OGH 4Ob20/76

OGH4Ob20/766.4.1976

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Leidenfrost als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Wurzinger und Dr. Friedl sowie die Beisitzer Dr. Seper und Ing. Zangl als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei „D*“ A*AG., *, vertreten durch Dr. Eduard Saxinger, Rechtsanwalt in Linz, wider die beklagte Partei P* K*, Kraftfahrer und Kraftfahrzeugmechaniker, *, vertreten durch Dr. Ernst Blanke, Rechtsanwalt in Hallein, wegen 137.634 S samt Anhang, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes Salzburg als Berufungsgerichtes in arbeitsgerichtlichen Rechtsstreitigkeiten vom 19. Jänner 1976, GZ 31 Cg 60/75‑54, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Arbeitsgerichtes St. Johann/Pongau vom 23. April 1975, GZ Cr 93/71‑48, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:1976:0040OB00020.76.0406.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

 

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Der Beklagte ist schuldig, der klagenden Partei die mit 5.419,20 S (einschließlich 1.920 S Barauslagen und 249,20 S Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

 

Entscheidungsgründe:

Die klagende Partei behauptet, sie habe als Kaskoversicherer eines dem J* B* gehörigen LKW-Zuges, mit dem der Beklagte als dessen Dienstnehmer am 6. Juni 1970 grob fahrlässig einen Verkehrsunfall verschuldet habe, den daraus entstandenen Schaden mit einem Betrag von 137.634 S ersetzt, sodaß insoweit der Ersatzanspruch des J* B* auf sie übergegangen und der Beklagte zur Zahlung dieses Betrages an sie verpflichtet sei.

Der Beklagte beantragt Abweisung des Klagebegehrens, da er den Unfall nicht grob fahrlässig verschuldet habe.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Es stellte fest:

Der Beklagte fuhr am 6. Juni 1970 mit einem LKW-Zug, der mit etwa 22 Tonnen Fliesen beladen war, auf der Bundesstraße Nr. 172 von Wörgl Richtung Kufstein. Um etwa 10 Uhr 15 näherte er sich bei Straßenkilometer 4,8 einer Doppelkurve, deren Linkskurve, die sogenannte Glaurachkurve, einen Radius von ungefähr 150 m hat. Zwischen dieser Linkskurve und der vorherigen Rechtskurve ist die Straße auf etwa 80 m gerade bei einem Gefälle von 3 - 4 %. Vor der Doppelkurve sind die Gefahrenzeichen „Doppelkurve rechts beginnend“ und „Schleudergefahr“ gut sichtbar angebracht gewesen. Die Straße war in einer Breite von 7,28 m mit Rauhasphalt versehen, auf dem Begrenzungslinien angebracht waren. Auf der Straßenmitte war vor der Kurve eine Leitlinie, die in der Kurve in eine Sperrlinie überging. In der Kurve hatte die Fahrbahn ein Quergefälle von 1 - 2 %. Die Straße war eine Freilandstraße ohne Verkehrsbeschränkungen. Der Beklagte fuhr mit mindestens 80 km/h in die Linkskurve. Infolge dieser hohen Geschwindigkeit und der schweren Ladung wurde der Anhänger des LKW-Zuges beim Passieren der Linkskurve nach außen getragen. Er prallte an eine Leitschiene und stieß dann gegen eine Stützmauer. In der Folge kam der Anhänger über die Straßenmitte auf die linke Fahrbahnhälfte, wo es zu Zusammenstößen mit entgegenkommenden Personenkraftwagen kam. Die Personenkraftwagen wurden schwer beschädigt, insbesondere auch dadurch, daß ein Teil der Ladung des LKW-Zuganhängers auf sie fiel. Zwei Personen wurden schwer und zwei leicht verletzt. Zur Unfallszeit war es hell, die Straße war trocken und es herrschten einwandfreie Sichtverhältnisse. Die vom Beklagten eingehaltene Fahrgeschwindigkeit von ca. 83 - 85 km/h entspricht nahezu der Höchstgeschwindigkeit des von ihm gelenkten LKW-Zuges. Die gesetzlich zulässige Höchstgeschwindigkeit für einen LKW-Zug betrug 60 km/h (§ 58 Abs 1 Z 2 lit e Kraftfahrgesetz DVO). Technisch wäre ein gefahrloses Befahren der Glaurachkurve noch mit einer Geschwindigkeit von 50 bis höchstens 60 km/h möglich gewesen. Der Beklagte wurde wegen dieses Unfalles strafgerichtlich der Übertretung nach § 335 StG schuldig erkannt, weil er ihn durch Befahren der Glaurachkurve mit überhöhter Geschwindigkeit verschuldet habe. Die klagende Partei hat als Kaskoversicherer des J* B* diesem die entstandenen Reparaturkosten von 150.127 S mit einem Betrag von 137.634 S ersetzt.

