OGH 6Ob18/76

OGH6Ob18/7616.9.1976

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Sperl als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Petretto, Dr. Marold, Dr. Resch und Dr. Schubert als Richter in der Verlassenschaftssache nach dem * 1974 verstorbenen G* O*, Bauer, zuletzt wohnhaft *, infolge Revisionsrekurses der erbserklärten Erbin B* O*, Bäuerin, *, vertreten durch Dr. Christian Poley, öffentlicher Notar in Kitzbühel, gegen den Beschluß des Landesgerichtes Innsbruck als Rekursgerichtes vom 30. April 1976, GZ 2 R 101/76‑60, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Kitzbühel vom 11. Februar 1976, GZ A 259/74‑52, bestätigt wurde, folgenden

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:1976:0060OB00018.76.0916.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.

 

Begründung:

 

Der * 1974 verstorbene G* O* und seine Ehegattin, die Revisionsrekurswerberin B* O* waren je zur Hälfte Eigentümer des geschlossenen Hofes „H*“ in EZ * KG *. Der Hof war ihnen vom Vater der Ehegattin in das gemeinsame Eigentum übertragen worden. Nach seinem Tod hinterließ der Erblasser seine Witwe und fünf minderjährige eheliche Kinder. Im Testament vom 8. April 1973 setzte er seine Gattin unter der Auflage als Alleinerbin ein, daß der älteste Sohn B* O* spätestens mit seinem 25. Lebensjahr als Nacherbe eintrete. Den vier weiteren Kindern setzte er zur Entfertigung als Legate je einen Baugrund im Ausmaß von 1.000 m2, 50 fm Nutzholz und einen innerhalb von fünf Jahren nach Erreichung der Volljährigkeit des Anspruchsberechtigten auszuzahlenden wertgesicherten Bargeldbetrag von 40.000 S aus. Die erblasserische Witwe gab auf Grund dieses Testamentes die bedingte Erbserklärung zum Nachlaß ab, welche mit Beschluß vom 18. Oktober 1974 zu Gericht angenommen wurde. Im Zuge der Feststellung der Pflichtteile der minderjährigen Kinder wurde – ausgehend vom Ertragswert – der Übernahmswert des Hälfteanteiles des Erblassers mit 1.250.000 S geschätzt. Demnach würde sich der Pflichtteilsanspruch jedes Kindes (je 3/40stel) unter Berücksichtigung der Passiven mit je 87.558,72 S errechnen, wobei dieser Anspruch durch die mit je 165.000 S bewerteten Legate zweifellos gedeckt wäre. Auf Grund einer Weisung des Abhandlungsgerichtes wurde auch der Verkehrswert des Nachlasses geschätzt. Dabei ergab sich ein Betrag von 3.875.350 S. Ginge man von diesem Betrag als Wert des Nachlasses aus, so würde sich unter Berücksichtigung der Passiven der Pflichtteil der minderjährigen Kinder mit je 283.767,05 S errechnen.

Unter Hinweis darauf, daß die Auszahlung des Pflichtteiles in dieser Höhe die finanziellen Möglichkeiten des Hofübernehmers überschreiten würde, so daß der Anerbe nicht mehr wohl bestehen könne, stellten die erbserklärte Erbin und der für die minderjährigen Kinder gestellte Kollisionskurator den Antrag, der Pflichtteilsberechnung die Ergebnisse gemäß dem Abhandlungsprotokoll ON 26, also den auf der Basis des Ertragswertes ermittelten Übernahmswert von 1.250.000 S zugrunde zu legen.

Das Erstgericht wies diesen Antrag im wesentlichen mit der Begründung ab, daß nach § 22 des Tiroler Höfegesetzes die Erbteilungsvorschriften dieses Gesetzes auf den vorliegenden Fall nicht anzuwenden seien, so daß der Pflichtteilsberechnung nicht der Ertragswert, sondern der Verkehrswert zugrunde gelegt werden müsse.

Das Rekursgericht gab dem Rekurs der Witwe des Erblassers nicht Folge. Es teilte die Rechtsansicht des Erstgerichtes, daß der Pflichtteilsberechnung im Hinblick auf § 22 Tiroler HöfeG nicht dessen Bestimmungen zugrunde zu legen seien. Maßgebend sei vielmehr der gemeine Wert des Nachlasses. Bei diesem sei allerdings auch auf den Ertragswert angemessen Rücksicht zu nehmen.

Gegen diesen Beschluß richtet sich der außerordentliche Revisionsrekurs der erbserklärten Witwe des Erblassers mit dem Antrag, den angefochtenen Beschluß dahin abzuändern, daß der Berechnung der Pflichtteile nicht der Verkehrswert, sondern der Übernahmswert nach dem Tiroler Höfegesetz zugrunde gelegt werde.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist unzulässig.

