European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:1977:0070OB00078.76.0113.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Spruch:
Der Revision wird Folge gegeben.
Das angefochtene Urteil und das Urteil des Erstgerichtes werden aufgehoben und die Rechtssache zur ergänzenden Verhandlung und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.
Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Begründung:
Der Beklagte war am 27. 7. 1974 bei der Klägerin mit seinem PKW * gegen Haftpflicht versichert. An diesem Tage verursachte er mit dem PKW einen Schaden in der Höhe von S 15.308,—, den die Klägerin ersetzen mußte.
Mit der vorliegenden Klage begehrt die Klägerin den Ersatz des von ihr bezahlten Schadensbetrages von S 15.308,— samt Anhang mit der Begründung, der Beklagte habe das Fahrzeug gelenkt, ohne im Besitz einer Lenkerberechtigung gewesen zu sein.
Der Beklagte beantragte Klagsabweisung. Er wendete ein, der Unfall habe sich auf einer Fläche ereignet, die nicht eine Straße mit öffentlichem Verkehr darstelle. Im übrigen sei das Fehlen der Lenkerberechtigung für den Unfall nicht kausal gewesen. Schließlich habe er, Beklagter, seinerzeit einen Führerschein besessen, der ihm entzogen worden sei. Inzwischen seien die Voraussetzungen für den neuerlichen Erwerb einer Lenkerberechtigung erfüllt gewesen. Falls er darum angesucht hätte, wäre ihm jederzeit eine Lenkerberechtigung erteilt worden.
Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Es ging hiebei von folgenden wesentlichen Feststellungen aus:
Mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft * vom 11. 5. 1973, *, wurde dem Beklagten gemäß § 73 Abs 1 KfG 1967 die von der Bezirkshauptmannschaft * erteilte Lenkerberechtigung entzogen und nach Abs 3 lit c der genannten Bestimmung ausgesprochen, daß dem Beklagten für die Dauer von 12 Monaten, somit bis 25. 3. 1974, keine neue Lenkerberechtigung erteilt werden dürfe. Auf das am 19. 3. 1974 an die Bezirkshauptmannschaft * gerichtete Ansuchen des Beklagten auf Wiederausstellung des Führerscheines wurde ihm mit Schreiben der Bezirkshauptmannschaft vom 23. 3. 1974 mitgeteilt, daß er nach Ablauf der im vorerwähnten Bescheid genannten Frist sämtliche Voraussetzungen zu erbringen habe, um in den Besitz eines Führerscheines zu gelangen. In der Folge hat der Beklagte keine neue Lenkerberechtigung erhalten.
Der Beklagte ist Eigentümer des Hauses in *. An die Rückseite dieses Hauses schließt ein Hof an, welcher durch eine Ziegelmauer mit einer breiten Toreinfahrt abgegrenzt wird. Die Hoffläche ist teilweise betoniert, wobei der Betonbelag über den eingefriedeten Bereich des Anwesens hinausreicht. Daran schließt außerhalb des Anwesens ein etwa 3 m breiter, mit Gras bewachsener Weg an, welcher nach 80 m in einen großen öffentlichen Parkplatz unmittelbar neben der Bundesstrasse 20 mündet. Im Bereich dieses Weges sind weder Verkehrszeichen noch Absperrungen vorhanden.
Am 27. 7. l974 war der dem Beklagten gehörige LKW mit dem Kennzeichen * in dem beschriebenen Hof abgestellt. Zur gleichen Zeit stand auf der betonierten Fläche außerhalb des Hofes der PKW des F* S*. Da der LKW des Beklagten zu nahe an der Begrenzungsmauer stand, wollte dieser ihn in eine Position bringen, bei welcher die rechte Bordwand geöffnet werden konnte. Er schob daher mit dem Fahrzeug ein Stück zurück und stieß hiebei gegen den von ihm übersehenen PKW des F* S*. An der Außenseite der Ziegelmauer hing eine vom Beklagten angefertigte Tafel mit der Aufschrift „Privatbesitz, Parken verboten“. Da die Tafel nicht den gewünschten Erfolg der Freihaltung der Hofeinfahrt erzielte, brachte der Beklagte in der Folge die Tafel „Ausfahrt freihalten“ an.
Rechtlich vertrat das Erstgericht den Standpunkt, der Unfall habe sich auf einem Weg, der von einem allgemein benützten Parkplatz abzweige, ohne daß durch Absperrungen oder Verkehrszeichen die Benützung dieses Weges untersagt oder auch nur auf einen bestimmten Personenkreis beschränkt wäre, ereignet. Der an das öffentliche Verkehrsnetz angeschlossene und keinen Verkehrsbeschränkungen unterliegende Weg könne sohin von jedermann unter den gleichen Bedingungen benützt werden. Es handle sich demnach hiebei um eine Straße mit öffentlichem Verkehr. Der Beklagte sei daher mangels gültiger Lenkerberechtigung nicht berechtigt gewesen, dort einen LKW zu lenken. Durch das Lenken des LKW habe er gegen die Bestimmung des Art 6 Abs 2 AKHB verstoßen. Die Klägerin sei daher leistungsfrei, weshalb sie bezüglich der erbrachten Leistungen Regreß nehmen könne.
