European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:1976:0040OB00115.76.1109.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Spruch:
Es wird dem Rekurs Folge gegeben und der Beschluß des Berufungsgerichtes dahin abgeändert, daß die Worte: „das in Ansehung der Abweisung der Widerklage als nicht in Beschwerde gezogen unberührt bleibt, wird im übrigen“ durch die Worte: „wird im Ausspruch über das Klagebegehren und im Kostenausspruch“ zu ersetzen sind; dem Berufungsgericht wird Entscheidung über die Berufung des Beklagten und Widerklägers gegen die Abweisung des in der Widerklage erhobenen Begehrens aufgetragen.
Die Rekurskosten sind als weitere Kosten des Berufungsverfahrens zu behandeln.
Begründung:
Der Beklagte war bei der klagenden Partei als Angestellter beschäftigt.
Die klagende Partei behauptet, der Beklagte sei nach dem Dienstvertrag verpflichtet gewesen, ausschließlich für die klagende Partei tätig zu sein; für den Fall einer Verletzung dieser Verpflichtung sei eine Konventionalstrafe von S 300.000,-- vereinbart worden. Der Beklagte habe dessen ungeachtet während des Dienstverhältnisses ohne Wissen der klagenden Partei Geschäfte für sich und auf eigene Rechnung getätigt, sodaß er zur Zahlung der vereinbarten Konventionalstrafe verpflichtet sei.
Der Beklagte bestritt, das Konkurrenzverbot verletzt zu haben. Er brachte eine Widerklage ein, in der er behauptete, daß er am 11. April 1975 ohne Grund fristlos entlassen worden sei. Da eine Kündigungsfrist von 6 Monaten zum Ende eines jeden Monates vereinbart worden sei, stehe ihm ein Anspruch auf das Entgelt bis Ende Oktober 1975 zu, wovon er 3 Monatsgehälter (einschließlich anteiliger Sonderzahlungen) in einer Gesamthöhe von S 33.331,-- geltend mache.
Das Verfahren über die Widerklage wurde mit dem Verfahren über die Klage „verbunden“ (AS 11).
Mit Urteil vom 23. März 1976 (ON 7) gab das Erstgericht dem Klagsbegehren teilweise statt, während es das Begehren der Widerklage abwies. Das Erstgericht gelangte im wesentlichen zum Ergebnis, daß der Beklagte das vereinbarte Konkurrenzverbot übertreten habe und durch dasselbe Verhalten den Entlassungsgrund der Vertrauensunwürdigkeit nach § 27 Angestelltengesetz gesetzt habe, sodaß er verpflichtet sei, die Konventionalstrafe zu zahlen, und ihm Ansprüche wegen ungerechtfertigter Entlassung nicht zustünden. Die zu zahlende Konventionalstrafe sei allerdings mit Rücksicht auf die gegebenen Umstände auf S 30.000,-- zu mäßigen gewesen.
Gegen „das Urteil vom 23. 3. 1976“ erhob (auch) der Beklagte Berufung. In dieser führte er unter anderem aus, das Erstgericht sei auf Grund einer irrigen Rechtsmeinung zu einer „teilweisen Stattgebung des Klagsbegehrens bzw. zur Abweisung des Widerklagebegehrens“ gekommen. Er machte gegen die begehrte Konventionalstrafe auch eine Gegenforderung von „mindestens S 30.000,--“ an bereits im Zeitpunkt der Entlassung rückständigem Gehalt (samt anteiligen Sonderzahlungen) geltend.
Das Berufungsgericht gab den Berufungen beider Teile Folge und hob das angefochtene Urteil, „das in Ansehung der Widerklage als nicht in Beschwerde gezogen unberührt bleibe“ „im übrigen“ zur Verfahrensergänzung und neuerlichen Entscheidung durch das Erstgericht ohne Rechtskraftvorbehalt auf. Es war der Auffassung, daß die Entscheidung über die Widerklage mangels Anfechtung in Rechtskraft erwachsen sei, im übrigen aber noch nicht alle erforderlichen Feststellungen getroffen worden seien.
Gegen den Beschluß des Berufungsgerichtes wendet sich der Rekurs des Beklagten mit dem Antrag, ihn dahin abzuändern, daß das Urteil des Erstgerichtes auch hinsichtlich der Abweisung der Widerklage aufgehoben, allenfalls „das angefochtene Urteil“ (gemeint: der Beschluß des Berufungsgerichtes) insoweit aufgehoben werde, als in Ansehung der Widerklage das Urteil erster Instanz als nicht in Beschwerde gezogen erklärt wurde, die Berufung hinsichtlich der Widerklage sohin zurückgewiesen wurde. Der Beklagte beantragt, in diesem Umfang dem Berufungsgericht die Ergänzung des Verfahrens und die „neuerliche“ Entscheidung aufzutragen.
Rechtliche Beurteilung
Zunächst ist die Zulässigkeit dieses Rekurses zu prüfen. Sie ist zu bejahen.
