European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:1976:0080OB00138.76.1110.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Spruch:
Den Revisionen wird nicht Felge gegeben.
Die beklagten Parteien sind zur ungeteilten Hand schuldig, der klagenden Partei Firma M* OHG die mit S 4.214,40 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin die Umsatzsteuer von S 178,80 und die Barauslagen von S 1.800,‑‑) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.
Entscheidungsgründe:
Am 15. Jänner 1970 um etwa 6 Uhr 35 kam es auf der Bundesstraße 4 beim Straßenkilometer 48.073 zu einem Zusammenstoß zwischen dem vom Erstbeklagten von H* in Richtung M* gelenkten Tankwagenzug und dem ihm entgegenkommenden, von W* gelenkten VW‑Kombi der Klägerin M* OHG (im Folgenden kurz Klägerin genannt). Der Zweitbeklagte ist der Halter und die Drittbeklagte der Haftpflichtversicherer des vom Erstbeklagten gelenkten Tankwagenzuges. Dabei wurden W* und die Insassen des VW‑Kombi J*, F* und A* getötet. Der Erstbeklagte wurde wegen dieses Unfalles rechtskräftig verurteilt, weil er auf einer Gefällestrecke trotz glatter und vereister Fahrbahn mit eingeschalteter Motorbremse gefahren ist und auch bei Annäherung des entgegenkommenden Kombiwagens die Motorbremse nicht ausgeschaltet habe.
Die Klägerin begehrt Ersatz eines Schadens von S 56.116,‑‑ und behauptet Alleinverschulden des Erstbeklagten, der durch unsachgemäßes Bremsen bewirkt habe, daß der Anhänger des Tankwagenzuges nach links über die Fahrbahnmitte ausgebrochen und gegen die Front des Kombiwagens gestoßen sei.
Die Beklagten machen ein 50 %iges Mitverschulden des Lenkers des Kombiwagens der Klägerin geltend und wenden aufrechnungsweise als Gegenforderung die Hälfte der von ihnen an die Hinterbliebenen der getöteten Insassen des Kombiwagens erbrachten Schadenersatzleistungen und die Hälfte des Fahrzeugschadens des Zweitbeklagten (insgesamt S 273.216,48) S 136.608,24 ein. Der Lenker des Kombiwagens habe zum rechten Fahrbahnrand einen Abstand von 2 m eingehalten und sei mit einer überhöhten Geschwindigkeit von 60‑70 km/h gefahren.
Diese Rechtssache wurde mit den Rechtssachen 1 Cg 4/73 (klagende Partei: H*) und 13 Cg 11/73 (klagende Partei: Allgemeine Unfallversicherungsanstalt) zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden.
Die Aufnahme des während des Laufes der Klagebeantwortungsfrist durch den Tod des Rechtsvertreters der beklagten Parteien Dr. Ilg unterbrochenen Verfahrens durch die Beklagten erfolgte zwar nicht unter Beachtung der in den §§ 160 Abs. 1 und 164 ZPO vorgeschriebenen Form mittels Antrages auf neuerliche Bestimmung einer Frist für die Klagebeantwortung, sondern nur durch Anzeige der Bestellung eines anderen Rechtsanwaltes und durch die Erklärung, die vom mittlerweiligen Stellvertreter des verstorbenen Rechtsanwaltes erstattete Klagebeantwortung zu genehmigen. Der in dieser Richtung unterlaufene Verfahrensverstoß wurde aber durch die rügelose Fortsetzung des Verfahrens nach Wegfall des Unterbrechungsgrundes durch sämtliche wieder ordnungsgemäß vertretenen Parteien saniert (vgl. Petschek-Stagel, Zivilprozeß, Seite 201; Petschek, Streitfragen, Seite 96).
Mit Teilurteil erkannte das Erstgericht die Forderung der Klägerin mit S 55.025,‑‑ als zu Recht bestehend, die Gegenforderung der beklagten Parteien bis zur Höhe der festgesetzten Klagsforderung als nicht zu Recht bestehend, verurteilte demgemäß die Beklagten zur Zahlung von S 55.025,‑‑, die Drittbeklagte jedoch mit der Beschränkung auf den Rahmen der Haftpflichtversicherungssumme, und wies das Mehrbegehren von S 1.091,‑‑ ab.