Gemäß § 16 AußStrG findet gegen eine bestätigende Entscheidung der zweiten Instanz die Beschwerde an den Obersten Gerichtshof nur im Falle einer offenbaren Gesetz- oder Aktenwidrigkeit der Entscheidung oder einer begangenen Nullität statt. Eine Aktenwidrigkeit oder eine Nullität behauptet der Revisionsrekurs selbst nicht. Eine Nullität liegt nach der Aktenlage auch nicht vor. Die erblasserische Witwe meint jedoch, es sei offenbar gesetzwidrig, daß die Untergerichte bei der Berechnung der Pflichtteile nicht von den Bestimmungen des Tiroler Höfegesetzes ausgegangen seien. Dem kann nicht beigepflichtet werden.

Eine offenbare Gesetzwidrigkeit liegt nur dann vor, wenn die für die Entscheidung maßgebende Frage im Gesetz ausdrücklich und so klar geregelt ist, daß an der Absicht des Gesetzgebers nicht gezweifelt werden kann und trotzdem anders entschieden wurde (SZ 21/10, SZ 25/185 u.v.a.). Gemäß § 22 Abs 1 Tiroler Höfegesetz finden nun auf einen geschlossenen Hof, der im Eigentum mehrerer Personen steht, die „Erbteilungsvorschriften“ dieses Gesetzes nur dann Anwendung, wenn die Miteigentümer Ehegatten sind und einer davon ohne Nachkommen verstorben ist. § 22 Tiroler HöfeG bildet eine Ausnahme von der Regel, daß Alleineigentum am Hof für die nach den Erbteilungsvorschriften des IV. Abschnittes des Tiroler Höfegesetzes sich vollziehende Einhandnachfolge auf den Anerben erforderlich ist (Webhofer, Tiroler HöfeG S 96). § 22 Abs 1 Tiroler HöfeG sagt nun jedoch nicht, was unter dem Begriff „ohne Nachkommenschaft verstorben“, zu verstehen ist (vergleiche dazu Webhofer, a.a.O. S 97 f und in Klang2 III S 806 Anm 25 und Seite 818; Ehrenzweig II/2 Seite 400; Cerman: Das Aufgriffsrecht des Ehegatten in GZ 1909 Nr 23 Seite 179; Gschnitzer Erbrecht Seite 19; SZ 19/77).

Das Tiroler Höfegesetz kennt auch keine ausdrückliche Bestimmung, daß seine Vorschriften anders anzuwenden seien, wenn ein geschlossener Hof, der ursprünglich im Eigentum einer einzigen Person stand, an Ehegatten in das gleichteilige Miteigentum übergeben wurde. Ebenso wird nicht gesagt, ob und in welcher Weise § 22 Abs 1 Tiroler HöfeG durch § 26 Tiroler HöfeG beeinflußt wird.

Aus all dem ergibt sich aber, daß die von den Untergerichten vertretene Ansicht, das Tiroler Höfegesetz komme bei Vorhandensein von Nachkommen des Verstorbenen auf einen im Miteigentum von Ehegatten stehenden geschlossenen Hof nicht zur Anwendung und zwar unabhängig davon, ob diese Nachkommen als Erben berufen sind oder nicht, ebensowenig offenbar gesetzwidrig ist, wie die daraus abgeleitete Schlußfolgerung, daß die Pflichtteilsberechnung nicht nach den Bestimmungen der §§ 19 und 26 Tiroler HöfeG zu geschehen habe. Eine Überprüfung der Rechtsansicht der Untergerichte darüber hinaus hat im Verfahren nach § 16 AußStrG nicht zu erfolgen.

Es kann aber auch nicht gesagt werden, daß die Ansicht des Rekursgerichtes, mangels Anwendung des Tiroler Höfegesetzes sei bei der Ausmessung der Pflichtteile nicht vom Ertragswert, sondern vom gemeinen Wert auszugehen, bei dessen Ermittlung allerdings auch auf den Ertragswert angemessen Rücksicht zu nehmen sei, offenbar gesetzwidrig wäre. Die Frage, nach welchen Grundsätzen im allgemeinen landwirtschaftliche Güter zur Bemessung der Pflichtteile zu bewerten sind, ist im Gesetz nicht ausdrücklich geregelt. § 784 ABGB sagt darüber ebensowenig wie die §§ 102, 103 AußStrG. Die Ansicht des Rekursgerichtes, daß vom gemeinen Wert im Sinn des § 305 ABGB auszugehen, dabei aber auch auf den Ertragswert angemessen Rücksicht zu nehmen sei, ist daher gleichfalls nicht offenbar gesetzwidrig.

Der Revisionsrekurs war daher zurückzuweisen.

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