European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:1976:0030OB00575.76.0831.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Spruch:
Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.
Begründung:
Mit Schriftsatz vom 6. Oktober 1975 – eingelangt beim Erstgericht am 10. Oktober 1976 – beantragte das Bezirksjugendamt für den 17./18. Bezirk in Wien als besonderer Sachwalter des mj. N* S*, dessen Vater, Dr. P* S*, zu einer erhöhten Unterhaltsleistung ab dem Tag der Antragstellung von monatlich 1.500,— S zu verhalten. Hiezu wurde vorgebracht, der Vater verdiene einschließlich der Sonderzahlungen monatlich 12.000,— S netto. Eine Lohnanfrage an den Arbeitgeber des Vaters sei unbeantwortet geblieben (ON 50).
Dr. P* S* stimmte diesem Antrag zu.
Mit Beschluß vom 18. November 1975, ON 56, erhöhte das Erstgericht die Unterhaltsverpflichtung des Vaters für den mj. N* S* für die Zeit ab 10. Oktober 1975 auf monatlich 1.500,— S. Es begründete diesen Beschluß mit der Einigung der Parteien über die erhöhte Unterhaltsverpflichtung.
Am 20. November 1975 brachte das Bezirksjugendamt den Antrag ein, Dr. P* S* „in Ergänzung des Antrages vom 6. Oktober 1975 ab Antragstag noch zu einer Unterhaltsleistung von 500 S monatlich, insgesamt daher 2.000,— S monatlich zu verhalten“. Hiezu wurde vorgebracht, Dr. P* S* verdiene monatlich 17.932,— S netto. Dem Antrag war eine Gehaltsbestätigung des Arbeitgebers des Vaters angeschlossen, wonach die Nettobezüge des Genannten im September 1975 16.103,90 S betragen haben und das Urlaubsgeld 11.439,— S netto und das Weihnachtsgeld zirka S 10.500,— betragen.
Das Erstgericht wies diesen Antrag mit der Begründung zurück, dem Antrag des Bezirksjugendamtes vom 6. Oktober 1975 sei rechtskräftig stattgegeben worden. Die nachträgliche Erweiterung des Leistungsbegehrens sei „mit Rücksicht auf die clausula rebus sic stantibus, die jeder rechtskräftigen gerichtlichen Entscheidung innewohne“, unzulässig.
Das Rekursgericht hob den Zurückweisungsbeschluß des Erstgerichtes auf und trug letzterem eine neuerliche Entscheidung auf. Nach Ansicht des Rekursgerichtes sei es zulässig, unter Vorbehalt der Ausdehnung oder der späteren Geltendmachung zunächst nur einen Teil der Forderung geltendzumachen, was auch für das Außerstreitverfahren gelte. Eine über den Teilanspruch ergangene rechtskräftige Entscheidung hindere nicht die Geltendmachung des vorbehaltenen Anspruches. Dieser könne auch dann gefordert werden, wenn sich die Verhältnisse in der Zwischenzeit nicht geändert haben sollten. Das Bezirksjugendamt habe im vorliegenden Fall anlässlich der Geltendmachung eines monatlichen Unterhaltsanspruches von S 1.500,— zwar nicht ausdrücklich erklärt, daß es nur einen Teil des dem Kind zustehenden anständigen Unterhaltes begehre und sich die Geltendmachung eines höheren Betrages vorbehalte, dem Vater, dem der Antrag auf Erhöhung des Unterhalts ONr. 44 (richtig ON 50) zur Kenntnis gebracht worden sei, sei jedoch erkennbar gewesen, daß das Bezirksjugendamt offensichtlich von einer zu niedrigen Unterhaltsbemessungsgrundlage ausgegangen sei. Gehe aber der Anspruchsberechtigte für den Antragsgegner erkennbar von einer unrichtigen Bemessungsgrundlage aus, so sei dies einem ausdrücklichen Anspruchsvorbehalten gleichzuhalten, und stehe somit die Rechtskraft der Entscheidung über das Begehren auf Grund der unrichtigen Bemessungsgrundlage einem Antrag auf Neufestsetzung des Unterhaltes, ausgehend von der richtigen Bemessungsgrundlage, nicht entgegen. Das Erstgericht werde daher über den Antrag ON 50 sachlich zu entscheiden haben.
Gegen diesen Aufhebungsbeschluß richtet sich der Revisionsrekurs des Vaters des Pflegebefohlenen mit dem Antrag, den Beschluß des Erstgerichtes ON 59 wiederherzustellen.
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs ist zulässig, weil der –grundsätzlich anfechtbare Aufhebungsbeschluß (JB 203) –ausschließlich eine verfahrensrechtliche Frage (Rechtskraftwirkung der Vorentscheidung) zum Gegenstand hat (ÖRZ 1968, 137, EvBl 1969/168 u.a.); der Revisionsrekurs ist aber nicht gerechtfertigt.
Bei der Prüfung der Frage, ob dem am 20. November 1975 eingebrachten Antrag (ON 57) die Rechtskraft der Vorentscheidung (ON 56) entgegensteht, ist zunächst davon auszugehen, daß auch Entscheidungen im außerstreitigen Verfahren, wie jede andere Sachentscheidung, in materielle Rechtskraft erwachsen. Es ist im Verfahren über die Bestimmung des gesetzlichen Unterhaltes jedoch zu beachten, daß das Gericht nicht über das dem Unterhaltsanspruch zugrunde liegende Privatrechtsverhältnis als solches, sondern über ein aus diesem Rechtsverhältnis abgeleiteten Begehren entscheidet. Mit dem Beschluß des Erstgerichtes ON 56 wurde demnach nicht über den gesamten nach dem Gesetz geschuldeten Unterhaltsanspruch des mj. N* S* rechtskräftig entschieden, sondern nur über ein bestimmtes Begehren. Dem zusätzlich mit Antrag ON 57 erhobenen Begehren steht daher die Rechtskraft der Entscheidung ON 56 nicht entgegen. Es kommt daher auch nicht darauf an, ob sich die für den mit Beschluß ON 56 bestimmten Unterhaltsanspruch maßgeblichen Umstände, die im übrigen im Hinblick auf das Einverständnis des Vaters überhaupt nicht festgestellt worden waren, nachträglich, vor der Einbringung des Antrages ON 57 geändert haben, sondern nur darauf, ob der mit Antrag ON 57 erhobene zusätzliche Anspruch nach der – noch zu prüfenden – Sachlage – unter Bedachtnahme auf den bereits rechtskräftig mit Beschluß ON 56 bestimmten Unterhaltsbetrag – berechtigt ist.
Es wäre auch ein höchst unbefriedigendes Ergebnis, wollte man annehmen, daß der Unterhaltsberechtigte, der zufolge Unkenntnis der wahren Einkommensverhältnisse des Unterhaltspflichtigen – weniger Unterhalt, als ihm an sich gebührte, begehrt, seinen Anspruch teilweise verlieren sollte (ebenso 1 Ob 217/75).
Das Rekursgericht ist somit mit im wesentlichen zutreffender Begründung zu der Ansicht gelangt, daß dem Antrag ON 57 nicht die Rechtskraft der Entscheidung ON 56 entgegensteht. Es ist daher dem Revisionsrekurs ein Erfolg zu versagen.
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