Rechtlich war das Erstgericht der Auffassung, daß dem Beklagten grobe Fahrlässigkeit vorgeworfen werden müsse, weil er sowohl die gesetzlich zulässig als auch die nach den gegebenen Straßenverhältnissen für ein gefahrloses Befahren der Glaurachkurve noch zulässige Höchstgeschwindigkeit von 60 km/h erheblich überschritten habe, da er mit mindestens 80 km/h gefahren sei.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Beklagten nicht Folge. Es kam nach Neudurchführung der Verhandlung gemäß § 25 Abs 1 Z 3 ArbGerGes zu denselben Feststellungen wie das Erstgericht und teilte auch dessen Ansicht, daß den Beklagten ein grobes Verschulden am Unfall treffe. Es verwies insbesondere darauf, daß der Beklagte durch die aufgestellten Gefahrenzeichen („Doppelkurve rechts beginnend“ und „Schleudergefahr“) auf die Gefährlichkeit der Kurve aufmerksam gemacht worden sei und der Beklagte dennoch die gesetzlich zulässige Höchstgeschwindigkeit, die nur unter optimalen Verhältnissen ausgenutzt werden dürfe, und auch die nach den örtlichen Verhältnissen für ein gefahrloses Fahren zulässige Geschwindigkeit erheblich überschritten habe.

Gegen das Urteil des Berufungsgerichtes wendet sich die Revision des Beklagten wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, es im Sinne einer Abweisung des Klagebegehrens abzuändern.

Die klagende Partei beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht berechtigt.

Der Beklagte wendet sich dagegen, daß sein Verhalten als grobe Fahrlässigkeit zu beurteilen sei. Er habe lediglich die zulässige Fahrgeschwindigkeit überschritten, ohne daß erschwerende Umstände vorlägen. Die bloße Überschreitung der zulässigen Geschwindigkeit reiche für die Annahme eines groben Verschuldens nicht aus. Daß das Befahren der Kurve mit hoher Geschwindigkeit deswegen gefährlich sei, weil es zu großen seitlichen Abweichungen des Fahrzeuges, insbesondere des Anhängers, kommt, sei möglicherweise für einen technischen Sachverständigen nicht aber für einen Durchschnittsmenschen, als welcher der Beklagte anzusehen sei, voraussehbar. Ihm sei daher nur ein minderer Grad des Verschuldens anzulasten. Daraus abzuleitende Ansprüche seien aber gemäß § 6 DHG bereits verfallen.

Dem kann nicht zugestimmt werden.

Eine grobe Fahrlässigkeit ist eine Außerachtlassung der erforderlichen Sorgfalt, die sich aus der Menge der Fahrlässigkeitshandlungen des täglichen Lebens als eine auffallende Sorglosigkeit hervorhebt. Der Verstoß gegen das normale Handeln muß auffallend und der Vorwurf der Sorglosigkeit in höherem Maße gerechtfertigt sein. Eine strafgerichtliche Verurteilung enthält nicht notwendig einen bindenden Spruch über das Vorhandensein eines groben Verschuldens. Es ist in jedem Einzelfall mit Bedachtnahme auf die persönlichen Verhältnisse und die allgemeinen Lebensgewohnheiten zu prüfen, ob eine auffällige Sorglosigkeit vorliegt. Auch die Übertretung einer Schutzvorschrift muß an sich noch keine grobe Fahrlässigkeit darstellen. Sie ist aber dann anzunehmen, wenn sich jemand über grundlegende und leicht erkennbare Vorschriften hinwegsetzt und sein Handeln den Eintritt eines Schadens nicht bloß als möglich, sondern als wahrscheinlich erkennen ließ (SZ 42/132, 25/32, EvBl 1966/520, 1959/181, 1973/265, ZVR 1972/182, ArbSlg 9179, 9168 u.a.).

