OGH 7Ob26/76

OGH7Ob26/763.6.1976

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Flick als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Kinzel, Dr. Petrasch, Dr. Kuderna und Dr. Wurz als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei J*, Private in *, vertreten durch Dr. Klaus Reisch, Rechtsanwalt in Kitzbühel, wider die beklagte Partei W*-AG in *, vertreten durch Dr. Paul Ladurner, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen 150.000 S samt Nebengebühren, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgerichtes vom 6. Februar 1976, GZ 2 R 437/75‑60, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck vom 30. Oktober 1975, GZ 6 Cg 531/72‑54, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:1976:0070OB00026.76.0603.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

 

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 4.809,12 S bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin 960 S Barauslagen und 285,12 S Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Entscheidungsgründe:

Der Ehemann der Klägerin, Primararzt der Chirurgie im Krankenhaus * Dr. H*, der bei der Beklagten eine Lebensversicherung über 150.000 S mit Unfallzusatz in gleicher Höhe abgeschlossen hatte, verunglückte am 30. März 1971 gegen 1 Uhr 15 nachts durch Sturz in eine Baugrube tödlich. Die Klägerin begehrt die Auszahlung der von der Beklagten mit dem Hinweis auf Leistungsfreiheit nach § 3 Abs. 1 lit. b der Besonderen Bedingungen für die Unfalltod-Zusatzversicherung verweigerten Zusatzversicherungssumme.

Der Erstrichter wies die Klage ab. Nach seinen Feststellungen war der im Zeitpunkt seines Todes 57 Jahre alte Ehemann der Klägerin, der gerne Wein trank, untertags häufig auch im Gasthaus war und durch Alkoholabusus eine stark vergrößerte und sichtlich verfettete Leber hatte, häufig alkoholisiert. Auch am Abend des 29. März 1971 besuchte Dr. H*, nachdem er bei der Klägerin zu Abend gegessen hatte, Gastlokale und kam zuletzt am späten Abend ins Gasthaus S* in *. Nachdem er dort noch Wein konsumiert hatte, verließ er das Gasthaus am 30. März 1971 um etwa 1 Uhr 15 und begab sich mit dem Autoschlüssel in der Hand in den Hof des Gasthauses „A*“, wo er zwar sein Fahrzeug wiederholt abgestellt hatte, nicht aber an jenem Abend. Angrenzend an den Hof des Gasthauses „A*“ befand sich schon seit längerer Zeit die vom Verunglückten kurz vorher mit dem Bürgermeister besichtigte und ihm bekannte Baustelle der Sparkasse, die einen früher bestandenen und von Dr. H* mehrfach benützten Abkürzungsweg von der Bundesstraße zur S*straße praktisch versperrte, weil die Überwindung der beträchtlichen Hindernisse nur durch das Absteigen und wieder Aussteigen aus einer etwa 2 m tiefen Baugrube möglich gewesen wäre. Die Baustelle war nicht beleuchtet, wohl aber durch die Straßenbeleuchtung auf der T*- und S*straße etwas erhellt, sodaß ein aufmerksamer Betrachter die Kellermauern der Sparkasse auf etwa 20 m, die Baugrube aber nach Einbruch der Dunkelheit erst auf etwa 2 bis 4 m, mindestens aber auf 1 ½ m, ausnehmen konnte. Dr. H* stürzte in die Grube, schlug mit dem Kopf auf einem Betonsockel auf und erlitt einen Schädelbruch. Bei seiner Obduktion wurde im Blut ein Alkoholgehalt von 2,1 ‰, im Harn ein Reduktionswert von 3,1 ‰ festgestellt. Daraus ergibt sich ein Blutalkoholspiegel des Verunglückten im Zeitpunkte des Todes um etwa 1 Uhr 30 von 2,1 bis 2,2 ‰. Auf eine Beeinträchtigung des Bewußtseins des Verunglückten lassen die Umstände schließen, daß er nicht nur einen durch die ihm bekannte Baustelle jetzt versperrten Abkürzungsweg einschlug, sondern auch diese Baustelle übersah, vorher im Gasthaus beim Anzünden einer Zigarette ziemliche Schwierigkeiten hatte und beim Absturz nicht oder doch nicht entsprechend versuchte, die Wucht des Aufschlagens abzufangen. Nach der Rechtsansicht des Erstrichters findet der Haftungsausschluß nach § 3 Abs. 1 lit. b der Besonderen Bedingungen für die Unfalltod-Zusatzversicherung auf den vorliegenden Fall Anwendung, weil der Unfall infolge einer Bewußtseinsstörung durch Alkohol herbeigeführt worden sei.

