hatte gemäß dem § 1477 Satz 2 ABGB die beklagte Partei zu beweisen. In dem diesbezüglichen Vorbringen des Beklagten wird auf Vereinbarungen seines Vaters im Zusammenhang mit der Errichtung der M*Promenade im Jahre 1929 verwiesen. Er selbst habe wegen der nicht unbeachtlichen Wirtschaftserschwernis und wegen eines Nutzungsentganges wiederholt Beschwerden und Forderungen an die klagende Partei gerichtet und auch Vorschläge wegen der Beeinträchtigung der Beweidung zufolge der damit verbundenen Verschmutzung der Wege gemacht. Die klagende Partei habe die Zahlung eines in diesem Zusammenhang geforderten Pachtschillings aber abgelehnt. Dem ist zu entnehmen, dass Anbote der klagenden Partei im Bestreben um eine gütliche Regelung auf das Drängen und die Beschwerden des Beklagten hin erfolgten, wobei zwar hinlängliche Feststellungen über die dabei von den Streitteilen eingenommenen rechtlichen Positionen fehlen, das Gehrecht als solches aber offenbar nicht in Abrede gestellt oder beeinträchtigt wurde. Es ist den Untergerichten darin beizupflichten, dass damit eine Unredlichkeit des Besitzes der klagenden Partei noch nicht hinlänglich dargetan wurde, zumal es zu einer Entgeltsvereinbarung nicht gekommen ist. Dies hätte auch bezüglich der von der Revision behaupteten Unterbrechung der Ersitzung gemäß § 1497 ABGB durch stillschweigendes Anerkenntnis des uneingeschränkten Eigentumrechtes des Beklagten zu gelten. Der Revisionswerber verweist in diesem Zusammenhang auf seine Schwierigkeiten bei Ergreifung wirksamer Maßnahmen insbesondere einer Prozessführung als Gemeindebürger gegen die eigene Gemeinde unter Beeinträchtigung der für alle Beteiligten bedeutsamen Fremdenverkehrsinteressen. Es mag durchaus zutreffen, dass sich der Beklagte diesbezüglich in einer zwiespältigen Interessenlage befunden hat. Eine schlüssige Anerkennung als Voraussetzung für eine Unterbrechung der Ersitzung im Sinne des § 1497 ABGB setzt aber doch ein Verhalten des Ersitzungsbesitzers voraus, aus dem sich eindeutig das Bewusstsein der Unredlichkeit seines Besitzes entnehmen lässt. Dies ist aber aus der von der klagenden Partei auf das mehrfache Drängen des Klägers hin bekundete Bereitschaft zu einer einvernehmlichen Regelung auf der bisherigen Feststellungsgrundlage noch nicht unzweifelhaft abzuleiten. Der für die Ersitzung erforderliche gute Glaube fällt weg, wenn der Besitzer entweder positiv Kenntnis erlangt, dass sein Besitz nicht rechtmäßig ist, oder doch zumindest solche Umstände hervorkommen, die zu Zweifeln an der Rechtmäßigkeit seines Besitzes Anlass geben (vgl SZ 27/284). Hiefür kann auch schon die Mitteilung des Rechtsstandpunktes des Eigentümers der als dienendes Gut in Anspruch genommenen Liegenschaft hinreichen (vgl EvBl 1962/265, 323).
Besonderes Gewicht legt die Revision auf die Bekämpfung der von ihr angenommenen unzulässigen Erweiterung der in Anspruch genommenen Dienstbarkeit zufolge der verstärkten Benützung im Rahmen des in den vergangenen Jahren stark angewachsenen Fremdenverkehrs. Diesbezüglich ist zwar davon auszugehen, dass Dienstbarkeiten ihrer rechtlichen Natur nach nur beschränkte dingliche Nutzungsrechte am fremden Eigentum sind. Gemäß dem § 484 ABGB richtet sich der Inhalt einer Grunddienstbarkeit nach dem jeweiligen Bedürfnis des herrschenden Grundstückes, doch ist das Recht so auszuüben, dass das dienende Grundstück möglichst wenig belastet wird. Bei den gegenständlichen Gehrechten handelt es sich, wie bereits ausgeführt wurde, um unregelmäßige Dienstbarkeiten im Sinne des § 479 ABGB. Auch für sie gilt zwar der Grundsatz der schonenden Ausübung im Sinne des § 484 ABGB (vgl SZ 37/62). Eine Erweiterung der Ausübung liegt aber nach den hervorgekommenen Umständen weder nach dem örtlichen Umfang noch nach der Art der Benützung vor. Dass allenfalls mehr Personen im Rahmen des verstärkten Fremdenverkehrs die gegenständlichen Wege begehen, kann diesbezüglich schon deshalb nicht bedeutsam sein, weil diese Wege ja von vornherein zur Förderung des Fremdenverkehrs errichtet worden sind. Eine vermehrte Benützung dieser Wege war damit geradezu das erkennbare und erklärte Ziel dieser Maßnahme. Eine Beeinträchtigung des Grundeigentümers in der Weise, dass diesem die Möglichkeit genommen werde, Vieh auf die Weide zu treiben, weil dieses die Wege verschmutze, womit auf der anderen Seite die Interessen des Fremdenverkehrs unzumutbar beeinträchtigt würden, war von vornherein zu gewärtigen, gleichviel, ob mehr oder weniger Fremde diese Wege benützen. Wirklich unzumutbare Beeinträchtigungen des Grundeigentümers sind im übrigen aber weder behauptet worden noch hervorgekommen.
Hinsichtlich der Benützung der M*Promenade verweist die Revision noch darauf, dass zufolge der Zustimmung des Vaters des Beklagten zur Errichtung dieser Promenade ein „stillschweigender Vertrag“ vorliege, bei dem nach den Auslegungsregeln der §§ 914, 915 ABGB bezüglich des Liegenschaftseigentümers anzunehmen sei, dass sich dieser im Zweifel „die geringere Last als die schwerere, nämlich eine immerwährende Belastung einer Liegenschaft, hätte auferlegen wollen“. Von einer solchen Zweifelslage kann aber im Hinblick auf die Art und die Zweckbestimmung dieses Weges keine Rede sein, zumal auch nicht erkennbar ist, welche zeitlichen Grenzen eines solchen Gehrechtes hiefür in Betracht zu ziehen wären.
Da es sohin nach den dargelegten Erwägungen schon zur Entscheidung der Frage, ob der bisher geltend gemachte Erwerbsgrund der Ersitzung unabhängig von bestehenden Vereinbarungen über die Benützung der gegenständlichen Liegenschaft durch die klagende Partei zum Tragen kommen kann, ergänzender Feststellungen im erstinstanzlichen Verfahren bedarf, war der Revision Folge zu geben und eine diesbezügliche Verfahrensergänzung anzuordnen.
Die Entscheidung über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens gründet sich auf den § 52 ZPO.
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