Das Berufungsgericht bestätigte dieses Urteil.
Gegen dieses Urteil richten sich die Revisionen des Erstbeklagten und der Drittbeklagten sowie die Revision des Zweitbeklagten. Der Erstbeklagte und die Drittbeklagte machen die Anfechtungsgründe des § 503 Z. 2 und 4 ZPO geltend und stellen die Anträge, das angefochtene Urteil dahin abzuändern, daß die Klagsforderung nur mit S 36.685,34, die Gegenforderung in der selben Höhe festgestellt und demgemäß das Klagebegehren abgewiesen werde, oder es aufzuheben und die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Der Zweitbeklagte macht den Revisionsgrund des § 503 Z. 4 ZPO geltend und stellt den Antrag, unter Zugrundelegung einer Verschuldensaufteilung im Verhältnisse 2 : 1 zu Lasten der Beklagten das angefochtene Urteil im Sinne der Abweisung der Klage abzuändern.
Die Klägerin stellt den Antrag, den Revisionen nicht Folge zu geben.
Die Höhe des Schadens der Klägerin ist im Revisionsverfahren nicht mehr strittig.
Hinsichtlich des Unfallsablaufes gingen die Untergerichte von folgendem wesentlichen Sachverhalt aus:
Die Bundesstraße 4 ist im Bereich der Unfallstelle 7,6 m breit. Sie verläuft in Fahrtrichtung des Tankwagenzuges in einer leichten Linkskurve und hat dort ein Gefälle von 4,4 %. Zur Kurveninnenseite hat sie eine Querneigung von 3,8 %. An den linken Fahrbahnrand schließt eine 2 m. tiefe Böschung an. Zur Unfallszeit herrschte Nebel, leichter Nieselregen und teilweise Glatteisbildung. Die Sicht reichte auf 150 bis 200 m. Der Erstbeklagte näherte sich der Unfallstelle zunächst mit einer Geschwindigkeit von 35 km/h. Wegen des Gefälles betätigte er zur Verminderung der Geschwindigkeit die Motorbremse und verringerte dadurch über eine Strecke von 105 m die Geschwindigkeit auf 29 km/h. Zu seinem rechten Fahrbahnrand hielt er einen Abstand von 30‑40 cm ein. Der VW‑Kombi kam mit Abblendlicht, einem Abstand zum rechten Fahrbahnrand von 1,5 m und zur Fahrbahnmitte von 60 cm und einer Geschwindigkeit von 60‑70 km/h entgegen. Trotz des entgegenkommenden VW‑Kombi fuhr der Erstbeklagte mit eingeschalteter Motorbremse weiter. Infolgedessen brach der Anhänger nach links aus, als der VW‑Kombi knapp vor dem Tankwagenzug war, sodaß der VW‑Kombi mit seiner linken Vorderseite gegen den Werkzeugkasten und gegen das linke Hinterrad des Tankwagenanhängers stieß. Dadurch wurde der VW‑Kombi über die rechte Straßenböschung geschleudert. Die Geschwindigkeit des VW‑Kombi war keineswegs so hoch, daß dadurch dessen Heck ausgebrochen wäre. Ein Verreißen des VW‑Kombi im Zeitpunkte der Gefahrenerkennung wäre im Hinblick auf die Fahrbahnverhältnisse nicht zielführend gewesen. Bei Abblendlicht hätte – ohne Berücksichtigung der Ausleuchtung der Fahrbahn durch den entgegenkommenden Tankwagenzug – unter Zugrundelegung einer mittleren Bremsverzögerung von 2,5 m/sec2 die vertretbare Geschwindigkeit des VW-Kombi 40‑50 km/h betragen. Der Unfall wäre annähernd gleich abgelaufen, wenn der VW‑Kombi einen Seitenabstand zum rechten Fahrbahnrand von nur 1 m eingehalten hätte. Auch bei Einhaltung eines Seitenabstandes von nur 50 cm wäre eine Streifung der Fahrzeuge nicht vermeidbar gewesen. Der VW‑Kombi wäre auch in diesem Falle mit einer an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit über die Böschung geschleudert worden.
