OGH 8Ob113/76

OGH8Ob113/7614.7.1976

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Hager als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Fedra, Dr. Reithofer, Dr. Benisch und Dr. Thoma als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei R*, Kfz‑Mechaniker, *, vertreten durch Dr. Jürgen Hadler, Rechtsanwalt in Voitsberg, wider die beklagte Partei mj. G*, geboren * 1957, kfm. Angestellte, *, vertreten durch ihren gesetzlichen Vertreter A*, Dienstnehmer, wohnhaft ebendort, dieser vertreten durch Dr. Viktor Max Kornberger, Rechtsanwalt in Graz, wegen restl. 4.500,‑‑ S samt Anhang, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes für ZRS Graz als Berufungsgerichtes vom 5. April 1976, GZ. 4 R 39/76‑22, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Bezirksgerichtes Voitsberg vom 15. September 1975, GZ. 3 C 266/75‑11, teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannte:

 

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:1976:0080OB00113.76.0714.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Der Revision wird teilweise Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, daß die Entscheidung zu lauten hat:

„Die Beklagte ist schuldig, dem Kläger den Betrag von 6.750 S samt 4 % Zinsen seit 10. April 1975 binnen 14 Tagen bei Exekution zu bezahlen.

Das Mehrbegehren von 4.550 S samt 4 % Zinsen seit 10. 4. 1975 wird abgewiesen.

Die Beklagte ist schuldig, dem Kläger den Betrag von 2.940,05 S (darin die Barauslagen von 1.628,50 S und die Umsatzsteuer von 97,15 S) an Kosten des Verfahrens erster Instanz und den Betrag von 716,52 S (darin die Barauslagen von 25 S und die Umsatzsteuer von 47,52 S) an Kosten des Berufungsverfahrens binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen“.

Die Kosten des Revisionsverfahrens werden gegeneinander aufgehoben.

 

Entscheidungsgründe:

Am 15. August 1974 gegen 20 Uhr ereignete sich im Bezirk Voitsberg auf der Landesstraße 222, O*straße im Bereich der Einmündung der L*gasse ein Verkehrsunfall, bei dem das Fahrrad der Beklagten, die nach links in die L*gasse einbiegen wollte, von der rechten Wagenseite des PKWs des Klägers, der geradeausfahren und die Radfahrerin überholen wollte, gestreift wurde. Die Beklagte kam zum Sturz. Der PKW des Klägers, Marke Volvo 122 S, prallte nach der Einmündung der L*gasse gegen einen auf der linken Straßenseite der O*straße stehenden E‑Mast und wurde hiedurch total beschädigt.

Der Kläger begehrte von der Beklagten – unter Abrechnung auf Totalschadensbasis – den Ersatz seines Kfz-Schadens in der behaupteten Höhe von 11.300 S samt Anhang. Die Beklagte habe den Unfall allein verschuldet, weil sie vom rechten Fahrbahnrand ohne Zeichengebung nach links eingebogen sei.

Die Beklagte wendete ein Mitverschulden des Klägers zu 2/3 ein, weil dieser die ordnungsgemäß zum Linkseinbiegen eingeordnete Radfahrerin mit überhöhter Geschwindigkeit überholt habe.

Das Erstgericht ermittelte den Unfallsschaden mit 9.000 S und sprach dem Kläger – ausgehend vom Alleinverschulden der Beklagten – diesen Betrag samt Anhang zu und wies sein Mehrbegehren – unangefochten – ab.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten teilweise Folge und änderte – ausgehend von einer Schadensteilung im Verhältnis von 1 : 1 – das Ersturteil dahin ab, daß es dem Kläger insgesamt 4.500 S – unangefochten – zusprach und sein Mehrbegehren abwies.

Die Entscheidung des Gerichtes zweiter Instanz wird vom Kläger insoweit mit Revision bekämpft, als ihm nicht – ausgehend vom Alleinverschulden der Beklagten – ein weiterer Betrag von 4.500 S samt Anhang zuerkannt wurde. Er macht den Anfechtungsgrund des § 503 Z. 4 ZPO mit dem Abänderungsantrag geltend, ihm insgesamt 9.000 S samt Anhang zuzuerkennen und somit das Ersturteil wieder herzustellen.

Die Beklagte beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung, der Revision keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist teilweise gerechtfertigt.