Das Berufungsgericht änderte das Urteil des Erstgerichtes dahin ab, daß es das Klagebegehren abwies. Es übernahm die erstrichterlichen Feststellungen und führte in rechtlicher Hinsicht folgendes aus:
Es sei zwar richtig, daß der Beklagte das Fehlen einer Lenkerberechtigung nicht durch den Nachweis des tatsächlichen Fahrenkönnens ersetzen könne. Die vom Erstgericht erwähnte Obliegenheitsverletzung setze jedoch voraus, daß ein Fahrzeug auf einer Straße mit öffentlichem Verkehr gelenkt worden sei. Nach den getroffenen Feststellungen handle es sich bei der Verkehrsfläche, auf der sich der Unfall ereignet habe, indes nicht um eine Straße mit öffentlichem Verkehr, sondern bloß um eine „Zufahrt“ zum Anwesen des Beklagten. Unter „Grundstückseinfahrt“ seien nämlich alle erkennbar nicht dem öffentlichen Verkehr gewidmeten Verkehrsflächen zu verstehen, die von einer öffentlichen Straße zu einem einzelnen Grundstück oder zu einem begrenzten Grundstückskomplex führen; dies auch dann, wenn es sich nicht um eine übliche Toreinfahrt handle. Eine Zufahrt verliere den Charakter einer Grundstückseinfahrt nicht dadurch, daß das Tor weiter zurückliege; ein Weg, der zu einem Anwesen führe, sei Grundstückseinfahrt, unabhängig davon, ob er äußerlich einer Straße ähnle. Eine Zufahrt sei aber keine Straße, auch wenn sie asphaltiert und entsprechend breit sei. Insbesondere könne von einer Straße mit öffentlichem Verkehr keine Rede sein, wenn es sich, wie im vorliegenden Fall, um einen 3 m breiten Weg, der mit Gras bewachsen sei, handle. Da der Beklagte den LKW lediglich auf einer Fläche gelenkt habe, die nicht als Straße mit öffentlichem Verkehr anzusehen sei, habe er keine Obliegenheitsverletzung begangen. Aus diesem Grunde könne die Klägerin nicht Regreß nehmen.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der Klägerin. Es werden die Revisionsgründe nach § 503 Z 2 und 4 ZPO geltend gemacht. Die Klägerin beantragt die Wiederherstellung des Ersturteiles. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Der Beklagte stellt den Gegenantrag, der Revision nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist gerechtfertigt.
Vorerst war zu prüfen, ob die von den Untergerichten geäußerte Rechtsansicht richtig ist, daß die Verletzung der im Art 6 Abs 2 lit b AKHB festgesetzten Obliegenheit nur gegeben ist, wenn jemand, der nicht im Besitz einer entsprechenden Lenkerberechtigung ist, ein Fahrzeug auf einer Straße mit öffentlichem Verkehr lenkt. Die genannte Bestimmung der AKHB spricht nämlich schlechthin vom Nichtbesitz der Lenkerberechtigung. Trotzdem ist den Untergerichten beizupflichten. Die AKHB sind eine Verordnung, deren gesetzliche Grundlage § 60 Abs 2 KfG 1967 ist. Dieser setzt genau fest, welche Bestimmungen über Obliegenheitsverletzungen in die Bedingungen für die nach § 60 Abs 1 KfG 1967 abzuschließende Pflichtversicherung aufgenommen werden dürfen. § 60 Abs 2 Z 4 lit b KfG 1967 sieht hier die im § 64 Abs 1 des genannten Gesetzes angeführte Verpflichtung vor. Die letztgenannte Bestimmung schreibt vor, daß das Lenken eines Kraftfahrzeuges auf Straßen mit öffentlichem Verkehr nur auf Grund einer Lenkerberechtigung für die Gruppe zulässig ist, in die das Kraftfahrzeug fällt. Demnach ist Art 6 Abs 2 lit b AKHB dahin auszulegen, daß die dort genannte Obliegenheitsverletzung nur begeht, wer auf einer Straße mit öffentlichem Verkehr ein Kraftfahrzeug lenkt, ohne die entsprechende Lenkerberechtigung zu besitzen.