Das Berufungsgericht gab der von der Klägerin erhobenen Berufung nicht Folge. Es übernahm die oben wiedergegebenen Feststellungen des Erstrichters als unbedenkliches Ergebnis eines mängelfreien Verfahrens und trat seiner rechtlichen Beurteilung bei. Bei einem Blutalkoholgehalt von mindestens 2 ‰ und den konkreten Umständen des Unfalls, nämlich der Kenntnis der Unzugänglichkeit des gewählten Weges, dem Übersehen der Grube und dem Unterlassen einer Abwehrreaktion beim Sturz sei der Beklagten der Beweis einer alkoholbedingten Bewußtseinsstörung gelungen, die mindestens mitursächlich für den Tod gewesen sei.

Gegen das Urteil des Berufungsgerichtes erhebt die Klägerin die Revision wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, es „dahin abzuändern“ oder es aufzuheben und die Rechtssache an eines der Untergerichte zurückzuverweisen.

Die Beklagte beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Mit Rücksicht auf die Erklärung der Revisionswerberin, das zweitinstanzliche Urteil seinem gesamten Umfang nach anzufechten, und die damit übereinstimmenden Rechtsausführungen, daß ein Haftungsausschluß nicht gegeben sei, reicht der dargestellte Abänderungsantrag gerade noch aus. Die Revision ist aber nicht berechtigt.

Nach § 3 Abs. 1 lit. b der Besonderen Bedingungen für die Unfalltod-Zusatzversicherung ist die Haftung des Versicherers derart begrenzt, daß er nicht für Unfälle infolge von Geistes- oder Bewußtseinsstörungen haftet, auch wenn diese durch Alkoholeinfluß herbeigeführt wurden. Die Revisionswerberin geht selbst von der zutreffenden Rechtsansicht aus, daß unter einer solchen Bewußtseinsstörung infolge Alkoholeinfluß nicht die volle Berauschung im Sinne des § 287 StGB zu verstehen ist, andererseits aber eine unwesentliche Schmälerung des Bewußtseins für die Erfüllung des Tatbestandes nicht ausreicht. Es muß sich um eine Ausfallserscheinung handeln, die dem durch einen Schlaganfall oder eine Geistesstörung herbeigeführten Zustand annähernd gleichkommt. Den Ausschlußgrund stellt demnach eine vom Versicherer zu beweisende (SZ 38/71) Alkoholeinwirkung dar, bei der die Aufnahme- und Reaktionsfähigkeit wesentlich geschmälert ist (7 Ob 128/73 veröffentl. in RZ 1974/4 = VersR 1974, 408 = ZVR 1974/73). Die Revisionswerberin meint aber, daß die Beurteilung der Bewußtseinsstörung in versicherungsrechtlicher Sicht nach den gleichen Maßstäben erfolgen müsse, wie sie im Strafrecht für die Beurteilung eines Rauschzustandes nach § 81 Abs. 2 StGB gelten, und folgert daraus im Zusammenhang mit der strafrechtlichen Judikatur zur Fähigkeit für die Teilnahme am Verkehr, daß bei einem Fußgänger erst ein Blutalkoholgehalt von über 2,5 bis 3 ‰ einer Ausfallserscheinung gleichkomme. Echte Symptome einer Alkoholisierung ihres Mannes seien überdies nicht festgestellt worden, die Wahl des kurzfristig unbenützbaren Weges sei vielmehr aus Gewohnheit und Gedankenverlorenheit und der Sturz durch Ausrutschen auf dem nassen Lehm erklärlich, zumal die Baugrube erst auf ein bis eineinhalb Meter für einen aufmerksamen Betrachter sichtbar geworden sei.