Das Erstgericht ging vom Alleinverschulden des Erstbeklagten aus. Da der Unfall auch nicht vermeidbar gewesen wäre, wenn der VW‑Kombi zum rechten Fahrbahnrand einen Seitenabstand von 1 m oder von nur 50 cm eingehalten hätte, ergäbe sich, daß der vom Lenker dieses Fahrzeuges eingehaltene Seitenabstand für den Unfall bedeutungslos sei. Aber selbst wenn in der Einhaltung eines Seitenabstandes von 1,5 m ein Mitverschulden des Lenkers des Fahrzeuges der Klägerin erblickt wurde, sei dieses so gering, daß es unberücksichtigt bleiben könne.
Das Berufungsgericht billigte die Rechtsansicht des Erstgerichtes. Der vom Lenker des VW‑Kombi eingehaltene Seitenabstand zum rechten Fahrbahnrand spiele keine entscheidende Rolle. Unter Berücksichtigung der Straßen- und Beleuchtungsverhältnisse wäre ihm die Einhaltung eines geringeren Abstandes als 1 m nicht zumutbar gewesen. Bei Einhaltung eines solchen Abstandes wäre der Unfall aber nicht anders verlaufen. Auch die vom Lenker des VW‑Kombi eingehaltene Geschwindigkeit sei für das Zustandekommen des Unfalles bedeutungslos. Als zulässige Geschwindigkeit müsse die angesehen werden, bei der auch auf die Ausleuchtung der Strecke durch den entgegenkommenden Tankwagenzug Bedacht genommen würde. Bei dieser Geschwindigkeit wären die Unfallsfolgen aber nicht geringer gewesen als die tatsächlichen. Aber selbst wenn man der Ansicht wäre, daß das Verhalten des Lenkers des Fahrzeuges der Klägerin nicht allen Gegebenheiten voll Rechnung getragen habe, reiche dies weder für die Annahme eines Mitverschuldens dieses Lenkers, noch im Hinblick auf die wesentlich größere Betriebsgefahr des Tankwagenzuges für die Heranziehung der Klägerin zum Schadensausgleich nach § 11 EKHG aus.
Rechtliche Beurteilung
Die Revisionen sind nicht gerechtfertigt.
Als Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens machen der Erstbeklagte und die Drittbeklagte geltend, daß das Berufungsgericht es unterlassen habe, eine Klärung der Widersprüche in den Gutachten der Sachverständigen Dkfm. Weninger und Prof. Slibar herbeizuführen, und daß es die diesbezügliche Mängelrüge der Revisionswerber verworfen habe.
Die Frage, ob ein Sachverhalt durch die Beweisaufnahme ausreichend geklärt ist, ist eine Frage der im Revisionsverfahren nicht überprüfbaren Beweiswürdigung. Es gehören daher auch die Fragen, ob die Sachverständigengutachten die von den Vorinstanzen getroffenen Feststellungen rechtfertigen und ob noch ein weiteres Gutachten eingeholt werden soll, (vgl. SZ 41/26) in das Gebiet der Beweiswürdigung. Die Beantwortung der Frage, ob bei der Beurteilung der Zulässigkeit einer bestimmten Geschwindigkeit vom Gesichtspunkte der Sichtverhältnisse auch auf die Ausleuchtung der Fahrbahn durch ein entgegenkommendes Fahrzeug Bedacht zu nehmen ist, gehört zur rechtlichen Beurteilung. In dieser Beziehung kann von einem bei der Beweiswürdigung unterlaufenen Verstoß gegen die Denkgesetze nicht die Rede sein. Darauf wird noch bei der Erörterung der Rechtsrüge einzugehen sein.