Es ist daher an sich richtig, daß die Annahme einer groben Fahrlässigkeit nicht schon daraus abgeleitet werden kann, daß die gesetzlich zulässige Höchstgeschwindigkeit überschritten wurde (ZVR 1972/182). Im vorliegenden Fall wurde aber nicht bloß die für den vom Beklagten gelenkten LKW-Zug gesetzlich, zulässige Höchstgeschwindigkeit, sondern auch jene überschritten, die nach den gegebenen Verhältnissen technisch noch ein gefahrloses Befahren der Kurve zugelassen hätte. Dadurch unterscheidet sich der vorliegende Fall wesentlich von jenem der Entscheidung ZVR 1972/182, in der festgestellt worden war, daß das Überholmanöver – abgesehen von der Überschreitung der für den Ortsbereich, zulässigen Höchstgeschwindigkeit – fahrtechnisch gerechtfertigt gewesen wäre. Im vorliegenden Fall wäre aber ein gefahrloses Befahren der Kurve nur bis zu einer Geschwindigkeit von 50 bis 60 km/h möglich gewesen, während der Beklagte mit mindestens 80 km/h fuhr. Zu dem Einwand des Beklagten, er habe die Gefährlichkeit der eingehaltenen Geschwindigkeit, insbesondere das Auftreten von seitlichen Abweichungen des Fahrzeuges, nicht erkennen können, muß entgegengehalten werden, daß ihm als Lenker eines LKW-Zuges die Möglichkeit des Auftretens solcher seitlicher Abweichungen, insbesondere beim Anhänger des LKW-Zuges, bekannt sein mußte; dieses Auftreten seitlicher Abweichungen entspricht schon der allgemeinen Erfahrung eines Durchschnittsmenschen, und mußte daher für den Beklagten als Lenker eines LKW-Zuges umso mehr voraussehbar sein. Mit Recht haben die Untergerichte aber auch besonders darauf verwiesen, daß der Beklagte durch zwei gut sichtbare Gefahrenzeichen („Doppelkurve“ und „Schleudergefahr“) darauf aufmerksam gemacht wurde, daß die Kurve „wegen ihrer Beschaffenheit oder Unübersichtlichkeit gefährlich“ ist (§ 50 Z 2 StVO 1960). Der Beklagte hat dennoch eine Geschwindigkeit eingehalten, die mindestens um ein Drittel über der gesetzlich zulässigen Geschwindigkeit lag und diese, die nur bei optimalen Verhältnissen ausgenutzt werden darf, somit erheblich überschritten. Wird noch berücksichtigt, daß der vom Beklagten gelenkte LKW-Zug mit etwa 22 Tonnen Transportgut beladen war, war für ihn vorhersehbar, daß bei einer derartigen Mißachtung von Gefahrenquellen, die bereits durch Zeichen angekündigt worden waren, der Eintritt eines Schadens wahrscheinlich ist.

Damit trifft ihn aber der Vorwurf eines groben Verschuldens am Unfall, sodaß § 6 DHG nicht anwendbar ist. Aus diesem Grunde scheidet aber auch die Möglichkeit einer Mäßigung oder einer Erlassung des Ersatzes aus Billigkeitsgründen im Sinn des § 2 DHG aus. Dem Klagebegehren wurde vielmehr mit Recht stattgegeben.

Der Revision war daher ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung stützt sich auf §§ 41, 50 ZPO.

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