Diesen Ausführungen kann nicht gefolgt werden. Sie weichen zunächst von den maßgebenden Feststellungen der Vorinstanzen in unzulässiger Weise dadurch ab, daß eine erst kurzfristige Unbenützbarkeit des Weges und die Erkennbarkeit der Baugrube erst auf ein bis eineinhalb Meter zugrunde gelegt werden, während die praktische Unbegehbarkeit des Durchgangs schon durch längere Zeit und die Erkennbarkeit der Baugrube auf 2 bis 4, mindestens aber eineinhalb Meter festgestellt wurde, und ein Ausrutschen infolge nassen Lehmes als Ursache des Absturzes in die Baugrube angegeben wird, das nicht festgestellt wurde und für das sich auch keine Spuren gefunden haben. Es kann aber auch die Rechtsansicht nicht geteilt werden, daß eine Bewußtseinsstörung infolge Alkohols, die im vorliegenden Fall nach Versicherungsrecht die Haftung des Versicherers für den eingetretenen Unfall ausschließt, im Sinne der strafrechtlichen Judikatur zu § 81 Abs. 2 StGB (früher § 337 lit. b StG) beurteilt werden müsse. Im Strafrecht wurde die Qualifikation der Trunkenheit für den alkoholisierten Fußgänger nur deshalb in der Regel erst bei Annäherung an die volle Berauschung, d.i. bei etwa 2,5 bis 3 ‰ Blutalkoholgehalt zur Anwendung gebracht, weil das Vorhaben des Heimgehens in der Regel nicht als eine Tätigkeit zu betrachten sei, mit deren besonders erhöhter Gefahr der sich berauschende Täter rechnen müsse (JBl 1964, 43 und Liebscher, ebendort). Der versicherungsrechtliche Haftungsausschluß bezieht sich hingegen bloß darauf, daß ein Unfall infolge einer Bewußtseinsstörung, sei sie auch durch Alkohol herbeigeführt worden, eintrat. Diese Grenze ist, wie das Berufungsgericht auch durch die Verweisung auf die deutsche Lehre und Rechtsprechung nachgewiesen hat (vgl. bes. Prölß 20 1070 und BGH VersR 1957, 509), bereits bei einem Blutalkoholgehalt von 2 ‰ regelmäßig erreicht. Dazu kommt noch, daß im vorliegenden Fall konkrete Umstände nachgewiesen wurden, die den Unfall anders als durch eine wesentliche Schmälerung der Aufnahme- und Reaktionsfähigkeit kaum erklären lassen. Ohne alkoholbedingte Beeinträchtigung des Bewußtseins konnten Gewohnheit und Gedankenverlorenheit kaum ausreichen, einen Weg zu wählen, der bereits längere Zeit nicht mehr benützbar war und über eine Baustelle führte, die der Verunglückte kannte, zumal er sie kurze Zeit vorher besichtigt hatte. Die Beseitigung der früher bestandenen Durchgangsmöglichkeit hätte ihm bei unvermindertem Bewußtsein schon durch das Sichtbarwerden der Kellermauern auf etwa 20 m wieder in Erinnerung gerufen werden müssen. Wenn der Ehemann der Klägerin aber dennoch weiterging, den Absturz in die Baugrube auch auf den letzten eineinhalb bis vier Metern Wegstrecke übersah und ohne Anhaltspunkte für den Versuch einer Abfangbewegung in die Grube stürzte, dann rechtfertigen diese Umstände in Verbindung mit der festgestellten hohen Alkoholkonzentration im Blut und den ebenfalls festgestellten Schwierigkeiten beim Anzünden seiner letzten Zigarette den von den Vorinstanzen angestellten Schluß, daß eine erhebliche Bewußtseinsminderung durch Alkoholgenuß vorlag und die Beklagte somit ihrer Beweispflicht hiefür entsprochen hat.

Der Ausspruch über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf den §§ 41 und 50 ZPO.

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