In ihrer Rechtsrüge wenden sich die Beklagten zunächst gegen die Ansicht des Berufungsgerichtes, die vom Lenker des Fahrzeuges der Klägerin bei Abblendlicht eingehaltene Geschwindigkeit von 60‑70 km/h sei zulässig gewesen, weil bei der Sichtmöglichkeit dieses Lenkers auch auf die Ausleuchtung der Fahrbahn durch den entgegenkommenden Tankwagenzug Bedacht zu nehmen sei.
Dem ist entgegenzuhalten, daß eine allenfalls über der Sichtmöglichkeit bei Abblendlicht liegende Geschwindigkeit des Fahrzeuges der Klägerin hier in keinem Rechtswidrigkeitszusammenhang zum Unfall stand. Denn die getroffenen Feststellungen lassen keinen Zweifel daran, daß jeder der beiden Lenker das entgegenkommende Fahrzeug schon von Weitem erkennen konnte (Sicht auf 150‑200 m) und nur darauf kann es diesfalls ankommen, weil sich irgendwelche andere Hindernisse nicht auf der Fahrbahn befanden (2 Ob 214, 215/75). Vom Gesichtspunkt der Straßen-und Witterungsverhältnisse kann die eingehaltene Geschwindigkeit von 60‑70 km/h nicht als überhöht angesehen werden, da die Fahrbahn 7,60 m breit war, jedem der beiden Lenker daher eine Fahrbahnbreite von 3,80 m zur Verfügung stand und der Tankwagenzug äußerst rechts gefahren ist.
Die Beklagten bekämpfen ferner die Ansicht der Untergerichte, daß dem Lenker des Fahrzeuges der Klägerin ein Mitverschulden auch nicht wegen des Verstoßes gegen die Vorschrift des § 7 Abs. 2 StVO anzulasten sei. Sie meinen, unter Berücksichtigung des Gegenverkehrs und der Straßenverhältnisse hätte er einen geringeren Seitenabstand als einen Meter zum rechten Fahrbahnrand einhalten müssen.
Richtig ist, daß der Lenker des Fahrzeuges der Klägerin durch die Beibehaltung eines Seitenabstandes von. 1,50 m dem Gebot des § 7 Abs. 2 StVO nicht entsprochen hat. Der Oberste Gerichtshof hat aber bereits in ähnlich gelagerten Fällen entschieden, daß die Einhaltung eines Seitenabstandes von 1,80 m auf einer 8 m breiten Straße (vgl. ZVR 1976/192) und von 1,95 m auf einer 8,5 m breiten Straße (2 Ob 185/70) zwar einen Verstoß gegen den § 7 Abs. 2 StVO bedeute, aber gegenüber dem Verschulden des Lenkers eines entgegenkommenden, die Fahrbahnmitte überschreitenden Fahrzeuges zu vernachlässigen sei. Diese Erwägungen sind auch auf den vorliegenden Fall anzuwenden. Der Lenker des Fahrzeuges der Klägerin hat zur Fahrbahnmitte einen Abstand von 60 cm eingehalten, sodaß ein ausreichender Sicherheitsabstand (rund 1,50 m) zu dem mit einem Seitenabstand zum rechten Fahrbahnrand von 30‑40 cm entgegenkommenden Tankwagenzug vorhanden war. Mit einem plötzlichen Ausbrechen des Anhängers des äußerst rechts fahrenden Tankwagenzuges über die Fahrbahnmitte brauchte der Lenker des VW‑Kombi nicht zu rechnen. Damit kann die von den Vorinstanzen aufgeworfene Frage unbeantwortet bleiben, ob die Befreiung der Klägerin von der Ausgleichspflicht auch wegen eines rechtmäßigen Alternativverhaltens ihres Lenkers gegeben wäre. Denn dies hätte nicht nur zur Voraussetzung, daß ein rechtmäßiges Verhalten zu demselben Schadensablauf, sondern auch zu demselben Schaden geführt hätte (vgl. Koziol, Haftpflichtrecht I, Seite 124).
Den Revisionen mußte daher ein Erfolg versagt bleiben.
Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf den §§ 41, 46 Abs. 2 und 50 ZPO.
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