Der Beklagte beruft sich mit Recht auf die Bestimmung des § 519 Z. 1 ZPO, wonach ein Beschluß des Berufungsgerichtes mit Rekurs bekämpft werden kann, wenn das Berufungsgericht die Berufung mir aus formellen Gründen zurückgewiesen hat, ohne in die Prüfung der Sache einzugehen. Diese Bestimmung betrifft insbesondere auch den Fall, daß eine Berufung deswegen zurückgewiesen wurde, weil sie keinen Berufungsantrag enthält und der Umfang der Anfechtung nicht erkennbar ist. Hiebei macht es keinen Unterschied, ob die Zurückweisung im Vorprüfungsverfahren oder erst in der mündlichen Berufungsverhandlung erfolgte (Fasching ZP IV 410). Im vorliegenden Fall hat zwar das Berufungsgericht die Berufung des Beklagten gegen die Entscheidung des Erstgerichtes über die Widerklage nicht formell zurückgewiesen, aber doch eindeutig zu erkennen gegeben, daß es darüber nicht entscheiden wolle, weil seiner Ansicht nach die Berufung eine Bekämpfung dieser Entscheidung nicht enthalte. Es ging also auch davon aus, daß die Berufung keinen Berufungsantrag enthalte, der zu einer Überprüfung des angefochtenen Urteiles auch in diesem Teile führen müsse. Diese Willensäußerung des Berufungsgerichtes ist aber auch als eine Entscheidung anzusehen, deren Vorliegen erste Voraussetzung der Möglichkeit der Erhebung eines Rechtsmittels ist. Der Beklagte macht dagegen geltend, daß sich die Berufung auch gegen diesen Teil des Urteiles des Erstgerichtes gerichtet habe und insoweit vom Berufungsgericht zu Unrecht nicht erledigt worden sei. Die Sachlage ist also im wesentlichen dieselbe, wie jene, wenn behauptet wird, das Gericht habe über einen Anspruch deswegen nicht entschieden, weil es aktenwidrig angenommen habe, ein solcher Anspruch sei gar nicht erhoben worden. In einem solchen Falle hat die betroffene Partei die Wahl zwischen einem Antrag auf Ergänzung des Urteiles (§ 423 ZPO) oder eines Rechtsmittels gegen dieses Urteil (Fasching ZP III 817). Es erscheint daher gerechtfertigt, in dem Fall, daß die Auffassung des Berufungsgerichtes darüber, inwieweit die Entscheidung des Erstgerichtes angefochten wurde, bekämpft wird, die Zulässigkeit eines Rechtsmittels zu bejahen.
Der Rekurs des Beklagten ist aber auch berechtigt.
Es ist zwar richtig, daß die Berufung auch im arbeitsgerichtlichen Verfahren einen Berufungsantrag enthalten muß und sie bei Fehlen eines Antrages zu verwerfen ist (ArbSlg 8950, 7936, 6079, 4 Ob 78/75, 4 Ob 45/76 u.a.), sodaß auch hier der Berufungsantrag für die Abgrenzung des Umfanges der Anfechtung wesentlich ist. Er bedarf aber keiner besonderen Formulierung; es genügt vielmehr, wenn der Zusammenhang der Berufungsschrift verläßlich erkennen läßt, was der Berufungswerber erreichen will. Berufungsgründe und Berufungsantrag stehen in einem logischen Zusammenhang (Fasching ZP IV 170), sodaß bei der Beurteilung des Umfanges der Anfechtung auch die Berufungsgründe zu berücksichtigen sind. Ein Vergreifen im Ausdruck bei der Formulierung des Berufungsantrages schadet nicht (SZ 39/157, 20/148, JBl 1957 566, 4 Ob 45/76 u.a.). Im vorliegenden Fall ging aus der Berufung des Beklagten eindeutig hervor, daß er nicht nur die (teilweise) Stattgebung des Klagebegehrens, sondern auch die Abweisung des Begehrens der Widerklage bekämpft, weil er ausdrücklich erklärt, das Erstgericht sei wegen einer – seiner Auffassung nach – irrigen Rechtsmeinung „zur teilweisen Stattgebung des Klagebegehrens bzw. zur Abweisung des Widerklagebegehrens“ gekommen. Wird, berücksichtigt, daß zur Begründung des Klagebegehrens und des Antrages auf Abweisung des Begehrens der Widerklage dieselben Umstände geltend gemacht und vom Erstgericht zur Beurteilung dieser Begehren herangezogen wurden, konnte kein Zweifel bestehen, daß auch die Anfechtung durch den Beklagten diesen Sachverhalt und die daraus sowohl hinsichtlich des Klagebegehrens, als auch hinsichtlich des Widerklagebegehrens gezogenen rechtlichen Folgerungen betraf und damit eine Abänderung im Sinne der vom Beklagten seinerzeit gestellten Anträge (auf Abweisung des Klagebegehrens und Stattgebung des Widerklagebegehrens) erreicht werden soll. Daß im Berufungsantrag nur die Abweisung des Klagebegehrens, nicht aber auch die Stattgebung des Widerklagebegehrens angeführt wurde, war bei dieser Sachlage als offenbares Versehen erkennbar und somit unschädlich. Die im Berufungsverfahren geltend gemachte Gegenforderung des Beklagten betrifft angeblich im Zeitpunkt der Entlassung schon rückständiges Entgelt, somit andere Ansprüche als die Widerklage, in der Forderungen für die Zeit nach der Entlassung erhoben werden. Es kann daher auch aus der Einwendung der Gegenforderung nicht gefolgert werden, das Begehren der Widerklage werde nicht mehr verfolgt. Das Berufungsgericht ist daher zu Unrecht davon ausgegangen, daß mit der Berufung des Beklagten die Entscheidung des Erstgerichtes über die Widerklage nicht angefochten worden sei, sodaß der diesbezügliche Ausspruch im angefochtenen Urteil zu Unrecht erfolgte. Er war daher zu beseitigen. Dem Berufungsgericht war vielmehr eine Erledigung des noch offenen Teiles der Berufung des Beklagten aufzutragen.
Die Kostenentscheidung stützt sich auf § 52 ZPO.
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