Das Erstgericht legte seiner Entscheidung im wesentlichen folgenden Sachverhalt zugrunde: Die Unfallssituation ergibt sich aus der im Strafakt erliegenden Handskizze. Die Breite der Fahrbahn im Unfallsbereich beträgt 5,25 m. Diese Fahrbahn wird in Höhe der Einmündung der L*straße in Fahrtrichtung des Klägers beiderseits von rund 8 cm hohen Bordkanten begrenzt. Es befindet sich westlich der Fahrbahn ein rund 1,20 m breiter Gehsteig. An diesen Gehsteig schließt bis zur Friedhofsmauer ein ansteigender, mit Gras bewachsener Geländestreifen von 4,5 m Breite an. Rund 15 m vor dem Unfallsbereich in Fahrtrichtung des Klägers gesehen, endet eine Linkskurve von mittlerer Krümmung. Von dort weg verläuft die Fahrbahn gerade weiter in Richtung B*bach entlang des Friedhofes und rund 100 m über den Unfallspunkt hinaus. Die Fahrbahn ist griffig und fehlerlos. Sie steigt in Fahrtrichtung des Klägers mit rund 1 % an. Lage und Ausmaß des Einmündungstrichters der L*straße ist in der Unfallskizze richtig dargestellt.

Der Unfall ereignete sich gegen 20 Uhr. Auf Höhe des A‑Mastens 1364 ist über der Fahrbahn eine Peitschenlampe angebracht. In Anfahrtrichtung des Klägers 55 m vor dem Unfallsbereich ist ebenfalls eine Peitschenlampe angebracht und wiederum in der gleichen Entfernung eine weitere. Durch diese Peitschenlampen war die Anfahrtsstrecke und auch der Unfallsbereich so ausgeleuchtet, daß eine genügende Sicht für den Kläger aus mindestens 150 m auf den Unfallsbereich und auf eine Radfahrerin auch bei Abblendlicht vorhanden war.

Der Kläger näherte sich der Unfallstelle mit rund 80 km/h. Rund 50 m vor dem Kläger fuhr ein PKW Marke Golf mit gelber Lackierung mit gleicher Geschwindigkeit. Die Beklagte fuhr mit rund 15 km/h in der gleichen Richtung wie der Kläger in normaler Fahrlinie äußerst rechts. Der PKW Marke Golf hatte die Beklagte überholt und der Kläger hatte sich in Überholposition begeben. Als die Beklagte mit ihrem Fahrrad noch äußerst rechts rund 10 m vor der Unfallstelle war, befand sich der Kläger rund 45 m hinter ihr. Aus dieser Position begann die Beklagte plötzlich, rund 2,4 sec. vor dem Kontakt, nach links einzubiegen. Trotz sofortigem Bremsentschluß war der Kläger nicht in der Lage, vor Erreichen der Beklagten sein Fahrzeug anzuhalten. Sein Anhalteweg hatte bei der erzielbaren Bremsverzögerung von 7 m/sec2 rund 57 m betragen. Rund 5 m vor dem A‑Masten Nr. 1364 kam es zu einer leichten Streifung zwischen PKW und Fahrrad. Das Fahrrad wurde umgestoßen. Die Beklagte stürzte und wurde leicht verletzt. In diesem Zeitpunkt betrug die Geschwindigkeit des PKWs des Klägers noch rund 45 km/h. Dann fuhr der Kläger auf den noch 5 m entfernten A‑Mast mit rund 40 km/h auf, wodurch Totalschaden am Fahrzeug des Klägers eintrat.

Das Erstgericht lastete der Radfahrerin als Verschulden an, daß sie ohne Rücksicht auf den Folgeverkehr und ohne Handzeichen vom äußersten rechten Fahrbahnrand nach links in die L*gasse einzubiegen begonnen habe. Dem Kläger habe ein Verschulden an dem Unfall nicht nachgewiesen werden können. Seine Bremsausgangsgeschwindigkeit von 80 km/h sei im Freilandgebiet nicht zu beanstanden. Er habe auf das verkehrswidrige Verhalten der Radfahrerin ordnungsgemäß reagiert.

Das Berufungsgericht übernahm die erstrichterlichen Feststellungen und berücksichtigte darüberhinaus eine in der mündlichen Berufungsverhandlung vorgenommene Außerstreitstellung, wonach vor Beginn der Einmündung der L*gasse gegenüber der Friedhofmauer nicht ganz an der Straße vereinzelt bewohnte Häuser stehen, sowie das Zugeständnis des Klägers, mit der Radfahrerin nicht durch Warnsignale Kontakt aufgenommen zu haben.