Entscheidend ist sohin tatsächlich, ob es sich bei der Verkehrsfläche, auf der der Kläger seinen LKW gelenkt hat, um eine Straße mit öffentlichem Verkehr gehandelt hat. Das Berufungsgericht hat bei Lösung dieser Frage nur die Beschaffenheit der fraglichen Bodenfläche in Betracht gezogen und hiebei auf Entscheidungen verwiesen (ZVR 1971/92, ZVR 1970/61), die lediglich Vorrangsprobleme zum Gegenstand hatten. Die Frage, ob eine Verkehrsfläche gegenüber einer anderen Vorrang genießt, hat aber mit der Beurteilung als öffentliche Verkehrsfläche nichts zu tun. Vielmehr ist entscheidendes Kriterium für die Lösung dieser Frage die Widmung der Verkehrsfläche. Eine Straße mit öffentlichem Verkehr liegt vor, wenn die Verkehrsfläche zum allgemeinen Gebrauch gewidmet ist (ZVR 1963/111 u.a.). Ein Verkehr findet, wie sich aus den Bestimmungen der §§ 1 Abs 1 und 2 Abs 1 Z 1 StVO ergibt, dann statt, wenn eine Straße oder eine andere hiefür bestimmte Landfläche von Fahrzeugen oder Fußgängern mit einer gewissen Regelmäßigkeit benützt wird (ÖVA 1970, 127). Eine Straße wird für jedermann unter den gleichen Bedingungen benützt werden können, wenn sie nach dem äußeren Anschein zur allgemeinen Benützung freisteht (ZVR 1975/233). Die faktische Beschaffenheit einer Fläche kann demnach nur ein Indiz für die Lösung dieser Frage sein, nicht aber eine abschließende Beurteilung ermöglichen.
Im vorliegenden Fall steht fest, daß die fragliche Fläche nicht durchgehend asphaltiert war, sondern weitgehend einen drei Meter breiten Weg, der teilweise mit Gras bewachsen war, bildete. Dies läßt allerdings die Beurteilung als Verkehrsfläche fraglich erscheinen, schließt sie jedoch nicht aus. Immerhin läßt auch ein solcher Weg die regelmäßige Benützung als Verkehrsfläche – sei es auch nur zum Abstellen von Fahrzeugen – zu. Ob dies hier der Fall war wurde nicht erörtert. Da die Lösung dieser Frage jedenfalls ein ergänzendes Vorbringen und wahrscheinlich auch zusätzliche Beweisaufnahmen erforderlich machen wird, war die Aufhebung beider Urteile und die Zurückverweisung an das Erstgericht nicht zu umgehen.
Sollte sich herausstellen, daß es sich bei der fraglichen Fläche nach den aufgezeigten Grundsätzen um eine Straße mit öffentlichem Verkehr handelte, wäre das Begehren der Klägerin allerdings gerechtfertigt.
Der Besitz eines Führerscheines kann nicht durch den Nachweis des Fahrenkönnens ersetzt werden (ZVR 1969/92, SZ 31/39, ZVR 1959/11 u.a.). Was die mangelnde Kausalität des Fehlens des Führerscheines anlangt, hat der Fahrer, der ohne Fahrerlaubnis fährt, nachzuweisen, daß der Versicherungsfall mit Sicherheit auch ohne die Obliegenheitsverletzung eingetreten wäre und ohne Einfluss auf die Höhe der Leistung des Versicherers war, der Schaden also im gleichen Umfang auch von einem Fahrer mit vorgeschriebener Fahrerlaubnis verursacht worden wäre (Lange in VersR 1970, 305).
Die Art, wie es zum Unfall kam (Rückwärtsfahren, ohne sich vorher von der Gefahrlosigkeit dieses Manövers zu überzeugen) stellt ein typisches Fehlverhalten im Verkehr mit Kraftfahrzeugen dar. Sicherlich können derartige Fehlleistungen auch einem Kraftfahrzeuglenker passieren, der im Besitz eines Führerscheines ist. Maßgebend bei der Beurteilung des Nachweises der mangelnden Kausalität des Fehlens eines Führerscheines für einen Unfall ist jedoch nicht das fallweise Verhalten eines nachlässigen Lenkers, sondern das gesetzestreue Verhalten des durchschnittlich aufmerksamen Lenkers. Ein solcher wird jedoch auch beim Lenken eines Kraftfahrzeuges auf nichtöffentlichem Grund jene Vorsicht walten lassen, die die StVO für das Rückwärtsfahren auf Straßen mit öffentlichem Verkehr im Auge hat (§ 14 Abs 3). Ein derartiges Verhalten setzt aber voraus, daß sich der Lenker eines Kraftfahrzeuges davon überzeugt hat, daß dieses Manöver ohne Gefahr für andere Rechtsgüter möglich ist. Der Beklagte hat ein solches Verhalten vermissen lassen, weshalb der Nachweis mangelnder Kausalität des Fehlens der Lenkerberechtigung für den Unfall keinesfalls angenommen werden könnte.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 52 ZPO.
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)