Rechtlich billigte das Berufungsgericht die Beurteilung des der Radfahrerin vom Erstgericht angelasteten Fehlverhaltens, das gegen die Bestimmungen der §§ 11 und 12 StVO verstoßen habe. Den Kläger treffe ein gleich schweres Mitverschulden, weil er mit einer Geschwindigkeit von 80 km/h ohne Kontaktaufnahme die Radfahrerin im Kreuzungsbereich habe überholen wollen, wo auf Grund der allgemeinen Erfahrung mit von dort einbiegenden Fahrzeugen oder einem Abbiegemanöver der Radfahrerin hätte gerechnet werden müssen.

Demgegenüber lehnt der Kläger in seiner Revision jegliche Kürzung seiner Ansprüche aus der Erwägung ab, daß die Beklagte den Unfall allein verschuldet habe. Dem kann aus folgenden Erwägungen nicht beigepflichtet werden: Der Revision ist zuzugeben, daß bei Anlegung der Durchschnittssorgfalt als Maßstab die Einhaltung einer Geschwindigkeit von 80 km/h im Freilandgebiet unter den festgestellten Verhältnissen und auch die Unterlassung von Warnsignalen so lange nicht als Verschulden gewertet werden können, als die Radfahrerin unauffällig am äußersten rechten Fahrbahnrand fuhr. Gleichwohl ist der Kläger von einer Mithaftung für seinen Unfallsschaden nicht loszuzählen. Es ist davon auszugehen, daß es sich hier nicht um einen Zusammenstoß mehrerer Kraftfahrzeuge mit einem nach § 11 EKHG zu beurteilenden Ausgleich handelt, es handelt sich im vorliegenden Fall vielmehr um den Schadenersatzanspruch eines Kfz‑Halters gegen einen Radfahrer, der nur nach allgemeinen Schadenersatzgrundsätzen haftet, während der Kfz‑Halter sich die eigene Betriebsgefahr entgegenhalten lassen muß, wenn er nach dem EKHG für diese einzustehen hat (Vergleiche E VI, 5, 6, 7; I, 12 zu § 11 EKHG in MGA3, 8 Ob 232/73 u.a., Koziol, Haftpflichtrecht I, S. 199). Im vorliegenden Fall ist der dem Kläger als Kfz‑Halter obliegende Entlastungsbeweis nicht gelungen: Nach den Feststellungen begann die Beklagte rund 2 1/2 Sekunden vor dem Streifkontakt ihr Fahrrad nach links zu lenken, als sich der Kläger noch 45 m hinter ihr befand. In dieser Situation hätte der Kläger unverzüglich Warnzeichen nach § 22 StVO abzugeben gehabt, die unter Umständen zur Beendigung der weiteren Linksfahrt der Radfahrerin und damit zur Verhinderung des Unfalls hätten führen können. Nach den Feststellungen befand sich die Radfahrerin, als sie plötzlich nach links lenkte, 10 m vor dem Kontaktpunkt und der Kläger 45 m hinter der Radfahrerin. Da sich der Lichtmast, an den der Kläger anfuhr, 5 m nach dem Kontaktpunkt mit der Radfahrerin befand, stand dem Kläger insgesamt eine Wegstrecke von 60 m zur Verfügung. Wenn aber der Kläger, der nach den Feststellungen auf einer Wegstrecke von 53,7 m – und somit jedenfalls vor dem 60 m entfernten Lichtmast – sein Kraftfahrzeug hätte zum Stillstand bringen können, an diesen mit einer Restgeschwindigkeit von 40 km/h auffuhr, dann kann nicht gesagt werden, daß er die gebotene Sorgfalt angewendet hätte. Er hat daher auch hinsichtlich seines eigenen Unfallsschadens die beträchtliche, von seinem Fahrzeug ausgehende Betriebsgefahr zu vertreten und muß sich diese auf seinen Ersatzanspruch gegen die nach Verschuldensgrundsätzen haftende Radfahrerin anrechnen lassen, weil die Grundsätze des § 1304 ABGB auch bei Zusammentreffen von Verschuldens- und Gefährdungshaftung anzuwenden sind (2 Ob 345/60, 8 Ob 232/73 u.a.).

Berücksichtigt man allerdings, daß die Beklagte durch ihre schwerwiegenden Verstöße gegen die Grundregeln der Fahrordnung die den Unfall einleitende Ursache gesetzt hat, dann erscheint es gerechtfertigt, die Schadensteilung im Verhältnis von 1 : 3 zu ihren Lasten vorzunehmen.

Der Revision war daher teilweise Folge zu geben und spruchgemäß zu entscheiden.

Die Entscheidung über die Prozeßkosten erster Instanz beruht auf dem § 43 Abs. 1 und 2 ZPO, jene über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens auf den §§ 43 Abs. 1 und 50 ZPO.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte